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5.2.1 Wohnungslosigkeit und Gesundheit: Auswirkungen der Lebenssituation auf den Ge-

5.2.1.2 Schlaf und Gesundheit

Benzodiazepine) „total matt“[Gedächtnisprotokoll] sei. Außerdem beklagte sie ihre Lebenssi-tuation, in der sie keine richtigen Freunde mehr habe, und dass sie eigentlich nichts mit dem Wohnungslosen- und Drogenmilieu zu tun haben wolle. Als unmittelbar danach ein Regen-guss mittlerer Intensität einsetzt, benötigt sie etwa 15 Minuten, um sich, nun schon durch-nässt, unter das wenige Meter entfernte Schutzdach zu begeben. Ihre Begleiter hatten sich schon vorher dort untergestellt und sie vergeblich aufgefordert, ihnen zu folgen. Die junge Frau wirkte müde, antriebsgemindert und traurig, den Regen schien sie nicht adäquat wahrzu-nehmen.

Zusammenfassung

Die Studienteilnehmer beschrieben, dass sie unter Kälte und Nässe leiden und Erkältungs-krankheiten bis zur Lungenentzündung die Folge sind. Um dieser Situation zu begegnen wer-den sinnvolle Schutzstrategien einerseits, andererseits dysfunktionale Strategien wie etwa die Betäubung des Kältegefühls durch Opiate und Alkohol eingesetzt. Wohnungslose in schlech-tem Gesundheitszustand können körperlich oder psychisch zu sehr eingeschränkt sein, um Witterungseinflüsse adäquat wahrzunehmen und entsprechend zu reagieren.

Nässe und Kälte sind jedoch nicht das einzige Problem für die Studienteilnehmer, die auf der Straße schlafen. Gute Schlafplätze sind häufig schon besetzt oder es gib Streit mit anderen Wohnungslosen um sie. Viele Teilnehmer berichten, dass es schwierig ist, einen geeigneten Schlafplatz zu finden.

Markus: „Dann wusste ich nicht wohin, dann mal auf der Straße geschlafen, dann mal da irgendwo geschlafen, dann mal wieder auf der Straße geschlafen, auf Spielplätzen oder gar nicht geschlafen, oder im Internetcafe oder einmal ein bisschen schlafen, fünf, sechs Stunden so und dann wieder wach.“

Markus: „Man kann sich ja nicht einfach irgendwo hinlegen, ist ja ganz schlecht.

[…]Wenn ich mich irgendwo hinlegen würde, das wäre mir schon ein bisschen pein-lich.“

Bertram: „Was zum schlafen, einen Schlafplatz zu finden, ist das eine Sache für sich, wichtig oder wenigstens wichtiger als, das ist ganz wichtig. […] Da gibt's ein paar Plätze, da wo ich am Anfang gesehen hab, da streiten sie sich schon drum, und dann muss man irgendwo versuchen auszuweichen.“

Interviewer: „Aber schläft man denn gut auf der Straße, wenn man Platte macht?“

Wolfgang: „Ja, ich schlaf doch nicht auf der Straße!“

Interviewer: „Sondern?“

Wolfgang: „An einem Ort, wo ich meine Ruhe hab. Aber immer geht das nicht, sogar in den Ecken haben da welche gelegen.“

„Also wenn ich keine Wohnung hab, dann such ich mir Keller, ich seh ob ich da in Keller reinkomme, nach Möglichkeit kommt man durch die offene Tür rein, ich mein, ich bin da nicht abgeneigt, das Fenster mal aufzubrechen.“

Während der zuletzt zitierte Interviewpartner Fenster aufbricht, um einen etwas geschützteren Schlafplatz zu finden berichten andere Teilnehmer, dass sie von exponierteren Schlafplätzen weggejagt werden. Häufig formulieren die Studienteilnehmer, dass sie beim Schlafen

„erwi-scht“ wurden, als ob sie beim Schlafen eine Straftat begangen hätten. Als erster berichtet Bertram, der in einer ungenutzten Blechhütte neben Bahngleisen übernachtete:

Bertram: „Bloß darf einen der Bundesgrenzschutz nicht erwischen, die jagen einen weg.“

Markus: „Also ich wurde auch erwischt so, ja, dann haben Leute einen wach gemacht oder so. […] Dann bin ich über Zäune geklettert, auf Schulhofgelände geschlafen und so, dann kam auf einmal der Hausmeister, guten Morgen, aufstehen, weg hier, und so, oder irgendwo anders an Kirchen oder so ja, oder in Parks, war immer unterschiedlich, kommt darauf an, wo man gerade war.“

Mathilde: „Einmal war's etwas problematischer, in einer Tiefgarage, in der nichts los ist, im Fluchtweg, den man nicht abschließen darf. Dort habe ich es mir bequem ge-macht aber so, dass man morgens das nicht sieht, ich musste alles wieder abbauen. Der Hausmeister schimpft dann, der hat mich schon mal erwischt. Jetzt mach' ich das nur noch ganz selten.“

Es kommt aber auch zu Konflikten mit Schlafpartnern. Ein Teilnehmer berichtete im Inter-view, wie er nur knapp einer Stichverletzung entging, Mathilde, die mit ihrem Freund ge-meinsam Platte machte, musste ihren Schlafplatz verlassen, als sie sich von Ihrem Freund trennte:

Mathilde: „Aber nach vier Monaten bin ich mit dem Mann nicht mehr zurechtgekom-men, und bin dann weggelaufen. Da hab ich meine eigene Pennstelle verloren. Aber es ist so. Man darf den Mann nicht weiter reizen, es ist ein Moslem, […] und die lassen sich das nicht gefallen, wenn die Frau die Freundschaft kündigt.“

Ein ständiger Begleiter beim Platte machen ist die Angst vor Gewalttaten. Mehrfach wurde in den Interviews von der nur kurze Zeit zurückliegenden grausamen Ermordung eines Woh-nungslosen beim Platte machen berichtet, der mit einer brennbaren Flüssigkeit übergossen und angezündet worden war, worauf im Abschnitt über Gewalt noch näher eingegangen wird.

Die Angst vor Übergriffen ist ein weiterer Faktor, der die Schlafqualität vermindert.

Interviewer: „Hast Du denn gut geschlafen im Zelt?“

Daniela: „Nein, ich hatte immer Angst, dass irgendjemand kommt. Die Angst die ist glaub ich auch da, weil ich denke, ich stand für mich alleine, und die wollten auch von mir wissen, wo ich zelte, hier von den Behörden her, ich hab denen gesagt, hör mal, ich sag Euch nicht wo ich zelte. Sag ich, ich hab Angst, dass meine Sachen wegkom-men, die paar Sachen, die ich mir da gerade erst zugeeignet hatte, und zweitens sag ich, ich mein, wenn nachts einer kommt, wie soll ich mich wehren? Mit einem dicken Knüppel oder mit einem Messer, was bleibt mir da anderes übrig?“

Markus: „Weil wenn man auf der Straße schläft, schläft man immer mit einem Auge wach. […] Man kann nicht richtig schlafen, man hat keinen ruhigen Schlaf mehr.“

Die Folgen des schlechten Schlafes werden von den Teilnehmern der Studie eindrucksvoll ge-schildert. Sie berichten, dass sie tagsüber vor Müdigkeit unwillkürlich im Sitzen einschlafen.

Markus reflektiert besonders deutlich die Auswirkungen der Erschöpfung auf seine seelische Gesundheit:

Markus: „Ich hab mit dem Schlafen immer Probleme gehabt, weil, wenn man auf der Straße schläft, Gesundheit körperlich oder so, kann ich nicht sagen weil ich immer, ich bin duschen und so, das war immer kein Problem und so, aber so im Kopf her so psy-chisch hat sich das immer, immer Depression, und immer so ein bisschen krank gewe-sen, und Kopfschmerzen, und so. […] Man hat unregelmäßig geschlafen und das merkt man dann auch so im Kopf, man hat zu nichts mehr Lust, man kriegt nichts zu Stande und so. Das hab ich schon gemerkt.“

Bertram: „Wenn man zu wenig Schlaf kriegt, dann ist man durch den Wind, irgend-wie, das hab ich auch öfters, wenn es kalt ist, wenn es regnet und man draußen ist und dann nicht richtig schlafen kann, dann ist man durch den Wind.“

Karl: „Au! Ja wenn man nicht schlafen kann, ja dann ist es aus. Manchmal schlaf ich manchmal zwei Tage nicht, am dritten Tag, ja dann bist Du müde, ja dann, geh ich in den Stadtgarten und leg mich auf die Bank da.“

Gegen die nächtliche Kälte werden Schlafsäcke und warme Kleidung organisiert und verwen-det, wie bereits im Abschnitt über Witterung und Gesundheit beschrieben. Zudem werden Schlafplätze sorgfältig ausgesucht und nach Möglichkeit hergerichtet.

Bertram: „Da hab ich hinten bei den Bahngleisen eine Blechhütte gefunden, wenn es regnet, da hört man zu laut, aber dann hab ich da oben Blätter drauf gelegt und so was, dann ging das, dann wird man nicht nass.“

Bernd berichtet, dass er versucht, sich mit anderen Wohnungslosen zusammenzuschließen, um die Sicherheitslage zu verbessern:

Bernd: „Das ist ja, wenn Du draußen auf der Straße bist, Du kannst doch nicht allein sein. Nachts zum Beispiel, du musst entweder zu zweien sein, oder einen sicheren Platz haben, wo Du weißt, da kommt keiner hin.“

In der städtischen Übernachtungsstelle mit Wohnheim wohnen zwei der Studienteilnehmer dauerhaft und geben in den Interviews an, mit ihrer Situation in dieser Einrichtung sehr zu-frieden zu sein. Einer der beiden dort lebenden Teilnehmer war jedoch vor kurzem im Umfeld der Einrichtung Opfer einer lebensbedrohenden Gewalttat geworden, wie im Abschnitt über Gewalt im Einzelnen berichtet wird. Viele der übrigen männlichen Studienteilnehmer geben an, die Übernachtungsstelle aus Angst vor Diebstählen zu meiden. Volker beschreibt dann, wie er sich mit der Anforderung der Institution, vor der Aufnahme ein Duschbad zu nehmen, nicht arrangieren konnte.

Bernd: „Ich war da nur einmal. Da waren viele nur einmal.“

Interviewer: „Das hab ich schon öfter gehört.“

Bernd: „Wie ich wach geworden bin, waren meine Schuhe weg, meine Jacke war weg, und der Zimmerkollege war auch weg. Der hat da neue Schuhe gehabt. Aber jetzt soll es ja mittlerweile ein Bisschen sauberer und ordentlicher da geworden sein.“

Karl: „Ich war schon in [der Übernachtungsstelle], aber die haben dann den Schrank losgebrochen, die Hosen genommen, 'runtergeschmissen, und die anderen waren schon unten, zack.“

Interviewer: „Geklaut worden?“

Karl: „Ja [lacht]. So eine Scheiße.“

Markus: „Ich war noch nie da, ich hab das noch nicht gesehen, aber man hört viel so, und da soll es dreckig sein und viele dreckige Leute und so, das ist nicht mein Ding.“

Interviewer: „Hast Du schon mal [in der Übernachtungsstelle] gewohnt oder…“

Volker: „Nein, nie, ich wollte da mal rein, aber die haben mich, die wollten mich unter Aufsicht zwangsduschen.“

Interviewer: „Ha, ich weiß, die wollen unbedingt jeden duschen, bevor man da rein…“

Volker: „Ja, duschen ist ja nicht das Problem, ich hätte ja sofort geduscht, aber ich lass mich doch nicht da von einem wildfremden Mann beglotzen von oben bis unten beim Duschen, das entscheide ich, wer mich nackig sieht und wer nicht.“

Aber auch das Übernachten bei zweifelhaften Freunden kann problematisch sein, wie Bernd berichtet:

Bernd: „Aber das mit den Freunden das ist meistens nie so, das ist alles immer nur Sinn und Zweck. Entweder wollen die was von einem, oder die suchen sich aus für im Haus, um einen dann nicht schlafen zu lassen. Ist nichts.“

Zusammenfassung

Nicht nur Nässe und Kälte erschweren auch das Übernachten auf der Straße, sondern auch Schwierigkeiten, einen geeigneten Schlafplatz zu finden und in der Konkurrenz mit anderen zu behalten. Konflikte mit Schlafpartnern können ebenfalls zum Verlust des Schlafplatzes führen, genauso wie Passanten, Hausmeister oder die Polizei, die Wohnungslose jederzeit stö-ren und von ihstö-ren Schlafplätzen vertreiben können. Weil Wohnungslose beim Übernachten auf der Straße verhältnismäßig häufig Opfer von Verbrechen werden, mindert auch ständig vorhandene Angst von Gewalttaten die Schlafqualität.

Folgen des schlechten Schlafes sind Müdigkeit, wiederholtes Einnicken tagsüber, Antriebs-mangel, körperliche und seelische Erschöpfung bis zum Krankheitsgefühl und zur Depressi-on. Unter diesen Umständen versuchen die Studienteilnehmer, sich besser gegen die Witte-rung zu schützen, oder sich zur VerbesseWitte-rung ihrer Sicherheit mit anderen zusammenzuschlie-ßen. Von der Nutzung von Übernachtungsstellen sehen einige Gesprächspartnern aufgrund

von schlechten Erfahrungen, die sie dort gemacht haben, ab. Andere Gesprächspartner berich-ten von den Schwierigkeiberich-ten, die das Eingehen von Zweckfreundschafberich-ten im Austausch gegen einen Übernachtungsplatz in einer Wohnung verursacht.