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4.3 Mediendiskursstränge: Google, Süddeutsche Zeitung, Focus und Talkshows

4.3.4 Gesundheits- und strahlenschutzbezogene Argumentationsmuster

Die Argumentation über Gesundheit und Strahlenschutz bleibt innerhalb der Google-Treffer schlaglichtartig: „[G]esundheitliche[-] Schäden“ (GT04) und „Angst vor Elektro-Smog“ (GT05) werden angeführt. Erdkabel erzeugten „direkt über der Leitung höhere Magnetfelder als Freilei-tungen“, während bei Freileitungen „die elektromagnetischen Felder weiter ausgedehnt“ seien.

Deren „biologische Wirkung“ seien „in dieser Stärke zwar als unbedenklich, allerdings bisher (ähnlich dem Mobilfunk) nicht eindeutig geklärt“ (GT24). An anderer Stelle wird ausgeführt, dass

„Fragen des Strahlenschutzes“ von Anfang an zu berücksichtigen seien und gesetzliche Grenz-werte „vor nachgewiesenen gesundheitlichen Wirkungen“ schützten (GT27) (dazu Narrative Muster 9). Die gesundheitlichen Bezugnahmen sind damit vorhanden, stellen aber nur ein Argument unter anderen dar und vor allem erfolgt keine ausführliche Darstellung von Zusammen-hängen.

78 Narrative Muster 8: Gesundheit, Magnetfelder, Strahlenschutz

[Bezug zum Erdkabel]: „Obwohl unsichtbar, muss diese Schneise von Wurzelwerk freigehalten werden und erzeugt auf der Erdoberfläche direkt über der Leitung höhere Magnetfelder als Freileitungen. Bei Freileitungen sind die elektromagnetischen Felder weiter ausgedehnt, wobei deren biologische Wirkung in dieser Stärke zwar als unbedenklich, allerdings bisher (ähnlich dem Mobilfunk) nicht eindeutig geklärt sind.“

GT 24 Regenerative Zukunft

„Um den Anteil erneuerbarer Energien an der Stromversorgung zu erhöhen, ist es teilweise notwendig, die bestehenden Stromnetze auszubauen und zu verstärken. Fragen des Strahlenschutzes müssen dabei von Anfang an berücksichtigt werden. […].“

„Gesetzliche Grenzwerte schützen vor nachgewiesenen gesundheitlichen Wirkungen. […]. Seitdem elektrischer Strom genutzt wird, sind Menschen niederfrequenten elektrischen und magnetischen Feldern der Stromversorgung im Alltag ausgesetzt. Abhängig von ihrer Stärke können diese Felder Auswirkungen auf den menschlichen Körper haben.“

GT27 Bundesamt für Strahlenschutz

Unterscheidungen zwischen Drehstrom- und Gleichstromleitungen spielen fast keine Rolle. Zwar wird das Beispiel China angeführt, in dem die „HGÜ-Trasse Hami-Zhengzhou“ 8.000 MW übertrage (GT01) und in Deutschland „auf einer Länge von 2.100 Kilometern Punkt-zu-Punkt-Verbindungen in Gleichstromtechnik verwendet werden (GT20) sollen, jedoch werden in diesem Zusammenhang keine positiven oder negativen Wertungen vorgenommen. Bezüge zu gesundheit-lichen Fragestellungen bleiben aus.

Auch innerhalb der SZ-Artikel dominiert eine oberflächliche Behandlung gesundheits- und strahlenschutzbezogener Aspekte: Gesundheitsbezogen wird hier lediglich erwähnt, dass

„[t]atsächlich […] Studien gezeigt [hätten], dass Leukämie bei Kindern etwas häufiger auftritt, wenn sie in der Nähe einer überirdischen Wechselstrom-Hochspannungsleitung wohnen“, in experimentellen Tierstudien jedoch „‚nie ein Zusammenhang nachgewiesen werden [konnte]‘“, führt die Wissenschaftlerin Sarah Drießen vom Uniklinikum Aachen aus (SZ-06.02.2014).

Die Forderung nach Erdkabeln erfolgt in Artikeln des Focus unter anderem vor dem Hintergrund gesundheitlicher Bedenken, da „hohe Strommasten […] nach Meinung der Kritiker gesundheits-schädigend“ seien (FO-26.11.2010). Es sei außerdem „,[m]enschenverachtend‘“ […] so nah an Wohnhäusern zu bauen“, artikuliert eine Vertreterin einer Bürgerinitiative, die sich besorgt „um die Gesundheit der Kinder“ zeigt und „den Elektrosmog“ fürchte (FO-17.02.2014). Im Netzaus-bauplan aber seien „Erdkabel, wie von vielen Bürgerinitiativen aus Gesundheits- und Landschafts-gründen gewünscht, […] bisher nicht vorgesehen“ (FO-30.05.2012).

Bezüge zu Gesundheit und Strahlenschutz werden in den Talkshows des ,Bürgerdialogs‘ (TS02, Bayerischer Rundfunk) und ,Schlossplatz 1‘ (TS05, Hessischer Rundfunk) hergestellt. Es bestünden „gesundheitliche Gefahren für unsere Kinder“ (TS02), „gesundheitliche Schäden“

werden befürchtet (TS05) beziehungsweise „Bedenken“ werden vorgebracht, wie beispielsweise durch eine kommunale Kindertagesstätten-Leiterin, die eine direkte Betroffenheit für die Tages-stätte fürchtet (TS02). Gesundheitliche „Risiken“ werden angemahnt (TS05), „gesundheitliche Besorgnisse“ richteten sich auf „steigende Krebsraten wie Leukämie […], auch DNA-Veränderungen, auch psychische Folgen bis hin zu Alzheimer“ (TS05) (dazu ausführlich Narrative Muster 9). In den meisten Fällen wird ganz grundlegend auf Risiken oder Gefahren rekurriert, ohne dass diese allerdings detaillierter aufgefächert würden. Risikoeinschätzungen bleiben auf einer recht abstrakten Ebene.

79 Narrative Muster 9: Gesundheitliche Bedenken

„Genau, wir müssten, wir müssen unsere, unsere Tilgungen jeden Monat leisten und haben ein Grundstück, wo nix mehr wert ist und dazu natürlich die gesundheitliche Gefahren für unsere Kinder, wo wir ausgesetzt werden.“

TS02 Bürgerforum „Bürgerdialog“ – Wortmeldung aus dem Publikum

„Wir befürchten halt in erster Linie gesundheitliche Schäden, gerade für unsere Kinder.“

TS05 HR Schlossplatz 1: „Bürgerprotest gegen die ,Stromautobahn“ – Demonstrantin

„Mein Name ist Monika Stöckl, ich bin die Leiterin von der Gemeindekindertagesstätte hier in Feldheim und wir haben 41 Kinder, Kindergarten und Krippe, und für mich ist, I hab' da scho Bedenken damit, wie is des mit der Stromtrasse, Kinder sind sensibler, sie sind empfindlicher, sie reagieren schneller auf äußere Einflüsse, auf äußere Einflüsse, die Gefahren, die gesundheitlichen Gefahren, wie ist es mit der Bestrahlung, wie wirkt sich des aus auf die Entwicklung der Kinder, können wir noch ungestört im Garten spielen mit den Kindern, also“

TS02 Bürgerforum „Bürgerdialog“ – Monika Stöckl, Leiterin Kindertagesstätte Feldheim

„Es ist so, dass wir mit Risiken, gesundheitlichen Risiken und so weiter uns konfrontiert sehen bei jeder Baumaßnahme, ob wir eine Hochspannungstrasse bauen oder ob wir 'ne Autobahn bauen oder den Flughafen in Frankfurt erweitern, und ich warne nur davor diese Risiken zu übergehen und sie zu ignorieren.“

TS05 HR Schlossplatz 1: „Bürgerprotest gegen die ,Stromautobahn“ – Michael Boddenberg, Landtagsfraktionsvorsitzender CDU Hessen

„[Von] Frau Dorn sind ja auch gesundheitliche Besorgnisse angesprochen worden, beispielsweise gibt es an der Universität Kassel Prof. Dr. Hans Martin, der ist ein Arbeitswissenschaftler oder Arbeitsmediziner, und er sagt, man weiß gar nicht, welche Auswirkungen solche Gleichstromkabel […] auf die Gesundheit der Menschen haben könnten, folgen könnten, steigende Krebsraten wie Leukämie seien, auch DNA-Veränderungen, auch psychische Folgen bis hin zu Alzheimer seien möglich. Implantatträger sollten sich nicht in der Nähe der Leitungen aufhalten, das klingt ja mächtig gefährlich, fast wie die Nähe zu einem Atomkraftwerk.“

TS05 HR Schlossplatz 1: „Bürgerprotest gegen die ,Stromautobahn“ – Thomas Kreuzmann, Moderator

Neben der Betonung möglicher Risiken finden sich auch Narrationen, in denen entsprechende Bezugnahmen weniger umfänglich geteilt werden. Michael Sterner, Professor an der Hochschule Regensburg, könne viele Bedenken nachvollziehen, merkt aber an, dass die gesundheitlichen Bedenken im Vergleich zu anderen Bereichen überbewertet würden, denn „mit dem Mobilfunk […], was wir da in den Hosentaschen haben, das ist für die Kinder viel dramatischer als jede Freileitung, die vorbeigeht, elektrotechnisch gesehen und auch medizinisch.“ (TS02). Angela Dorn, parlamentarische Geschäftsführerin von Bündnis ‘90/Die Grünen in Hessen, betont, dass

„immer wieder Studien genannt werden über Gesundheitsgefährdung, aber ganz klar, die Wissenschaft ist sich einig, dass […] diese Sorge nicht angebracht ist“. Für sie stelle sich gleichwohl die Frage nach Abstandsregelungen: „wir haben in Hessen […] auch dazu ganz klar Stellung bezogen, wir haben gesagt, dass es notwendig wäre, Mindestabstände zu haben, weil wir auch glauben, dass die Akzeptanz dadurch auch besser wird“ (TS05). Mindestabstände werden zu einem Aspekt, auf den auch in weiteren Passagen rekurriert wird. Ein Bürger (TS02) beispielsweise kritisiert im ,Bürgerdialog‘ des Bayerischen Rundfunks mangelnde Mindestabstän-de. Er lebe „in der Natur draußen, wo mer eigentlich unsere Kinder unbeschwert und vor allem gesund aufwachsen sehen wollten“ und „von heute auf morgen waren wir mitten in so einem Trassenkorridor drin“. Es gebe keine Mindestabstände für die Masten und auch die Grundstücke könnten mit Hochspannungsleitungen überspannt werden: „Das hat uns Amprion nach mehrmali-gem Nachfragen bestätigt. Die Aussage war, sie werden aber versuchen, das möglichst zu vermeiden“ (TS02). Im Gegensatz zur ,gefährlichen‘ Stadt stellt der suburbane Raum ,eigentlich‘

einen Ort von Natur, Sicherheit, geringen ökologischen und gesundheitlichen Belastungen dar – Triebfedern für Suburbanisierungsprozesse (dazu ausführlich Kühne 2012) –, dem nun, wie die

80 Argumentation des Bürgers zeigt, die Planung von Stromtrassen ohne Mindestabstände zuwider-läuft und damit auf Ablehnung stößt.

Thomas Kreutzmann, Moderator von ,Schlossplatz 1‘ (Hessischer Rundfunk), spricht davon, dass die Bewohnerinnen und Bewohner entlang des SuedLinks befürchteten, „dass sie zu ‘ner Art Versuchstiere […] oder Versuchskaninchen für so eine Gleichstromtrasse werden“ (TS05).

Vergleichbar argumentiert auch Marjana Schott, hessische Landtagsabgeordnete der Linken, die in einer polyphonen, also mehrstimmigen Aussage einerseits anführt, dass es „relativ wenig Erfahrungen mit solchen großen und starken und langen Leitungen“ gebe und „das meiste, was man dazu hört, ist, dass das Gesundheitsrisiko sehr wahrscheinlich ganz gering ist oder dass es keines gibt“, andererseits Ängste aber auch ernst zu nehmen seien und „dringend mehr Informa-tion notwendig“ sei – „jetzt kann man es nicht definitiv sagen, das ist schon ein bisschen problematisch“ (TS05).

Grenzwerte werden nur an einer Stelle im Bürgerdialog aufgegriffen: „[e]s heißt zwar immer, Grenzwerte werden nicht überschritten, aber wo sind die Grenzwerte?“ (TS02, Wortmeldung Publikum). Die Frage, „wo sind Grenzwerte?“ kann als ein Anhaltspunkt gesehen werden, dass

‚Grenzwerte‘ für betroffene und verunsicherte Bürgerinnen und Bürgern etwas Abstraktes sind, etwas, das sie nicht ,anfassen‘ und deuten können, solange sie es nicht ,erfahren‘ haben, wie zum Beispiel durch Messungen vor Ort (dazu auch Kapitel 5.4.3 und 5.4.4).

Erdkabel spielen in den Talkshows als ein Ansatz zum Umgang mit derzeitigen Konflikten oder als technische Alternative zu Freileitungen eine untergeordnete Rolle. So betont beispielsweise Natascha Kohnen, SPD-Abgeordnete im Bayerischen Landtag, dass die SPD sich dafür eingesetzt habe, dass „die Erdverkabelung womöglich auch durchgeführt wird“ (TS02). In diesem Zusam-menhang wird durch Tilmann Schöberl, Moderator des ‚Bürgerdialog‘ (TS02), die technische Frage der „unterirdischen“ Lösung an Michael Sterner, Professor für Elektrotechnik, gestellt: Sie sei „nicht schwer“ und würde „auch erprobt“ werden, die weitere Argumentation bejaht allerdings den weiteren Trassenbau mit Freileitungen, wobei diese „an den bestehenden Infra-strukturen“ zu bündeln und „net quer durch des Land neu“ zu ziehen seien (TS02, Michael Sterner, entsprechend auch TS05, Angela Dorn). Freileitungen seien die „günstigste und billigste unter allen“ technischen Alternativen. Die Auswahl an technisch möglichen Alternativen sei bekannt: „Wir haben aus der Wissenschaft zig Konzepte präsentiert, die zeigen, es ist technisch machbar, die Energiewende umzusetzen auf verschiedene Art und Weise“ (TS02, Michael Sterner). Es fällt auf, dass Erdkabel zur unter Umständen möglichen Konfliktprävention im Korpus der Talkshows ansonsten keine weitere Beachtung finden.

Gesundheitsbezogene Argumentationsmuster werden (re)produziert, ohne allerdings sehr detailliert aufgeschlüsselt zu werden. Auch Referenzen zu Mindestabständen oder Grenzwerten bleiben randständig. Dies gilt in besonderem Maße für die Google-Treffer und die Artikel in der Süddeutschen Zeitung und im Focus – ein markanter Unterschied zu Positionierungen von Bürgerinitiativen, wie noch gezeigt wird (Kapitel 4.5.2).