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5.2.1 Wohnungslosigkeit und Gesundheit: Auswirkungen der Lebenssituation auf den Ge-

5.2.1.5 Die Auswirkung von Gewalt auf die Gesundheit

Interviewer: „Gewalterfahrung auf der Straße.“

Werner: „Gewalterfahrung auf der Straße? Also ich selber bin zum Beispiel ein abso-lut gewaltloser Mensch. Ich versuch wirklich allem, was so Gewalt angeht, aus dem Wege zu gehen. Obwohl ich bin ein paar mal angegangen worden.“

Interviewer: „Wie oft ist das passiert?“

Werner: „Also jetzt im Jahr drei vier mal doch schon. Einmal sogar richtig heftig, da wollte mich jemand mit dem Messer abstechen.“

Interviewer: „Einfach so?“

Werner: „Nicht einfach so, nein, ich hab den auch an einer Stelle schlafen lassen an einem Platz, das war mein Platz, der hat mich nicht in Ruhe gelassen, hab ich gesagt jetzt gehst du. Da hat der auf einmal mit einem Taschenmesser, hab ich ihm aber weg-genommen. Hab ich noch in der Tasche. Hat er auf einmal dieses Messer in der Hand.“

Interviewer: „Na gut, das ist ja mit einer großen Klinge, ne?“

Werner: „Und er hat versucht, mich damit anzustechen.“

Interviewer: „Oh Scheiße.“

Werner: „Da hab ich's ihm weggenommen, und obwohl ich nie schlage, daraufhin hat er von mir dann eine gekriegt. Überleg mal, er hätt' mich damit getroffen. Ich hatte nur einen guten Reflex. Der wollte Richtung Bauch, bin ich mit dem Bauch nach hinten und konnte ihm dann das Messer aus der Hand schlagen. Das war aber auch das erste mal, dass mich einer versucht hat zu stechen. Das hab ich vorher 33 Jahre nicht erlebt.

Ich bin zum Glück in richtig geordneten Verhältnissen aufgewachsen, ich kenne so was nicht.“

Ralf berichtete, dass ihm vor vier Monaten in der Nähe seines Wohnheims von einem Mitbe-wohner eine volle Bierflasche über den Kopf geschlagen wurde, wovon er ausgedehnte Nar-ben zurückbehalten hat. Der Angreifer hatte zwei Euro von ihm verlangt.

Mehrere Studienteilnehmer berichteten in den Interviews mit Entsetzen von brutalen Gewalt-verbrechen, deren Opfer Wohnungslose wurden. Ein besonders grausames Verbrechen war die Ermordung eines in der Wohnungslosenszene gut bekannten Mannes durch Verbrennen, von der hier Mathilde berichtet:

Mathilde: „In [unserer Stadt] ist vor einem halben, vor einem dreiviertel Jahr folgen-des passiert im Winter. Da ist ein Obdachloser, das ist schon mal passiert, schon öfter mal, nachts angezündet worden. Der ist verbrannt, die haben den verbrannt. Irgendje-mand hat den, der war betrunken, ist eingeschlafen, jeIrgendje-mand hat den wohl mit Benzin übergossen und hat den angesteckt. […] Der war ein paar Tage noch im Krankenhaus, die konnten ihn nicht mehr retten. […] Ich kann mir vorstellen, dass das grauenhaft gewesen sein muss. Grauenhaft! Und das ist nicht das einzige Mal, hier ist schon je-mand im Parkhaus, sind irgendwelche Burschen hinterher gegangen und haben jeman-den jeman-den Rücken mit Benzin eingegossen und haben jeman-den angezündet. Der musste mit schweren Verbrennungen ins Krankenhaus, hat es aber geschafft.“

Alkohol und Drogen sind in mehrerer Hinsicht am Zustandekommen der Gewalttätigkeit be-teiligt, wird in den Interviews berichtet. Einerseits steigt im Rausch, aber auch im Drogenent-zug, wie im Kapitel über Drogen und Gesundheit geschildert wird, die Gewaltbereitschaft, an-dererseits bietet der Kauf und Verkauf von Drogen Konfliktpotential, wie hier Martin berich-tet:

Martin: „Meistens geht es um belanglose Dinge, ja, meistens ist Alkohol im Spiel, oder Tabletten, wenn die Leute zuviel Alkohol zu sich nehmen. Meistens oder oft, ist der Grund auch Heroin, Abzüge oder Schore[Heroin]-Scheiße. […] Ja, meistens wird das dann mit Fäusten ausgetragen, oder was auf der Platte sehr oft der Fall ist, mit Ge-genständen, mit Flaschen wird zugehauen, ja, ja.“

Weiter vermutet Martin, dass die Gewaltbereitschaft in der Wohnungslosenszene mit Lern-vorgängen in der Primärfamilie zu tun haben könnte:

Martin: „Ansonsten ist jeder auf Platte Gewalt von zu Hause [gewohnt], von seinen Eltern und so, schätz ich und man überträgt das ja, man nimmt das ja mit.“

Neben Schmerzen, Verletzungen und Krankenhausaufenthalten ist die Folge von Gewalt vor allem die Angst, Opfer von Gewalt zu werden. Hier beschreibt Volker im einzelnen, wie sich die Angst bei ihm äußert:

Volker: „Ja, selbstverständlich wäre das gut für die Gesundheit, würde sich doch alles erholen, würde sich doch alles regenerieren, ich merk das ja selbst, wenn ich ein paar Tage ohne Schläge, ohne Zwischenfälle, ohne Angst lebe, regeneriert sich meine Darmflora, , dann regeneriert sich mein Magen, dann habe ich kein Sodbrennen mehr, dann habe ich nichts mehr, und so bald das wieder passiert, dann zack, lieg ich wieder daneben, klar.“

Die berechtigte Angst vor Gewalttaten erschwert die Versorgung von Wohnungslosen erheb-lich. Hilfeangebote werden nicht wahrgenommen weil die Interviewpartner fürchten, dort zu Gewaltopfern zu werden. Thomas äußert sich hier über das Wohnheim mit Übernachtungs-stelle in der Stadt:

Thomas: „Also da war ich noch nicht, ich kenne die Einrichtung, ich weiß auch was da los ist. Da werde ich lieber ein Zelt nehmen und eine Penntüte auf gut deutsch gesagt und draußen schlafen.“

Interviewer: „Was ist denn da los?“

Thomas: „Ich kann nur sagen, Äh, mit dem Alkohol, und auch einige Schlägereien.“

Bertram berichtet im Interview, dass er, nachdem er nach einem Besuch der Teestube getreten worden ist, den Aufenthaltsraum, Mittagstisch nicht mehr nutzt:

Bertram: „Wo ich einmal Probleme hab, da geh ich gar nicht mehr hin, ich weich den Problemen aus, genauso wie auch [in der Suppenküche] oder wie das heißt, da war ich zwar schon mal gewesen, aber ich hab gar keine Lust drauf, die Alkoholiker die saufen einen dann gibt es um die Ecke Klopperei, und was weiß ich nicht, das gefällt mir nicht. [..]Innendrin gut Kirschen essen, und vor der Tür um die Ecke, hat mir einer den Arsch getreten da, irgendwas hat der da zu mir gesagt: ,ja Du nicht, und pass' mal auf hier’, und was weiß ich nicht, da war ich schon mal, und da hab ich auch keine Lust mehr gehabt da hinzugehen.“

Außerdem nutzt Bertram das mobile medizinische Angebot nicht mehr, das neben der Teestu-be zugänglich ist, nachdem er dort getreten wurde.

Das Meiden von Orten, an denen mit Gewalt gerechnet werden muss, kann bereits als eine Strategie im Umgang mit Gewalt gesehen werden. Dieses Verhalten begünstigt allerdings die institutionelle Entkopplung und verringert damit die Möglichkeiten, auf Hilfeangebote zu-rückzugreifen. Eine weitere Strategie im Umgang mit Gewalt, die vor allem die Angst vor Gewalttaten mindert, ist die Einnahme angstlösender Substanzen wie Alkohol, Benzodiazepi-ne oder anderer Drogen. Dorothea, deren ehemaliger PartBenzodiazepi-ner ein psychisch kranker Gewalt-verbrecher ist, reflektiert hier, wie es zu ihrer Benzodiazepinabhängigkeit gekommen ist:

Dorothea: „Ja, deswegen habe ich auch damals die Diazepam verschrieben gekriegt, weil, damit fing das eigentlich so an, irgendwie, weil [mein ehemaliger Partner] der war auch jedes Jahr zweimal im Krankenhaus, weil der psychisch eben krank ist, sag mal so, ja und der hat schon einiges gebracht, vieles, und der ist auch immer aus dem Krankenhaus abgehauen, oder so, und dann habe ich natürlich Verfolgungswahn ge-kriegt, und Angst, und konnte nachts nicht mehr pennen und war nur am schwitzen, und so, und das habe ich dann dem Arzt erzählt, und daraufhin hab ich die auch ge-kriegt, die Tabletten.“

Weiter schildert Dorothea, wie ihre Angst zunahm, als ihr ehemaliger Partner nach einer spek-takulären Gewalttat flüchtig war und sie in der Folge immer mehr Tabletten einnahm.

Es finden sich aber auch Beispiele, wie mit konkreteren Bedrohungen gut umgegangen wer-den kann. Daniela schildert, dass sie am Vortag auf der Straße überfallen werwer-den sollte, es ihr aber rechtzeitig gelang, über ihr Mobiltelefon die Polizei zu alarmieren, worauf die Angreifer ausrissen.

Der Täter, der Ralf eine Flasche über den Kopf geschlagen hatte, wurde gefasst:

Interviewer: „Was ist mit dem passiert, der Dir die Flasche auf den Kopf geschlagen hat? Hat der Ärger gekriegt?“

Ralf: „Oh ich glaub' den haben die gefasst.“

Interviewer: „Den haben die gefasst?“

Ralf: „Es gab zwei Zeugen, die hatten das gesehen, die hatten den Notarztwagen ange-rufen. […] Den [Täter] hab ich, seit das passiert ist, nicht mehr gesehen.“

Zusammenfassung

Wohnungslose werden häufig Opfer von Gewalttaten, und viele leiden in der Folge unter Angst. Da ein Teil der Taten von anderen Wohnungslosen begangen wird, werden manche Hilfeangebote, in deren Umfeld es zu Gewalttaten kommt, von einigen Wohnungslosen ge-mieden. Die mit Alkohol und andere Drogen verbundenen Konflikte und Enthemmung kön-nen eine Ursache für das Auftreten von Gewalt sein, ebenso sind Alkohol, Tabletten und an-dere Drogen für mache ein Mittel, um die Folgen von Gewalterfahrung und die Angst vor Ge-walt zu bewältigen. Die Angst vor GeGe-walt ist so ein Grund für das Entstehen von Suchtmittel-abhängigkeit. Das Eingreifen der Polizei gegen Gewalttäter wird von den Opfern geschätzt.