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4. Exploration des Sorgefeldes der Young Adult Carer

4.4. Sekundäranalyse zur österreichischen Situation von Young (Adult) Carer

Pflegegesetzgebung gekommen ist, jedoch ist darüber kein Detailwissen vorhanden. Die Expert_Innen C (46), D (46), E (36) und F (38) konstatieren auch, wie schon die Expert_Innen für Österreich, die zentrale Problematik, dass der deutsche Wohlfahrtstaat keine Leistungen, zugeschnitten für Young (Adult) Carer, aufzuweisen hat, da ihm überhaupt nicht bewusst ist, dass diese Zielgruppen existieren. Somit sprachen alle Expert_Innen über das fehlende Bewusstsein über pflegende Kinder, Jugendliche und junge Erwachsene seitens des deutschen Wohlfahrtstaates.

In weiterer Folge stellt Expert_In E (36) fest, dass der Wohlfahrtstaat sich der Frage stellen muss, ob seine vorhandenen gesetzlichen Rahmenbedingungen überhaupt für junge Erwachsene geeignet sind.

„(..) „Kann man sie in einen Topf mit allen anderen werfen mit anderen pflegenden Angehörigen oder kann man das eben nicht?“ Ich sage mal überspitzt formuliert, wie bei einer 75-Jährigen, die ihren Mann zu Hause pflegt, hat die die gleichen Probleme wie eine 24-Jährige, die ihre Mutter zu Hause pflegt?“ (E: 36)

Es zeigt sich also, dass zu Young Adult Carer in Bezug auf den österreichischen bzw.

deutschen Wohlfahrtstaat Überlegungen bei den Expert_Innen vorhanden sind, die jedoch insgesamt kaum eine detaillierte Auskunft geben. Jedoch konnte herausgearbeitet werden, dass die Expert_Innen die gesellschaftliche Aufklärung, Wahrnehmung und Sensibilisierung beim Wohlfahrtstaat gegenüber diesen jungen Pflegenden als den wesentlichsten Schritt ansehen.

4.4. Sekundäranalyse zur österreichischen Situation von Young (Adult)

Exploration. Ein besonderes Augenmerk wird dabei, soweit dies vorhanden ist, auf die Gruppe der Young Adult Carer und dem österreichischen Wohlfahrstaat genommen.

Ziele, Fragestellungen und methodische Rahmenbedingungen

Die erste Studie (Nagl-Cupal et al. 2015b) befasst sich erstmals mit der Situation von pflegenden sowie ehemaligen pflegenden Kindern und Jugendlichen in Österreich. Das übergeordnete Ziel der Studie war es, aufgrund der marginalen Forschung, die Situation dieser Gruppen auf jene Stellen zu beleuchten, die auch in der internationalen Forschung wenig Beachtung bekommen haben. Daher gliedert sich die Studie in drei wesentlichen Teile. Sie legte erstens ein besonderes Augenmerk auf die Schaffung einer fundierten Zahlenbasis zu pflegende Kinder und Jugendlichen und zweitens auf die Betrachtung der Situation von ehemaligen pflegenden Kindern und dessen Auswirkungen der Pflegeerfahrung im Kindesalter auf das spätere Erwachsenenalter (ebd.: 67). Der dritte Teil bestand darin, mögliche Empfehlungen zur Unterstützung pflegender Kinder und Jugendliche zu formulieren (ebd.: 217ff.).

Die Fragestellungen, die der Studie zugrunde liegen, zielen einerseits darauf ab, u.a. die Anzahl der pflegenden Kinder und Jugendlichen, Art und Umfang der Sorgetätigkeiten oder aber auch die Auswirkungen auf das Leben dieser Gruppe zu erheben. Dabei wurde die Möglichkeit eingeräumt, die Resultate der Erhebung mit denen von nicht pflegenden Kindern und Jugendlichen zu vergleichen. Auf der anderen Seite bestanden zentrale Fragestellungen bei der Betrachtung der Auswirkungen der kindlichen Pflegeerfahrung auf das spätere Erwachsenenleben. Dabei standen die Auswirkungen der Sorgeverpflichtungen auf die beruflichen und privaten Lebensentscheidungen im Fokus, sowie, welche Belastungen die Erwachsenen aus ihren Sorgeerfahrungen in ihre Erwachsenenleben mitgenommen haben (ebd.: 67f.).

Der theoretische Ausgangspunkt sowie das Fundament für die Erhebung bildet mehrheitlich die angloamerikanische und zum Teil die deutschsprachige Forschung (ebd.: 47ff.), die auch in dieser Arbeit im Kapitel 2 verwendet wurde.

Die methodischen Rahmenbedingungen für die Erhebung zur Situation von pflegenden Kindern und Jugendlichen lagen einem quantitativen Studiendesign, mittels einer Querschnittserhebung mit einer Zufallsstichprobe und anhand eines anonymen Selbstausfüll-Fragebogens, zugrunde.

Die Konzeption des Fragebogens basierte auf theoretischen und methodischen Modelle (Joseph et al. 2009b; Joseph et al. 2009a; Metzing 2007a), die entwickelt wurden, um familiäre Pflege, wo Kinder und Jugendliche beteiligt sind, methodisch in den Blick zu nehmen. Um pflegende Kinder und Jugendliche methodisch als solche zu identifizieren und diese von Nicht-Pflegende zu unterschieden zu können, setzten die Studienautor_Innen, in Anlehnung an Morrow (2005),

Warren (2007) und Warren/Ruskin (2008), auf zwei zentrale Vorhersagewerte, die erfüllt werden mussten. Einerseits muss eine chronische Erkrankung eines Familienmitgliedes vorhanden sein, das durch das Kind bzw. den Jugendlichen selbst genannt wurde und andererseits müssen Hilfeleistungen für das benannte erkrankte Familienmitglied in einem im Voraus definiteren Ausmaß angegeben werden (siehe dazu (Nagl-Cupal et al. 2015b: 78f.). Die Stichprobe der Erhebung basiert auf einer 12%igen Zufallsstichprobe und die Erhebung selbst wurde bei Kindern der 5. bis 8. Schulstufe in den Bundesländern Wien und Niederösterreich durchgeführt (ebd.: 79). Dadurch konnten schlussendlich insgesamt 10.433 Schüler_Innen in die Studie aufgenommen werden. Mit einer Rücklaufquote von 71 Prozent und gemäß der Stichprobe von 47,2 Prozent bestand die endgültige Stichprobe bei 7.403 (n). Davon waren 4,5 Prozent pflegende Kinder (ebd.: 143). Durch statistische Hochrechnungen schätzen die Studienautor_Innen, dass man in Österreich von 42.700 pflegenden Kindern und Jugendlichen ausgehen kann (ebd.: 152).

Die methodischen Rahmenbedingungen für die Erhebung der Situation von ehemaligen pflegenden Kindern (vgl. ebd.: 155ff.) wiederum liegt einem qualitativen Forschungsansatz zugrunde. Dabei wurden insgesamt 16 leitfadengestützte Interviews durchgeführt, in denen Erwachsene18 befragt wurden, die im Kindes- oder Jugendalter mit einem chronisch erkrankten Familienmitglied zusammengelebt haben. Die methodische Analyse des Datenkorpus erfolgte dabei mittels permanenten Vergleichens nach (Glaser/Strauss 1998) und der Grounded Theory (Corbin/Strauss 2008).

Die zweite Studie (Nagl-Cupal et al. 2015a) hat sich das Ziel gesetzt, im Kontext des Spannungsverhältnisses „zwischen bestehendem Wissen hinsichtlich der Bedürfnisse und der bisherigen Unterstützungsleistungen für Betroffene“ (ebd.: 297), ein Rahmenkonzept zu erarbeiten, das als Grundlage für die weitere Unterstützung von Young Carer dienen soll. Dabei stand auch das familiäre Umfeld der Young Carer im Fokus (Frank/Slatcher 2009). Denn im Sinne eines „think family aproach“ (Eisenstadt 2011) geht es auch darum, die Familienangehörigen bei einem solchen Konzept mitzudenken. Die methodische Vorgehensweise der Studie lag dabei dem Utrechter Modell zur „Entwicklung, Testung und Einführung von evidenzbasierten Pflegeinterventionen“ (van Meijel et al. 2004) zugrunde. Mit einer Kombination aus Literaturrecherche, Site-Visits, Workshops, einer Enquete und dem Wissen der ersten Studie wurde die Vorgehensweise in ein „logisches Modell“ (Nagl-Cupal et al.

2015a: 299; 307) komplettiert.

18 Das Sample bestand dabei aus 12 weiblichen und vier männlichen Personen zwischen 32 und 60 Jahren (Nagl-Cupal et al. 2015b: 159f.)

Familiäre und pflegerische Rahmensituation von pflegenden Kindern und Jugendlichen in Österreich

Bei der Betrachtung der Situation von pflegenden Kindern und Jugendlichen in Österreich diskutiert die Studie diese entlang von unterschiedlichen Eckpunkten und vergleicht dies, sofern vorhanden, jeweils mit der Situation von Kindern und Jugendlichen, die keine Pflegeverantwortung verrichten. So ist die familiäre Situation so konstruiert, dass pflegende Kinder mehr Geschwister besitzen als nicht pflegende Kinder (1,62 zu 1,55) und mehr Väter zu Hause sind und keiner Berufstätigkeit nachgehen (11,8 Prozent zu 6,0 Prozent). Dabei wohnen 74 Prozent der pflegenden Kinder mit beiden Elternteilen zusammen und 61,5 Prozent befinden sind in einem traditionellen Familienverbund mit Vater, Mutter und mindestens einem Geschwisterteil. Nur 11, 3 Prozent leben hingegen mit nur einem Elternteil (Nagl-Cupal et al.

2015b: 96f.).

Im Rahmen des Pflegearrangements der Kinder und Jugendlichen (ebd.: 101) werden am meisten die Mutter (23 Prozent) gepflegt, gefolgt von der Großmutter (22 Prozent), dem Vater (14 Prozent), einem Geschwisterteil (12 Prozent), dem Großvater (11 Prozent), mehrere Familienmitglieder (11 Prozent) oder andere Verwandte (7 Prozent). Die dabei zugrundeliegenden chronischen Erkrankungen der pflegenden Angehörigen (ebd.: 105) gliedern sich in körperliche (82 Prozent), psychische (14 Prozent) und in andere Erkrankungen und Beeinträchtigungen (3 Prozent). Die dabei durchgeführten Sorgetätigkeiten sind jener der in der angloamerikanischen Forschungsliteratur (siehe Kapitel 2.2.1.) genannten fast deckungsgleich.

So leistet der überwiegende Teil der pflegenden Kinder und Jugendlichen emotionale Unterstützung, gefolgt von der Unterstützung im Haushalt (9 Prozent) und der körperlichen Unterstützung (5 Prozent). Aber auch die Kombination dieser drei Unterstützungsformen legt die Studie dar. So verrichten zum Beispiel 23 Prozent der Kinder und Jugendlichen alle drei Formen (ebd.: 106). In weiterer Folge verfolgt die erste Studie (ebd.: 105ff.) eine Betrachtung und Analyse der Unterstützungsformen im Detail.19 Sie fragen u.a. dabei mit wem und in welchem Stundenausmaß, oder gehen auf die drei genannten Unterstützungsarten detailliert ein.

Mögliche Auswirkungen die mit der Sorgeverantwortung einhergehen, wie sie auch in Kapitel 2.2.2 ausführlich beschrieben worden sind, kategorisiert und analysiert die Studie entlang anderer Dimensionen. So differenzieren die Studienautor_Innen die positiven und negativen Auswirkungen in Reife sowie in soziale, schulische, körperliche und psychische Auswirkungen.

Dabei konstatiert die Studie, dass sich pflegende Kinder -- als einzige positive Auswirkung -- reifer und somit erwachsener fühlen und auch gut mit schwierigen Problemen umgehen können (47 Prozent) und schließen daraus einen Vorteil für die pflegenden Kinder und Jugendlichen.

Die sozialen Auswirkungen der Sorgeverantwortung zeigen sich dahingehend, dass pflegende

19 Die jedoch aufgrund der Themensetzung dieser Arbeit nicht genauer in den Blick genommen werden.

Kinder und Jugendliche einerseits viele Freunde und Freudinnen haben, sowie Personen in ihrem Umfeld haben, mit denen sie über alles reden können (87 Prozent). Andererseits weisen pflegende Kinder und Jugendliche, im Gegensatz zu nicht Pflegenden, den Umstand auf, dass sie weniger soziale Kontakte haben wollen (ebd.: 135). Die körperlichen und psychischen Auswirkungen lassen sich als die ausgeprägtesten einstufen. Im Gegensatz zu nicht pflegenden Kindern sind pflegende Kinder hier signifikant höher von körperlichen Beschwerden wie Müdigkeit, Schlafproblemen oder Kopfschmerzen und von psychischen Auswirkungen betroffen.

Das zeigt sich insbesondere, dass sie von Sorgen geplagt sind (ebd.: 136f.). Es lässt sich also konstatieren, dass pflegende Kinder und Jugendliche mit mehrheitlich negative Auswirkungen ihres Sorgearrangements ausgesetzt sind (ebd.: 137).

Situation von ehemaligen pflegenden Kindern und Jugendlichen – Entscheidungspfade und Lebensentscheidungen

Der zweite Teil der ersten Studie befasste sich qualitativ mit ehemaligen pflegenden Kindern und Jugendlichen. Das Ziel dabei war es, „eine Einsicht in die Lebensentwürfe und -entscheidungen“ (ebd.: 155) dieser Gruppe zu erhalten und wie diese durch die Sorgeerfahrungen beeinflusst wurden. Dies ist auch jener Teil, der für die Untersuchung zentral ist. Denn obwohl beide österreichische Studien die Zielgruppe der Young Adult Carer, explizit nicht in den Blick nehmen20, stellt diese Art der Betrachtung einen retroperspektiven Weg dar, um sich den Young Adult Carern zu nähern und somit die österreichische Forschung in die Arbeit aufzunehmen. Da die Fragen nach den Lebensphasen der zentrale Bezugspunkt der Sekundäranalyse sind, werden nur jene Kapitel behandelt, die genau diese Phasen direkt oder indirekt berühren. Dahingegen werden andere aufgemachte Themenblöcke der Studie wie Einflussfaktoren von frühkindlicher Pflegeerfahrung (ebd.: 163ff.) und frühkindlichen Auswirkungen (ebd.: 172ff.) bewusst ausgelassen.

Die sensiblen Lebensphasen der Young Adult Carer, die in der angloamerikanischen Literatur erwähnt werden und in weiterer Folge in der Exploration dieser Arbeit weiterverfolgt wurden, waren zum Teil auch Bestandteil der österreichischen Studie. Bei der Thematisierung wurde ein jedoch anderer Weg eingeschlagen. Dort wurden einige Phasen entlang von insgesamt drei Entscheidungspfaden beim Übergang zum Erwachsenenwerden und entlang von privaten und beruflichen Lebensentscheidungen aufgegriffen und weiterverfolgt (ebd.: 175ff.). Der Umstand, dass auch die Studie somit von einer „Transition to Adulthood“ spricht, bestätigt die bisherige

20 Diese (Forschungs-)Lücke haben die Studienautor_Innen bewusst in Kauf genommen. Sie weisen auf mehreren Stellen darauf hin (Nagl-Cupal et al. 2015b: 20; 215; 231), dass in weiterer Folge auch Young Adult Carer in die Forschung aufgenommen werden müssen.

Exploration (siehe Kapitel 4.4.1), dass man Young (Adult) Carer nicht ohne diesen Übergang betrachten kann.

Die in der Studie genannten Entscheidungspfade beschreiben erstens jenen Pfad, dass die Jugendlichen bei ihrem Übergang in der Pflegerolle bleiben. Das führt dazu, dass berufliche und/oder private Lebensentscheidungen, wie zum Beispiel der Beginn einer Ausbildung, in die Zukunft verschoben werden. Der zweite Pfad beschreibt das Arrangement, einerseits in der Sorgeverantwortung zu verweilen und dennoch eine Ausbildung zu beginnen. Dabei kommen Einschränkungen, wie die Wohnortsgebundenheit oder die Rücksichtnahme gegenüber der zur pflegenden Person, zum Vorschein, die die persönlichen Präferenzen hinsichtlich des Ausbildungswunsches oft verhindern. Der dritte Pfad beschreibt jene Entscheidung, dass die Sorgeverantwortung grundsätzlich nie von sich aus abgegeben wurde. Das Sorgearrangement endete immer mit dem Tod der zu pflegenden Person. Das damit einhergehende Wegfallen der Sorgeverpflichtung und die daraus entstehende Lücke stellt den Young (Adult) Carer vor immense neue Herausforderungen. Die darauffolgenden Handlungen, diese neue Lücke in ihrem Alltag zu kompensieren, fallen unterschiedlich aus. So spricht die Studie von dem Wunsch einer Gründung einer Familie, eines Kindes oder einer Heirat, um so wieder eine Verantwortung zu erhalten. Andere wiederum bleiben beruflich in der Sorgerolle und ergreifen einen Pflege- oder Sozialberuf (ebd.: 175ff.).

Die in der Studie notierten privaten und beruflichen Lebensentscheidungen, die aufgrund der Sorgeerfahrungen in der Vergangenheit getroffen worden sind, sind als Form bewusster Entscheidungen zu verstehen, die als Konsequenz aus ihren früheren Erfahrungen als Pflegende entstanden sind. So haben ehemalige pflegende Kinder und Jugendliche Bindungs- und Verpflichtungshemmungen. Anderer wiederum entscheiden sich bewusst die Gründung einer Familie. Auch Partner_Innen wurden bewusst entlang von gewissen Kriterien ausgewählt, die aufgrund der früheren Sorgeerfahrungen entstanden sind. Auch bei den beruflichen Entscheidungen zeigt die Studie, dass auf der einen Seite ehemalige Pflegende bewusst einen ganz anderen Weg eingeschlagen haben, da sie mit der Sorge bzw. Pflege gegenüber anderen abgeschlossen haben. Auf der anderen Seite wählen andere ehemalige Kinder und Jugendliche wiederum bewusst Berufe, die eine Pflegerolle beinhalten, da sie sich in diesem Bereich sicher fühlen (ebd.: 178ff.).

Wie man erkennen kann, dokumentiert die Studie unterschiedliche Erfahrungen und Herausforderungen in Form von Entscheidungspfaden und Lebensentscheidungen von ehemaligen pflegenden Kindern und Jugendlichen, die unterschiedliche Lebensphasen berühren. Insbesondere die Aus- und Weiterbildung und die Partnerbeziehungen sind jene, die sich darin wiederfinden lassen. Dennoch lässt sich nicht erkennen, inwieweit die bisherigen Ausführungen der Studie sich konkret auf gegenwärtige Young Adult Carer zwischen 18 und 25 übertragen lässt. Auch bei den angeführten Auswirkungen der kindlichen Lebenserfahrungen im

Erwachsenenalter (ebd.: 181ff.) entlang von psychischen, körperlichen und sozialen Auswirkungen wie Schuldgefühle, Verlustängste, erhöhte Sensibilität und Sozialengagement, kann nicht gesagt werden, welchem Alterszeitraum diese zuzuordnen sind.

Einige der genannten Erfahrungen der ehemaligen pflegenden Kindern und Jugendlichen lassen sich in der bisherigen Exploration jedoch wiederfinden. So zum Beispiel Wohnortsgebundenheit, Tod und Trauerverarbeitung oder Probleme bei sozialen Bindungen. Somit ermöglicht dieser Abschnitt der Studie, die Sicht auf die bisherige Exploration rund um die Lebenswelt der Young Adult Carer zu erweitern. So zeigt die Studie eine erweiterte Analyseperspektive auf, wenn es darum geht Young Adult Carer in den Blick zu nehmen. Neben der Betrachtung der konkreten Erfahrungen, Herausforderungen und Schwierigkeiten während der sensiblen Lebensphasen ist es auch erforderlich, die Sorgeerfahrungen aus Kind- und Jugendzeit sowie den Übergang in das Erwachsenenalter mitzunehmen.

Young (Adult) Carer und die wohlfahrtstaatlichen Strukturen in Österreich

Ein weiterer zentraler Bestandteil der Exploration war die Betrachtung der Young (Adult) Carer und ihr Verhältnis zum Wohlfahrtstaat und der Frage, inwieweit die wohlfahrtstaatlichen Strukturen mit pflegenden jungen Erwachsenen in Verbindung stehen. Da die deutschsprachige Care Debatte eine breite Diskussion über den österreichischen Wohlfahrtstaat führt, jedoch bisher Young (Adult) Carer in ihren Analysen außen vorgelassen hat (siehe Kapitel 2.5), wird nun anaylsiert, ob und auf welche Weise die österreichischen Studien dieses Thema behandelt haben.

Bei beiden Studien fällt auf, dass vorhandene wohlfahrtstaatliche Strukturen im engeren Sinne nicht betrachtet bzw. berücksichtigt worden sind. Darunter fallen die gegenwärtigen gesetzlichen Steuerungsmaßnahmen bezüglich der Pflege in Österreich, wie das Pflegegeldsystem und die dazu gehörigen verwandten Regelungen. Daher erhalten wir im Falle von Österreich keinen Einblick, ob und inwieweit diese Steuerungsmaßnahmen von Young (Adult) Carer und deren zu pflegenden Angehörigen bzw. Familien beansprucht werden. Auch fehlt eine Einbindung der wissenschaftlichen Diskussion rund um die Transformation des (österreichischen) Wohlfahrtstaates (siehe dazu Kapitel 2.5) und inwieweit diese auf Young (Adult) Carer und ihre Familien niederschlägt. Hier wird eine Forschungslücke ersichtlich, die es zu bearbeiten gilt.

Was aber beide Studien, insbesondere die zweite, tun, ist den Blick auf zukünftige wohlfahrtstaatliche Strukturen im weitesten Sinne, in Form von Unterstützungsangeboten, zu richten. Einige Anhaltspunkte sind hierbei schon in der Exploration festgehalten (siehe Kapitel 4.3.1.). Darunter fallen besonders die (fehlende) Bewusstseinsbildung und Sensibilisierung entlang von unterschiedlichen Multiplikatoren (Schulen, Sozialarbeiter, Universitäten, Ämter,

Pflegedienste uvm.) in Bezug auf pflegende Kinder, Jugendliche und junge Erwachsene. Auch konnte festgehalten werden, dass zukünftige Unterstützungsangebote die ganze Familie erreichen müssen. Beide Studien konzentrieren sich jedoch bei der Konzeptualisierung nur auf Young Carer und nicht auf pflegende junge Erwachsene.

Die möglichen Unterstützungsangebote für Young Carer und für das dazugehörige familiäre Umfeld, die die Studie vorschlägt, sind breit gefächert. Darunter fallen u.a. Maßnahmen (Nagl-Cupal et al. 2015a: 326ff.)

• um Young Carer zu ermöglichen, „Kind“ zu sein und Zeit für sich selbst zu haben

• für den Austausch mit Gleichgesinnten (Gesprächsrunden, Peergroups)

• für Informationen und Beratung

• für Young Carer, die darauf abzielen, die körperliche Sorgearbeit zu mindern

Bei der Formulierung der familiären Hilfsangebote wird in der Studie insbesondere auf die Einbindung unterschiedlicher gesellschaftlichen Ebenen und (Pflege- und Sozial-) Institutionen wert gelegt, wie beim Case-Management (ebd.: 364ff.) und beim Konzept der „Family Health Nurse“ (ebd.: 366ff.).

Insgesamt lässt sich aus der Analyse bezüglich der wohlfahrtstaatlichen Strukturen in Österreich konstatieren, dass über die Bedürfnisse von Young Carer im Rahmen der bisherigen internationalen Forschung schon einiges an Wissen zusammengetragen wurde. Unterstützt durch die Einbindung der Erfahrungen von angloamerikanischen Young Carer Projekten, zeigen beide Studien einen fundierten Rahmen auf, wo und wie man zukünftige Hilfs- und Unterstützungsangebote mit wohlfahrtstaatlichen Strukturen aufbauen kann. Speziell für Österreich ist hierbei noch viel zu tun. Das hat den Hintergrund, dass innerhalb der wohlfahrtstaatlichen Strukturen nur vereinzelt Angebote für Young Carer vorhanden sind. Daher schließt die zweite Studie mit einer Reihe von Empfehlungen ab. Darunter werden als zentrale Vorhaben für die Zukunft u.a. die Weiterentwicklung des Zielkriteriums Prävention, die Bewusstseinsbildung, die wohnortnahe Implementierung von Projekten und Finanzierung, das Recht auf Identifizierung von Young Carer und deren Einschätzung ihrer Bedürfnisse genannt (ebd.: 385ff.)

Die Sekundäranalyse erweitert den Blick auf die Exploration zu Young (Adult) Carern. Sie festigt bzw. ergänzt die Exploration an einigen Stellen. So zeigte einen Einblick auf die gegenwärtige Situation von pflegenden Kindern und Jugendlichen erhalten. Diese quantitative Erhebung in Österreich, die die erste ihrer Art war, bietet, in Verbindung mit der internationalen Forschung zu Young Carer, eine solide Grundlage für weitere Forschungsvorhaben. Es lässt sich dabei konstatieren, dass zu pflegende Kindern und Jugendliche und bezüglich der Art und Weise der

Sorgetätigkeiten und den Bedürfnissen und Wünschen insgesamt schon viel gesagt werden kann. Für die eigentliche Gruppe, den Young Adult Carern, haben beide Studien neue Akzentsetzungen aufgezeigt. Obwohl pflegende junge Erwachsene nicht Bestandteil beider Studien waren, zeigten sie eine andere, jedoch ungenaue Form von Betrachtung auf diese Gruppe. Mittels einer qualitativen Retroperspektive anhand von ehemaligen Kindern und Jugendlichen wiesen die Studien auf eine Blickweise hin, wie sich Entscheidungspfade und Lebensentscheidungen – aufgrund der früheren Sorgeerfahrungen im Kindes- und Jugendalter – auf unterschiedliche spätere Lebensphasen auswirken. Diese retroperspektiven Erfahrungen, Herausforderungen und Schwierigkeiten findet man auch zum Teil in der Exploration dieser Arbeit wieder. Dieser erweiterte Analyseblick bestätigt den Umstand, besonders den Übergang ins Erwachsenenalter im Auge zu behalten, wenn es darum geht, Young Adult Carer in den Blick zu nehmen.

Zum Verhältnis von österreichischem Wohlfahrtstaat zu Young (Adult) Carer konnten beide Studien ein ambivalentes Bild vermitteln. Es kam zum Beispiel keine systematische Berücksichtigung der wohlfahrtstaatlichen Steuerungsmaßnahmen, Stichwort Pflegegeld, zum Tragen, die u.a. der Frage nachging, ob und inwieweit diese Form der wohlfahrtstaatlichen Steuerung von Young (Adult) Care und deren Familien in Anspruch genommen wird. Auch fehlt die Einbindung des wissenschaftlichen Diskurses über die Transformation des Wohlfahrtstaates.

Es wird aber vermutet, dass dies nicht im Rahmen der Studienziele gelegen ist. Jedoch richtet die Studie ihren Blick auf zukünftige Unterstützungs- und Hilfsangebote für Young Carer in Verbindung mit wohlfahrtsstaatlichen Strukturen im weitesten Sinne. Ausgehend von der Feststellung, dass „weder […] die Aufmerksamkeit von beispielweise Bildungseinrichtungen oder von Unternehmen ausreichend vorhanden [ist], noch gibt es Programme, die gegenwärtig auf die Bedürfnisse dieser Gruppe Bezug nehmen“ (ebd.: 390), formulierte die zweite Studie ein Rahmenkonzept für eine Reihe von möglichen Unterstützungsmaßnahmen. Dabei werden vorhandene wohlfahrtstaatliche Strukturen, wie Pflege- und Sozialinstitutionen, die (sozial-)politische Ebene und das familiäre Umfeld miteinander verknüpft.