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5.2.1 Wohnungslosigkeit und Gesundheit: Auswirkungen der Lebenssituation auf den Ge-

5.2.1.1 Witterung und Gesundheit

5.2 Die Perspektive der Betroffenen: Die Auswirkung der Wohnungslosigkeit auf

Karl: „[Lacht] Wir haben ja letzte Zeit Regen gehabt, zum Kotzen ist das.“

Interviewer: „Ja, woher kommt der Schnupfen?“

Bertram: „Von Witterung, von Wetter.“

Interviewer: „Ja.“

Bertram: „Kalt, nasskalt, wenn man einmal durchnässt ist wird das nicht so schnell trocken und dann, so wird chronischer Schnupfen, das hab ich meistens. Jetzt geht das, aber sonst immer, erkältet, die Nase am Laufen, und noch am Husten, am Niesen und Spucken.“

Bernd: „Da ist ja Luft, da ist der Abluftschacht, da ist es schön warm, da geht es. Aber wenn man so Plätze nicht hat, man wird auch schnell krank, holt sich Pilzinfektionen oder sonst was.“

Dorothea: „Ja und dann kann man zu so Parkhäuser oder so Lüftungsdingen, dass man draußen so, aber sonst, ja würde ich mal sagen, dass man schnell krank wird, irgend-wie.“

Daniela: „[…] aber ich denk als Obdachloser auf der Straße, du kannst um diese Jah-reszeit Dir so eine Verkühlung abholen, Du kannst davon kaputt gehen.“

Anne: „Also mir ist das einmal passiert, also bin ich, also im Wald, hab ich da gele-gen, mitten auf einer Parkbank, und dies im Winter, und es hat halt vorher auch tie-risch geregnet, und dann fing es auch noch an zu schneien, und dann war meine Sache auch schon komplett, teilweise auch schon angefroren, dass ich dann morgens wach geworden bin, und war dann komplett mit Schnee überdeckt, und bin dann direkt samt der Polizei ins Krankenhaus transportiert worden, und hatte ich eine schwere Lungen-entzündung. Das hätte mich auch fast das Leben gekostet.“

Um sich vor Kälte und Nässe zu schützen, werden zahlreiche Lagen Kleidung übereinander getragen, aber auch Papier und Pappe zur Isolation verwendet, Schlafsäcke beschafft und be-nutzt sowie überdachte und durch Abluftschächte aufgewärmte Unterstände aufgesucht. Bei-spielsweise schildert Bertram im Interview, wie er sich beim Schnorren mit sechs Beklei-dungslagen gegen Wind und Kälte schützt:

Bertram: „Sonst hab ich noch Probleme gehabt draußen, genug, damit einem richtig warm genug wird. Meine Jacke hab ich immer hier drinnen, Jacke in die Tüte und ein Hemd und dann Pappe hab ich hingetan damit das gerade ist zum Hinsetzen, Hemd und noch eine Jacke, obwohl ich hier schon ein T-Shirt anhab' und einen Pulli, kann ich noch Hemd und Jacke [anziehen], dann ist das ganz warm dann, und damit noch ein Problem mit meistern.“

Erschwert werden die Versuche, sich vor Nässe und Kälte zu schützen dadurch, dass Studien-teilnehmer immer wieder aus Unterständen vertrieben werden, insbesondere aus den Anlagen der Öffentlichen Verkehrsmittel:

Martin: „Jeden Tag treffen wir uns da. Im Winter gehen wir halt da unter die Unter-führung, aber da wird man auch rausgeschmissen, von den, von der Straßenbahn, von der [Nahverkehrsgesellschaft], da sind da diese schwarzen Sheriffs, und die schmeißen einen auch raus.“

Dorothea: „Wo soll man hin? Man wird da aus dem Wartehaus rausgeschmissen, das ist der einzige Platz, wo es warm ist.“

Einige Informanten waren stolz auf ihre Kompetenz, sich ungünstiger Witterung aussetzen zu können. Sie gaben an, sich durch die Kälte abzuhärten, und über besondere Robustheit zu ver-fügen.

Mathilde: „Richtig, wir sagen immer, was uns nicht tötet macht uns hart, das ist ein al-ter Indianerspruch. Und andere sagen, man soll sich auch abhärten, soll nicht so eine Mimose werden. […] Ich bin immer so stolz, dass ich im Januar nicht friere. Den halb-en Februar friere ich dann auch nicht, dann fängt es aber an, dann fängt das an, diese, dieser Abhärtungseffekt fängt dann leider an nachzulassen, richtig, und ab und zu kann ich da übernachten, da im Heizungskeller.“

Interviewer: „Aber Deine Gesundheit, mein ich, auf der Straße. Wie ist es denn mit dem Wetter, wie wirkt sich das denn aus auf Deine Gesundheit?“

Wolfgang: „Ja, Naturmensch.“

Interviewer: „Du bist ein Naturmensch?“

Wolfgang: „Bin so groß geworden. Ja früher hab ich mich einfach hier hingelegt.

Auch im Winter. Wenn du übermüdet bist, kippst du um. Bei 15 Grad. Haben die an-gehalten, die dachten ich wäre tot.“

Markus: „Und wenn man auf der Straße geschlafen hat, ich sag mal so, das härtet ein bisschen ab ja, so, weil das nicht so weich ist und so. Wenn man dann irgendwann mit Kollegen und so, zelten geht oder so, alle liegen da: oh-weh. Und ich kann mich ein-fach hinlegen, egal, man kann überall eigentlich schlafen so, das ist schon, sag ich mal, das ist der Vorteil daran, ja, aber so. O. K. manchmal ist es ziemlich kalt, kann man sagen, oder nass, und dann ist das schon nicht so berauschend, das ist das so was ich zu Schlaf sagen kann.“

Andere Strategien, mit denen einige Teilnehmer der Studie versuchten, Nässe und Kälte zu bewältigen, erscheinen dysfunktional. Einige Äußerungen deuten darauf hin, dass Drogen ver-wendet werden, um Nässe und Kälte ertragen zu können.17

„Im Winter zum Beispiel, wenn man sich mit Drogen voll pumpt, dann ist es erst mal nicht so kalt, man hat auch weniger Hemmungen. Das ist wahr, ne. Man bricht einfach in Keller ein, legt sich da hin und schläft da. Interessiert dann einfach nicht.“

Interviewer: „Ich frage wegen der Gesundheit. Wenn Ihr da steht den ganzen Tag, das ist ja auch nicht gerade warm, oder?“

„Nein. Absolut nicht. Werden sich wohl schon viele, weiß nicht, ich bin da, ich habe mir noch keine Erkältung oder so zugezogen. Kann aber auch sein wegen den Opiaten, die ich nehme. Weißt du da, Polamidon ist ja auch, da wird man ja nie krank.

Auch wenn man Heroin nimmt wird man nie krank.“

Es ergeben sich auch direkte Hinweise darauf, dass einige Teilnehmer der Studie nicht in der Lage waren, auf sich verschlechternde Witterungsbedingungen adäquat zu reagieren. In einem Teil der Fälle waren körperliche Einschränkungen dafür verantwortlich, dass Teilnehmer der Studie sich nur mit Verzögerung vor einem einsetzenden Regen schützen konnten.

17Auf die Nennung der Namen der beiden Interviewpartner wird verzichtet, da nicht legale Handlungen be-sprochen werden. Im weiteren Text wird ebenso verfahren.

Beispielsweise benötigte bei einer Gelegenheit ein Wohnungsloser, der an offenen Beinen litt und Unterarmgehstützen verwendete aufgrund seiner ausgeprägten Gangstörung etwa 30 Mi-nuten um 350 Meter (einschließlich einer Treppe) zum nächsten Unterstand zurückzulegen, als es einmal zu regnen begann. Dort angekommen war er bereits weitgehend durchnässt.

Bei einer anderen Gelegenheit setzte während des Interviews mit Wolfgang unter freiem Him-mel Regen, zunächst mit geringer, dann mit mittlerer Intensität ein, ohne dass der Interviewte sich unter ein nahes Schutzdach begeben wollte. Dabei wäre er trotz einer geringen Mobili-tätseinschränkung körperlich ohne weiteres dazu in der Lage gewesen. Hier ließ sich der Grund für das Fehlen einer adäquaten Reaktion auf den einsetzenden Regen im Gespräch nicht klären:

Interviewer: „Sag mal, Wolfgang, sollen wir denn mal irgendwo hingehen? Denn es regnet ja schon die ganze Zeit. Da hinten, da ist ein Dach, sollen wir denn da mal hin-gehen?

Wolfgang: „Ja sicher, geh schon mal vor, ich komm dann nach.“

[…]

Interviewer: „Du wirst nicht so schnell nass? Ich werd' schon schnell nass. Jetzt regnet ja schon Viertelstunde, 10 Minuten.“

Wolfgang: „Aber das ist doch kein Regen, das ist doch gut!“

Interviewer: „Also Regen schadet eigentlich nichts, meinst de?“

Wolfgang: „Das ist doch gut, sonst kommt die Hitze. […] So 'n schönes Wetter, besser geht doch gar nicht, Sonne und Regen.“

[…]

Interviewer: „Wolfgang, ich glaub ich muss aufhören, ich werd' hier pitschnass.“

Wolfgang: „Bist Du morgen auch hier?“

Interviewer: „Nee, morgen komm ich nicht. OK, danke.“

Bei wieder einer anderen Gelegenheit zeigt sich in der Beobachtung und im informellen Ge-spräch mit einer jungen Frau, dass deren Unvermögen, zeitgerecht auf einen einsetzenden Re-genguss zu reagieren auf den vorhergehenden Konsum von Benzodiazepinen und eine ausge-prägte Niedergestimmtheit mit Antriebsmangel zurückzuführen ist. Die junge Frau beklagte zunächst bei drei anderen Personen aus der Wohnungslosen- und Drogenszene, die sie beglei-teten, dass sie nach der Einnahme von Oxazepam (ein Beruhigungsmittel aus der Gruppe der

Benzodiazepine) „total matt“[Gedächtnisprotokoll] sei. Außerdem beklagte sie ihre Lebenssi-tuation, in der sie keine richtigen Freunde mehr habe, und dass sie eigentlich nichts mit dem Wohnungslosen- und Drogenmilieu zu tun haben wolle. Als unmittelbar danach ein Regen-guss mittlerer Intensität einsetzt, benötigt sie etwa 15 Minuten, um sich, nun schon durch-nässt, unter das wenige Meter entfernte Schutzdach zu begeben. Ihre Begleiter hatten sich schon vorher dort untergestellt und sie vergeblich aufgefordert, ihnen zu folgen. Die junge Frau wirkte müde, antriebsgemindert und traurig, den Regen schien sie nicht adäquat wahrzu-nehmen.

Zusammenfassung

Die Studienteilnehmer beschrieben, dass sie unter Kälte und Nässe leiden und Erkältungs-krankheiten bis zur Lungenentzündung die Folge sind. Um dieser Situation zu begegnen wer-den sinnvolle Schutzstrategien einerseits, andererseits dysfunktionale Strategien wie etwa die Betäubung des Kältegefühls durch Opiate und Alkohol eingesetzt. Wohnungslose in schlech-tem Gesundheitszustand können körperlich oder psychisch zu sehr eingeschränkt sein, um Witterungseinflüsse adäquat wahrzunehmen und entsprechend zu reagieren.