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5.4 Handlungsempfehlungen für die unterschiedlichen Konfliktfelder

5.4.4 Gesundheitsbezogene Fragestellungen

Im Diskurs um den Stromnetzausbau wie auch in den speziell Gesundheit betreffende Bezugnah-men zum Stromnetzausbau spielt das Bundesamt für Strahlenschutz (BfS) als Institution – wenn überhaupt – eher eine marginale Rolle. Das BfS wird bei gesundheitsbezogenen Diskurssträngen kaum als Institution wahrgenommen, auch wenn zu deren systemlogischer Kernaufgabe ‚Schutz der Bürgerinnen und Bürger vor Strahlenexposition‘ beziehungsweise hier ‚elektrischen und magnetischen Feldern‘ zählt. Die auf der Website des BfS bereitgestellten Studien sowie die auch für Laiinnen und Laien differenziert aufbereiteten Informationen zum Themenkomplex werden seitens der im Diskurs zum Stromnetzausbau vertretenen Sprecherinnen und Sprecher gleich welcher Position in der Regel nur sehr selten oder nicht aufgegriffen. Insbesondere von Bürgerini-tiativen wird das Bundesamt für Strahlenschutz nicht als relevanter Sprecher betrachtet. Hier rekurrieren die Sprecherinnen und Sprecher in Bezug auf gesundheitsbezogene Aspekte zum größten Teil auf vereinzelte, auch im (europäischen) Ausland veröffentlichte Studien.

Dabei fehlt in diesem Bereich – wie die Diskursanalysen zeigen – ein (nationalstaatlicher) Sprecher, der auch von Gegnerinnen und Gegnern als eine unabhängige Instanz anerkannt wird, dem sie auch entsprechendes Vertrauen entgegenbringen. Für das Bundesamt für Strahlenschutz könnte hier eine Chance liegen, über eine von vorneherein transparente Darstellung des Komple-xes und offensivere Öffentlichkeitsarbeit – auch und gerade in Bezug auf offene Fragen oder mögliche Risiken –, sowie in diesem Zusammenhang auch eine nach außen stärkere

Akzentuie-156 rung und Kommunikation des eigenen Aufgabengebietes – systemlogisch ‚(gesundheitlicher) Schutz der Bevölkerung‘ – als ein (nationalstaatlicher) Sprecher wahrgenommen zu werden, der seiner Aufgabe als ‚Hüter der Bürgerinteressen‘ in Bezug auf gesundheitliche Bedenken im Zusammenhang mit dem Stromnetzausbau gerecht wird. So könnte verlorengegangenes Vertrauen zurückgewonnen und positiv auf den auch innerhalb der Stromnetzausbau-Gegnerschaft geführten Diskurs zum Stromnetzausbau eingewirkt werden.

Eine Adressierung der Öffentlichkeit sollte dabei über eine (passive) Bereitstellung von Informati-onen und Materialien hinausgehen. Neben einer aktiven Bewerbung der zur Verfügung gestellten Materialien insbesondere auch auf den lokalen (politischen) Ebenen der vom Stromnetzausbau betroffenen Regionen wie beispielsweise Rathäuser oder Kreisverwaltungen sollte sich das Bundesamt für Strahlenschutz auch den Bürgerinitiativen aktiv als Ansprechpartner zu offenen Fragen anbieten, um weitere, auch ‚zwanglosere‘ Kommunikationsräume zu eröffnen, wie sie es bereits in Bezug auf Kommunalvertreterinnen und -vertreter angestoßen haben (siehe Tabelle 12).

Des Weiteren können Schlüsselpersonen in Land- und Städtetagen, Verbänden, Kommunen und Gemeinden angesprochen werden, um über persönliche Kontakte ein Vertrauensverhältnis zu besorgten Bürgerinnen und Bürgern aufbauen zu können. Informationen und entsprechende Materialien könnten in vielfältigen Formaten verschiedene Zielgruppen ansprechend angeboten werden.

Informationsveranstaltungen vor Ort könnten von örtlichen Kommunen und Gemeinden in Zusammenarbeit mit dem Bundesamt für Strahlenschutz erfolgen, um gerade auch ausführlicher Fragen um elektrische und magnetische Felder und mögliche Gesundheitsgefährdungen zu diskutieren. Auch Bibliotheken oder Erwachsenenbildungsstätten könnten als ‚neutrale‘ Orte der Wissensvermittlung als Kooperationspartnerinnen und -partner gewonnen werden.

Die Informationsvermittlung sollte darüber hinaus auch anschauliche Beispiele zu elektrischen und magnetischen Felder von Alltagsgegenständen, die in Bezug zu den verschiedenen Freileitungsty-pen und Erdkabelversionen gesetzt werden, beinhalten, um eine Vorstellung der Verhältnismäßig-keiten der Feldstärken bei Bürgerinnen und Bürgern zu konkretisieren und deutlich zu machen, dass Freileitungen beziehungsweise Erdkabel nicht die einzige Quelle elektrischer und magneti-scher Felder im Alltag darstellen, sondern nur als eine unter vielen gelten. Eine Kartographie der Feldstärken von (elektrobetriebenen) Alltagsgegenständen im Haushalt sowie das In-Beziehung-Setzen zu Feldstärken von Freileitungen und Erdkabeln könnte eine Möglichkeit der Veranschauli-chung darstellen.

Da gesundheitsbezogene Aspekte im Kontext des Stromnetzausbaus in öffentlichen Medien nur marginale Behandlung finden, sollte eine mediale Platzierung und Aufklärung zu gesundheitlichen Fragestellungen in besonderer Weise auch in lokalen und regionalen Kontexten forciert werden, um hier höhere Sichtbarkeit und Aufklärungsquoten zu erzielen, denn gerade hier sind die Thematisierung und Behandlung möglicher Gesundheitsgefährdungen durch elektrische und magnetische Felder von Sprecherinnen und Sprechern lokaler Bürgerinitiativen dominant besetzt.

Darüber hinaus sollten auch Multiplikatorinnen und Multiplikatoren aus dem Bildungssektor als Zielgruppe einer strahlenschutzbezogenen Kommunikationsstrategie Berücksichtigung finden. So kann durch die Bereitstellung und aktive Distribution (Anschreiben per Mail mit entsprechendem Link) und durch den Einsatz von Unterrichtsmaterialien zum Thema ‚elektrische und magnetische Felder im Alltag‘ für die Sekundarstufen 1 + 2 – wie dies vom Bundesamt für Strahlenschutz für den Themenbereich ‚Mobilfunk‘ in Teilen bereits umgesetzt wurde (siehe dazu beispielsweise BfS 2006) – Schülerinnen und Schülern ein kognitiver Zugang und eine kognitive Auseinandersetzung mit der Thematik ermöglicht werden, um emotionalisierenden Bezugnahmen, mit denen sich

157 Schülerinnen und Schüler möglicherweise in ihrem sozialen Umfeld konfrontiert sehen, zu begegnen.

Darüber hinaus unterstützt ein regelmäßiges Monitoring der (wahrgenommenen) gesundheitsbe-zogenen Ängste und Befürchtungen der Bürgerinnen und Bürger im Kontext des Stromnetzaus-baus die Identifikation virulenter Konflikt- beziehungsweise Problemfelder und dokumentiert des Weiteren ihren möglichen Wandel beziehungsweise ihre Ablösung durch andere, um gesundheits-bezogene Kommunikationsstrategien und deren Schwerpunktsetzungen entsprechend anpassen zu können.

Insgesamt ist im Kontext einer Kommunikationsstrategie eine noch stärkere Kooperation mit den Bundes- und Landesbehörden anzustreben. Wie innerhalb der Analyse zur Öffentlichkeitsarbeit unterschiedlicher Sprecherinnen und Sprecher dargestellt wurde, werden gesundheitsbezogene Fragestellungen auf der Website www.netzausbau.de der Bundesnetzagentur nur sehr begrenzt aufgegriffen. Diese Website ist allerdings die erste beziehungsweise eine der ersten Suchtreffer bei einer Internetrecherche zum Stromnetzausbau. Fragen um elektrische und magnetische Felder sowie mögliche Gesundheitsrisiken sollten hier prominenter und ausführlicher angesprochen werden – mit dem Rückgriff auf die Kompetenzen des Bundesamtes für Strahlenschutz.

Inhaltlich sollte eine gesundheitsbezogene Kommunikationsstrategie darauf achten, die drei nachfolgenden Problemfelder abzudecken und aufzubereiten, welche im Rahmen der Analyse des öffentlichen Diskurses zum Stromnetzausbau zum Thema Gesundheit identifiziert werden konnten (dazu auch Tabelle 12).

Grenzwerte, Mindestabstände und Wohnumfeldschutz

Gegnerinnen und Gegner des Stromnetzausbaus aktualisieren wiederholt ihre Kritik an unter-schiedlich festgelegten Grenzwerten und den unterunter-schiedlichen Arten der Wertebestimmung insbesondere im Vergleich mit anderen europäischen Staaten. Dieses Argument kann so zum einen nicht nur in den Reihen der Gegnerschaft hegemonial verankert werden, sondern findet zum anderen auch in der Außenkommunikation der Gegnerschaft stetig Resonanz und wird in der Argumentation gegen die Stromnetzausbaupläne immer wieder (re)produziert. Eine strahlen-schutzbezogene Kommunikationsstrategie sollte daher eine transparente und für Laiinnen und Laien nachvollziehbare Darstellung – auch in Bezug auf bisher offene Fragen – bereitstellen, wie Grenzwerte ermittelt und festgelegt werden, warum es keine vergleichbaren Grenzwerte in Europa gibt und wie eine Grenzwerteermittlung und -festlegung idealerweise vollzogen werden sollten, um so Klarheiten herzustellen und Unsicherheiten vorzubeugen.

Gesundheitliche Befürchtungen/Krankheiten/Angst

Die Analyse zeigt auch eine starke Fokussierung in der Argumentation gegen den Stromnetzaus-bau von AusStromnetzaus-baugegnerinnen und -gegnern – insbesondere bei Bürgerinitiativen zu beobachten – auf gesundheitliche Befürchtungen, während andere Sprecherinnen und Sprecher Gesundheit als eher randständiges oder neben anderen Schwerpunkten gleichberechtigtes Thema behandeln.

Einerseits werden in Teilen vielfältige, als ‚gefährlich‘ eingestufte Erkrankungen mit elektrischen und magnetischen Feldern in Beziehungen gesetzt. Studien zum Thema sind andererseits jedoch tendenziell von einer fachspezifischen Sprache dominiert und daher nur begrenzt für Laiinnen und Laien anschlussfähig, weshalb sie von ihnen auf der Suche nach Wissen nicht rezipiert werden (können). Dadurch greifen Laiinnen und Laien auf der Suche nach Wissen häufig auf leichter zugängliche, jedoch stärker emotionalisierende Zugänge zu gesundheitlichen Fragestellungen im Kontext des Stromnetzausbaus zurück, welche eine kognitive Auseinandersetzung mit dem

158 Thema erschweren und ‚mögliche Gesundheitsrisiken‘ eher als ,gegeben‘ (re)produzieren. Daher sollten vorliegende Erkenntnisse zu möglichen Langzeitwirkungen von elektrischen und magneti-schen Feldern nicht nur adressatengerecht aufbereitet, sondern auch mit anderen ‚alltäglichen‘

Risiken in Beziehung gesetzt und stärker in Relativzahlen diskutiert und versachlicht werden (beispielsweise Vergleich Feldstärken von (Alltags)Gegenständen, WLAN, Mobilfunkstrahlung et cetera). Dabei sollten Ängste den Betroffenen nicht ausgeredet werden, sondern vielmehr offen und verständlich die Bereiche des Wissens und Nicht-Wissens dargelegt werden und der Frage nachgegangen werden, ob nicht möglicherweise auch andere Motive hinter diesem Gefühl stecken. Des Weiteren sollten sich Referentinnen und Referenten in Veranstaltungen zum Stromnetzausbau stetig vor Augen führen, dass – aufgrund immer wieder neu hinzutretender oder wechselnder Teilnehmerinnen und Teilnehmer, welche auch über unterschiedliche Wissens-stände und Informationstiefen-Bedarfe verfügen – Informationen und Argumentationen, auch wenn sie bereits häufig wiederholt wurden, für einige Zuhörerinnen und Zuhörer völlig neu sind und ausführlicherer Erläuterung bedürfen.

‚Strahlung‘ versus Felder

Die Diskursanalysen zeigen darüber hinaus auch eine herrschende Unklarheit in Bezug auf die verschiedenen Eigenschaften von ‚Strahlung‘ und ‚Feldern‘ sowie eine Differenzierung zwischen elektrischen und magnetischen Feldern – mehr noch: Diese Unterscheidung wird nicht getroffen.

Zukünftiges Informations- und Aufklärungsmaterial sollte diese Informationslücke berücksichtigen und zu schließen versuchen. Der Begriff der ,Strahlung‘ erscheint stark negativ konnotiert – er ist fast automatisch mit Radioaktivität assoziiert, was höchste Unsicherheiten und Risiken verkop-pelt. Die Ergebnisse der Untersuchungen legen nicht zwingend nahe, dass Bürgerinitiativen ,Strahlung‘ aktiv nutzen, um zu verunsichern, aber eine entsprechende Begriffsnutzung könnte bei Bürgerinnen und Bürgern entsprechende Assoziationen hervorrufen – Aufklärungsarbeit erscheint hier zwingend erforderlich.

Tabelle 12: Übersicht Handlungsempfehlungen ‚Gesundheit‘

Öffentlichkeitsarbeit zum Thema Gesundheit

Inhalt Medium/Formate Zielgruppen

 Transparenz über unterschiedliche Grenzwerte und Messverfah-ren/Messungen

 elektrische und magnetische Felder bei Hochspannungsleitungen im Vergleich zum häuslichen Alltag

 elektrische und magnetische Felder und Abstände/ Wohnumfeldschutz

 Strahlung versus Felder

Homepage eines unabhängigen Institutes

(vergleichbar dem Thema Mobilfunk) Interessierte Öffentlichkeit, Vereine, Verbände, Initiativen

Printmedien (Flyer, Broschüren, Infomappen et cetera)

Bürgermeisterklausuren Lokale und regionale Entscheidungsträgerinnen und -träger

Dialogveranstaltungen vor Ort Interessierte Öffentlichkeit, Vereine, Verbände, Initiativen, Übertragungs-netzbetreiber, Politik, Medien

Ortstermin zur vergleichenden Messung unterschiedlicher Strahlenbelastungen Film

Wanderausstellung

Lehrmaterial Lehrerinnen und Lehrer,

Schülerinnen und Schüler

Interaktives Planspiel Schulen

Comics Kinder

 Identifikation konkreter (wahrgenomme-ner) Ängste und Befürchtungen der Bürgerinnen und Bürger beziehungsweise der Bürgerinitiativen

Monitoring Wissenschaftlerinnen und

Wissenschaftler

Quelle: Eigene Zusammenstellung und Darstellung.

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