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4. Exploration des Sorgefeldes der Young Adult Carer

4.2. Young Adult Carer und die sensiblen Lebensphasen

4.2.2. Erfahrungen, Herausforderungen und Schwierigkeiten entlang der

Nun kommen wir zu jenem Themenfeld, das sich der Forschungsfrage dieser Arbeit gewidmet hat. Es geht darum, welche Formen von Erfahrungen, Herausforderungen und Schwierigkeiten die Expert_Innen entlang jenen Lebensphasen verorten, in die sie einen Einblick besitzen.

Gemäß ihrem Zugang zum Feld der Young Adult Carer, liegen die Schwerpunkte dabei unterschiedlich und bleiben zum Teil eher vage. Grundsätzlich ist für alle Lebensphasen festzuhalten, dass die große Herausforderung bei den Young Adult Carern darin besteht, ihr Pflegearrangement auf Basis der eigenen Lebensvorstellungen und entlang den Anforderungen der Lebensphasen zu vereinbaren (Expert_In B: 11). Nachfolgend erfolgt nun eine genauere Betrachtung der einzelnen Phasen.

4.2.2.1. Aus- und Weiterbildung - Studium, Universität und Berufsausbildung

Diese Lebensphase ist jene, die die Expert_Innen am meisten angeschnitten und diskutiert haben. Besonders Expert_In D, E und F haben aufgrund ihren beruflichen Funktionen an einer Universität und der nötigen Sensibilisierung zur Thematik einen guten Einblick auf die möglichen Erfahrungen, Herausforderungen und Schwierigkeiten bei Studierenden an ihrer Universität, die Sorgetätigkeiten durchführen. Es handelt sich um jene Phase, wo junge Erwachsene kurz vor der Entscheidung stehen ein Studium zu beginnen, oder sich schon in einem befinden. Die darin lokalisierten Erfahrungen, Herausforderungen und Schwierigkeiten sind höchst individuell und vielschichtig konstruiert. Blickt man zuerst auf den Übergangprozess (meist) von der Schule in das Studium, wie es Expert_In C formuliert

„Also Ende/Abschluss der Schule, Abitur, Realschulabschluss und dieser Übergang zum Studium.“ (E: 16)

sind junge Erwachsene schon mit der ersten Herausforderung konfrontiert, dass ihre Auswahlmöglichkeiten bezüglich des gewünschten Studiums oder Universität stark

eingeschränkt sind, da sie aufgrund ihrer Sorgeverpflichtung geografisch gebunden sind (E: 14;

F: 16).

„(...) „Gut, ich kann nicht für mich alleine entscheiden, in Spanien zu studieren, weil ich einfach weiß, da ist noch jemand zu Hause, für die ich eine Verantwortung habe.“ (F: 16)

„(...) kommt darauf an, wo ist der Studienort, können sich die Familien das überhaupt leisten, dass jemand auszieht?“ (E: 14)

Auch beinhaltet der Übergang oder der Wechsel in ein Studium besondere Mehrbelastungen für Young Adult Carer. Dazu besitzt Expert_In D aufgrund des Arbeitsumfeldes an einer Universität einen guten Einblick:

„Weil dieser Ablöseprozess, dass sie die Familien zu Hause, ich sage mal „alleine zu Hause lassen müssen“, dass sie auf einmal Managementqualitäten anwenden müssen, die sich stark unterscheiden von diejenigen, die sie ansonsten von Zuhause kennen. Auch gewisse Schuldgefühle, die sie dann haben, wie „kommt meine Familie jetzt alleine klar, lasse ich jetzt meine Familie im Stich?“ und natürlich die Mehrbelastung der ganz neuen Situation des Studiums (…).“ (D: 18)

Sie müssen sich daher einerseits mit den neuen Gegebenheiten zurechtfinden (universitäre Strukturen, Findung neuer Peergroups, neue Organisationsstrategien, u.v.m.), sind aber andererseits gedanklich damit beschäftigt, ob und wie sie ihre Pflegeverantwortung mit dem Studium vereinbaren lässt und sind aufgrund dessen nicht selten von Schuldgefühlen gegenüber ihrer Familie betroffen (D: 18; F: 8; siehe dazu auch Kapitel 4.2.2.2). Während des Studiums sind Young Adult Carer wiederum mit anderen Herausforderungen konfrontiert. So kämpfen die jungen Erwachsenen mit einer Reihe von Schwierigkeiten, ausgehend von den starren universitären Strukturen. Darunter fallen Schwierigkeiten mit der Anwesenheitspflicht bei Lehrveranstaltungen, mit Abgabenfristen von Hausarbeiten oder Fertigstellung größerer wissenschaftlicher Schreibprojekte, wie zum Beispiel der Bachelor- oder Masterarbeit. Der Grund dafür wird an der fehlenden Sensibilität beim Verwaltungs- und Lehrpersonal der Universitäten gegenüber den vorhandenen Sorgeverpflichtungen der Studierenden gesehen (C:

16; D; 18; F: 18). Expert_In C (18) sieht hierbei aber an manchen Universitäten eine Verbesserung im Umgang mit Young Adult Carer. Auch wird dabei angemerkt, dass das Lehrpersonal überhaupt nicht von den Sorgetätigkeiten der jungen Erwachsenen erfährt, da diese ihre Sorgeverantwortung nicht nach außen kommunizieren – aufgrund von negativen Erfahrungen in ihrer Vergangenheit, wie in der Schulzeit.

Eine andere Erfahrung, die die jungen Erwachsenen im Rahmen ihrer Studienzeit teilweise machen, ist der Versuch des Wiedereinstieges in das Studium. Expert_In D (8; 10) erzählt hierbei von Young Adult Carer, die zuvor für längere Zeit das Studium pausiert haben und nach der Verbesserung ihrer Sorgesituation den Anschluss an ihr Studium wieder suchen.

„Wie gesagt, häufig ist das erst in der Retroperspektive und dann immer das Problem des Wiedereinstieges in die Uni. Weil sie in der Pflege so viel zu tun hatten in diesen Jahren oder langen Zeitabschnitten davor, dass sie nicht an die Uni denken konnten.“ (D: 8)

Von zeitlichen Einschränkungen konnte Expert_In F (18) von jungen Erwachsenen, die in einer Berufsausbildung sind, einen Einblick gewähren. So wird an einem Fallbeispiel berichtet, dass eine junge Frau in einer Berufsausbildung Tage hatte, wo sie nicht zur beruflichen und schulischen Ausbildung gehen konnte, da sie bei ihrer Mutter zu Hause bleiben hat müssen.

Wie wir sehen können, konnten einige Erfahrungen, Herausforderungen Schwierigkeiten lokalisiert werden, die die Young Adult Carer innerhalb der Phase der Aus- und Weiterbildung, z.B. des Studiums und der Berufsausbildung, machen und mit denen sie konfrontiert sind. Diese unterschiedlichen Formen von Erfahrungen lassen sich schwer in eine Art von übergeordneten Typisierung verorten. Sie sind jeweils individuell geformt und können unter anderem je nach universitären Strukturen, Ausgangslage der persönlichen Pflegesituation sowie eigenen Lebensvorstellungen und Lebenslage unterschiedlich zum Vorschein kommen.

Richtet man den Blick auf die bisherigen Forschungsnotizen (Becker/Becker 2008a: 34ff) zur Phase des Studiums (further and higher education), finden wir eine andere Gewichtung von Erfahrungen der Young Adult Carer vor. Obwohl in der angloamerikanischen Forschung auch die Schwierigkeit der Vereinbarkeit zwischen studienspezifischen Aktivitäten und den Sorgetätigkeiten erwähnt wird (ebd.: 35), liegen die dort skizzierten Erfahrungen eher im positiven Erfahrungsspektrum. Was wir dennoch sehen ist, dass diese Erfahrungen während der Aus- und Weiterbildung im Gesamten – in der spärlich verfügbaren Literatur und in dieser Arbeit – nur vereinzelt empirische Momentaufnahmen von individuellen Erfahrungen sind. Was fehlt, sind Forschungsarbeiten, die diese Erfahrungen, Herausforderungen und Schwierigkeiten der Young Adult Carer systematisch aufnehmen und in einem größeren theoretischen sowie empirischen Kontext bearbeiten und weiterverfolgen.

4.2.2.2. Das Verlassen des Elternhauses

Diese Lebensphase des (erstmaligen) Verlassens des Elternhauses/ des Zuhauses war während der Erhebung, neben der Phase der Aus- und Weiterbildung, jene Phase, die am häufigsten angesprochen wurde. Sie ist eng mit der vorangegangenen Phase verschränkt und

wurde auch auf diesem Weg diskutiert. Diese Phase wird von den Expert_Innen auch als Übergangs- und Ablöseprozess begriffen, wo Young Adult Carer wegen ihrer Sorgeverpflichtung mit verschiedenen Herausforderungen konfrontiert sind. Zudem konnten die nachfolgenden Punkte auch schon von (Becker/Becker 2008a: 51ff) beobachtet werden.

Expert_In B (13, 18) spricht zum Beispiel zentral davon, dass bei diesen jungen Erwachsenen einer der Hauptpunkte darin besteht, dass die Entscheidung des Ausziehens aus dem Elternhaus oft hinausgezögert wird (oder umgekehrt, das spätere Wiedereinziehen zur kranken/pflegenden Person). Die Ursache dieser Verzögerung wird in unterschiedlichen Gründen gesehen, wobei die Pflege nicht als Hauptgrund gilt. Denn neben der Sorgeverantwortung an sich, zeichnet sich auch das große Verantwortungsgefühl gegenüber der Familie bzw. der Familienmitglieder als wesentlicher Motivationsfaktor aus. Dies sieht auch Expert_In E

„(...) was häufig angesprochen wird, ist einfach das Gebundensein an zu Hause, obwohl eigentlich im natürlichen Prozess eine Loslösung stattfinden sollte. Was aber häufig halt für die Leute zumindest gedanklich nicht möglich ist zu sagen „Ich kann mein Elternteil nicht alleine lassen. Das geht gar nicht. Wie soll das funktionieren?“ (Expert_In E: 6)

Diesbezüglich erwähnt Expert_In F (14) einen Umstand, den schon Becker/Becker (2008a: 35) beobachtete. Young Adult Carer führen nicht selten das sogenannte „caring at a distance“

durch, wenn sie schon einen anderen Wohnort haben, sich aber durch ihr Verantwortungsgefühl verpflichtet fühlen, an den Wochenenden, in den Ferien oder auch in jeder freien Minute zur pflegenden Person zurückzukehren, um sich um diese zu kümmern. Expert_In A (21) argumentiert in diesen Zusammenhang auch, dass Young Adult Carer bei ihrer Entscheidung, wo sie ihre nächsten Lebensabschnitte wohnen wollen, von ihrer Pflegesituation beeinflusst werden.

„(...) bei einem jungen Mann weiß ich, dass er seine Wohnung so ausgesucht hat, dass er in der Nähe ist. Der hat nicht irgendwo eine Wohnung gesucht, sondern damit er im Notfall da ist. Und das hat einen Einfluss, den man eigentlich sonst nicht hat.“ (A: 21)

Wir sehen, dass gemeinsame Ansatzpunkte zur Phase leaving home and independence von den Expert_Innen, die in dieser Arbeit zu Wort gekommen sind, und der angloamerikanischen Forschungsarbeit zu finden sind. Zusammenfassend wird in dieser Phase der Umstand umrissen, dass die Young Adult Carer ein erhebliches Verantwortungsgefühl gegenüber ihrer Familie und der zu pflegenden Person empfinden, das ihren Entscheidungsprozess, das Zuhause zu verlassen und erste Unabhängigkeitserfahrungen zu machen, in unterschiedlichen

Varianten stark beeinflusst. Und wenn die jungen Erwachsenen an einem anderen Wohnort leben, dann lässt sich eine permanente Unruhe beobachten bezüglich der Sorgen, dass mit der zu pflegenden Person etwas nicht in Ordnung sein könnte.

4.2.2.3. Partner- und Freundschaftsbeziehungen und Freizeit

Diese Lebensphasen wurden in den Gesprächen verhältnismäßig knapp erwähnt. Sie betreffen die Thematiken der Freundschafts- und Partnerbeziehungen und der Freizeit bei den Young Adult Carern. Wir wissen aus Becker/Becker (2008a: 39), dass Young Adult Carer entlang dieser Lebensbereiche mit verschiedenen Erfahrungen und Herausforderungen konfrontiert sind. Darunter unter anderem Einschränkungen in der Freizeitgestaltung und bei der Teilhabe an sozialen Aktivitäten, Schwierigkeiten, neue Freunde zu finden oder bestehende Freundschaftsbeziehungen zu pflegen.

Auch Expert_In E und F (22) erwähnen diese Punkte. Expert_In B (16) wiederum vermutet zu diesen Phasen den Umstand, wenn Young Adult Carer schon als Kind in einer Sorgesituation gewesen sind und dort die Erfahrung von sozialer Isolation durchlebt haben, möglicherweise als junger Erwachsener Schwierigkeiten aufweisen, soziale Bindungen im Allgemeinen einzugehen und somit zum Beispiel die Entscheidung, sich mit einem/-r Partner_In eine Beziehung einzugehen, hinausgezögert wird. Expert_In C (18) bespricht dies auf ähnliche Weise. Es wird davon ausgegangen, dass, wenn Young Adult Carer in der Vergangenheit negative Erfahrungen durchlebt haben, sich dies im jungen Erwachsenenalter bei Freundes- und Partnerbeziehungen durchaus negativ auswirken kann. Expert_In C bringt dies schön auf den Punkt:

„Also wenn du früher die Erfahrung gemacht hast, dass deine Freunde von dir zurückgezogen haben, weil du total unzuverlässig geworden bist, weil du Verabredungen nicht eingehalten hast (..) Nie weit weg gehen konntest, auf Reisen zum Beispiel, dann ziehen sich leider dann oft die Freunde zurück. (..) diese Erfahrung gemacht und dann traust dich dann weniger auf Personen zuzugehen. Seien es Freunde, seien es Freundinnen oder Freunde, also beziehungsmäßig.

Also vieles ist davon geprägt, was man früher für Erfahrungen gemacht hat.“ (E: 18)

4.2.2.4. Die Gleichzeitigkeit mehrerer Lebensphasen

Im Kapitel 2.6. konnte darauf hingewiesen werden, dass es in der bisherigen Forschungslandschaft, soweit es bekannt ist, eine Betrachtung von möglichen (neuen) Erfahrungen, Herausforderungen oder Schwierigkeiten im Falle einer Gleichzeitigkeit von mehreren sensiblen Lebensphasen fehlt. Daher nahm die Arbeit die Möglichkeit wahr, diese Sachlage den Expert_Innen vorzulegen und zu schauen, wie diese eine mögliche Gleichzeitigkeit einschätzen bzw. beurteilen.

Expert_In D (24) teilt die Einschätzung bezüglich dieser fehlenden Betrachtung und merkte dazu an, dass sich die Lebensphasen stark überlappen, was auch Expert_In A (23) so sieht, und dadurch Herausforderungen in einem größeren Ausmaß herausbilden.

„Wenn ich mir vorstelle, dass jemand zu Hause pflegt, arbeitet, ein Stück in der Uni ist und es doch schafft, eine so gute Peer-Beziehung zu haben, dass daraus eine Beziehung oder Familie werden könnte(..) dass dies dann eine sehr große Herausforderung ist.“ (D: 24)

Die anderen Expert_Innen, so der grundlegende Eindruck, waren in ihren Antworten eher unsicher. So schätzt Expert_In C (20) ein, dass bei einer Gleichzeitigkeit verschiedener Phasen das Stressniveau bezüglich der Vereinbarkeit mit der Sorgeverantwortung merklich steigt.

„(..) was für mich stressig wäre, wenn ich mein Studium finanzieren müsste und dann so 10 Stunden in der Woche arbeiten. Muss ich das irgendwie vereinbaren, plus meine Freunde sehen, plus meine Freundin, plus meine Familie. Und wenn du dann noch jemanden pflegst, hast du noch weniger Zeit. Ich glaube je mehr sich das kumuliert, desto stressiger wird das wenn du jemanden pflegst.“ (E: 20)

Expert_In D (20) wiederum ist sich nicht sicher, ob bei einer solchen Gleichzeitigkeit neue Herausforderungen entstehen. Eher wird vermutet, dass sich die Art und Weise der Organisation für die Young Adult Carer ändert. Es entsteht somit ein anderer Anspruch an Organisation, wenn mehrere Lebensphasen parallel verlaufen und durchlebt werden.