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Zusammenfassendes Fazit: Implementierung neuer Führungsstrukturen

Das vorliegende Kapitel erörtert Aspekte der Steuerung und Steuerbarkeit einer sich wandelnden, selbstständigen Schule und gibt Hinweise auf die Komplexität der Anforderung, die Interessen sowie Ansprüche der Akteure auf den unterschiedlichen Ebenen des Gesamtsystems Schule ausgewogen abzustimmen. Hierfür werden der Führungsanspruch des Staates und der Experten an den Schulen begründet, die bürokratisch verfasste Steuerung des

Verwaltungsapparates im Bildungssystem einerseits sowie die schwer steuerbare, lose gekoppelte Arbeit von Lehrkräften an der Schule andererseits skizziert und die entscheidende Rolle der Schulleitung als Bindeglied zwischen den Ebenen betont. Nicht nur die Schulleitung sondern auch die Lehrkräfte haben eine aktive Rolle bei der Gestaltung ihrer Schule. Dabei trägt die Schulleitung mehr Verantwortung für die Schulentwicklung als in der Vergangenheit. Die Ausführungen zum kooperativen Führungsstil machen deutlich, dass neben dem Schulleiter auch die Lehrkräfte zunehmend mehr Verantwortung für die Weiterentwicklung ihrer Schule übernehmen und sogar Führungsaufgaben an qualifizierte und interessierte Lehrpersonen delegiert werden können. Aus der Darlegung bisheriger Erfahrungen mit Lehrkräften in Führungspositionen im englischsprachigen Raum (Teacher Leadership) sowie weiterentwickelter Strukturen der kollegialen Zusammenarbeit im deutschsprachigen Raum durch Steuergruppenarbeit lässt sich erschließen, dass die Implementierung einer mittleren Führungsebene eine Neuheit und ein komplexes Gestaltungsprojekt für die schulische Praxis darstellt. Im Rahmen eines zentral initiierten Modellversuchs Modus F stellen sich die Lehrkräfte und Schulleitungen von 52 allgemeinbildenden Schulen diesem komplexen Projekt und entwickeln, erproben und evaluieren seit dem Schuljahr 2006/2007 neue Führungsmodelle an ihren Schulen (vgl. Stiftung Bildungspakt Bayern, 2011, S. 12ff.).

Da „gut gemeinte“ Interventionen zentraler Instanzen nicht selten von Widerständen begleitet werden, besteht ein Interesse an wissenschaftlichen Erkenntnissen, die darüber Auskunft geben, ob und wie Schulen Reformvorhaben umsetzen und aus welchen Gründen diese gelingen oder auch scheitern (vgl. Goldenbaum, 2011, S. 89; Trempler, Schellenbach-Zell &

Gräsel, 2013, S. 345). Der Verlauf schulischer Implementierungsprozesse bedingt den Erfolg einer Intervention und die nachhaltige Integration der Reformbestrebungen; entsprechend geht die Innovations- und Implementationsforschung den Fragen nach förderlichen Rahmenbedingungen, Voraussetzungen und Prozessen bei der Umsetzung von Innovationsvorhaben in der Praxis nach (vgl. Rolff, 2007a, S. 12; Altrichter & Wiesinger, o. J., S. 31;

Schaumburg, Prasse & Blömeke, 2009, S. 596ff.; Gräsel & Parchmann, 2004, S. 197ff.). Die Durchführung von Modellversuchsprogrammen ist ein zentrales Thema der schulbezogenen Implementationsforschung (vgl. Goldenbaum, 2011, S. 87ff.; Rürup, 2011, S. 17ff.). In Modellversuchen werden Impulse der

Bildungsverwaltung zur Förderung von Innovationen gesetzt, sodass bildungspolitische Ziele in der Schulpraxis erprobt und Problemlösungen bei der Umsetzung in und mit der Praxis entwickelt werden können (vgl. u. a.

Euler & Sloane, 1998, S. 313f.; Goldenbaum, 2011, S. 88). Zwar sind die Erwartungen an Modellversuche wissenschaftlich meist gut begründbar, aber häufig können die wissenschaftlichen Erkenntnisse nicht in die Praxis transferiert werden (vgl. Euler & Sloane, 1998, S. 312). Die bei Modellversuchen in der Regel gewährte wissenschaftliche Begleitung hat somit auch beratende und unterstützende Funktion für die Schulen bei der Umsetzung von Reformvorhaben. Im Fall von Modus F erfolgte diese Begleitung von Prof. Dr. Dubs, der im Rahmen verschiedener Vorträge und Gespräche wissen-schaftliche Erkenntnisse in den Veränderungsprozess integrieren konnte, die an den Schulen entwickelten Strukturmodelle begutachtet hat und bei Bedarf für ein Beratungsgespräch an den einzelnen Modellschulen vor Ort zur Verfügung stand (vgl. Stiftung Bildungspakt Bayern, 2011, S. 20; Euler & Sloane, 1998, S. 313f.; Goldenbaum, 2011, S. 88).

Reformen im Rahmen der erweiterten Verantwortung für Lehrkräfte beabsichtigen vor allem, den Lehrkräften bessere Arbeitsbedingungen zu schaffen (vgl. Terhart, 2001, S. 146f.). So ist es auch ein Anliegen des Modellversuches Modus F, an Schulen, deren Eigenverantwortung auch in Zukunft weiter ausgestaltet wird, zeitgemäße Führungsstrukturen und damit optimierte Arbeitsbedingungen mit mehr Unterstützung, Beratung und Förderung für die Lehrpersonen zu entwickeln (vgl. Stiftung Bildungspakt Bayern, 2011, S. 4 & S. 12f.). Die Erkenntnisse aus dem Modellversuch sind im Kontext der Schulentwicklung und der staatlichen Steuerung des schulischen Bildungssystems von zentraler Bedeutung, da Erfolgsbedingungen und -hindernisse bei der Implementation einer mittleren Führungsebene für eine mögliche Einführung an weiteren Schulen nützliche Hilfestellungen aus der Praxis bereitstellen. In der vorliegenden Arbeit wird der Frage nachgegangen, inwiefern die Folgen der neustrukturierten Führung bei den Adressaten der Neuerung, also den Lehrkräften, beschrieben werden können (vgl. Diemer, Hartung-Beck & Kuper, 2013, S. 173). Denn: Für die Qualität und den Erfolg der Umsetzung einer mittleren Führungsebene ist es entscheidend, wie die Lehrkräfte mit der strukturellen Änderung umgehen, ob sie diese akzeptieren und nutzen, die Ziele annehmen sowie ihr Norm- und Wertgefüge anpassen (vgl. u. a. Diemer, Hartung-Beck & Kuper, 2013, S. 173;

Trempler, Schellenbach-Zell & Gräsel, 2013, S. 345; Zeitler, Asbrand &

Heller, 2013, S. 133). „Mit anderen Worten entscheidet sich erst mit bzw. nach der Realisierung von Innovationen, ob bzw. inwiefern sie intendierte Veränderungen bzw. Verbesserungen (oder auch Wirkungen) erzielen können“

(Goldenbaum, 2011, S. 83).

Oelkers und Reusser (2008) definieren die Implementation von Neuerungen als einen „ko-konstruktiven mehrstufigen Entwicklungsprozess“ (S. 235). Je mehr Lehrkräfte an der Umsetzung einer Neuerung beteiligt sind, umso bedeutender wird deren Einfluss auf die „Rekontextualisierung“ (Fend, 2008, S. 174) der Zielvorgaben in der schulischen Praxis (vgl. Goldenbaum, 2011, S. 110). Im Falle veränderter Führungsstrukturen sind alle Lehrkräfte aus dem Kollegium betroffen. Die jeweilige Umsetzung der neuen Führungsmodelle sollte an der jeweiligen Schule aus diesem Grund auch in Zusammenarbeit und Ko-Konstruktion mit dem Kollegium an die professionellen und organisationalen Rahmenbedingungen, Strukturen und Handlungsroutinen angepasst und eingeführt werden (vgl. Oelkers & Reusser, 2008, S. 235f.). Der Modellversuch Modus F gibt für die lokalen Lernprozesse die entsprechenden Freiräume: „Ein besonderes Kennzeichen des Schulversuchs Modus F war es, dass innerhalb der allgemeinen Zielvorgaben jede Schule ein eigenes ‚Versuchs-Set’

entwickeln konnte, passend zu den Besonderheiten des Schulprofils, den personellen Voraussetzungen und den aktuellen Aufgabenschwerpunkten“

(Stiftung Bildungspakt Bayern, 2011, S. 14; Hervorh. i. O.). Im folgenden Kapitel wird nun herausgearbeitet, welche Handlungsfelder der Personalführung ein mittleres Management an Schulen übernehmen kann und welche Wirkungen diese auf die Lehrkräfte entfalten können. Dabei werden die Chancen einer Führung durch Lehrkräfte dargestellt sowie auch mögliche Hindernisse und Schwierigkeiten diskutiert.