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7  Geld

7.2  Geldwachstum

7.2.1  Zins

Unter „Zins“ versteht man die Vergütung, die ein Darlehnsnehmer an den Darlehnsgeber für die zeitweilige Benutzung einer Wertsumme zahlt. Im mittelalterlichen scholastischen Denken wurde Zins noch als “Wucher“ vor allem unter Berufung auf zinskritische Stellen in der Bibel aber auch auf Schriften des Aristoteles („Politik“, „Nikomachische Ethik“) sowie das römische Recht beschrieben. Aristoteles (384-322 v. Chr.) schien schon damals die Problematik erkannt zu haben: „Denn nur zur Erleichterung des Tausches kam es auf, der Zins (tokos) aber vermehrt es an sich selber.“ Ein Zinsverbot war die Folge.5

Da das Zinsverbot die Praxis des Zinsnehmens nicht wirklich unterbinden konnte, kam es zu einer schleichenden Erosion des kanonischen Zinsverbotes und dessen Auflösung bis zum Jahre 1917. Heute ist der Zins einer der Hauptgründe für verlangtes exponentielles Geld-Wachstum und Triebkraft für vielen weitere exponentielle Geld-Wachstumsprozesse. Schließlich muss Geld für allfällige Kredite zurückgezahlt und darüber hinaus auch noch Gewinn erzielt werden.

Mit dem Fall des Zinsverbotes verbunden war auch die Ökonomisierung der Zeit (die mechanische Uhr tauchte erst Ende des 13.Jahrhunderts auf).6 Das durch das Zinssystem hervorgerufene exponentielle Wachstum entspricht damit de facto einer exponentiellen Abwertung der Zukunft.7 Um diesen Verfall entgegenzuwirken wird seit dem 2.Weltkrieg versucht, mit Bedarfsweckungen, Verschuldung, Export usw. neue Wachstumsimpulse zu schaffen um das Wirtschaftswachstum aufrecht zu erhalten. Aufgrund der fortschreitenden Monetarisierung diverser Lebensbereiche (Bildung, Pensionen, Krankensystem, Sozialsystem) wird in den nächsten Schritten die aufgebaute soziale Sicherung in der Gesellschaft Schritt für Schritt reduziert um das Wirtschaftswachstum Aufrecht zu erhalten.

Im Verkehrswesen wurde dieses Wachstum durch die stetigen Kapazitätserweiterungen in den vergangenen 70 Jahren im übergeordneten Straßennetz erzeugt. 8 Da die Straßenverkehrsinfrastruktur bei weitem größer dimensioniert wurde als in Kapazitätsberechnungen angenommen, und somit ein Attraktor für weiteren Autoverkehr geschaffen wurde, mussten Prognosen ständig nach oben revidiert werden.9 Noch heute

1 Vgl. Leitaer (2002)

2 Von Werlhof (2007), S.34

3 Korten (1995), S.189

4 Korten (1995), S.187

5 Frey (2005), S.28

6 Le Goff (2008), S.53

7 Zur Abdiskontierung der Zukunft vgl. Jürgen Probst: „Fehlentwicklungen einer Zinswirtschaft, Ein Ausflug durch das Ausgeblendete“; Selbstverlag, Hannover, Erste Auflage Mai 1998; www.inwo.de

8 Vgl. Leutzbach (1989)

9 Knoflacher (1997), S.32

wird nach Prognosen gebaut, die ähnlich wie beim Tumorwachstum – nach Gompertzfunktionen berechnet werden.

1. Bedarfsdeckung 2. Bedarfsweckung 3. Verschuldung

1950 55 60 65 70 75 80 85 90

4. Export 2426 4824 Mrd. DM

Der überproportionale Anstieg der Geldvermögen erzwingt eine immer höhere Verschuldung und immer neue Wachstumsschübe

Sozialprodukt Geldvermögen

Zinsen 0

1. Bedarfsdeckung 2. Bedarfsweckung 3. Verschuldung

1967:

"Gesetz zur Förderung des Wachstums und der Stabilität der Wirtschaft"

1950 55 60 65 70 75 80 85 90

4. Export

Abbildung 8: Geldvermögen in Deutschland und erzwungenes Wachstum (links).1 Schematische Darstellung der Wachstumsschübe des realen Bruttosozialproduktes in der Bundesrepublik Deutschland in den Jahren 1950 bis 1990 2; dieselbe Entwicklung findet sich unter anderem bei der Entwicklung des Motorisierungsgrades im Verkehrssystem.3

Betrachtet man die Entwicklung von Aktienindizes, wie beispielsweise des Dow Jones, wird das rapide Wachstum am Aktienmarkt seit dem Jahr 1900 sichtbar. Die Gewinne, die hier gemacht wurden (und werden) entstehen nicht aus dem Nichts. Sie bedeuten für andere (und sei es die Fülle und Vielfalt der Natur) Verluste. Wie später noch ausführlicher dargestellt wird beruhen diese Konzerngewinne auf externalisierten Kosten.

1 Creutz (1997), S.158

2 Creutz (1997), S.154

3 Vgl. Leutzbach (1989)

Abbildung 9: Entwicklung des Aktienindex Dow Jones zwischen den Jahren 1900-2003. Unabhängig von den so genannten Spekulationsblasen des Jahres 2008 erkennt man die rapide Entwicklung auf einer logarithmischen Skala. 1

Über das Zinssystem und private Banken können reiche Bevölkerungsgruppen ihr monetäres Vermögen auf Kosten der weniger reichen und ärmeren Menschen vervielfachen.

Die Untersuchungen von Creutz (1997) zeigen, dass 80% der Bevölkerung (am Beispiel Deutschlands) höhere Zinszahlungen leisten, als sie Zinserträge auf ihr Kapital erhalten.

Diese Belastungen der „unteren“ 80% stellen die Gewinne der obersten 10% dar. Deren Zinserträge sind mehr als doppelt so hoch wie die Zinsbelastungen. Dieser Umschichtungsmechanismus von Arm zu Reich erfolgt über das Zinssystem weltweit und verstärkt sich mit dem Abstrahierungsgrad des Geldes, das heißt mit der Distanz zu den realen Natur- und Systemgesetzen. Im Neusprech der heutigen Wirtschaftswissenschafter wird dies als „Fortschritt“ oder „Entwicklung“ bezeichnet.

Am Beispiel China, wo der so genannte GINI-Koeffizient als Maß für die Ungleichheit, zwischen den 1970er Jahren bis heute von 0,2 auf über 0,45 gestiegen ist, lässt sich diese Entwicklung ablesen.

Die Verteilung des Weltvermögens zeigt eine noch drastischere Ungleichverteilung der Einkommen. 10% der Weltbevölkerung besitzen 85% des Weltvermögens.

1 www.stockcharts.com

0 %

Über die Hälfte des jeweils angesetzten Gesamtvermögens verfügen: nach Mierheim und Wicke (für 1973) nach Engels und Mitarb. (für 1969)

nach Miegel (für 1983) Zinsbelastungen

Zinserträge mit je 2,7 Mio. Haushalten)

Abbildung 10: Prozentuale Verteilung der privaten Vermögen auf 10 Gruppen mit je 2,7 Mio.

Haushalten (links)1 und Gegenüberstellung der Zinsbelastungen und Zinserträge der Haushalte (rechts).2

Unter der Wirksamkeit realer Natur- und Systemgesetze wäre diese ungleiche Verteilung des Geldes nicht möglich. Knoflacher (in Aubauer (2010)) weist darauf hin, dass die Anhäufung von Naturressourcen zur Folge hätte, dass der Aufwand diese zu erhalten exponentiell ansteigen müsste, weil diese den allgemeinen Gesetzen des Verlustes und des Schwundes ausgesetzt und zumindest der Entropie unterworfen sind.3 Für Knoflacher sind diese heute installierten Automatismen der Geldumschichtung zu den Reichen verfassungswidrig und da das Geldsystem eine Dienstleistung (der Regierung) sein sollte, wäre daher durch die Verfassung, unter dem Blickpunkt des gleichen Zugangs zu allen Dienstleistungen, einzugreifen.

Auch Henrich (2002) weist auf die Auswirkungen der Einschnitte in das soziale Sicherungssystem der Gesellschaft hin, um gleichzeitig das permanente Wirtschaftswachstum aufrecht zu erhalten.

„Die Dynamik dieser Geldbewegungen und ihr destruktives Potenzial sind entscheidend gefördert worden durch eine dezidierte Liberalisierungspolitik und mit ihr verbundenen Eingriffe in eine soziale Infrastruktur, die sich über Generationen hinweg in sozialen Auseinandersetzungen und Entwicklungsprozessen herausgebildet hatte.“4

Somit werden durch die Verminderung oder Aufhebung der sozialen Absicherung Solidaritätsgrundsätze angegriffen, die in kultureller Tradition über Jahrtausende verankert waren und die Stabilität der Gesellschaft gewährleistet haben, und gleichzeitig durch Konkurrenzmechanismen auf den verschiedenen Ebenen des sozialen Lebens und Handelns ersetzt.5

1 Creutz (1997), S.139

2 Creutz (1997), S.141

3 Knoflacher in Aubauer (2010), S.98

4 Henrich (2002), S.50

5 Henrich (2002), S.51

Nach McMurtry (1999) ist es also das gesellschaftliche Immunsystem, welches als Überwachungs-, Erkennungs- und Abwehrorgan im Stande sein sollte, der Progression der Erkrankung durch das Erkennen der Symptome Einhalt zu gebieten – was es aber nicht tut.1 Im Unterschied zu Lovelock der die Anthroposphäre in seiner Gesamtheit als malignen Tumor betrachtet und dabei das exponentielle Bevölkerungswachstum als wesentlichen Faktor betrachtet, geht nach McMurtry die eigentliche Gefahr von der deregulierten Finanzsphäre aus.

Hierbei haben beide nur teilweise Recht: Das seit der industriellen Revolution stattfindende Bevölkerungswachstum ist nicht Ursache sondern lediglich Symptom einer Entwicklung, die ihren Anfang weit vor der Deregulierung der Finanzmärkte hatte. Entscheidend ist jedenfalls, wie bereits erwähnt, dass unendliches Wachstum nicht möglich ist, und durch seine Umgebung und äußeren Einflüsse begrenzt ist. Am Beispiel des begrenzten Wachstums von Organismen (wie im Kapitel 16 zur „Dynamic Energy Budget Theorie“ noch gezeigt wird) wird ersichtlich, dass der notwendige Energieaufwand zum Transport von Nährstoffen ab einer gewissen Größe für den Gesamtorganismus ineffizient wird. Im weiteren Teil zur Theorie des dynamischen Energie Budgets nach Kooijman et. al. (2000)2 werden diese vorläufig qualitativ erfassten Begrenzungen auf den mehrzelligen Organismus übertragen und auch auf das Tumorwachstum und analog auf das Konzerwachstum angewendet und quantifiziert.

Im Dokument DISSERTATION. Doctoral Thesis (Seite 39-43)