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5.2.1 Wohnungslosigkeit und Gesundheit: Auswirkungen der Lebenssituation auf den Ge-

5.2.1.3 Hygiene und Gesundheit

von schlechten Erfahrungen, die sie dort gemacht haben, ab. Andere Gesprächspartner berich-ten von den Schwierigkeiberich-ten, die das Eingehen von Zweckfreundschafberich-ten im Austausch gegen einen Übernachtungsplatz in einer Wohnung verursacht.

Interviewer: „Hat er gesagt? Wo haben Sie denn, wo hast Du denn die Krätze herge-kriegt?“

Ralf: „Weil ich nicht baden und duschen konnte.“

Interviewer: „Ach so!“

Ralf: „Hier kann ich jeden Montag duschen. Ich fühle mich heute wieder richtig frisch!“

Aber auch Patrick, der noch eine Wohnung hat, spürt, dass es schwierig ist, die persönliche Hygiene aufrechtzuerhalten, seitdem ihm Strom und Warmwasser abgestellt wurden:

Interviewer: „Waschen, frisch anziehen […] Bei Dir ist das alles kein Thema, glaube ich.“

Patrick: „Momentan ist es so ein bisschen ein Thema, weil ich keinen Strom auch hab, und ich meine Klamotten nicht waschen kann, nur bei Freunden und so. Muss ich auch mal längere Zeit mit den gleichen Klamotten rumlaufen. Und kalt Duschen ist auch nicht immer so meins, aber, muss man halt zwischendurch machen. Ich hab auch Freunde, bei denen ich öfter dusche.“

Interviewer: „Du hast keinen Strom mehr?“

Patrick: „Nein, schon länger nicht mehr.“

Interviewer: „Schon seit wann?“

Patrick: „Also seit über einem Jahr jetzt.“

Weil es in der Lebenssituation der Wohnungslosigkeit schwierig ist, die persönliche Hygiene aufrechtzuerhalten, beschreiben viele Studienteilnehmer Unsicherheit und Scham, weil sie sich schmutzig oder ungepflegt fühlen:

Bernd: „Das macht einen fertig, wirklich. Man denkt, die Leute sehen einem das an, dass man der Letzte ist. Und man denk, man stinkt dauernd.“

Interviewer: „Tust Du ja nicht, Du wirkst sehr gepflegt.“

Interviewer: „Du machst aber jetzt einen recht gepflegten Eindruck, eigentlich.“

Volker: „Hmhm.“

Interviewer: „Ist Dir das wichtig?“

Volker: „Ja schon, ja schon, aber ich fühle mich gar nicht gepflegt, wie gesagt“

Daniela: „Also wenn du dich nicht mehr richtig waschen kannst, dieser körperliche Bedarf, also den man vorher kennt, wenn man den nicht mehr hat, doch, ja, also man fühlt sich elendig.“

Mathilde: „Denn Obdachlosigkeit und alles organisieren müssen, das heißt du musst immer irgendwo pflegen, du musst Deine Klamotten immer waschen, ich habe lange Haare die müssen sowieso immer gepflegt werden. Heute schäme ich mich dafür.“

Jürgen: „Die Klamotten vom Vortag noch angehabt, sind wir pitschnass geworden, keinen Regenschirm gehabt, ja, fühlt man sich ja ziemlich Scheiße, wenn die dann auf einmal nass sind, und…“

Anne: „Weil man sich auch sehr dreckig dann fühlt, irgendwo.“

Interviewer: „ Ja, ist klar. Und stört Dich das, die ganze Situation?“

Jürgen: „Was?“

Interviewer: „Wie es jetzt ist.“

Jürgen: „Also das stört mich schon. Gestern Abend bin ich gesessen und hab geweint.“

Mathilde schlägt im Interview den Bogen von der persönlichen Hygiene zur medizinischen Versorgung. Sie beschreibt, wie die Scham über den selbst empfundenen schlechten Pflegezu-stand Ängste vor Arztbesuchen verursacht:

Mathilde: „Also, Krankheit und Obdachlosigkeit passt eigentlich nicht zusammen.

[…] Denn wenn Du zum Arzt gehst musst Du immer frisch, frisch gebadet sein, gut gepflegt sein, die Klamotten müssen frisch sein, du willst dich beim Arzt ja nicht bla-mieren. Nicht das der Arzt nachher noch die Behandlung verweigert, weil der sagt, nein, nein, gehen sie sich erst mal duschen.“

Es ist gut nachvollziehbar, dass sich eine eingeschränkte persönliche Hygiene negativ auf das die psychische Gesundheit auswirkt, und in der Folge, wenn deshalb Arztbesuche vermieden werden, auch indirekt zur Verschlechterung des körperlichen Gesundheitszustandes beiträgt.

Jedoch wirkt sich eine verminderte Sauberkeit auch direkt negativ auf die körperliche Ge-sundheit aus, wie hier geschildert wird:

Bertram: „Einmal hatte ich ne Pustel oder so was gehabt am Arm, auch von Unsauber-keit hat der gesagt ist das gekommen, hat der [Arzt] gesagt. Seitdem hab ich dann mehr drauf geachtet, ein bisschen, soweit das geht. Da hab ich wohl in irgend so einem Dreck gelegen, oder ist da was durchgekommen, durch die Pustel.

Volker: „Aber ich fühl mich gar nicht gepflegt, wie gesagt. Ich hab diese ganzen Ge-brechen, bei den Hämorrhoiden angefangen, bis zum Ekzem […].“

Um sich und ihre Kleidung waschen zu können, benutzen die Interviewpartner die Dusche und die Waschmaschine der Teestube oder der Übernachtungsstelle. Daniela berichtet, dass sie während der Zeit, in der sie Platte gemacht hat, die Dusche in der Wohnung einer Freun-din benutzen konnte.

Die Bedeutung von Hygiene auf der Straße und die Schwierigkeiten, sie aufrecht zu erhalten spiegeln sich besonders in den elaborierten Strategien wieder, die dazu angewendet werden.

Die folgenden Schilderungen von Markus verdeutlichen, welcher Aufwand nötig ist um ohne Bad, Toilette und Waschmaschine einen normalen hygienischen Standard zu erreichen:

Markus: „Aber dann hab ich mich immer irgendwie ins Haus reingeschlichen durch meinen Cousin und so. Da hab ich die dann Sachen im Keller gelagert, oder in alte Häuser hab ich meine Taschen mit Klamotten im Keller gelagert und so. Und dann hab ich meine Sachen immer raus geholt und wenn ich gemerkt hab die sind schon muffelig oder so, bin ich zum Waschcenter gegangen, morgens um sechs Uhr, hab meine Wäsche gewaschen und so. Zeug neu in die Tüten rein getan und nachher wie-der in einen Keller rein.

Dann bin ich ins Schwimmbad gegangen für 2,50 Euro oder so, konnte ich dann in Ruhe duschen und so und hab mich dann auch immer, was weiß ich nicht, dahin ge-legt, da konnte man sich auch hinlegen und geschlafen, für 2,50 Euro, war dann O.K.

Oder in die Sauna gegangen für 5 Euro. Ging auch. So habe ich das dann manchmal, so hygienisch ging's dann.

Also und was auch manchmal, wenn ich kein Geld hatte fürs Schwimmbad oder so, dann hab ich immer geguckt, morgens waren meine Haare verwirrt oder so. Dann bin ich immer, dann hab ich immer, Rasierer hab ich in der Tasche gehabt, dann bin ich, was weiß ich nicht, in öffentliche Toiletten gegangen. Bei C & A bei Kaufhof oder so

hab ich mich am Spiegel rasiert, Haare gemacht, Haargel immer bei gehabt, zack, zack, Haare fertig gemacht. Morgens als erstes durch die Stadt gelaufen, C & A macht auf, ab hoch auf Toilette, aber bei Kaufhof war das immer so ein Problem, weil da im-mer Leute saßen mit so einem Tellerchen und so, dann imim-mer schon, guten Morgen 10 Cent und dann Haare kurz machen, so hab ich das manchmal mit der Hygiene ge-macht. Nur ab und an war zwar alle zwei, drei Tage mal Duschen angesagt, aber öfter als viele andere Leute.“

Mathilde, die mit ihrem Lebensgefährten in einem leer stehenden Haus gewohnt hatte, schil-derte eine ungewöhnliche Methode, mit der sie ausglich, dass die Wasserversorgung des Hau-ses abgestellt war und damit die Toiletten nicht funktionierten. Sie benutzte für die Exkre-mente Tüten, die dann entsorgt werden konnten.

Mathilde: „Wir hatten elektrisches Licht, aber keine sanitären Anlagen. Und dann ha-ben wir das ganz anders gemacht, wir haha-ben das ganz ordentlich gemacht, aber ganz anders. Wir hatten dann Tüten, wir haben dann mit einem Tütensystem gearbeitet, und so weiter. Wir konnten lüften, wir hatten Fenster die wir öffnen konnten. Da haben wir uns dann immer so, ich hab immer gewaschen, wir haben uns immer gepflegt.“

Zusammenfassung

Hygiene wird von den Studienteilnehmern als wichtig angesehen und ihr Fehlen löst Scham-gefühle aus. Das Fehlen von Möglichkeiten, Körper und Kleidung sauber zu halten, verur-sacht Hautkrankheiten und stellt über das Auftreten von Schamgefühlen eine psychische Be-lastung dar. Beim Arztbesuch auf mangelnde Körperpflege hingewiesen zu werden, wird als Blamage gesehen. Dies ist ein Grund, warum Arztbesuche bei gesundheitlichen Beschwerden vermieden werden, was zu einer weiteren Gesundheitsverschlechterung führen kann. Um die hygienische Situation zu verbessern, werden zum Teil originelle Strategien entwickelt, von denen manche sehr anspruchsvoll sind, so dass sie nicht von allen auf längere Sicht durchge-halten werden können.