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4.4 Expertinnen- und Expertendiskurse mit nationalem und Länderbezug

4.4.6 Zur Rolle von Aushandlungsprozessen beim Netzausbau

99 Bezüge zu möglichen Risiken her und weisen diese nicht gänzlich zurück, auch wenn sie eher die geltenden Regelungen als Handlungsrahmen zugrunde legen.

Im Folgenden wird als ,Baustein‘ für die Formulierung von Handlungsempfehlungen zur strahlen-schutzbezogenen Kommunikation dezidiert auf Aushandlungsprozesse geblickt. Auf welche Weise wird zum Netzausbau informiert? Wie sollte dabei vorgegangen werden? Welche Konflikt-felder zeigen sich hierbei?

100 von Bürgerinnen und Bürgern in den dargestellten Narrationen also nicht als notwendiges Übel, sondern als konstruktiver Baustein gefasst.

Innerhalb der Dialogveranstaltungen wird besonders die Bedeutung von ,neutralen‘ Moderatorin-nen und Moderatoren betont, die unterschiedliche PositioModeratorin-nen in die Diskussion bringen würden.

Dies führen unter anderem die Bundesnetzagentur – „die Moderation [hat] eine wichtige Rolle bei den Infotagen gespielt“ (IP03 BNetzA) und Amprion – „das kann ich keinem empfehlen, das ohne Moderatoren zu machen, sie müssen eine neutrale Basis haben“ (IP05 Amprion) – an (vgl. hierzu auch Stegert und Klagge 2015).

Gleichwohl laufen Aushandlungsprozesse allerdings, was bereits bisherige Ausführungen allgemein implizieren, keineswegs reibungslos ab, wobei sich auch hier unterschiedliche Diskurs-stränge ausdifferenzieren lassen. Ein Aspekt stellt dabei dar, dass die Übertragungsnetzbetreiber als von starker Beteiligung und Protest überrascht gewesen zu sein schienen. Die Bundesnetza-gentur sieht ihren Vorteil darin, dass „zu Beginn erst ein Konzept für die Informationsvermittlung und Beteiligungsprozesse“ entwickelt werden musste, wohingegen die Übertragungsnetzbetreiber

„vielleicht erst einmal nach altbewährtem Muster an die Sache herangegangen“ seien, also ohne ausführliche Öffentlichkeitsbeteiligung, was sich aber gewandelt habe: „Die Transparenz oder Informationsbereitschaft der Übertragungsnetzbetreiber hat sich positiv entwickelt.“ (IP03 BNetzA). Der Mitarbeiter des Bund Naturschutz Bayern nimmt Bezug auf eine Informationsveran-staltung von Amprion in Nürnberg, die „überhaupt nicht [wussten], was auf sie zukommt“ (IP14), also mit massivem Protest konfrontiert wurden. Auch Stimmen der Übertragungsnetzbetreiber zeichnen ein anfängliches Agieren nach ,herkömmlichem‘ Muster nach, das erst anzupassen war:

„man hat sich in der Vergangenheit im Wesentlichen auf die rechtsförmlichen Verfahren kon-zentriert […]. Dass wir da deutlich mehr machen, das ist wirklich ein Lernprozess gewesen“ (IP04 Amprion) und „Wir haben unsere Arbeit so umgestellt, dass wir sehr früh informieren“ (IP06 TenneT) (vgl. dazu Narrative Muster 16). Amprion und TenneT konstatieren damit eine Verände-rung in der Reaktion auf von ihnen eingeleitete Verfahren zum Bau neuer Trassen. Bürgerinnen und Bürger wollen stärker beteiligt werden, was mit einer veränderten Beteiligungskultur, aber auch grundlegend mit der Bildungsexpansion in Verbindung gebracht werden kann (Kühne 2013).

Narrative Muster 16: Wandlungsprozesse in der Informationspolitik

„[W]ir mussten zu Beginn erst ein Konzept für die Informationsvermittlung und Beteiligungsprozesse entwickeln. Die Übertragungsnetzbetreiber sind vielleicht erst einmal nach altbewährtem Muster an die Sache herangegangen, aber das hat sich ziemlich gewandelt. Die Transparenz oder Informationsbereitschaft der Übertragungsnetzbetreiber hat sich positiv entwickelt. […]. Das ist halt eine große Aufgabe. Ich hatte so das Gefühl, dass die Übertragungsnetzbetreiber eventuell auch etwas überrascht wurden, von diesem massiven, muss man ja im Positiven sagen, Interesse der Öffentlichkeit. Dass die Bevölkerung Interesse zeigt, ist sehr positiv, aber das richtige Kommunikations-Format für die einzelnen Prozessschritte zu finden, ist natürlich schwer.“

IP03 BNetzA

„Also ich hab mal mit jemand von Amprion gesprochen, wir haben uns ein bisschen unterhalten, wir taten die Leute damals leid da in der Meistersingerhalle, die waren nicht drauf vorbereitet, der hat mir das auch gesagt, sie wussten überhaupt nicht, was auf sie zukommt, du bist da normaler Angestellter, kriegst einen Auftrag, machst eine Infoveranstaltung, dann hast du schon Angst, dass du nicht verhauen hier wieder rausgehst […].“

IP14 Bund Naturschutz Bayern

„[M]an hat sich in der Vergangenheit im Wesentlichen auf die rechtsförmlichen Verfahren konzentriert, wobei man nicht verhehlen sollte, dass die rechtsförmlichen Verfahren, also die Raumordnungsverfahren und Planfeststellungsverfahren ja durchaus eigentlich immer schon, vor allem durch das Planfeststellungsverfahren eine Öffentlichkeitsbeteiligung vorgesehen hat. […]. Dass wir da deutlich mehr machen, das ist wirklich ein Lernprozess gewesen, indem man feststellt, in einer so hoch entwickelten Gesellschaft, wie wir es jetzt sind, und ja, mit einem ja sehr hohen Lebensstandard, kann man offensichtlich,

101 reicht das offensichtlich nicht mehr aus. Die Bürger zeigen ein anderes Verhalten, da haben sicherlich auch solche Ereignisse wie Stuttgart 21 dazu beigetragen.“

IP04 Amprion

„Wir haben unsere Arbeit so umgestellt, dass wir sehr früh informieren, in der Regel auch noch schon vor den Genehmi-gungsverfahren gehen wir in die Regionen und sagen, Achtung, hier kommt etwas, wir bieten Informationen an, wir machen Infomärkte mit –, zu denen die Bürger kommen können und direkt das Gespräch mit uns suchen können, wir haben Informationsmaterial, wir fragen sie danach, wo es ihrer Meinung nach Probleme gibt, bitten auch um Vorschläge, prüfen das und sie beziehen das dann auch in die Planungen mit ein, und zwar sehr frühzeitig. Wir entwickeln auch immer neue Modelle dann oder neue Möglichkeiten des Dialogs.“

IP06 TenneT

Die Übertragungsnetzbetreiber erscheinen als zunächst in einem althergebrachten Verfahren einer nur begrenzten Bürgerbeteiligung im Rahmen formeller Verfahren verhaftet gewesen zu sein. Eine stärkere Einbindung scheint erst mit der Zeit in Reaktion auf die Verunsicherung des bestehenden Systems – systemtheoretisch gedacht – erfolgt zu sein.

Doch auch frühzeitige Wege der Einbindung werden nicht als Schlüssel zur umfänglichen Problemlösung angesehen. Sehr hohe „Transparenz“ kann nicht davor bewahren, dass Planungen

„für viele Bürger noch sehr unkonkret“ seien und „manch ein Bürger später sagen“ werde,

„darüber erfahre ich aber erst jetzt etwas“ (IP02 BMUB). Gleichzeitig könnten „in einem recht frühen Stadium Erwartungen geweckt, die teilweise aber erst im letzten Verfahrensschritt entschieden werden“. Die Herausforderung wird, zu vermitteln, „in welchem Verfahrensschritt, welche Belange genau behandelt werden. Aus der Perspektive des Bürgers dürfte die letzte Phase, die Phase der Planfeststellung am wichtigsten sein, da hier der konkrete Verlauf der Stromleitung vorliegt und der Bürger dann seine mögliche konkrete Betroffenheit endgültig einschätzen kann.“ (IP03 BNetzA). Informationsveranstaltungen und konkrete rechtsförmliche Verfahren, deren ,Regeln‘ einzuhalten sind, erscheinen entsprechend als zwei unterschiedliche ,Rahmen‘ – als „ein besonderer Spagat, den man finden muss: auf der einen Seite frühzeitige Information […], aber am Ende muss die Trasse ja auch rechtssicher planfeststellbar sein“ (IP04 Amprion). Formelle Verfahren entsprechend der systemimmanenten Planungslogik und Planungs-terminologie sind einzuhalten – diese werden durch Bürgerbeteiligung vorab keineswegs ersetzt, was es allerdings auch entsprechend zu kommunizieren gilt.

In weiteren Narrationen wird als Problemfeld auf festgefahrene – und Verhandlungen eigentlich ausschließende – Meinungen und Positionen Bezug genommen. Dies betrifft sowohl Bürgerinnen und Bürger sowie politische Vertreterinnen und Vertreter als auch die Übertragungsnetzbetreiber.

Für die Mitarbeiterin des NLWKN gibt es „Bürger, die haben einfach eine feste Einstellung, die sie nicht bereit sind, durch Informationen in Frage zu stellen. Man hilft nur Bürgern, die sich darüber informieren wollen und noch keine festgelegte Meinung haben“ (IP09). Auch die zwischenzeitlich grundlegende Ablehnung des Stromnetzausbaus durch die bayerische Staatsregierung folgt diesem Prinzip eines Stopps weiteren Austauschs: „da hat [es] natürlich wirklich nicht geholfen, dass der Herr Seehofer […] vor einem Jahr jetzt den Netzausbau in Frage gestellt hat“ (IP12 Demoenergie). Ein Mitarbeiter der DUH argumentiert vergleichbar: „Was mir ein bisschen Sorge macht bei dem bayerischen Dialog letztendlich, dass die Landesspitze wider jede Vernunft – ich sage mal – diese Proteste aufnimmt und somit verstärkt und damit sich von einer rationalen Lösung immer weiter entfernt.“ (IP11). Einseitige Stellungnahmen, die kaum noch Spielräume zulassen, werden als Problem begriffen – so auch in Bezug auf die Übertragungsnetzbetreiber, die

„sich im Augenblick keinen Gefallen [tun], weil die Folge ihrer Verweigerungshaltung“ Konflikte nicht minimiere, so ein Mitarbeiter aus dem niedersächsischen Umweltministerium (IP08 NMU),

102 oder auch in Bezug auf Planungen von Ländern, wo „NABU-Vertreter[-]“ teilweise die „Infos“

erhielten, „dass eigentlich schon alles entschieden ist und die Informationsveranstaltungen eher Alibiveranstaltungen sind“ (IP12 Demoenergie).

Insgesamt zeigt sich, dass Information und Dialog zu festen Bestandteilen im Kontext des Stromnetzausbaus geworden sind – hegemonial als Momente im Diskurs verankert und verbun-den. Zentrale Institutionen wie das BMWi, die Bundesnetzagentur oder die Übertragungsnetzbe-treiber gehen entsprechend vor. Beteiligungsmöglichkeiten stoßen allerdings auch auf Grenzen:

ungünstiges Management, eingefahrene Positionen und einzuhaltende formelle Verfahren werden unter anderem als Begrenzungen (re)produziert.