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5.2.1 Wohnungslosigkeit und Gesundheit: Auswirkungen der Lebenssituation auf den Ge-

5.2.1.4 Ernährung und Gesundheit

Mathilde versucht, sich von Bio-Produkten zu ernähren, aber das sei ihr, so gibt sie an, bereits zu teuer geworden. Es sind aber nicht nur finanzielle Gründe, die es in der Wohnungslosigkeit erschweren, qualitativ und quantitativ ausreichende Nahrung aufzunehmen. Es ist auch das Fehlen einer Küche mit Kühlschrank, Herd, Kochgeschirr und so weiter, das es unmöglich macht, sich mit wenig Geld gesund zu ernähren:

Markus: „[…] aber wo ich auf der Straße gelebt hab, da war kein Kühlschrank und so, weißt du, da haben wir geguckt, alles klar morgens kurz zur Döner-Bude gegangen, oder irgendwo in einer Bäckerei was gefrühstückt, auch nicht richtig.“

Werner: „Wenn ich jetzt sage, wenn ich mir vornehme, ich möchte jetzt morgen mal gesund essen, ich möchte mir jetzt morgen mal ein Schnitzel in die Pfanne hauen, schönen gemischten Salat dazu, damit ich meine Vitamine kriege, Sättigungsbeilage mit Kohlehydraten, Ballaststoffe und so, […] muss man alles dafür kaufen.“

Markus, der derzeit bei einer Partnerin lebt, schildert, dass er die Tafel als eine Möglichkeit, sich günstig mit Lebensmitteln zu versorgen, nicht nutzen kann, weil er derzeit nicht beim Ar-beitsamt gemeldet ist, obwohl er kein Einkommen hat:

Markus: „Ich hab auch schon überlegt, ob ich zur Tafel gehen soll, aber da ich jetzt wieder mit Arbeitsamt und so, da muss man ja, braucht man eine Bescheinigung vom Arbeitsamt und so, damit man zur Tafel gehen kann.“

Interviewer: „Ach wirklich?“

Markus: „Ja, aber weil ich jetzt nichts mehr mit Arbeitsamt zu tun hab kann ich jetzt auch nicht mehr zur Tafel gehen.“

Ralf, der einen gesetzlichen Betreuer hat, und mit seiner jetzigen Versorgung im Wohnheim sehr zufrieden ist, berichtet von unzureichender Nahrungsversorgung durch seinen ehemali-gen „Pfleger und Vermieter“:

Interviewer: „Wo warst Du davor?“

Ralf: „Bei einem Pfleger und Vermieter. […] Und dann hat der noch nicht mal richtig gekocht. Es gab fast die ganze Woche nur Eintopf, einmal die Woche mit Fleisch, am Samstag gar nichts zu Essen, und morgens nur zwei Toaste mit Marmelade und zwei

Tassen Kaffee, und abends nur so Brote mit Leberwurst, lauter so billiges Zeug. Und ich hab gesehen, wie immer mein Betreuer kam, und ihm meine Rente gab. Das hat mich genervt.“

Aber selbst wenn Nahrung zur Verfügung steht, gelingt es einigen Wohnungslosen aufgrund von Erkrankungen und Beschwerden im Magen-Darm-Bereich nicht, ausreichend zu essen.

So berichtete Ralf vor dem Interview, dass er in der vergangenen Nacht starke Magenschmer-zen gehabt habe. Mehrere Studienteilnehmer mussten sich unmittelbar nach dem Essen unge-wollt erbrechen.

Karl: „Da kannst du auch essen gehen, brauchst du 50 Cent. In [der Teestube] da, ne.

Heute ist ja Montag, da steht wieder allerhand Kuchen da, da esse ich zwei Stück, und dann hau' ich wieder ab. Da brauch' ich den Fraß [das warme Essen] gar nicht einneh-men. Ich hab das meistens immer ausgekotzt, ne.“

Ein älterer Mann, der seit vielen Jahren Platte machte, und der sich gerne informell unterhielt, war bereits stark abgemagert. Er konnte aufgrund seines schlechten Zahnstatus keine feste Nahrung zu sich nehmen und erbrach sich ebenfalls unmittelbar nach der Nahrungsaufnahme.

Auch auf den Ernährungszustand anderer Untersuchungsteilnehmer hatte sich die mangelhafte Nahrungsversorgung bereits ausgewirkt. Anne gab an, in den vergangenen Monaten etwa 20 Kilo Gewicht verloren zu haben, bei Bertram, der bereits abgemagert aussah, waren es min-destens fünf Kilo. Ein besonders sportlicher Mann, der sich informell an der Studie beteiligte, und der erst vor wenigen Wochen seine Wohnung verloren hatte, war ebenfalls über seinen starken Gewichtsverlust und den Muskelabbau seit Eintritt der Wohnungslosigkeit besorgt.

Da ein Großteil der Studienteilnehmer in einer Teestube mit Mittagstisch rekrutiert worden war, nutzten viele dieses Angebot. Während manche nur selten kamen, gab es einige, die ge-schickt und mit recht großem Aufwand verschiedene Angebote in der Umgebung nutzten und so eine ausreichende Nahrungsversorgung sicherstellen können, wie es zum Beispiel Mathilde hier schildert:

Mathilde: „Du musst immer irgendwelches Essen, wenn Du nicht so viel Geld hast, musst Du irgendwelches Essen in Anspruch nehmen, nämlich von irgendeiner Sup-penküche. Das heißt bis zwei Uhr gibt es nur Essen und dann ist sowieso Schluss. Und

dann, einige Suppenküchen haben irgendwann in der Woche mal zu, haben am Wo-chenende nicht zu, und dann musst Du dann die Zeiten wissen von mehreren Städten.

Dann fängst Du noch an, hinterher zu reisen. […] So und dann fängt so ein kleiner Tourismus an, oder so. Man zieht dann umher. Da kriegt man, da hat man dann nicht so viel Geld um diese teuren Fahrkarten zu kaufen. Im Sommer kann man Wandern, ich wandere gerne, oder fahr' auch mit dem Fahrrad.“

Die Meinungen über die Qualität des Essens in den Einrichtungen gingen dabei in der für Großküchen üblichen Weise auseinander und reichten von „zusammen gematschter Abfall“

(Volker) über „gesund“ (Bernd) bis „manchmal richtig super“ (Martin).

Einige Interviewpartner nutzten die Tafel, um sich günstig Lebensmittel zu verschaffen. Hans und Ralf, die im Wohnheim untergebracht waren nutzten „Essen auf Rädern“ für ein tägliches warmes Mittagessen. Beide berichten, mit damit sehr zufrieden zu sein, von Hans ist aber zu erfahren, dass der im Wohnheim tätige Sozialpädagoge kontrolliert, ob er ausreichend isst, da bei ihm in letzter Zeit ein erheblicher Gewichtsverlust aufgefallen ist.

Einige Interviewpartner berichten auch, dass sie bei Freunden und Verwandten essen können, obwohl Patrick einschränkt dass das nur zu Beginn der Wohnungslosigkeit möglich ist. Er be-fürchtet, dass er bei länger dauernder Wohnungslosigkeit nur noch Freunde hätte, die eben-falls wohnungslos wären, und die ihm daher nicht mehr mit Essen aushelfen könnten. Markus berichtet, dass er sich bei Bekanntschaften mit Essen versorgen konnte:

Markus: „Oder ich bin zu irgendwelchen Mädchen hingekommen, hab mich von de-nen bekochen lassen.“

Andere Strategien sind weiter von „Normalität“ entfernt. Markus und Bertram schildern zu-nächst, wie sie sich durch Schnorren mit Nahrung versorgen:

Markus: „Auch wenn ich so Hunger auf Wurst gehabt hab, bin ich zu irgendwelchen Leuten hingegangen hab ich gesagt ich hab Hunger, sie sollen mir mal ein Brot fertig machen, haben sie mir auch was zu essen gegeben, oder so, hab ich gesagt, ich komm gerade nicht nach Hause oder so, und ich hab Hunger, mach mir mal was zu essen, und das was zu essen, und das war dann kein Problem.“

Bertram: „Ich versuch mich so durchzuschlagen, mit Schnorren. Ansonsten habe ich bei Pastoren geklingelt, zwei Pastoren kenne ich, hier um die Ecke ist ein Pastor und in [einem anderen Stadtteil] ist auch einer, da klingel' ich auch ab und zu, der gibt mir auch was, eine Tüte mit ein paar Butterbroten und Milch und so.“

Zwei weitere Interviewpartner berichten hier wie sie, wenn sie hungrig sind, Nahrung „klau-en“ und wie sie aus Abfällen, der an zweiter Stelle zitierte spricht von einem „Container“, Nahrung gewinnen:

„Also der Hunger, also der treibt einen dann wirklich dazu, echt jetzt an irgendeine Mülltonne jetzt hinzugehen, und da zu gucken, ist da noch irgendwas zu essen drin?

Das sollte man möglichst auch nicht machen, also ich bin da ganz ehrlich, also bevor ich in der Mülltonne gucken würde da geh ich jetzt lieber ins Geschäft und geh mir was klauen. Ich mein, ist jetzt auch nicht gerade so das Beste, ist natürlich auch wieder kriminell irgendwo.“

„Mit dem Essen? Also wenn ich Hunger hatte, Essen hab ich immer bekommen, wenn ich irgendwo in die Schrebergärten gegangen bin und Obst geklaut hab, oder eh, was weiß ich nicht, ich kenn Backstuben hier die haben nachts dann gebacken und so, die haben dann Container, da hab ich dann Brot rausgeholt oder so.“

Zusammenfassung

Die Nahrungsversorgung ist qualitativ und quantitativ häufig unzureichend. Dafür verantwort-lich sind vor allem Geldmangel, das Fehlen einer Küche und Magen-Darm-Erkrankungen, im Ausnahmefall auch eine qualitativ mangelhafte Versorgung durch Pflegepersonen. Die Folge sind Hungergefühl und Gewichtsverlust, im Extremfall Kachexie. Schwäche, Antriebsmangel und Niedergeschlagenheit werden von den Interviewpartnern zwar nicht mit Nahrungsmangel in Verbindung gebracht, jedoch trägt die Mangelernährung sicher zum Auftreten dieser Sym-ptome bei. Um die Versorgung zu verbessern werden Hilfeangebote genutzt, bei der Familie und bei Freunden gegessen, geschnorrt, geklaut und Mülltonnen durchsucht.