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2 Die Kinder- und Jugendpsychiatrie aus Sicht der Psychiatrie-Erfahrenen und Mitarbeiter

2.2 Die Psychiatrie aus Sicht der Psychiatrie-Erfahrenen

2.2.1 Interviewerhebung

2.1.1.3 Durchführung der Interviews

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strukturierte Selbstbilder und einige Situationen waren nicht mehr in so guter Erinnerung.

Im Laufe der Untersuchung wurde der Vorteil entdeckt, dass über Situationen reflektiert werden konnte und so unterschiedliche Perspektiven der Untersuchten eingenommen werden konnten. So z. B. damals habe ich so gedacht, heute denke ich da aber so drüber.

Das heißt, dass für Wirkfaktoren und für pädagogische Konzepte eine Langzeitansicht mit berücksichtigt werden kann.

2.2 Die Psychiatrie aus Sicht der Psychiatrie-Erfahrenen Vorgespräch

Das Vorgespräch gehörte zur Erklärungsphase (Phase 1). Es wurde genutzt, um das Themengebiet zu erläutern und nochmals über die Interviews aufzuklären. Zu Beginn des Interviews wurden also nochmals alle Informationen durchgesprochen. Hierzu gehörten die Ziele, der Ablauf und mögliche Belastungen, die Möglichkeit von Unterbrechungen, die Zusicherung der Anonymität, die Verwendung der Daten, die Verweigerungsmöglichkeit von Antworten und die Zurücknahme der Zustimmung zu jeder Zeit und die Zustimmung zur Tonbandaufnahme. Das Vorgespräch sollte die informierte Zustimmung sichern, Wertschätzung für die Bereitschaft ausdrücken, Vertrautheit schaffen und Sicherheit geben sowie eine angenehme Gesprächsatmosphäre aufbauen. Es wurde sehr viel Wert darauf gelegt, dass das Vorgespräch lang genug ist und in lockerer Runde stattfindet. In einigen Fällen wurde z. B. Kuchen mitgebracht um ein Wohlfühlmilieu zu schaffen und sich gegenseitig in Ruhe kennenzulernen. Ebenfalls wurde die Rolle der Interviewten als Experten ihrer Erfahrungen herausgehoben, sodass der Interviewer selber als Lernender verstanden wird.

Verlauf des Interviews

Die Interviews wurden auf Tonband aufgenommen, um das Gesagte detailliert wiedergeben zu können. Das Interview wurde mit einer Einstiegsfrage begonnen. Die Einstiegsfrage gehörte zu Phase 2. Der Interviewte sollte zum Erzählen angeregt werden, was möglichst frei und alltagsnah geschehen sollte. Weiterhin sollte so die Bedeutungsstrukturierung des Gegenstands der Auskunftsperson überlassen werden. Die Einstiegsfrage wurde so offen wie möglich, orientiert an dem Forschungsgegenstand, formuliert. Die allgemeine Grundeinleitungsfrage, die je nach Vorabinformation und Gesprächssituation modifiziert wurde, lautete:

„Bitte erzähle mir alles aus Deiner29 Sicht, wie Du den Aufenthalt in der Kinder- und Jugendpsychiatrie erlebt hast! Am besten beginnst Du mit der Einweisung.“

Nach dieser Einleitung erzählten die Interviewten, strukturierten die Erlebnisse und setzten bereits ihre Schwerpunkte. Der Erzählfluss wurde durch einfaches Nachfragen, Kopfnicken oder leise Äußerungen wie zustimmendes 'mmh' gefördert. Im Laufe des Gesprächs wurden spezifische Sondierungen zur Vertiefung des Verständnisses (Phase

29 In allen Interviews konnte eine Vertrautheit hergestellt werden, dazu gehörte sich zu duzen und nicht

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3) und für den Erzählfluss benutzt. Dies sollte den Zugang zu der Lebenswirklichkeit der Befragten zusichern und die Erschließung der Sichtweise ermöglichen. Im Mittelpunkt stand hier das Erleben von speziellen Situationen aus Sicht der Interviewten. Das Vorgehen führte zu einer Vertiefung der Themenfelder und die Erläuterung von Sichtweisen z. B. mittels Beispielen. Darüber hinaus sollte es den Befragten spiegeln, was der Interviewer verstanden hatte und eine Reflexion des Gesagten zur eigenen Person und der Verhältnisse anspornen. Sofern die Themen zum Erliegen kamen, wurde mittels Leitfragen (Phase 4) weiter gearbeitet. Die Fragen ermöglichten die Generierung von nicht angesprochenen Themen und ermöglichen ebenfalls einen Vergleich von relevanten Themengebieten. Die Fragen dienten als Ansatzpunkte und wurden ebenfalls der Gesprächssituation angepasst. Sie bezogen sich auf spezifische Themen der Kinder- und Jugendpsychiatrie, aber auch Fragen zum sozialen Umfeld. Folgende Grundleitfragen wurden formuliert:

Bist Du freiwillig in die Kinder- und Jugendpsychiatrie gegangen?

Wie hast Du die Aufnahme erlebt?

Zu wem und warum konnte Vertrauen aufgebaut werden?

Wie war der Kontakt zu den anderen Kindern und Jugendlichen?

Wie sah die Beziehung zu Deinen Freunden während und nach der Psychiatrie aus?

Welche Berufsgruppen haben Dich während des Aufenthalts begleitet? Welche Berufsgruppe hältst Du für die entscheidendste Berufsgruppe für den Aufenthalt?

Welches Erziehungsideal hat nach Deiner Ansicht die Kinder- und Jugendpsychiatrie gehabt? (Szene?)

Wie war Dein Umgang mit der Diagnose? Hast Du die Diagnose mal benutzt, um an Dich herangetragene Aufgaben nicht zu machen?

Hattest Du den Eindruck, dass Du ausreichend in Gespräche mit einbezogen worden bist?

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Was hat Dir gut getan?

Was hättest Du Dir für die Zeit gewünscht?

Wie hast Du die Entlassung erlebt?

Was ist Dir noch wichtig, was noch nicht angesprochen worden ist?

Die Interviews und der Verlauf waren sehr unterschiedlich. Dies spiegelt sich in der Dauer der Interviews, die Spanne liegt zwischen 27 und 99 Minuten. Für viele war es das erste Mal, dass sie in dieser umfangreichen Form davon berichteten. Die Befragten hatten Interesse von ihren Erfahrungen zu berichten, jedoch schienen bei einigen Interviews Vorbehalte zu existieren genauer ins Detail zu gehen. Bewertungen der Aussagen wurden während des Interviews vermieden, obwohl situationsabhängig eigene Einschätzungen formuliert wurden, zu denen die Befragten Stellung nahmen. Es wurde sich weiterhin dem Sprachgebrauch der Befragten angepasst. Es entstand der Eindruck, was von zwei Interviewpartnern bestätigt wurde, dass die Interviews eine Strukturierung und neue Einschätzung des Erlebten zur Folge hatten und über viele Situationen, während des Gespräches, neu nachgedacht wurde. Die Sensibilität des Themas war jederzeit während des Interviews präsent. Die Möglichkeiten der offenen Einstiegsfrage und der Leitfragen ermöglichte eine Anpassung auf die Gesprächspartner. Es wurde zu Beginn des Interviews betont, dass Diagnosen und Familiensituationen nicht erfragt werden, doch im Laufe des Gespräches berichteten die Interviewten freiwillig (obwohl einige im Vorgespräch betonten, dass sie das auch nicht wünschten) davon. Das Vorverständnis war unabdingbar, um über Details zu sprechen.

Der Leitfaden, der als weiterer Orientierungsrahmen diente, wurde so formuliert, dass er Fragen zur Einschätzung der erzählten Situationen und Fragen zum Erkenntnisinteresse beinhaltet, resultierend aus dem Vorverständnis. So hat die Frage nach den Berufsgruppen eine vergleichende Funktion zu vorherigen Studien (Rothärmel et al.

2006). Bei der Entwicklung der Fragen wurde darauf geachtet, dass die Fragen nicht zu sehr in die Tiefe gehen (Schutzfunktion – Achtung der sensiblen Lebenslage), dennoch im Laufe des Gesprächs je nach Situation eine weitere Befragung der Themenkomplexe im weiteren Erzählfluss möglich war. Die Eingangsfrage und die Leitfragen wurden mit

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diversen Personen unterschiedlicher Disziplinen und Vorerfahrungen (Soziologie, Erziehungswissenschaft, Psychologie – mit/ohne Erfahrung zum Psychiatriethema) durchgesprochen und modifiziert. Hierbei erfolgte ebenfalls eine Diskussion um Trigger und dem Umgang mit unsensiblen und zu direkten Fragen. Durch die Besprechung konnten also Probleme entdeckt und unnötige Herausforderungen vermieden werden. Für die Hinweise und Mitarbeit möchte ich mich bei diesen Personen an dieser Stelle bedanken.

Nachbereitung

Nach dem Interview wurden grundlegende Daten (siehe Tabelle 2) erhoben, um einen kurzen Überblick zu erhalten. Im Anschluss wurde die Interviewatmosphäre angesprochen und es folgte meist ein lockeres Gespräch. Ebenso wurde ein Gedächtnisprotokoll über das Interview verfasst, um die Situation, Gesprächsinhalte und besonders die Auffälligkeiten im Interview zu erfassen. Ebenfalls kam die Reflexion der eigenen Rolle als Teil der Erhebung zu tragen z. B. mittels der Beschreibung von Eindrücken. Das Gedächtnisprotokoll soll Beeinflussungen auf die Interviewsituation aufzeigen und zum besseren Verständnis von Interpretationen genutzt werden.

Die Prozessorientierung sieht als methodische Vorangehensweise die Modifizierung durch Empirie vor. Für die schrittweise Datengewinnung und -interpretation wurden deshalb die erhobenen Interviews genutzt, um die Erhebungsmaterialien dem neuen Erkenntnisstand anzupassen.

Transkription

Für die Transkription bestehen keine allgemein akzeptierten Regeln. Für rekonstruierende Auswertungsverfahren ist eine detailnahe Transkription nicht erforderlich (vgl. Gläser und Laudel 2010, S. 193). Die Interviews werden vollständig nach folgenden Maßgaben transkribiert:

• Standardorthographie (z. B. 'hast du' statt 'haste'),

• Äußerungen wie Lachen und Besonderheiten wie Dehnungen werden nicht transkribiert, außer sie haben für die Passage eine Bedeutung,

• Unterbrechungen wie Pausen werden notiert,

• unverständliche Äußerungen werden kenntlich gemacht (vgl. a.a.O., S. 193f.).

Die Interviews wurden vollständig transkribiert und anonymisiert (vgl. ebd.). Die Transkription wurde ebenfalls für einen Lerneffekt genutzt, um die Durchführung der Interviews z. B. wie wurde was gefragt, zu analysieren (vgl. a.a.O., S.195)

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