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4 Empirisches Forschungsdesign

4.2 Der Untersuchungsansatz

Vor dem Hintergrund der beschriebenen forschungsleitenden Fragen orientiert sich die vorliegende empirische Untersuchung an dem übergeordneten Anspruch, offen nach der Perspektive der Lehrkräfte auf den Forschungsgegenstand zu fragen. Qualitative Methoden und Interviewstudien rekonstruieren einen realistischen Falltypus über den untersuchten Gegenstand und berücksichtigen dabei die Offenheit als eines der Grundprinzipien qualitativer Forschung (vgl. Kruse, 2011, S. 86). Dies schließt allerdings den Theoriebezug sowohl im Forschungsprozess als auch in der Ergebnis-interpretation nicht aus (vgl. Kruse, 2011, S. 197; Mayring, 2010, S. 22). So werden forschungsleitende Annahmen formuliert und expliziert, die eine Erkenntnisheuristik im Forschungsprozess darstellen und sowohl die Erhebung also auch die Interpretation sensibilisierend anleiten (vgl. Kruse, 2011, S. 325).

Nach dem qualitativen Forschungsparadigma beeinflussen sich dabei Prozesse der Datenerhebung und -auswertung immer wieder gegenseitig, sodass Überarbeitungen und Anpassungen der eigenen Vorannahmen nicht nur notwendig sondern sogar gewünscht sind, wenn man zu unerwarteten Ergebnissen kommt (iterativ-zyklischer Forschungsprozess) (vgl. Kruse, 2011, S. 338f.). Im klassischen qualitativen Aufgabenfeld der Hypothesengenerierung können für den Forschungsgegenstand relevante Faktoren aufgedeckt und mögliche Zusammenhänge dieser Faktoren rekonstruiert werden (vgl. Mayring, 2010, S. 22).

Orientiert an diesen Grundannahmen kommen in der vorliegenden Untersuchung ein qualitatives Forschungsdesign und entsprechende empirische Forschungsinstrumente zum Einsatz, die einer systematischen und methodisch gesicherten Erhebung und Auswertung der Daten zur Beantwortung der gestellten Forschungsfrage dienen (vgl. Prengel, Friebertshäuser & Langer, 2010, S. 22). Seit den 1970er Jahren erfreut sich die qualitative Forschung mit ihrem differenzierten Methodenrepertoire nicht nur in der Soziologie sondern auch in den Erziehungswissenschaften einer zunehmenden Beliebtheit sowie weitgehender Anerkennung (vgl. Friebertshäuser, Langer & Prengel, 2010;

Mayring, 2010, S. 7; Lamnek, 2005, S. 28; Helfferich, 2009, S. 9). Mit welcher Rechtfertigung dieses methodologische Vorgehen seinen Einsatz im Rahmen der vorgelegten Studie verdient und die mit dieser Entscheidung einhergehenden Verfahrensprinzipien werden im Folgenden aufgezeigt.

4.2.1 Begründung des qualitativen Zugangs

Ausgehend von der Forschungsfrage und dem Erkenntnisinteresse dieser Arbeit wurde ein qualitativer empirischer Zugang gewählt. Im Gegensatz zu den quantitativ-erklärenden Ansätzen, welche sich standardisierter Erhebungs-methoden bedienen, strebt die qualitative Forschung das Verstehen des handelnden Adressaten in seinem Kontext an; sie versucht die subjektiven Deutungsmuster und Handlungsorientierungen der befragten Personen zu rekonstruieren (vgl. Mayring, 2010, S. 19; Prengel, Friebertshäuser & Langer, 2010, S. 20). Standardisierte und geschlossene Fragen, wie sie bei der quantitativen Forschung üblich sind, erscheinen angesichts der sehr individuellen Relevanzsetzungen und Akzentuierungen sowie der vielfältigen Erfahrungsbereiche der Beforschten zu statisch und damit nicht geeignet. Die Vielfalt und Besonderheit der Führungserfahrungen lässt sich zudem nicht vollständig antizipieren, sodass fertige Antwortkategorien nicht ausreichend expliziert vorgegeben werden können, ohne das Erkenntnispotenzial erheblich einzuschränken, und die „Feinheiten der von den Versuchspersonen gebrauchten Bedeutung“ (Cicourel, 1974, S. 155) damit zu verdecken. „Standardisierte Fragen mit vorfixierten Auswahlantworten liefern eine Lösung für das Problem der Bedeutung, in dem sie es einfach ignorieren“ (ebd., S. 156). Angesichts dieser Gegebenheiten wurde mit der qualitativen Interviewstudie ein relativ offenes Erhebungsverfahren gewählt, in dem den Befragten mehr Raum und Möglichkeiten gegeben wurden, ihre subjektiven Relevanzsysteme bei einer hohen Erzählaktivität frei auszudrücken. Im Rahmen eines persönlichen Interviews mit offenen, erzählgenerierenden Fragestellungen konnte sich den forschungsleitenden Fragen (vgl. Abbildung 9) angenähert werden, indem die subjektiven Erfahrungen der befragten Lehrkräfte rekonstruiert wurden. Mit dem Einsatz allgemeiner Erzählaufforderungen und spezifischer Nachfragen (vgl. Kapitel 4.4.3) war die Erwartung verbunden, im Gespräch auch zu sensiblen Themen vorzudringen.

Hinzu kommt, dass auf keine in empirischen Vorarbeiten generierte und zu überprüfende Hypothesen über operative Führungsarbeit durch Lehrkräfte des mittleren Managements bzw. der erweiterten Schulleitung an bayerischen Realschulen zurückgegriffen werden konnte. So soll in der vorliegenden Studie nicht quantitativ-hypothesentestend, sondern explorativ vorgegangen werden (vgl. Mayring, 2010, S. 22). Dazu wurde die Perspektive der Lehrkräfte in ihrer

Kontextbezogenheit im beruflichen Alltag möglichst differenziert und detailliert im Rahmen von persönlichen Interviews erfasst.

Zuletzt passt der qualitative Forschungsansatz auch zu der Größendimension der vorliegenden Studie (vgl. Prengel, Friebertshäuser & Langer, 2010, S. 25). Da es in Bayern nur eine begrenzte Anzahl an Realschulen mit mittlerer Führungsebene gibt, die für die Studie herangezogen werden konnte, nimmt die Erhebung somit ausgewählte Einzelfälle in den Blick und arbeitet in dieser Reichweite Erkenntnisse sowie Zusammenhänge heraus (vgl. Mayring, 2010, S. 20; Helfferich, 2009, S. 172ff.).

4.2.2 Gültigkeit qualitativer Forschungsergebnisse

In der empirischen Forschung werden quantitative Verfahren insbesondere deshalb genutzt, weil sie mit ihren Instrumenten und repräsentativen Stichproben verallgemeinerbare Ergebnisse in Aussicht stellen (vgl. Prengel, Friebertshäuser & Langer, 2010, S. 25). Entsprechende Vorbehalte werden gegenüber der qualitativen Forschung geäußert: „mangelnde intersubjektive Nachvollziehbarkeit, Verletzung klassischer Gütekriterien wie Objektivität und Reliabilität und unzureichende Verallgemeinerbarkeit der Ergebnisse“ (vgl.

Mayring, 2010, S. 8). Tatsächlich ist die Interviewsituation, in der die entscheidenden Daten für Interviewforschung erhoben werden, hochkomplex und wird von der Subjektivität der beteiligten Personen stark beeinflusst (vgl.

Helfferich, 2009, S. 9). Auch die Zuordnung von Textabschnitten in inhaltsanalytische Kategorien ist ein Interpretationsvorgang (vgl. Mayring, 2010, S. 8). Dennoch beschreibt die Methodenliteratur der qualitativen Forschung, wie durch systematisches und regelgeleitetes Vorgehen qualitativ verlässliche Ergebnisse erzielt und überprüft werden können (vgl. u. a.

Friebertshäuser, Langer & Prengel, 2010; Mayring, 2010; Lamnek, 2005;

Helfferich, 2009, S. 9; Kruse, 2011).

Ein vielzitierter, gemeinsamer Mindestkonsens qualitativer Forschungs-methoden stammt von Ernst von Kardorff (1995, S. 4). Er fasst das zentrale Erkenntnisprinzip sowie die methodischen Verfahrensprinzipien knapp und stark verdichtet zusammen und kommt zu folgender Formulierung des kleinsten gemeinsamen Nenners qualitativer Forschungsarbeit (vgl. Kruse, 2011, S. 9;

Helfferich, 2009, S. 25):

„Qualitative Forschung hat ihren Ausgangspunkt im Versuch eines vorrangig deutenden und sinnverstehenden Zugangs zu der interaktiv

‚hergestellt’ und in sprachlichen wie nicht-sprachlichen Symbolen repräsentiert gedachten sozialen Wirklichkeit. Sie bemüht sich dabei, ein möglichst detailliertes und vollständiges Bild der zu erschließenden Wirklichkeitsausschnitte zu liefern. Dabei vermeidet sie so weit wie möglich, bereits durch rein methodische Vorentscheidungen den Bereich möglicher Erfahrung einzuschränken oder rationalistisch zu ,halbieren’

(...). Die bewusste Wahrnehmung und Einbeziehung des Forschers und der Kommunikation mit den ,Beforschten’ als konstitutives Element des Erkenntnisprozesses ist eine zusätzlich, allen qualitativen Ansätzen gemeinsame Eigenschaft: Die Interaktion des Forschers mit seinen ständen’ wird systematisch als Moment der ,Herstellung’ des ,Gegen-standes’ selbst reflektiert.“ (von Kardorff, 1995, S. 4; Hervorh. i. O.)

Vor dem Hintergrund dieser erkenntnistheoretischen Prämissen und der Prozesshaftigkeit der qualitativen Rekonstruktionsarbeit begründen sich die Gütekriterien qualitativer Forschung, an denen sich auch die vorliegende Arbeit orientiert. Die Güte der Ergebnisse lässt sich demnach nicht an den klassischen Kriterien im deduktiv-nomologischen Paradigma (Objektivität, Reliabilität, Validität; weitere Gütekriterien werden an dieser Stelle nicht berücksichtigt) messen, sondern – auf der Ebene der Datenauswertung – vielmehr an der Plausibilität der Rekonstruktionsleistung: Wie angemessen ist die Annäherung an die konstruierte Wirklichkeit? (vgl. Kruse, 2011, S. 266; Steinke, 2010, S. 322)

Dem Prozess der Datenerhebung, ein stark subjektiv beeinflusstes Interview, dessen Verlauf erhebliche Konsequenzen auf die Qualität der Daten und die entsprechenden Auswertungsmöglichkeiten hat, wurde im Rahmen der Diskussion über die Gütekriterien in der Vergangenheit nur wenig Aufmerksamkeit entgegen gebracht (vgl. Helfferich, 2009, S. 9; Kruse, 2011, S.268). Auch wenn eine Interviewsituation immer kontextgebunden und nie in identischer Weise zu wiederholen ist, ist zur optimierten Güte qualitativer Interviews ein angemessener und reflexiver Umgang mit der Subjektivität sowie eine Vergleichbarkeit der Interviewsituationen geboten (Helfferich, 2009, S. 155f.). „Reflektierte Subjektivität“ als eigenes Gütekriterium qualitativer

Interviews kann wiederum gesichert und überprüft werden (vgl. Steinke, 2010, S. 323ff.).

Auf der Prozessebene der Datenauswertung können die klassischen Gütekriterien als strukturanaloge Basis für die Darlegung der qualitativen Gültigkeit dienen (vgl. Kruse, 2011, S. 266ff.). Im Folgenden werden (1) Objektivität, (2) Reliabilität und (3) interne sowie externe Validität auf die drei spezifischen Gütekriterien qualitativer Forschung angewendet.

(1) Die intersubjektive Nachvollziehbarkeit kann als entsprechendes Äquivalent zur Objektivität verstanden werden: Durch die Explikation und Dokumentation aller regel- und theoriegeleiteten Forschungs- und Analyseschritte sowie forschungsleitenden Annahmen wird Intersubjektivität in der qualitativen Forschung ermöglicht (Prinzip der Transparenz) (vgl. Kruse, 2011, S. 266).

Intersubjektive Nachvollziehbarkeit kann in der Situation der Datenerhebung durch klare Regeln für das Interviewer-Verhalten und dessen Dokumentation und Überprüfung v. a. bei schwierigen Interviewsituationen gewährleistet werden (vgl. Helfferich, 2009, S. 156f.).

(2) Die Reproduzierbarkeit der Analyseergebnisse durch andere Analytiker (Reliabilität) wird in der qualitativen Forschung durch die Anwendung der Konsistenzregel (vgl. (3) zur internen Validität) angestrebt (vgl. Kruse, 2011, S. 267). Im Rahmen der Datenauswertung durch die qualitative Inhaltsanalyse steigt die Stabilität und Replizierbarkeit der Analysearbeit (Kategorien-zuordnung) mit möglichst klaren Kategoriendefinitionen und eindeutigen Kategoriendifferenzierung (vgl. Mayring, 2010, S. 120f.). Durch die Arbeit in Analysegruppen kann die Reliabilität überprüft werden (Intercoder-Reliabilität) (vgl. ebd.). Im Rahmen der vorliegenden Datenauswertung wurde die Analysearbeit stichprobenartig durch die Teilnehmer einer qualitativen Arbeitsgruppe überprüft.

(3) Analog zur internen Validität (empirische Erhebung des zu Erhebenden durch die Kontrolle der Störfaktoren bei der Datengewinnung und -auswertung) wird im Rahmen der qualitativen Datenauswertung die Konsistenzregel angewendet. Die Konsistenzregel besagt, dass die Codierung einer Textstelle und die damit einhergehende Interpretations- oder Deutungsvariante nur dann übernommen wird, wenn diese sich konsistent und nachvollziehbar in dem zu analysierenden Text wiederfindet. Vergleichbar mit der Intercoder-Reliabilität (vgl. (2)) kann auch die interne Validität in einer Analysegruppe überprüft werden (kollegiale Validierung). Die externe Validität (Verallgemeinerbarkeit

der Forschungsergebnisse) im Sinne einer statistischen Repräsentativität ist nicht das Ziel qualitativer Forschung und damit auch kein für die qualitative Forschung sinnvolles Kriterium. Strukturanalog zur externen Validität misst sich die qualitative Forschung an der qualitativen, authentischen Repräsentation.

Diese kann durch maximale strukturelle Variation der Fallauswahl erreicht werden, um die Heterogenität des Feldes bestmöglich abzubilden (vgl.

Helfferich, 2009, S. 172ff.; Kruse, 2011, S. 267f.) (vgl. Kapitel 4.3).