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2 Die Kinder- und Jugendpsychiatrie aus Sicht der Psychiatrie-Erfahrenen und Mitarbeiter

2.2 Die Psychiatrie aus Sicht der Psychiatrie-Erfahrenen

2.2.4 Darstellung der Ergebnisse

2.2.4.1 Erleben des Klinikaufenthalts – 1. Auswertungsphase

Die Darstellung des Erlebens erfolgt anhand der oben dargestellten Auswertung. Jede Variable wird einzeln vorgestellt. Eine zusammenfassende interpretierende Beschreibung mit Herausarbeitung der wichtigen Aspekte des Aufenthalts erfolgt am Ende der Variablenbeschreibung. Dabei sind Erhebung und Daten als explorativ anzusehen.

a) Erleben des eigenen Aufenthaltsverlaufes Interview 1:

Als die besten Tage in der Klinik werden der Tag der Einweisung und der Entlassung angegeben. Zentral im Interview stehen die Therapie, die Sinnhaftigkeit und die Selbstbestimmung, die als allesamt negativ erlebt wurden.

Die Therapien wurden nicht als solche anerkannt und die Person fühlte sich mit der DB-Therapie alleine gelassen – wodurch diese als ineffizient wahrgenommen wurde. Die kreativen Angebote der Klinik entsprachen nicht den eigenen Interessen und Fähigkeiten.

Auch nach einer Mitteilung dieses Umstands gegenüber den Mitarbeitern konnten keine adäquaten Alternativen angeboten werden. Der Interviewpartner gab an, dass der eine Laptop weggenommen und dadurch die Möglichkeit eigener kreativer Arbeitsprozesse verloren gegangen sei. Bei den Angeboten der Klinik wurde der Sinn hinterfragt, aber nicht erklärt.

„Ja, es beruhigt, glaube ich, wahrscheinlich. Ich weiß nicht. »Machen Sie mal, das ist gut für Sie«, war, glaube ich, so die Aussage. Und ich habe bei diesem Spinnen und bin einfach nur aggressiv geworden, weil ich es (a) nicht auf die Kette gekriegt habe, und (b) weil (räuspert sich) Spinnen, was will ich denn?

Verdammt noch mal, ich bin krank und schneide mich auf! Warum soll ich einen Faden aus Wolle machen!“ (Interview 1-69).

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Um Ausgang zu erhalten wurden durch den Patienten Fortschritte vorgetäuscht obwohl keine therapeutischen Effekte vom Patienten selbst bemerkt wurden – im Gegenteil es ging schlechter. Der Ausgang wurde genutzt, um Regeln der Klinik zu ignorieren. Die tatsächlichen Rückschritte im Zustand der Person wurden von den Mitarbeitern nicht erkannt. Zur Linderung von Schlafstörungen wurden lediglich Tees angeboten, die keine Wirkung zeigten, sodass der Interviewpartner sich nachts mit sich alleine beschäftigen musste. Die Selbstbestimmung war sehr bedeutsam und wurde durch Vorspielung des verbesserten Wohlbefindens erhalten, jedoch hatte der Patient letztendlich das Gefühl, der Klinik den Erfolg nicht zu gönnen. In der Kinder- und Jugendpsychiatrie herrschten Lustlosigkeit und weitere Exzesse. Patienten durften den nahe gelegenen Supermarkt besuchen, jedoch nichts kaufen. Mit dem Zweck der Klinik einen 'reinzuwürgen' wurde eine Feier vorbereitet, für die Alkohol gekauft und in die Klinik geschmuggelt wurde. Die Feier wurde dann unter Patienten angekündigt. Als Mitarbeiter den Alkohol fanden, erfolgte die Zwangsentlassung wegen Regelbruchs. Dabei wurde dem Interviewpartner angedroht, dass keine andere Klinik ihn aufnehmen würde. Dennoch konnte ein Aufenthalt in einer anderen Klinik (Erwachsenen-Psychiatrie) stattfinden, der mehr Erfolg hinsichtlich der Symptome zeigte. Der Interviewpartner betonte, dass er sich unterordnen und an Regeln halten kann, sofern der Sinn dahinter verständlich ist. In darauf folgenden Kliniken gab es keinen Ärger.

(Interview 1-10, -13, -30, -31, -38, -47, -69, -71, -78, -81, -87, -88, -110, -111, -114,-143, -191)

Interview 2:

Zu Beginn des Aufenthalts war die Einstellung des Patienten relativ neutral (Schauen wir mal was ich habe und wie man mir helfen kann). Positiv erlebt wurden von ihm die räumliche Trennung von zu Hause und die als neu erlebten Strukturen. Die Therapeutin fand heraus, dass kein psychisches Problem vorlag, sondern ein Problem mit der Situation im Elternhaus. Der Interviewte gab an, dass die eigene Offenheit wichtig für das Verstehen ist, da ohne Offenheit keine Therapie richtig greift und es für die zuständigen Experten schwierig wird Entscheidungen für die Behandlung zu treffen. Er vermutet, dass er aufgrund seiner offenen Art ernst genommen und in Gespräche mit einbezogen wurde.

Nach zwei Wochen hat der Interviewpartner während des Aufenthalts gemerkt, dass niemand ihn verändern wollte.

(Interview 2-14, -25, -26, -48, -57, -76, -78, -118).

2.2 Die Psychiatrie aus Sicht der Psychiatrie-Erfahrenen Interview 3:

Das dritte Interview zeigt, dass ein anfänglicher Fehltritt beim Aufnahmegespräch Auswirkungen auf den gesamten Aufenthalt haben kann. Der Interviewte vertraute seinem Gesprächspartner Dinge an, die im Anschluss direkt an die Eltern preisgegeben wurden. Die darauf folgende Therapie wird bis heute als nicht gut empfunden, da der Sinn des Vorgehens dem Interviewpartner verborgen blieb. Er konnte darin keine Hilfe erkennen und die entgegengebrachten Argumente für die Durchführung dieser Therapie waren für ihn nicht nachvollziehbar. Das Programm wurde ohne Wirkung durchgezogen.

Er hatte das Gefühl, dass Ergebnisse bewusst von ihm in der Therapie gesteuert wurden.

Trotz allem und obwohl es psychisch keine Wirkung – dafür aber Streit mit einer Mitpatientin – gab, beschreibt der Interviewte den Aufenthalt wegen der vielen Freizeitbeschäftigung als eine gute Zeit. Unter vielen Leuten zu sein und verschiedene Dinge ausprobieren zu können, waren positive Aspekte des Aufenthaltes. Allerdings kam schnell Langeweile auf. Als Abwechslung wurde das Sitzen im Schwesternzimmer genannt. Nach dem Aufenthalt verschlechterte sich Zustand des Interviewpartners, was durch körperliche Anzeichen bemerkt wurde.

(Interview 3-8, -20, -25, -30, -41, -46, -63, -78, -100, -108, -154) Interview 4 (Tagesklinik):

Zu Beginn des Behandlungsprogramms musste der Interviewpartner täglich von einer Aufsichtsperson gebracht werden und durfte erst im Verlauf alleine zur Tagesklinik fahren. Der zentral geäußerte Wunsch des Interviews ist der nach mehr Informationen.

Der Interviewpartner beschreibt, dass er gerne mehr über die Hintergründe des Aufenthaltes erfahren hätte, so z. B. eine Erklärung über weitere Unterstützungsangebote und Ziele wünschte. Er konnte zwar an einigen Gesprächen von Klinikmitarbeitern mit den Eltern teilnehmen, jedoch gab es viele Gespräche bei denen er nicht anwesend war und sich an keine richtige Rückmeldung durch die Mitarbeiter erinnern kann. Er erzählt von einer paradoxen Informationsweitergabe. Einerseits wurden in Einzelgesprächen zu wenige Informationen mitgeteilt, andererseits bei der abendlichen Abholungen vor anderen Personen Dinge wie Geschehnisse des Tages offen ausgesprochen. Ein unklarer Hintergrund und eine nicht ersichtliche Zielsetzung führten dazu, dass er die Therapie nicht als solche annehmen konnte. Die mangelnde Transparenz wirkte sich auf die Mitarbeit aus. Insgesamt hatte er das Gefühl, seine Zeit in der Tagesklinik abzusitzen.

Zuhause hätte er sich nach eigenen Aussagen besser beschäftigen können. So war und ist

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der nachträgliche Wunsch gegeben, weniger Zeiten zu haben, in denen man sich selber beschäftigen muss oder sich selbst überlassen ist. Der Gesundheitszustand veränderte sich nach eigenen Aussagen des Interviewten während des Aufenthalts nicht. Gut getan haben aber die seltenen Gespräche mit der Ärztin und die Freizeitangebote, in denen man die Klinik verließ und entdecken konnte, welche Möglichkeiten es gibt.

Während des Aufenthalts sprach der Interviewpartner häufiger die Bitte aus, in den Erwachsenenbereich wechseln zu dürfen. Ob es sein eigenes Bitten oder eines der Elterngespräche war, das den Ausschlag für den tatsächlichen Wechsel gab, ist ungewiss.

In der Tagesklinik für Erwachsene hat der Interviewpartner sich unter anderem wegen des kürzeren Zeitgefühls besser aufgehoben gefühlt.

(Interview 4-3, -14, -16, -18, -19, -22, -25, -26, -29, -43, -46, -55, -79, -89, -90, -91, -99) Interview 5:

Lange Zeit gab es bei diesem Interviewpartner keine Fortschritte im Verlauf des Aufenthalts. Er bemängelt, keine Informationen über den Stand des Aufenthalts erhalten zu haben. Seinen Berichten nach beruhte der Aufbau der Therapie auf aktuellen Empfindungen, jedoch wusste er nicht, worauf diese abzielte. Ihm fehlte von Beginn an die Transparenz und damit eine frühzeitige Informationsgabe, was geschieht und vermutet wird. Zwischenzeitlich befürchtete er, wirklich verrückt zu sein, wodurch eine Unsicherheit über den Aufenthalt in der Kinder- und Jugendpsychiatrie entstand. Es wurde um eine Diagnose 'gebettelt'. Wenn er die aktuelle Situation beim Klinikpersonal hinterfragte, wurde um den 'heißen Brei' geredet, aber nichts direkt angesprochen. Die Mitarbeiter führten nur untereinander Gespräche. Ohne Einbeziehung des Interviewpartners war eine Verlegung angedacht worden. Seine Mutter wurde abgewimmelt, da nicht zu bestätigende Vermutungen im Raum lagen. Die Klinik führte ohne die Nennung eines Grundes den Abbruch des Elternkontaktes herbei. Sowohl aufseiten des Patienten als auch der Eltern brach Angst aus. Der Interviewpartner wurde von mir gebeten, die Kontrolle der eigenen Situation in diesem Moment auf einer Skala von eins (geringste) und zehn (höchste) zu bewerten. Seine Antwort: Zwei!

Die Behandlung durch die Mitarbeiter beruhte häufig auf einem schlechten Ergebnis im IQ-Test. Man versuchte, ihm das Abitur auszureden. Die Zuschreibungen der Mitarbeiter, die auf seine Äußerungen der eigenen Wahrnehmung nicht eingegangen sind, lösten verstärkte Selbstzweifel aus. Erst im letzten Monat vor der Entlassung erfolgte eine Diagnose. Der Patient konnte erst dann 'therapiert' werden. Nur der letzte Monat hat aus

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Sicht des Interviewpartners etwas bewirken können, vorher wurde der Aufenthalt nur als Abwarten, als Verschwendung von Zeit und Bemühungen empfunden.

Der Kontakt zu Freunden hat während dieser Zeit gutgetan, mehr Rückzugsmöglichkeiten in der Klinik wären wünschenswert gewesen. Nach dem langen Aufenthalt (ohne Fortschritte) war der Wunsch nach Entlassung groß. Bei der Reflexion des Aufenthaltes resümiert der Interviewpartner: besser Kinder- und Jugendpsychiatrie als keine Behandlung. Jedoch hat der Interviewpartner durch die auf den schlechten Testergebnissen beruhenden Behandlung der Mitarbeiter eine Selbststigmatisierung (bis hierhin hast Du es schon geschafft) vorgenommen. Er schätzt sich selbst bis heute nicht als einen aufmüpfigen Typen von Mensch ein, lässt sich aber auch nicht alles gefallen.

Ein Verhalten, das sanktioniert wurde.

(Interview 5-8, -12, -13, - 16, -17, -19, -21, -27, -28, -30, -32, -48, -55, -70, -76, -84, -85, -88)

Interview 6 (stationäre Jugendhilfe):

Durch die in der Kinder- und Jugendpsychiatrie gestellte Diagnose und die vorliegende Krankheit war das Verständnis des Interviewpartners eingeschränkt und Behandlung gefühlt zu sehr auf die Krankheit bezogen. Man traute ihm und seinen Fähigkeiten gefühlt zu wenig zu, sodass selber gesehene Fortschritte von Mitarbeitern nicht als solche anerkannt wurden. Man berief sich weiter auf §35a (SGV VIII), um ihn in der Einrichtung zu behalten. Er hatte das Gefühl, dass seiner möglichen Entwicklung hinterher zu hinken, da vorhandene Ressourcen nicht genutzt wurden. Häufig wurden Diskussionen um die realistische Einschätzung von Wünschen geführt. So wurde z. B. der Führerschein als unrealistisch eingeschätzt, der mit Unterstützung eines Elternteils und mit mehreren Anläufen jedoch geschafft wurde. Seine Leistungen wurden durch die Mitarbeiter nicht gewürdigt. Er beruft sich darauf, seine eigenen Stärken und Schwächen zu kennen, doch letztendlich öffnet oder verschließt nur die Einschätzung der Einrichtung Möglichkeiten.

Besonders negativ fiel die mangelnde Transparenz („hinter dem Rücken alles gemacht“) und das Gefühl nicht gefördert worden zu sein auf. So wurde nicht über Entwicklungsförderungen gesprochen, sondern über vorhandene Defizite. Er selber wurde dabei nicht als Ansprechperson akzeptiert. Die Behandlung führte zu Wut und Enttäuschung. Der Wunsch nach mehr Unterstützung zur Selbstständigkeit und weniger aufgezwängter Verhaltensweisen wird geäußert.

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Er sieht „jeder Mensch hat Probleme und seine Schwächen, mit denen er konfrontiert ist.

Auch wenn Menschen in jungen Jahren eine Entwicklungsverzögerung haben, dann heißt das noch lange nicht, dass man wirklich lebenslang sich so auswirkt wie eine geistige Behinderung oder so was nicht vorliegt, ich sag mal, die Menschen können sich dann immer noch entwickeln“.

Er hat sich die Selbstständigkeit selbst angeeignet. Um aus der Einrichtung zu kommen, hat er immer wieder neuen Ehrgeiz entwickelt und letztendlich Unterstützung durch Mitarbeiter der Jugendhilfe und im weiteren Verlauf seine Eltern erhalten.

(Interview: 6-5, -6, -12, -13, -20, -21, -26, -29, -33, -34, -37, -40, -44, -51, -61, -63, -71, -93, -94, -96, -101)

Interview 7:

Der Interviewpartner hatte drei Aufenthalte. Bei dem ersten Aufenthalt wurde eine Intervall-Therapie abgelehnt, da der Klinikbesuch zu lang gewesen wäre und der Wunsch nach Hause zu kommen vorhanden war. Negativ empfand er die nächtlichen Stationsgeräusche, wie die Lautstärke von den Piepern der Bettnässer. Insgesamt bewertet er den Aufenthalt und das Ergebnis eher positiv („hat schon etwas gebracht“).

Der zweite Aufenthalt wird als 'freiwilliger Zwang' bezeichnet, da der Aufenthalt in einer Kinder- und Jugendpsychiatrie Voraussetzung für die erneute Aufnahme in die Jugendhilfe war. In der Kinder- und Jugendpsychiatrie verweigerte er sich komplett und verließ das Zimmer nur für das Essen und die Einzelgespräche, da man ihn sonst aus dem Zimmer geholt hätte. Hierauf folgte die Entlassung aus Sinnlosigkeit, aber das Ziel Jugendhilfe wurde erreicht.

Der dritte Aufenthalt erfolgte in Absprache und auf Empfehlung des kinder- und jugendpsychiatrischen Dienstes.

In diesem Interview wurde betont, dass die als freiwillig bezeichnete Zusage für die Aufnahme unter einem Situationszwang erfolgte, der wiederum doch als Druck und Zwang wahrgenommen wird. Das Gefühl von Druck und Zwang löste beim Interviewpartner Widerstand (Verweigerung) aus. Obwohl die Aufenthalte insgesamt als positiv empfunden wurden, ist der größte negative Punkt die mangelnde Transparenz.

Probleme, die zur Aufnahme führten, wurden zwar angesprochen, aber die ermittelte Diagnose wurde nicht benannt. Im Nachhinein löste dies ein Zweifeln am Vertrauen in die Mitarbeiter aus. Ansonsten hatte er das Gefühl, dass alles hinter verschlossenen Türen besprochen wurde, aber nicht richtig mit den Patienten. „Alle wussten Bescheid über

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mich, nur ich nicht“, beschreibt er die Situation, die er als 'zum Kotzen' empfand. Die Therapien wurden durchgezogen ohne über Diagnosen zu sprechen. Wenn ihm etwas nicht passte, lehnte er sich auf. Allgemein fühlte er sich jedoch bei den Aufenthalten in den Kinder- und Jugendpsychiatrien ernst genommen und (abgesehen von der Diagnose) miteinbezogen in Gesprächen. Gutgetan haben ihm Leute, die ihn verstanden haben (Verständnis für Probleme und nicht relativierende Aussagen) und die Abnahme von alltäglichen Aufgaben wie dem Kochen. Gewünscht wurde lediglich Stadtnähe, obwohl auf der anderen Seite eine schöne Landschaft positiv erwähnt wurde. Die Entlassung erfolgte, wenn Mitarbeiter in dem Aufenthalt keinen Sinn mehr sahen. Der Unterschied zur Erwachsenenpsychiatrie wurde in der fehlenden Selbstständigkeit wahrgenommen, da er bei Ausgang um Erlaubnis fragen musste (Unterschied zu Erwachsenen).

(Interview: 7-2, -39, -50, -51, -71, -73, -75, -78, -91, -92, -93, -97, -101, -104, -105).

Interview 8 (Akuteinweisung):

Anfänglich fühlte sich der Interview-Partner wie ein „Häftling“. Die Sprache wurde wie im Gefängnis wahrgenommen. Er war anfangs eher passiv. Seine eigenen Bedürfnisse blieben unberücksichtigt und es wurde irgendetwas mit ihm gemacht, das ihm nicht bewusst ist. Der Gesprächspartner hatte das Gefühl, sofort rauskommen zu wollen und dass er nicht dort hingehört – dies war nicht der Ort für seinen schlechten Zustand („es geht einem schlecht und du kennst keinem und bist eingesperrt und alle anderen sind auch krank“). So hat er alles daran gesetzt, so schnell wie möglich aus der Kinder- und Jugendpsychiatrie zu kommen. Die Bedürfniswahrnehmung wurde im Gespräch wichtiger als das Behandlungsprogramm eingestuft. Über die Institution sagte er, dass diese Macht hat – es ist egal, ob das Vorgehen erklärt wird oder nicht, es wird so oder so mit einem gemacht – dies verstärkt das Gefühl des Ausgeliefertseins, das die Situation deutlich verschlechtert. Die Wahrnehmung des Aufenthalts wurde als altersabhängig bezeichnet. Viele Patienten sind, so vermutete er, froh über die zuteil gewordene Aufmerksamkeit, viele haben sich auch einfach dem Schicksal ergeben.

Als positiv beschreibt er, dass er Zeit zum Runterkommen hatte. U. a. taten ihm der Drogenentzug, die Rückzugsmöglichkeit auf dem Zimmer, der ermöglichte Besuch von Freunden und die festen Strukturen gut. Dinge und Umstände, die er zu Hause nicht hatte.

Die Umsetzung und die Art und Weise wurden von ihm als heftig erlebt. Die mangelnde situative Beachtung der Intimsphäre und das fehlende Gefühl, in Gespräche einbezogen zu werden stellten negative Punkte des Aufenthaltes dar.

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Die eigenen geäußerten Pläne des Patienten für eine Therapie nach dem Aufenthalt und für die Schule wurden von den Mitarbeitern positiv bewertet. Er vermutet, dass der Grund für die schnelle Entlassung die fortgeschrittenen Zukunftspläne waren, aber ebenfalls auch im negativen Sinne für eine von ihm wahrgenommene mangelnde therapeutische Beschäftigung.

Insgesamt beschrieb er den Aufenthalt als abschreckend. Bis heute wird bei ihm ein schlechtes Gefühl ausgelöst, wenn der Name des Ortes erwähnt wird. Die Auszeit tat gut, besser wäre jedoch eine Zeit mit einer persönlichen Beziehung gewesen, bei der er sich aufgefangen gefühlt hätte und nicht nur ein routinemäßig abgespieltes Pflichtprogramm erhalten hätte. Bei einem späteren Aufenthalt im Erwachsenenbereich fühlte sich der Interviewpartner ebenfalls stark reglementiert, dennoch wurde ein höherer Freiwilligkeitsanteil gespürt als im Bereich der Kinder und Jugendlichen.

(Interview 8-3, -6, -30, -31, -34, -35, -42, -43, -53, -58, -64, 71, -72, -76, -77) Interview 9:

Der Interviewpartner berichtete von zwei Aufenthalten.

Während des ersten Aufenthalts wurde nicht an seinem eigenen Problem gearbeitet (z. B.

Familienkonstellation), sondern an der Diagnose. Für die Therapie wurden viele Fragebögen ausgefüllt und vieles durchgesprochen, aber nicht danach gefragt, was in seinem Leben geschieht und was ihn beschäftigt. Der Interviewpartner verstand deshalb nicht den Sinn und Zweck des Aufenthalts. Das Gefühl war, nichts für sich oder allgemein für das Leben gelernt zu haben. Er fühlte sich gefangen in der psychischen Geschichte, die den Tag strukturiert und das Leben bestimmt. In der Klinik konnte er nicht mehr dieser psychischen Störung nachgehen. Dort ging es eher um ein angepasstes Verhalten. Sein Ziel war eine schnelle Entlassung, um die Kontrolle über die Krankheit zurückzugewinnen bzw. die Störung wieder ausleben zu können. So wurde in der Klinik vorgespielt, dass es besser wird mit der Störung, im Endeffekt blieb jedoch alles, wie es war. Die Mitarbeiter hatten laut dem Interviewpartner ein gutes Gefühl, dass die Störungssymptomatiken besser werden. Er beschrieb die Transparenz als mäßig. Seine Bereitschaft, an sich selber zu arbeiten, war dadurch eher gering. Am Anfang hatte er noch viel Hoffnung auf eine positive Veränderung, die jedoch nicht erfüllt wurde. Den Mitarbeitern eine verbesserte Symptomatik vorzutäuschen empfand er als Zeit absitzen.

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Der zweite Aufenthalt wurde von der Behandlung her schlechter erlebt. Ein am Anfang zugesagter Wechsel des Therapeuten erwies sich als nicht möglich. Es wurden Zwangsmaßnahmen an Mitpatienten wahrgenommen. Die Maßnahmen fanden hinter verschlossener Tür statt, aber die Mitpatienten sollen danach schrecklich ausgesehen haben. Er beschrieb dies mit den Worten:“ „Der Wille wurde gebrochen.“ Die näher erläutert wurden: Eine Essstörung ist mächtig, für die wird ein starker Wille benötigt. Bei der Einlieferung waren alles starke Persönlichkeiten, bei der Entlassung war nichts mehr davon übrig.

Beim zweiten Aufenthalt wurden mehr Tricks für die eigene Essstörung gelernt. Dies führte bei dem Interviewpartner zu dem Eindruck, was die Essstörung angeht gestörter aus der Psychiatrie herausgegangen als hereingekommen zu sein. Über die Situation in der Kinder- und Jugendpsychiatrie erfolgte keine Information, nur, dass zu dem Therapeuten kein Vertrauen aufgebaut werden konnte und so wieder das 'Aufenthaltsspiel Anpassung in der Rolle ich passe mich hier an', so wie es der Interviewte nannte, erfolgte.

In der Therapie wurde Stille sowie Fragen mit Ja oder Nein zu beantworten nicht als negativ angesehen. Die Sitzungen wurden von ihm als ein Aushalten wahrgenommen.

Der Interviewpartner fühlte sich hier wie ein Insasse, da er aufgrund der Regeln die Einrichtung nicht verlassen durfte. Daher versuchte er, Freiheiten mit Tricks im Sinne von Täuschungen über das eigene Befinden zu erlangen. Die Geburtstagsfeier zu Hause, anstatt direkt in einer Wohngruppe, war das einzige Mal, dass der Interviewpartner seinen Willen durchsetzte und Mitarbeitern widersprach, da ihm das sehr wichtig war. Bei dem zweiten Aufenthalt fühlte er sich nicht mehr als Person und glaubte auf dem Wege zu sein sich selber zu verlieren.

Insgesamt entstand bei ihm das Gefühl, dass eigene Wünsche nicht einbezogen wurden.

Der Interviewpartner wurde an Gesprächen beteiligt, aber es gab kaum angebotene Alternativen. Bei den Klinikaufenthalten standen Anpassung und Rollenspiel im Vordergrund, um schnell entlassen zu werden. Laut Interviewpartner überlegte niemand, ob sich Patienten schlecht fühlen, da sie schlecht in der Klinik behandelt würden und niemand dachte darüber nach, was der eigentliche Grund für das schlechte Wohlbefinden sein könnte. Für den Interviewpartner fehlte eine Art Anwalt, der für die Patienten eintritt – es war das Gefühl einer Machtlosigkeit vorhanden. Anpassung wurde in der Familie bereits vor dem Aufenthalt gelernt und passte gut in die Klinik, das Verhalten konnte leicht übernommen werden. Der Interviewte merkte an, dass Anpassung nach außen keinen größeren Schaden verursacht, aber nach innen.

2.2 Die Psychiatrie aus Sicht der Psychiatrie-Erfahrenen

Als Entlastung wurden die Aussagen des Hausarztes wahrgenommen. Der Interviewpartner hatte Probleme in der Familie gesehen, wollte damit jedoch niemandem zur Last fallen. Sein Hausarzt wurde von ihm als ein zugänglicher Mensch beschrieben, der die Schuldfrage von ihm nahm und ihm darstellte, dass nicht er alleine an allem die Schuld trug. Dies war ihm während des Aufenthalts in der Psychiatrie eine große Hilfe.

Während des Aufenthalts hat ihm die kreative Betätigung (Einzelbetreuung), die wohnliche Atmosphäre sowie das Interesse zeigen der eigenen Familie und der Kontakt zu dieser (auch wenn es nicht immer gut für einen ist) gutgetan.

Sein Wunsch für den Aufenthalt war es, dass jemand da ist, der versucht den Patienten zu verstehen, wirkliches Interesse zeigt und nicht versucht, den Patienten in eine Rolle zu drücken oder die Behandlung letztendlich wie bei tausend anderen verläuft.

(Interview 96, 9, 20, 21, 25, 30, 31, 35, 37, 38, 39, 40, 41, 59, 70, 80, 81, -83, -84, -86, -93, -94, -100, -101, 123, -140, -142, -143, -144, -146, -148)

Interview 10:

An die Aufnahme in der Psychiatrie ist bei dem Interviewpartner keine wirkliche Erinnerung vorhanden, die Stabilisierung war damals vorrangig. In der ersten Zeit wurden ausschließlich Tests vorgenommen, ansonsten war viel Zeit zur Stabilisierung vorhanden.

Der schnelle Wechsel von der geschlossenen auf die offene Station erfolgte nach Ansicht des Interviewpartners aufgrund der guten Stabilisierung und dem Kontaktaufbau. Dort hat er aktiv an den Angeboten teilgenommen und andere Patienten motiviert. Er beschreibt, dass eigene Themen verarbeitet werden konnten und Lebensfreude zurückgewonnen wurde. In der Psychiatrie selber hätte es ohne den neuen Freund, die während des Aufenthalts gewonnen wurde, nur minimale Änderungen im Verlauf gegeben – sonst hätte der Interviewpartner sich mehr an die Betreuer gewendet. Negativ wurde jedoch empfunden, dass ein Freund (außerhalb der Klinik) Details über den Interviewten erzählte und die bisher als gut empfundene Freundschaft sich als Fehlentscheidung herausstellte. Positive Aspekte stellten die Einzelgespräche mit der Psychologin und das Empfinden der Natur (Frühling) dar. Die Natur steht hier symbolisch für das eigene Erleben – der Interviewpartner nahm wieder alles um sich herum wahr und konnte dieses mehr wertschätzen. Gutgetan hat damals die Therapie, die viel bewegte, die Auszeit, der Abschluss einer Lebensphase und die neu gewonnenen Perspektiven.

(Interview 10-3, -5, -23, -24, -38, -53, -55, -92, -117, -145, -147, -159)