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4.2 M ETHODEN DER TEILSTRUKTURIERTEN I NTERVIEWS

4.2.7 Datenanalyse im Ansatz der Grounded Theory

4.2.7.1 Das Problemzentrierte Interview und Grounded Theory

Die in den Problemzentrierten Interviews gewonnenen Texte wurden in der Tradition der Grounded Theory aufgebrochen, konzeptualisiert und wieder zusammengesetzt. Dieser Vor-gang wird als „Kodieren“ bezeichnet [ Strauss 1996]. Die Kombination beider Verfahren (problemzentriertes Interview und Grounded Theory) hat sich in der Vergangenheit vielfach bewährt [vgl. Badawia 2002, Tagmat 2003, von der Lippe 2003].

Auch Witzel selbst sieht das von ihm entwickelt Problemzentrierte Interview als weitgehend an die Verfahrensweise der Grounded Theory angelehnt, indem es sich kritisch sowohl kri-tisch von der hypotheticodeduktiven Vorgehensweise abgrenzt, die Daten nur durch ex ante festgelegte Operationalisierungsschritte erfassen und überprüfen will. Genauso grenzt es sich aber auch gegen naiv-induktivistische Positionen ab, die den Forscher als von theoretischem Vorwissen unbelastet sehen wollen, gewissermaßen als Tabula rasa gegenüber der Empirie.

Stattdessen sieht die Grounded Theory den Erkenntnisgewinnn im induktiv-deduktiven Wechselverhältnis. Vorwissen wird als unvermeidbar angesehen, muss aber offen gelegt wer-den. Das Offenheitsprinzip wird gleichzeitig realisiert, indem die spezifischen Relevanzset-zungen der Informanten durch Narration angeregt werden, und dann in die Auswertung einge-hen [vgl. Witzel 2000].

4.2.7.2 Offenes Kodieren

Der Prozess der Datenanalyse wurde durch offenes Kodieren [Strauss 1996 S.44ff.] begon-nen. Zunächst wurde dazu der Text dazu konzeptualisiert, d. h. das Interview wurde in Ab-schnitte unterteilt und für die darin enthaltenen Vorfälle und Phänomene ein Name vergeben.

Abschnitte, die ähnliche Phänomene enthielten, wurden mit demselben Namen versehen.

Beispielsweise wurde Interviewabschnitten, in denen Drogen erwähnt wurden, zunächst der Name der betreffenden Substanz zugeordnet.

In einem zweiten (noch zum offenen Codieren gerechnetem) Schritt wurden die Phänomene kategorisiert, indem die Konzepte zu Gruppen zusammengefasst wurden, die dasselbe Phäno-men zu repräsentieren schienen. „Worum scheint es dort zu gehen?“ ist dabei die zur Katego-rienbildung verwendete Frage. Die Kategorien sind auf einer abstrakteren Ebene als die

Kon-zepte angesiedelt. Name und Inhalt einer Kategorie konnte aus dem Fundus der Fachliteratur

„geborgt“ werden, vom Forscher neu erstellt werden oder aus dem Sprachgebrauch des Inter-viewpartners entnommen werden (in vivo Codes).

Als Kategorien wurden beispielsweise Drogenbeschaffung, Drogenkonsum oder Entzug ge-wählt. Die im Text der vorliegenden Arbeit enthaltenen Beschreibungen des entsprechenden Verhaltens von Interviewpartnern gehen auf das offene Codieren zurück.

Während des Kodierens wurden in „Memos“ Auffälligkeiten der Phänomene notiert, die den entsprechenden Textstellen zugeordnet blieben.

Zusammenfassend kann gesagt werden, dass durch offenes Kodieren Konzepte identifiziert und in Bezug auf ihre Eigenschaften entwickelt werden. Das wird durch Vergleichen der Phä-nomene (Aussagen, Ereignisse, Vorfälle) hinsichtlich Ähnlichkeiten und Unterschieden er-reicht. Ähnliche Ereignisse werden zu Kategorien gruppiert [vgl. Strauss 1996 S.54f].

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4.2.7.3 Axiales Kodieren

Nachdem die Kategorien durch offenes Kodieren identifiziert und benannt worden waren, wurde in einem zweiten Schritt durch axiales Kodieren versucht, die Bedingungen zu identifi-zieren, die das Phänomen verursachen, den Kontext zu verstehen, in den es eingebettet ist.

Handlungs- und interaktionale Strategien sollten erkannt werden und hinsichtlich ihrer Konse-quenzen untersucht werden.

Manchmal wiesen die Studienteilnehmer selbst im Interview auf ihre Motive hin, manchmal reflektierten sie diese lediglich durch Handlungen oder Aussagen. Der Forscher bildete provi-sorische Hypothesen, die er beim Durchforsten weiterer Daten entweder gestützt oder wider-legt wurden. Der Fokus lag auf dem Versuch, die Bedingungen zu spezifizieren, die das Phä-nomen verursachen, den Kontext, in den es eingebettet ist, die Handlungs- und interaktionalen Strategien, durch die es bewältigt wird und die Konsequenzen dieser Strategien. Diese (Be-dingungen, Kontext, Strategien und Konsequenzen) werden als Subkategorien bezeichnet, weil sie der Kategorie als spezifizierende Kennzeichen zugeordnet sind und ihr Präzision ver-leihen[vgl Strauss 1996, S. 76].

Die Grounded Theory richtet ihre Vorgehensweise am paradigmatischen Modell aus, das um das Phänomen die ursächlichen (sachlichen) Bedingungen für das Entstehen des Phänomens, den genauen Kontext der Entstehung des Phänomens, die intervenierenden (zeitlichen, räum-lichen, kulturellen, sozialökonomischen, technologischen, geschichträum-lichen, karrierebezogenen,

individuell-biografischen) Bedingungen gruppiert, also den breiteren strukturellen Kontext, der sich auf die Handlung und die Interaktion auswirkt [vgl. Strauss1996 S.82].

Dann werden die Handlungs- und interaktionalen und Strategien selbst betrachtet, oder gege-benenfalls deren Ausbleiben. Diese entwickeln sich, sind also prozessual, und einige sind ziel- und zweckgerichtet, dabei wohlüberlegt, werden also mittels Strategien und Taktiken vollzo-gen, andere werden unbeabsichtigt ausgeführt.

Schließlich wurden die Konsequenzen der Handlungen beziehungsweise die Folgen des Un-terlassens von Handlungen aufgespürt. Diese Konsequenzen können ihrerseits wieder Bedin-gungen zu einem späteren Zeitpunkt sein [Strauss S.85].

Die Verknüpfung und Entwicklung der Kategorien im Rahmen des axialen Kodierens mit Hil-fe des paradigmatischen Modells geschieht durch das Stellen von Fragen und das Anstellen von Vergleichen. Dabei werden simultan vier analytische Schritte getan: das hypothetische In-Beziehung Setzen von Kategorien und Subkategorien, das Verifizieren dieser Hypothesen anhand der vorliegenden Daten, die fortgesetzte Suche nach Eigenschaften der Kategorien und die Untersuchung auf Variation von Phänomenen.

Dabei „pendelt“ der Forscher fortwährend zwischen induktivem und deduktivem Denken. Es werden deduktiv beim Arbeiten mit den Daten Aussagen über Beziehungen gemacht und Ver-mutungen über mögliche Eigenschaften und ihre Dimensionen angestellt, um dann das Abge-leitete anhand der Daten zu verifizieren, indem Ereignis mit Ereignis verglichen wird. Aus diesem Wechselspiel zwischen Aufstellen und Überprüfen ergibt sich die Gegenstandsveran-kerung der Grounded Theory. Getroffene Aussagen sollen sich also auf solche Beziehungen, die in den Daten tatsächlich bestehen beschränken, Beziehungen, die vom Forscher allein auf Grund theoretischer Überlegungen für gegeben gehalten werden, aber in den Daten nicht auf-tauchen, sollen sich im Rahmen der Grounded Theory nicht darstellen lassen [Strauss 1996 S.89f.].

Als Beispiel kann die durch offenes Kodieren identifizierte Kategorie Drogenkonsum heran-gezogen werden. Im Schritt des axialen Kodierens wurden die darin enthaltenen Textstellen auf die Beweggründe der Gesprächspartner und die äußeren Bedingungen untersucht, die den Drogengebrauch verursachen und aufrechterhalten. Diese sind in der vorliegenden Arbeit in die Abschnitte über Witterung, Schlaf, Gewalt, sozialen Kontext sowie Drogenkonsum darge-stellt. Strategien im Umgang der Gesprächspartner mit Drogen und dem mit ihnen verbunde-nen Stigma werden am Ende des Abschnitts über Drogenkonsum dargestellt. Ebenfalls dort

und auch im Abschnitt über die Interaktion mit medizinischem Personal werden die Folgen des Drogenkonsums behandelt.

4.2.7.4 „Code and Retrieve“-Software

Die für diese Arbeit analysierten Interviewtranskripte umfassen einschließlich der 17 Post-skripte 307 Seiten. Dazu kommen noch 30 Texte mit Feldnotizen. Traditionellerweise wird die Verarbeitung dieser Daten in der Qualitativen Sozialforschung mittels Papier, Schere, Kle-beband, Notizbuch und farbigen Stiften durchgeführt. Dabei soll sich das Bild eines in mit Pa-pier bedeckten Schreibtisches und Zimmerbodens ergeben, wobei Blätter des Transkripts schließlich jede verfügbare Oberfläche des Zimmers bedecken. Aus diesem Chaos sollte der Forscher nun eine Ordnung erschaffen. Darin wurde Kreativität und eine Abgrenzung von der quantitativen Analyse gesehen [vgl. Stroh 2000, S.226f.].

Daneben gibt es die Auffassung, dass eine Vorgehensweise, die abstrakte Kategorien eher aus den tatsächlich vorhandenen Daten und weniger a priori entwickeln will, von Ordnung und Rigidität profitiert. Dabei sollte nicht darum gehen, die ursprünglich ungeordneten qualitati-ven Daten zu ordnen, sondern darum, ein System zu finden, das mit der chaotischen Natur qualitativer Daten arbeiten kann und nicht gegen sie ankämpfen muss [vgl. Stroh 2000, S.228].

Zur Unterstützung der Datenanalyse wurde in der vorliegenden Arbeit ein „Code and Retrie-ve“-Programm [The Ethnograph, 2001] gewählt, mit dem der Forscher Textabschnitte frei auswählen und mit Kodewörtern kennzeichnen konnte. Das Überlappen von Kodes und das Variieren der Größe der Textabschnitte waren problemlos möglich.

Die Kodes wurden im Kodebuch jeweils mit Definition und Erläuterungen versehen. Den Ko-des konnten hierarchisch Konzepte und Kategorien zugeordnet werden. Außerdem bot das Programm die Möglichkeit, nach Durchführung der Kodierung mit bestimmten Kodewörtern gekennzeichnete Textabschnitte zusammenzustellen. Schließlich war es noch möglich, beim Kodieren Notizen (Memos) zu verfassen, die auf Ähnlichkeiten, Unterschiede und vermutete Zusammenhänge hinwiesen, und diese den entsprechenden Textstellen zuzuordnen. Diese Möglichkeiten sind auf das Arbeiten in der Tradition der Grounded Theory abgestimmt [vgl.

Stroh 2000, S. 233].

Das ausgewählte Programm The Ethnograph bietet keine weitergehenden Funktionen, etwa zur Inhaltsanalyse oder zur Theoriebildung. Es ist in seiner Funktion mit einem einfachen und flexiblen elektronischen Zettelkasten vergleichbar.

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