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2 Die Kinder- und Jugendpsychiatrie aus Sicht der Psychiatrie-Erfahrenen und Mitarbeiter

2.2 Die Psychiatrie aus Sicht der Psychiatrie-Erfahrenen

2.2.1 Interviewerhebung

2.2.1.2 Zugang zum Feld und Auswahl von Probanden

2.2 Die Psychiatrie aus Sicht der Psychiatrie-Erfahrenen

Kommunikationsprozess. „Wenn der Kommunikationsprozess sensibel und akzeptierend auf die Rekonstruktion von Orientierungen und Handlungen zentriert wird, entsteht bei den Befragten Vertrauen und damit Offenheit, weil sie sich in ihrer Problemsicht ernst genommen fühlen“ (Witzel 2000, S. 3). Indem die Problemsicht mit dem Interviewer zusammen erarbeitet wird, werden immer wieder neue Aspekte hervorgebracht, die aus der Selbstreflexion während des Interviews resultieren. Hieraus soll sich beim Interviewten ein Selbstverständigungsprozess- bzw. Verstehensprozess bilden (vgl.

Witzel 1985 S. 233f.; Witzel 2000, S. 3f.).

Elemente des Interviews sind ein Kurzfragebogen zum Überblick von Personendaten, der Leitfaden als Orientierungsrahmen und Gedächtnisstütze sowie die Erstellung eines Gedächtnisprotokolls nach Ende des Interviews zum Festhalten der Interviewsituation.

Der Aufbau des Interviews als wichtigstes Instrument des Erhebungsverfahrens (vgl.

Witzel 2000, S. 3) gliedert sich in vier Phasen:

• Phase 1: Erklärungsphase (Eingrenzung Problembereich, Aufklärung über Interview)

• Phase 2: Allgemeine Sondierung (Erzählstimulus, möglichst Alltagsnah, freie Erzählung),

• Phase 3: Spezifische Sondierung (Vertiefung des Verständnisses) über drei Vorgehensweisen:

Zurückspiegelung, Verständnisfrage,

Konfrontation (konstruktiv, ist jedoch mit Bedacht einzusetzen),

• Phase 4 Ad-hoc Fragen zum Ansprechen von nicht angesprochenen Themenbereichen mittels Leitfragen (vgl. Lamnek 1995, S. 75f.).

2.2 Die Psychiatrie aus Sicht der Psychiatrie-Erfahrenen

Die Erarbeitung eines Vorverständnisses soll den (Verstehens-)Zugang zu Handlungs- und Bewusstseinsanalysen der Befragten sicherstellen. Zu dem Vorverständnis gehört zweifellos die Anknüpfung an eigene Erfahrungen und dem eigenen Hintergrundwissen.25

Das eigene Interesse an dem Thema wurde durch das fünfmonatige Praxissemester in einem kinder- und jugendpsychiatrischen Sozialdienst entfacht. Erste Einblicke in das Erleben des Aufenthalts aus Patientensicht, gerade durch die Kontakte zu Patienten und die Einschätzung der Mitarbeiter, regten die erste Beschäftigung mit dem Thema an. Die Diplomarbeit befasste sich mit „Möglichkeiten und Grenzen der Sozialen Arbeit in der Kinder- und Jugendpsychiatrie“. Hierzu wurden bereits eigene Erfahrungen von Patienten in der Kinder- und Jugendpsychiatrie und Erfahrungen von Psychiatrie-Erfahrenen verschriftlicht, Kontakte zu Psychiatrie-Erfahrenen (Erwachsene) z. B. über Kongresse oder Vereine gesucht, Literaturrecherche betrieben und Literatur aufgearbeitet. Nach der Diplomarbeit konnte der Bezug über eine Stelle als Wissenschaftliche Hilfskraft und den losen Gesprächen zu Forschern und Stationsmitarbeitern weiter fortgesetzt werden (Erwachsenenpsychiatrie). Bei der daran anschließenden Vorbereitung der Promotion wurde das Kontextwissen über Literaturrecherchen aufgefrischt und ausgebaut. Kontakte zu Psychiatrie-Erfahrenen (Erwachsene) und Mitarbeitern aus dem Psychiatriebereich wurden z. B. über Veranstaltungen der psychischen Gesundheitswochen wieder vermehrt gesucht. Bei Beginn der Doktorarbeit wurde eine Verhaltenstherapie begonnen, die als Perspektivenwechsel (zumindest als Empfänger von Therapie) und zur Reflexion der eigenen Biografie genutzt wurde.

Zusammenfassend wurde das Vorverständnis durch Literaturrecherche und -aufarbeitung, z. B. von Berichten Psychiatrie-Erfahrener oder Artikeln über Studienergebnisse, Aufarbeitung theoretischer Grundlagen, Gespräche mit Psychiatrie-Erfahrenen (Erwachsene), Forschern und Mitarbeitern der Psychiatrie und eigene Therapieerfahrungen entwickelt. Das Vorverständnis wurde in dieser Form während des Promotionsvorhabens stetig weiter ausgebaut und für das Erhebungsverfahren genutzt.

Anhand dessen konnten relevante Problembereiche der Aufenthaltsgestaltung der Kinder- und Jugendpsychiatrie identifiziert werden.

25 Die Darstellung erfolgt in der dritten Person, um eine Distanzierung zur Patientenrolle zu

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Der eigentliche Zugang zum Feld gestaltete sich schwierig und herausfordernd.26 Da der Zugang zu der Einrichtung Kinder- und Jugendpsychiatrie nicht offen stand und eine Kooperation als Forscher mit Kinder- und Jugendpsychiatrien kaum herzustellen war27, wurden andere Wege eingeschlagen. Der Wunsch, Psychiatrie-Erfahrene für mein Promotionsvorhaben zu interviewen, wurde im nahen und weiten sozialen Umfeld gestreut. Direkte Arbeitskollegen vermittelten mir Kontakt zu zwei Psychiatrie-Erfahrenen der Kinder- und Jugendpsychiatrie und aus entfernteren Arbeitszusammenhängen entstanden weitere zwei Kontakte. In einem von diesen Fällen bezog sich der gesamte Kontakt von informieren bis hin zur Terminabsprache über eine Kollegin, in den anderen Fällen konnte die E-Mail-Adresse getauscht werden. In den Mails wurden die Informationen über die Interviews gegeben und ein telefonischer Kontakt wurde ausgemacht, um über weitere Details zu sprechen. In einem vor Ort ansässigen Verein für junge Psychiatrie-Erfahrene erklärten sich drei Personen für ein Interview bereit. Der Kontakt wurde telefonisch zu der Leitung aufgebaut. In dem Telefonat erläuterte ich mein Anliegen und versendete im Nachhinein eine E-Mail mit den wichtigsten Informationen. An dem nächsten Treffen konnte ich teilnehmen und mein Anliegen vortragen. Des Weiteren wurde nach den Interviews ein Aushang in den Vereinsräumen aufgehangen, auf die sich eine weitere Person meldete.

Eine Person konnte im weiteren Bekanntenkreis gewonnen werden. Hier wurden über den Kontakt des Bekannten die E-Mail-Adressen ausgetauscht. Nach einer E-Mail mit der Erklärung meines Vorhabens und den Hintergrunddaten wurde bereits eine Zustimmung für ein Interview gegeben und die Telefonnummern wurden ausgetauscht.

Eine Person wurde aus meinem eigenen Bekanntenkreis rekrutiert, nachdem diese offen über ihre Erfahrungen mit der Kinder- und Jugendpsychiatrie sprach.

Erfolglos blieben Aushänge in Jugendwohnheimen, die durch Bekannte aufgehängt wurden. Auch angesprochene Sozialarbeiter, z. B. einer aus dem Jugendamt konnten mir keine Kontakte vermitteln. Anfragen bei einer renommierten Psychologie-Professur für Kinder- und Jugendpsychiatrie sowie bei einer Leitung des Pflege- und Erziehungsdienstes blieben aussichtslos. Die Idee, einen Aufruf über die Presse zu starten, wurde nach Gesprächen mit Psychiatrie-Erfahrenen nicht durchgeführt. Die

26 Die Darstellung erfolgt ab hier in der ersten Person, da die Rolle als Forscher berührt ist.

27 Siehe anhängende Berichte. (Es muss ergänzend erwähnt werden, dass die Erlaubnis eines Aushangs zur Probandengewinnung bei der ersten Kinder- und Jugendpsychiatrie bereits nicht erteilt wurde.)

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Meinung tendiert, dass die wenigsten sich auf Anzeigen melden würden, da Vertrauen das Wichtigste und die Presse zu unpersönlich wäre. Das Fragen der Interviewpartner selber nach weiteren Möglichkeiten brachte ebenfalls keinen Erfolg. Insgesamt ist zu sagen, dass der Zugang zum Feld sehr sensibel ist. Zwei Bekannte hatten in ihrem Bekanntenkreis Psychiatrie-Erfahrene der Kinder- und Jugendpsychiatrie, die sich nicht in der Lage fühlten (wiederkehrende Krise) oder kein Interesse aufgrund der höchst sensiblen Thematik hatten (keine Lust über diese Phase des Lebens zu sprechen). Auf Therapieeinrichtungen wurde ebenfalls aufgrund negativer Erfahrungen zu Anfragen („die Leute möchten das hier nicht“) verzichtet. Aufgrund des schweren Feldzugangs wurde aus pragmatischen Gründen bereits zu Beginn des Promotionsvorhabens die Probandengruppe von Jugendlichen mit unmittelbarer Erfahrung als Psychiatrie-Nutzer auf Psychiatrie-Erfahrene im jungen Erwachsenenalter umgeschwenkt.

Bevor mit den Interviews begonnen wurde, wurde ein Sampling erstellt.

„Bei der Vorab-Festlegung der Samplestruktur werden vor der Durchführung der Untersuchung Kriterien festgesetzt, nach denen die Stichprobe 'absichtsvoll' … bzw. 'begründet' gebildet wird. Die Kriterien zur Bildung der Stichprobe ergeben sich aus der Fragestellung der Untersuchungen, theoretischen Vorüberlegungen sowie anderen Studien. Dabei wird von einer Vorstellung von Typik und Verteilung von Eigenschaften in der Grundgesamtheit ausgegangen, die in der Stichprobe Berücksichtigung finden“ (Mayer 2013, S. 39).

Um ein umfangreiches Bild und zuverlässige Aussagen über den breiten Themenbereich zu erhalten, beinhaltete das Sampling die Auswahl nach Kriterien der Unterbringung (stationär, Tagesklinik, lediglich Kontakt), nach angegebenem Einweisungsgrund (vom Forschungsstand eher als genetisch angesehene Störungen wie Schizophrenie gegenüber Verhaltensauffälligkeiten wie Störungen des Sozialverhaltens), nach Geschlecht und Alter während der Unterbringung (Kinderbereich, Jugendbereich, Mix). Die Auswahl sollte prozessorientiert, ergebnisoffen und kontrastierend erfolgen (theoretical sampling).

In der ersten Erhebungsphase sollten ähnliche Fälle befragt werden und in der zweiten Erhebungsphase durch Variation der Merkmale kontrastiert werden, die in der Lage sind, die ersten Erkenntnisse zu bestätigen oder zu widerlegen. Der Umgang mit den Merkmalen und die Akquise der Probanden sollten bis zur Sättigung (es ergeben sich keine neuen Erkenntnisse) durchgeführt werden.

2.2 Die Psychiatrie aus Sicht der Psychiatrie-Erfahrenen

Aufgrund des schwierigen Zugangs erfolgte der Zugang nach dem convenience sampling, also einer nicht absichtsvollen Probandengewinnung. Die am einfachsten zu erreichenden und verfügbaren Fälle, deren Merkmale für den Untersuchungsgegenstand interessant und annehmlich sind, werden ausgewählt. Das convenience sampling ermöglicht es in Anbetracht des geringen Aufwands, eine Untersuchung mit begrenzten Ressourcen (auch von Probanden) überhaupt durchzuführen. Diese Untersuchung hat nicht das Ziel mittels der Interviewanalyse auf eine bestimmte Population zu schließen oder es zu können, da Erfahrungen mit der Psychiatrie sehr heterogen sind. Es geht in der Analyse der Interviews vielmehr darum, ein erstes zusammenfassendes Verständnis über das Erleben und Problemfelder aus der Sicht der Patienten zu entwickeln. Pädagogische Konzepte können über das Verständnis der zusammengefassten Einzelfälle Standpunkte bzw.

Orientierungspunkte mit einbeziehen, die ihre Stärke bei einzelnen Patienten und deren individueller psychosozialer Entwicklung entfaltet. So bleibt die nachzugehende Frage unverändert, ob Psychiatrie-Erfahrene trotz unterschiedlicher Psychiatrien und Zeiträume einen gemeinsamen Erfahrungsraum bzw. ein strukturidentisches Erleben haben das darüber hinaus Auskunft über eine klinische Subkultur im Umgang mit sozialen Dimensionen gibt. Dies ermöglicht in einem weiteren Schritt in der Diskussion einen aussagekräftigen Vergleich gegenüber der herangezogenen Theorie und der Aussagen der Mitarbeiter. Für die Untersuchung konnten zehn Probanden gewonnen werden (siehe Tabelle 2):

Tabelle 2: Übersicht der interviewten Psychiatrie-Erfahrenen Interview Geschlecht 1. Aufenthalt mit

(in Lebensjahre)

Dauer Aufenthalt

Alter bei Interview

Vom Interviewten angegebener

Einweisungsgrund

1 weiblich 18 k.A. 21

Borderline-Persönlichkeits-Störung

2 männlich 15 4 Wochen 25 k.A.

3 weiblich 12 o. 13 6 Wochen

(noch mal 1 Woche)

22 Suizidversuch

4 weiblich 19 1 – 2 Monate 26 Paranoide Schizophrenie

5 weiblich 17 o. 18 5 Monate 26 Posttraumatische

Belastungsstörung

6 männlich 16

(stat. Jugendhilfe Diagnostik in

5 Jahre 25 Entwicklungsverzögerung,

Autismus, soziale Überempfindlichkeit

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Kinder- und Jugendpsychiatrie)

7 weiblich 15 k.A. 30 Entwicklungsverzögerung,

Depressionen

8 weiblich 17 2 Wochen 24 Trauma/Suizid

9 weiblich 15 3 Monate 32 Essstörungen,

Schulverweigerung

10 weiblich 17 8 Wochen 31 Psychotische Depression

(Suizidversuch)

Im Vorfeld der Interviews waren der Problemzusammenhang, sowie gemachte Erfahrungen oder Meinungen der Interviewpartner unbekannt. Aufgrund der erhobenen Interviews ist zu sagen, dass eine Breite an Meinungen und Erfahrungen erfasst worden sind, und so unterschiedliche Problemsichten aufgenommen werden konnten. Es sind keine einheitlichen Interessenslagen oder Grundrahmenbedingungen bei den Probanden vorhanden gewesen. Allerdings muss erwähnt werden, dass alle Probanden vereint, dass sie einen Aspekt hatten, der ihnen hinsichtlich der Aufenthaltserfahrungen besonders im Gedächtnis geblieben ist und dass ein Interesse an dem Interview geweckt hat, der allerdings sehr unterschiedlich war. Der Umgang bzw. die aktuelle Situation der psychischen Erkrankung unterschied sich ebenfalls, so waren Personen darunter, die noch in Maßnahmen eingebunden waren, eine Person, die Psychopharmaka nutzte, der Großteil führte, wie es so genannt wird, ein „normales“ Leben (in Beruf/Studium, Partnerschaft etc.). Je unterschiedlicher das Untersuchungsfeld, desto größer sollte der Umfang der Erhebungen sein. Eine quantitative Anzahl von Interviews kann bei qualitativen Analysen nicht statistisch ermittelt werden, um allgemeingültige Aussagen zu erhalten. So reichen die Schätzungen von fünfzehn einstündigen Interviews (für 80 Prozent der Aspekte aufzunehmen) und 20 bis 30 Interviews für 90-95 Prozent, andere Einschätzungen halten sieben bis fünfzehn Interviews (90-120 Minuten) für ausreichend (vgl. Kurz et al. 2007, S. 467f.). Gemessen an den Zahlen hat die Studie ebenfalls einen explorativen Charakter, sofern weiter davon auszugehen ist, dass eine Sättigung nicht stattgefunden hat. Aussagen können anhand der Probanden nur für den Jugendbereich getroffen werden.

Die Kontaktaufnahme verlief dem sensiblen Feld entsprechend. Sie wurde lange vorbereitet und vorsichtig initiiert. Bei dem ersten Interview wurde der komplette Kontakt über die direkte Arbeitskollegin vermittelt. In diesem Fall versendete ich Informationen

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über das Ziel und die Durchführung mit besonderem Hinweis auf Prinzipien des Interviews an die Arbeitskollegin, die mit der Probandin sprach und mir die Rückmeldung über die Bereitschaft mitteilte. So wurde ebenfalls ein Termin vereinbart. Bei dem Termin selber sah ich die Probandin das erste Mal, einige rudimentäre Infos hatte ich von meiner Arbeitskollegin erhalten. Ich nahm mir Zeit für die Kontaktaufnahme und um mich selber vorzustellen und ein gewisses Gefühl von Sicherheit zu vermitteln. Vor allem stand nochmals die Information im Raum, dass das Interview anonymisiert wird, was mit dem Interview geschieht, dass Antworten auf die Fragen verneint werden können und sogar die komplette Bereitschaft zum Interview während des Interviews selber entzogen werden kann sowie ein erhöhtes Bedürfnis für Pausen etc. berücksichtigt würde.

In den meisten Fällen wurde der Kontakt über E-Mail hergestellt. In diesen Fällen wussten die Personen von dem Gatekeeper, dass eine Mail meinerseits erfolgen wird. In dieser Mail wurde meine Person vorgestellt, das Erkenntnisinteresse und die Zusicherung der Anonymität sowie die Auslassung von Fragen zur Diagnose und zur Familiensituation, da diese zu sensibel erschienen.28 Bei einer ersten Zustimmung durch Rückmeldung wurde nach der Telefonnummer zwecks weiterer Absprachen und Terminvereinbarung gefragt. Es erfolgte ein Telefonat, in dem der erste persönliche Kontakt aufgenommen wurde. Da alle Informationen bereits gegeben wurden, war der Hauptteil des Telefonats die Möglichkeit Fragen zu stellen, die Beziehung zu gestalten und einen Termin abzusprechen. Von den Personen selber wusste ich im Vorfeld eigentlich nur, dass sie einen Aufenthalt hatten und erfuhr eine subjektive Angabe für den Aufenthaltsgrund.

In dem Verein für die jungen Erwachsenen nahm ich Kontakt mit der Leitung auf, die mir in Rücksprache mit der Gruppe eine Zustimmung gab, zu einem Treffen zu kommen. Auf diesem Treffen gab es die Möglichkeit, das Thema und Erkenntnisinteresse vorzustellen sowie auf die Prinzipien der Anonymität hinzuweisen und nach bereitwilligen Personen zu fragen. Interessant ist, dass hier viel über meine Vorgeschichte und meine Person gefragt wurde und die letzten Therapieerfahrungen sowie meine Erfahrungen im Kindesalter mir einen Zugang verschafften. Es erklärten sich drei Personen für das Interview bereit, ein Termin wurde im Rahmen eines Gruppentreffens vereinbart. Hier erfuhr ich nichts weiter über die Aufenthaltsgeschichte.

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In einem Fall meldete sich eine Person telefonisch aufgrund des eines Aushangs in dem Verein für Psychiatrie-Erfahrene. Ebenfalls hatte die Person von den Interviews und meiner Person gehört. Ich bot an auf meine Kosten zurückzurufen, und erläuterte das Verfahren, während im Gegenzug von der eigenen Psychiatrie-Erfahrung kurz und knapp berichtet wurde. Es wurde ein Termin vereinbart.

Während ich über die Schwierigkeiten des Zugangs berichtete, erklärte sich eine Bekannte, nachdem sie ihren Psychiatrieaufenthalt offenlegte, direkt für ein Interview bereit. Mein Promotionsvorhaben war aus vorherigen Gesprächen bekannt. In diesem Rahmen wurde kurz über die Begründung des Aufenthalts gesprochen. Die Terminfindung gestaltete sich aufgrund der örtlichen Entfernung schwerer, konnte aber mittels der Technik (Internettelefonie) realisiert werden.

Bereits bei der Kontaktaufnahme wurde auf ethische Grundlagen geachtet, die eine hohe Reflexion der Prozesse und des eigenen Handelns verlangte. Zu den Grundlagen gehörte eine informierte Einwilligung mittels Bekanntgabe von Zweck und Ziel der Interviews, Dauer und Belastungen des Interviews, Umgang mit Daten und Ergebnissen (Anonymisierung), Freiwilligkeit, die eine Verweigerung der Datennutzung bis weit nach dem Interview ermöglichte. Auf eine schriftliche Fixierung wurde verzichtet, da dies einen formalen Vertragscharakter aufweist und so die Beziehungsgestaltung unnötig gestört hätte. Weiterhin wurde es für notwendig erachtet, auf eine mögliche besondere Vulnerabilität der Untersuchungsgruppe zu achten, was ein besonders sensibles Vorgehen, je nach Proband und dessen Lage (Schutz), verlangte (vgl. Miethe 2010, S.

929ff.).

Ein Bias bezüglich der Probanden hinsichtlich der Zustimmung für das Interview ist nicht auszuschließen. So bleibt die Frage, ob es einen besonderen Grund für die Zustimmung gab, wie z. B. über negative Aspekte sprechen und der Wunsch nach Veränderung. Jedoch ergab sich eher der Eindruck, dass die Suche nach Probanden breit und die Auswahl der Probanden zufällig erfolgte, was sich in den unterschiedlichen Geschichten, Erfahrungen und Meinungen widerspiegelte. Während der Untersuchung wurde aufgrund des erfolglosen Zugangsversuches zu (Kindern und) Jugendlichen mit Psychiatrie-Erfahrung weiter pragmatisch vorgegangen. So wurden Psychiatrie-Erfahrene im jüngeren Erwachsenenalter interviewt, deren Aufenthalte zeitlich zurückfallen. Dies ist eine Abänderung der Forschungsprinzipien des problemzentrierten Interviews, da eigentlich ein aktuelles Problem untersucht werden soll, das die Sicht auf das Problem und das Verhalten untersucht. Die Retrospektive erzeugt bei den Befragten konstruierte und

2.2 Die Psychiatrie aus Sicht der Psychiatrie-Erfahrenen

strukturierte Selbstbilder und einige Situationen waren nicht mehr in so guter Erinnerung.

Im Laufe der Untersuchung wurde der Vorteil entdeckt, dass über Situationen reflektiert werden konnte und so unterschiedliche Perspektiven der Untersuchten eingenommen werden konnten. So z. B. damals habe ich so gedacht, heute denke ich da aber so drüber.

Das heißt, dass für Wirkfaktoren und für pädagogische Konzepte eine Langzeitansicht mit berücksichtigt werden kann.