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Psychiatrie Störung

2.3 Experteninterviews

2.3.1 Interviewerhebung und Auswertung

2.3 Experteninterviews

nur schwer zugänglich sind. Hierüber werden Abläufe und soziale Situationen rekonstruiert (vgl. a.a.O., S. 65).

Der Status des Experten wird ausgehend vom Forschungsinteresse bestimmt. Experten haben eine besondere Stellung im zu untersuchenden sozialen Zusammenhang und besitzen dadurch für das Forschungsinteresse relevantes spezifisches Wissen (vgl. Gläsel und Laudel 2010, S12f.). Kinder und Jugendliche kommen in der Psychiatrie mit unterschiedlichen Mitarbeitern aus unterschiedlichen Berufen in Kontakt. Das Wissen über eine Kinder- und Jugendpsychiatrie und deren Abläufe von Seiten der Mitarbeiter ist deswegen höchst bedeutsam. Unter Experten werden für diese Arbeit demnach Mitarbeiter von Kinder- und Jugendpsychiatrien bzw. Mitarbeiter aus feldnahen Einrichtungen verschiedener Professionen gefasst, die Erfahrungen und Wissen über Rahmenbedingungen eines Aufenthaltes in einer Kinder- und Jugendpsychiatrie und dem Stationsalltag verfügen. Die Befragung mehrerer Akteure aus verschiedenen Bereichen dient einer möglichst weit umfassenden Generierung von Wissen, da kein Mitarbeiter in allen Bereichen Kenntnis haben kann oder Erfahrungen sammeln konnte.

2.3.1.2 Interviewpartner

Insgesamt wurden elf Experten aus verschiedenen Berufen interviewt. Der Kontakt wurde überwiegend durch die Arbeiten meiner Promotion, über mein Beschäftigungsverhältnis oder über besuchte Kongresse und, als eine Ausnahme, über einen persönlichen Kontakt hergestellt. Formale Anfragen an eine Kinder- und Jugendpsychiatrie erfolgten nicht.

Tabelle 4: Übersicht der interviewten Experten

Nr. Berufsgruppe Einsatzort/Bereich:

Berufs-erfahrung in Jahren

Anzahl der KJPen

Geschlecht

1 Erzieher Jugendpsychiatrische

Intensiveinrichtung

2 0 M

2 Sonderschullehrer Dezentrale Schule mit

Förderschwerpunkten

emotionale und soziale Entwicklung, Klinikschule

8 0 W

3 Heilerziehungspfleger Verschiedene Stationen [Kinder, Jugendliche, Sucht]

und Stationsleitung

10 1 W

4 Psychologe Ambulante Einrichtung 0,4 0 W

5 Erzieher Stationsleitung 23 1 M

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6 Erzieher Stationsleitung 30 1 M

7 Pflegekraft Stationsleitung 21 1 W

8 Vorsitzender der

Bundesarbeitsgemeinschaft für leitende Mitarbeiter/-innen im Pflege/Erziehungsdienst in der KJP (2012)

Vorsitzender der Bundesarbeitsgemeinschaft

k.A. 1 M

9 Pflegekraft Stationsleitung 6 1 W

10 Heilerziehungspfleger Mitarbeiterin Kinderstation 4 1 W

11 Leitung Kinder- und Jugendpsychiatrie

Klinikleitung und Forscher (Medizin)

k.A. k.A. M

Bei der Auswahl der Experten wurde prozessbezogen vorgegangen. So stand von Beginn an keine Auswahl von Berufsgruppen oder ähnlichen Kriterien (Stichprobe) fest. Bei der Entscheidung, Experten für das Promotionsvorhaben zu interviewen, war die Grundidee, den Erfahrungen der ehemaligen Psychiatrie-Nutzer die Erfahrungen von Mitarbeitern entgegenzustellen, um mögliche unterschiedliche Sichtweisen herausarbeiten zu können.

Da die Interviews der Psychiatrie-Erfahrenen sich noch im laufenden Prozess befanden, war noch keine Vorstellung vom spezifischen Fallverstehen gegeben. Aufgrund dessen wurden die Experten nach und nach, beginnend mit einem Experten aus einer Nachsorgeeinrichtung, angelehnt an dem Theoretical Sampling (Merkens 2007, S.

295ff.), akquiriert. In dem ersten Interview wurden Bedürfnisse der Kinder und Jugendlichen und der Außenblick auf Kinder- und Jugendpsychiatrien erfragt. Das zweite Interview führte zu einer Kooperationseinrichtung (Schule) einer Kinder- und Jugendpsychiatrie, in der ein Außenblick auf die Kinder- und Jugendpsychiatrie sowie der Blick auf die Kinder und Jugendlichen und die enge Zusammenarbeit erfragt wurde.

Das dritte Interview wurde mit einer ehemaligen Mitarbeiterin, die in verschiedenen Bereichen der Kinder- und Jugendpsychiatrie gearbeitet hatte, geführt. Alle Experten waren dem pädagogisch-pflegerischen Bereich zuzuordnen, das dritte Interview war der erste Inneneinblick. Zur Kontrastierung wurde ein Interview mit einer Mitarbeiterin aus einer ambulanten Einrichtung, mit der Aufgabe der Diagnostik, geführt. Dieses Interview war sehr interessant, aber führte zu keinem Gewinn für das Verständnis der Kinder- und Jugendpsychiatrie. Deswegen wurde der Inneneinblick weiter in den Vordergrund gestellt. Dank eines zufälligen Kontaktes auf einem Kongress konnte ich den Inneneinblick über drei Interviews mit Stationsleitungen aus verschiedenen Bereichen der Kinder- und Jugendpsychiatrie gewährleisten. Das Interview mit dem Vorsitzenden der

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Bundesarbeitsgemeinschaft war bereits vereinbart. Es stellte sich heraus, dass in den geführten Interviews allgemeine Rahmenbedingungen angesprochen wurden und das Interview mit dem Vorsitzenden ein Gewinn vor allem für das Thema Rahmenbedingungen war. Es folgten durch eine Stationsleitung aus einer weiteren Einrichtung der Blick auf den Stationsalltag der Kinder- und Jugendpsychiatrie aus den neunziger Jahren und die daraus resultierenden Rahmenbedingungen. Dieses Interview spiegelt vor allem die nicht merklichen Unterschiede von Abläufen auf der Station zwischen den Jahrzehnten wider. Um den Blick zu erweitern, wurde ein Klinikleiter mit Forschungsaufgaben interviewt. Von einer theoretischen Sättigung kann nicht gesprochen werden, die Beendigung der Interviewerhebung erfolgte aus pragmatischen Zeitgründen des Promotionsvorhabens. Die Erhebung und Auswertung ist explorativ und filtert dennoch wichtige Themen und Aussagen aus der Praxis. Ausgehend von der Grundidee entwickelten sich die Experteninterviews an der Theorie orientiert und führten zusehends zu einer Bereicherung der theoretischen Ansätze.

2.3.1.3 Leitfaden und Interviews

Für die Interviews wurde sich für die Erstellung von Leitfäden entschieden. Leitfaden steht hier im Plural, da für die verschiedenen Berufsfunktionen der Leitfadenfragebogen angepasst wurde. Der Leitfaden diente als Steuerungshilfe für die Interviews. Dabei wurde der Leitfaden systematisch aufgebaut, die Fragen bewegten sich vom Allgemeinen zum Spezifischen (vgl. Przyborski und Wohlrab-Sahr 2014, S. 127 und 129). Ausgehend vom Erkenntnisinteresse und der Grundidee wurde ein Leitfaden mit zehn Fragen innerhalb dreier Themenbereiche entwickelt (vgl. a.a.O., S. 130); allgemeiner Aufenthaltsverlauf, Ausgestaltung des Aufenthalts für Kinder und Jugendliche sowie Aussagen über Sichtweisen von Patienten. Die Einstiegsfrage wurde zum generellen Ablauf gestellt, sodass die Frage den Interviewpartner allgemein aus seiner Sicht erzählen lässt und somit ebenfalls eine situative Einbettung der Erzählung nachvollziehbar wurde (vgl. a.a.O., S. 128f.). Darüber hinaus sollte der Interviewpartner ins Erzählen kommen, was durch offenes Nachfragen stimuliert wurde. Die Fragen innerhalb der Themenbereiche führten wiederum vom Allgemeinen zum Spezifischen (vgl. a.a.O., S.

130). Den Abschluss des Leitfadens bildete eine unspezifische Frage zu Verbesserungsmöglichkeiten. Die Abwandlung der Fragen erfolgte z. B. für das zweite Interview in der Form, dass die Kooperation in den Vordergrund rückte und somit der Blick auf die Kinder- und Jugendpsychiatrie erfragt wurde. Bei Interview 8 und 10 wurde

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der Leitfaden komplett verändert Hier rückten Leitungsfunktionen, Rahmenbedingungen und berufspolitische Aspekte in den Vordergrund. Die Fragen wurden offen formuliert und unter jedem Fragepunkt wurden mehrere Anknüpfungsfragen hinsichtlich des Interesses formuliert. Dabei war auf eine mögliche Durchführung mit einer angemessenen Zeit zu achten. Vor den Interviews wurden Dritte wie z. B. einer mir bekannten Soziologin der Leitfaden vorgelegt, um diesen auf Verständlichkeit der Fragen und die Themenauswahl zu überprüfen. Der Leitfaden diente während den Interviews als Orientierung, eine starre Reihenfolge der Fragen wurde nicht verfolgt. Der Darstellungslogik der Interviewpartner wurde somit in den Interviews Rechenschaft getragen und war bedeutsamer als die sachliche Ordnung des Leitfadens (vgl. ebd.). Den Interviewpartnern sollte so möglichst viel Raum zur Selbststrukturierung des Interviews gegeben werden. Eine Distanz zu den eigenen erarbeiteten Theorien und Vermutungen wurde in den Interviews zurückgestellt, um eine Beeinflussung des Gespräches zu vermeiden.

Vor dem eigentlichen Interview (meist bereits bei Erstkontakt) wurde den Interviewpartnern das Verfahren und das Ziel des Interviews erläutert, eine Erlaubnis für die Tonbandaufnahme eingeholt, die Anonymisierung zugesichert und die Zusendung der Transkription vorgeschlagen, damit die Experten bis zur Freigabe die Kontrolle über das gesprochene Wort behielten. Auf das Schreiben von Notizen während des Interviews, um angesprochene Themen zu notieren und eventuelle Nachfragen stellen zu können, wurde ebenfalls der Transparenz halber im Vorfeld verwiesen (vgl. Mayer 2008, S. 36ff.). Nach Beendigung des eigentlichen Interviews wurden Sozialdaten, siehe obige Tabelle, abgefragt, um das Expertenwissen einordnen zu können. Nach der Verabschiedung vom Interviewpartner wurde ein Gesprächsprotokoll angefertigt, das die Situation des Interviews reflektiert, eigene Gefühle und wahrgenommene Reaktionen beschreibt sowie Irritationen und offene Fragen beinhaltet.

2.3.1.4 Auswertungsverfahren

Bei der Auswertung der Experteninterviews stand das geteilte Wissen und somit die Ordnung bzw. Sortierung des Wissens im Vordergrund, daher wurde sich für eine inhaltsanalytische Auswertungsmethode entschieden. Das Auswertungsverfahren sollte weiterhin dem entsprechenden explorativen Charakter des Datenmaterials genau so wie einer größtmöglichen Offenheit der Auswertung Rechenschaft tragen. Diesbezüglich wurde sich für eine Vorgehensweise entschieden, zwei Verfahren miteinander zu

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kombinieren. Die ersten Auswertungsschritte orientieren sich an dem Auswertungsverfahren nach Meuser und Nagel, die abschließenden Schritte an dem von Mühlfeld et al. (1981) entwickelten Verfahren. Diese Vorgehensweise wurde favorisiert, da nach Mühlfeld et al. eine vorbestimmte Kategorisierung als zu einschränkend und nicht offen genug für die Themenermittlung empfunden wurde. Auf der anderen Seite sollte das Material nicht so stark verdichtet werden wie bei dem Verfahren von Meuser und Nagel. Eine Einordnung in (soziologische) Theorien erschien aufgrund des explorativen Charakters des Datenmaterials nicht sinnvoll. Andere Methoden, wie qualitative Inhaltsanalysen wurden prinzipiell nicht in Betracht bezogen, da vorrangig das geteilte Expertenwissen und das Ermitteln von relevanten Themen im Blickpunkt stand. Für die Auswertung der Interviews reichte eine Transkription der gesprochenen Inhalte, nicht notiert wurden zur Sprache gehörende Elemente wie z. B. Pausen.

Die von dem Auswertungsverfahren von Meuser und Nagel übernommenen Schritte sind die Paraphrasierung, das thematische Ordnen und der thematische Vergleich.

Beim Paraphrasieren wurden die Gesprächsinhalte textgetreu in eigenen Worten wiedergegeben. Hierdurch wurde das Datenmaterial ohne Reduktionen und Klassifizierungen verdichtet. Ein weiterer Vorteil war das eigene erneute Bewusstmachen der Inhalte. Das thematische Ordnen erfolgte anhand von Überschriften. Überschriften wurden innerhalb der Interviews gebildet und thematisch sortiert. Obwohl der Leitfaden eine Strukturierung vorgab, wurden gleiche oder ähnliche Themen an unterschiedlichen Stellen angesprochen oder wieder aufgegriffen. Beim thematischen Vergleich wurden die Grenzen der Interviews aufgehoben und die Interviews übergreifend betrachtet. Gleiche und ähnliche Themen aus allen Interviews wurden unter formulierten Überschriften zusammengefasst, die Überschriften wurden bei Bedarf angepasst. Das Augenmerk lag stets auf der Vermeidung von zu starken Reduktionen, damit keine wichtigen Informationen verloren gingen. An dieser Stelle sollte erwähnt werden, dass Interview 4 nach diesem Schritt weitgehend unberücksichtigt blieb, die Überschriften deckten sich nicht mit denen der anderen Interviews und brachten keine nennenswerten Informationen über die Kinder- und Jugendpsychiatrie. Der nächste Auswertungsschritt bei Meuser und Nagel wäre die Konzeptualisierung, d. h. die Loslösung von den Interviews und eine Hinführung zu einem theoretischen Wissensbestand. Da die Interviews als explorativ anzusehen sind, wurde das Auswertungsverfahren nach Mühlfeld et al. weiter angewendet. Bei Mühlfeld et al. wären die ersten Schritte die Zuordnung in ein anhand der Leitfragen erstelltes Kategorienschema gewesen, was als nicht offen genug erachtet

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wurde. Die innere Logik der Abschnitte (3. Stufe nach Mühlfeld et al.) wurde an dieser Stelle vorausgesetzt, aufgrund der bereits vorgenommene Zuordnung von Überschriften aus den verschiedenen Interviews. Die innere Logik der Überschriften wurde im nachfolgenden Schritt verschriftlicht, wobei unterschiedliche Aussagen der Experten berücksichtigt blieben. Die Zuordnung zu den Überschriften wurde durch diesen Schritt begründet und nachvollziehbar gemacht. In einem weiteren Schritt erfolgt die Erstellung des Auswertungstextes mit den Interviewausschnitten als Beleg und die Überprüfung anhand des Originaltextes (also der Transkription vom Interview).33 Die letzte Stufe des Auswertungsverfahrens ist der Bericht, der nachfolgend dargestellt wird.