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4. Exploration des Sorgefeldes der Young Adult Carer

4.1. Eine erste Annäherung zum Sorgefeld der Young Adult Carer

4.1.1. Zugang und Wissen der Expert_Innen

Jeder der befragten Expert_Innen besitzt einen individuellen Zugang zum Sorgefeld der Young Adult Carer, mit jeweils einem anderen beruflichen Schwerpunkt. Expert_In B, D, E und F haben hauptsächlich einen wissenschaftlichen Zugang zum Feld aufgrund ihrer beruflichen Tätigkeit als Wissenschaftler_In an einer Universität im Bereich der Pflegewissenschaften sowie der Sonderpädagogik. Expert_In A stoß im Rahmen ihrer/seiner ehrenamtlichen Tätigkeit zufällig auf das Sorgefeld und Expert_In C befasste sich sowohl in einer ehrenamtlichen als auch hauptberuflichen Tätigkeit auf einer europäisch vernetzen projektbasierten Ebene schon von Anfang an mit dem Sorgefeld der Young Adult Carer. Fast alle Expert_Innen (außer Expert_In C) besitzen die Gemeinsamkeit, dass sie zu Beginn ihrer Tätigkeit nur pflegende Kinder und Jugendliche als eigentliche Zielgruppe im Fokus hatten und erst im Laufe der Zeit auf junge Erwachsene als pflegende Angehörige gestoßen sind. Während der Gespräche kristallisierte sich schnell heraus, dass das Kontextwissen aller Expert_Innen über Young Adult Carer im deutschsprachigen Raum eher marginal ausgestattet ist. Der Grund dafür besteht darin, dass die Expert_Innen im Rahmen ihrer Tätigkeiten erst am Beginn stehen, sich mit jungen Erwachsenen zu beschäftigen. Der deutschsprachige Sprachraum verfügt auch über keine solide Forschungsliteratur über diese Gruppe, auf die die Expert_Innen zugreifen könnten. Auch ist dieser Sprachraum davon gegenzeichnet, dass wissenschaftliche, zivilgesellschaftliche und politische Anstrengungen erst am Anfang stehen.

4.1.2. Das Problem der Grenzziehung zwischen „Young Carer“ und „Young Adult Carer“

Nichtsdestotrotz erlangte man den Eindruck, dass allen Expert_Innen die strikte Trennung zwischen Young Carer und Young Adult Carer mit der Altersgrenze von 18 Jahren für die weitere Auseinandersetzung mit dieser Zielgruppe ein Dorn im Auge ist. So zum Beispiel argumentieren Expert_In A, B, C und E:

„(...) mit jungen Menschen zu tun gehabt, die damals 16, 17, 18 waren, aber natürlich in der Zwischenzeit, auch während unserer Kontakte, sind sie älter geworden und heute eben zwischen 20 und 25 sind. (...) aber ehemalige pflegende Kinder und zum Teil immer noch sind.

Weil sie, auch wenn sie erwachsen werden, nicht einfach aufgeben können.“ (A: 6)

„(...) im retroperspektiven Erzählen herausgestellt, dass das weitergeht. So, die werden ja nicht 18 und dann ist fertig, sondern das geht weiter.“ (B: 3)

„(...) Da hat es schon wieder verbreitert von jungen Erwachsenen auf jungende Pflegenden im Allgemeinen. Also junge Pflegende als Begriff hier und alles von sechs bis 25 zu benennen.“ (C:

2)

„(…) wo ich gesagt habe „Ja schön, dass alles bis 18 berücksichtig wird, aber nur, weil man volljährig ist, heißt das ja nicht, dass man automatisch erwachsen ist und dann davon losgelöst ist.“ (E: 4)

Es lässt sich also erkennen, dass diese „magische“ Grenze von 18 Jahren von den Expert_Innen insofern als Problem wahrgenommen wird, als dadurch die Betrachtung der Zielgruppe als „junge Pflegende“ bzw. der fließende Übergang vom pflegenden Jugendlichen zum pflegenden Erwachsenen verloren geht. Blickt man auf die Begriffsdiskussion der Forschung, die in Kapitel 2.1 dargestellt wurde, zeigt sich, dass auch innerhalb dieser breit angelegten Suche nach einer geeigneten Arbeitsdefinition mehrheitlich diese Grenze zwischen Young Carer und Young Adult Carer gezogen wird und selten beide Gruppen als „Young (Adult) Carer“ bzw. als „junge Pflegende“ begrifflich in den Blick genommen werden. Je nach eingenommenem Forschungsinteresse beschreibt der Begriff „Young Carer“ Kinder und Jugendliche bis 18 und „Young Adult Carer“ junge Erwachsene von 18 bis 25. Dennoch eröffnet sich hier eine Problematik bzw. ein Defizit innerhalb der Forschungslandschaft, das noch nicht tiefgreifender diskutiert wurde. Denn diese Grenzziehung kann - forschungslogisch – seine Berechtigung besitzen, wenn das Forschungsziel darin besteht, nur eine der beiden Gruppen zu untersuchen. Dennoch ist bei dieser strategischen Aufteilung fraglich, mit welcher Begrifflichkeit der angesprochene Übergang von pflegenden Jugendlichen zum jungen Erwachsenen systematisch erfasst werden kann. Das Dilemma zeigt sich hierbei im bisherigen Gebrauch der Begriffe selbst. Wenn im angloamerikanischen Raum von Young Carern bzw. von Young Adult Carern gesprochen wird, sind lediglich Kinder und Jugendliche bzw. jugendliche Erwachsene damit erfasst. Das deutsche Gegenstück der „junge Pflegende“, das in letzter Zeit vermehrt angewendet wird, zeigt sich hier überraschenderweise äußerst präzise. Es spricht Kinder, Jugendliche und junge Erwachsene gleichermaßen an (u.a. ZQP 2017). Jedoch lässt sich auch hier diese Grenzziehung in den Arbeiten beobachten.

4.1.3. Grundlegende Erfahrungen, Herausforderungen und Schwierigkeiten der Young Adult Carer

Ein weiteres Ziel des ersten Themenblockes war es, herauszufinden, welche ersten Erfahrungen in Form von Herausforderungen, Situationen oder Schwierigkeiten sich identifizieren lassen, die die Young Adult Carer an die Expert_Innen herantragen bzw. welche dieser Erfahrungen der Young Adult Carer die Expert_Innen als besonders erwähnenswert empfinden. Grundsätzlich

zeigte sich, dass die Bandbreite an genannten Erfahrungen äußerst individuell gestaltet ist und eng mit den Lebensphasen verbunden ist, in denen sich die jungen Erwachsenen befinden.

Zentrale Formen waren das Zurechtkommen, die individuelle Vereinbarkeit sowie die Belastung der Sorgetätigkeiten in den jeweiligen Lebensphasen. Ein großes Thema war bei den Expert_Innen, ob und inwieweit die Rolle der Pflegeverantwortung einen Einfluss auf die Berufs- und Ausbildungswahl der jungen Erwachsenen hat. So stellte Expert_In A (6) die grundsätzliche Frage, welchen Einfluss die Pflegeübernahme auf die Berufsentscheidungen besitzt.

„Nicht einfach zu sagen „das sind einfach die“, sondern zu schauen, wie schauen die Lebensverläufe aus. Weil ich beobachte, welche Berufsentscheidungen getroffen werden und welchen Einfluss das Ganze hat.“ (A: 6)

Expert_In B (11) berichtete von einer eigenen durchgeführten Erwachsenenstudie, dass berufliche Entscheidungen durch das vorhandene Pflegearrangement entweder hinausgezögert, gar nicht getroffen werden oder zumindest stark davon beeinflusst werden. Diese Einschätzung konnten auch schon (siehe Kapitel 2.4.1) Becker/Becker (2008a), Dearden/Becker (2000, 2002) und Frank et al. (1999) beobachten.

Jene Formen von Erfahrungen der Young Adult Carer, die unabhängig von den Lebensphasen im Laufe der Gespräche genannt wurden, decken sich zum Teil mit jenen, die schon die angloamerikanische Forschung notiert hat. So zum Beispiel kamen Einschränkungen im sozialen Bereich, das Bedürfnis, über die Sorgesituation zu reden und die Gebundenheit an Zuhause und der damit verbundenen Erfahrung, in der individuellen Selbstverwirklichung eingeschränkt zu sein, zu Wort. Auch von einem Zustand der inneren Unruhe der Young Adult Carer konnte festgehalten werden, die sich aus der Ungewissheit in Bezug des weiteren Gesundheitsverlaufes der zu pflegenden Person und der permanenten Einsatzbereitschaft speist.

Weiteres ist die Thematik des Sterbens und der Trauerverarbeitung, wenn die zu pflegende Person während der Sorgezeit der jungen Erwachsenen verstirbt, eine zentrale Erfahrung:

„(…) vor allem das Thema Sterben. Das Thema Todübergang, Sterbe, Sterbeverarbeitung ist immens. Das heißt, wenn man einen Familienangehörigen ja auch jahrelang gepflegt hat, wenn der dann stirbt.“ (D: 6)

Insgesamt konnte aus dem Wissen der Expert_Innen die Erkenntnis gewonnen werden, dass die persönlichen Vorstellungen des eigenen Lebens entlang der unterschiedlichen Lebensphasen oft durch die Sorgeverpflichtungen blockiert werden. In Kapitel 4.2 wird daher diese Thematik im Rahmen der sensiblen Lebensphasen weiterverfolgt. Eine weitere Betrachtung der Erfahrungen unabhängig und ohne Berücksichtigung der damit

zusammenhängenden Lebensphasen wäre kontraproduktiv. Dennoch lässt sich jetzt schon erkennen, wie zentral diese Lebensphasen sind, wenn es darum geht, sich mit jungen, pflegenden Erwachsenen zu beschäftigen.

4.1.4. Auswirkungen der Sorgetätigkeiten auf die Young Adult Carer

Ein wesentlicher Teil der Forschungslandschaft beschäftigt sich mit möglichen Auswirkungen auf die Young (Adult) Carer sowie auf ihr Leben selbst. Dazu konnte in Hinblick auf Young Carer in Kapitel 2.2.2 einiges ausgearbeitet werden. Bei den Young Adult Carer haben Becker/Becker (2008: 27ff.) diesbezüglich eine Bandbreite sowohl an negativen als auch an positiven Auswirkungen ausgemacht (siehe auch SCIE 2009: 9). Dementsprechend suchte auch die Erhebung nach möglichen Auswirkungen in Form von positiven und zufriedenstellenden sowie negativen Erfahrungen oder (Persönlichkeits-)Entwicklungen bei den Young Adult Carer.

Im Zuge dessen wurde eine Reihe von unterschiedlichen Formen von positiven und negativen Erfahrungen und Charakterentwicklungen von den Expert_Innen genannt. Expert_In B (27) merkt zu diesem Thema an, dass der Grad der Auswirkungen davon abhängt, ob Young Adult Carer in ihren Pflegearrangement die alleinige Pflegeverantwortung innehaben, oder sich diese mit anderen Familienmitgliedern bzw. anderen Pflegeakteuren teilen.

„Es ist die Frage, sind es Auswirkungen, die unmittelbar auf die jetzt in der Situation steckenden Personen betreffende Auswirkungen oder sind das jene, was sie mitnehmen. Es macht einen Unterschied, wenn sie alleine Verantwortung übernehmen oder ob sie zu diese aufteilen. Es wird ihre Einstellung sozusagen zum Thema Übernahme der Sorgeverantwortung eine Rolle spielen.“ (B: 27)

Auch wird Frage in den Raum gestellt, warum manche junge Erwachsene gestärkt und manche geschwächt herausgehen. Expert_In E (8) beurteilte, dass positive und negative Sorgeerfahrungen sowie deren Auswirkungen einem höchst individuellen Konstrukt entspringen, das sich aus unterschiedlichsten Faktoren, wie zum Beispiel familiäres Gefüge oder die Art und Stärke der Erkrankung, zusammensetzt. Somit lässt sich eine Form von Typisierung schwer formulieren.

Dennoch wurde eine Reihe von positiven Auswirkungen auf die Young Adult Carer genannt.

Darunter eine ausgeprägte Empathie, eine hohe Problemlöse- und Sozialkompetenz, Zielstrebigkeit (D: 12), Durchsetzungsvermögen (C 22), Belastbarkeit, ein hohes Verantwortungsbewusstsein (B: 27; C: 22) und eine engere Bindung zur Familie (F 10; C: 10, 22) und der zu pflegenden Person. Aber auch eine positiv geprägte Selbsteinschätzung, mit der Pflege eines familiären Familienangehörigen etwas „Gutes“ getan zu haben und dadurch auf sich selbst stolz sein zu können (Expert_In A: 12).

Bezüglich der möglichen negativen Konsequenzen auf die Young Adult Carer als Person und auf ihr Leben, die unabhängig der Lebensphasen in Verbindung stehen, erzählen die Expert_Innen eher weniger. Darunter Konzentrationsschwierigkeiten (E: 22), der psychische Druck der permanenten Erreichbarkeit (A: 20), eine Einschränkungen in der Lebensplanung (C:

22) oder unterschiedliche psychische Probleme (E: 22).

Man sieht also, dass die Forschungslandschaft zu den Auswirkungen der Sorgetätigkeiten schon einiges weiß und die bisherigen Arbeiten in ihren Grundzügen auf ähnliche Erkenntnisse stoßen. Folgt man der Argumentation von Expert_In D, bleiben jedoch noch nicht erklärte Lücken offen. So ist es noch ungeklärt, ob Formen von Burnout als Langzeitauswirkung bei Young Adult Carern auftreten (22), und welche Auswirkungen zu beobachten sind, wenn die zu pflegende Person an Demenz oder an Sucht- und Drogensucht erkrankt ist (14). Es geht in diesen Lücken daher um spezifische Auswirkungen entlang der verschiedenen Krankheitsbilder der zu pflegenden Personen, die sich die Forschung genauer anschauen muss.

4.1.5. Bewältigungsstrategien der Young Adult Carer

Der letzte Bereich des ersten Themenblockes geht der Frage nach, welche Strategien die Young Adult Carer anwenden, um die Anforderungen, die aus ihren Sorgeverpflichtungen resultieren, bewältigen zu können. So konstatiert Expert_In F (24), dass ein hohes Maß an Organisation und Disziplin von den Young Adult Carer verlangt wird, da ohne Planung diese Anforderungen ansonsten nicht zu meistern wären. Aber auch eine offene Umgangsweise mit ihrer Sorgesituation wurde als Strategie erwähnt. Expert_In E berichtet von einem Forschungsprojekt, in dem die Frage gestellt worden war, was den jungen Erwachsenen hilft, mit ihrer Sorgesituation besser klarzukommen. Dabei gaben sie unterschiedliche Formen von Ablenkungen an, was auch Expert_In A (25) so sieht. Expert_In C sieht wiederum den Rückgriff der Young Adult Carer auf ihr familiäres Netzwerk und die vorhandenen Ressourcen effektiv zu nutzen, als eine Strategie an. Für Expert_In C war dagegen die besondere Ausgeprägtheit der analytischen und selbstreflektierten Denk- und Handlungsweise der Young Adult Carer eine Form von Strategie, um mit den Sorgeanforderungen zurechtzukommen.