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Wissenschaftspropädeutische Arbeiten im gymnasialen Kontext

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Die Ausbildungsstufen unterschiedlicher Bildungssysteme können anhand der International Standard Classification of Education (ISCED) klassifiziert werden, was nationale und interna-tionale Bildungsvergleiche ermöglicht (UNESCO Institute for Statistics, 2012).

Das Bildungssystem der Schweiz lässt sich entlang dieser Klassifizierung mit den Bildungssys-temen in Deutschland und Österreich vergleichen. Es zeigt sich, dass alle drei Bildungssysteme grob in die Primarstufe (ISCED 1), die Sekundarstufe I (ISCED 2), die Sekundarstufe II (IS-CED 3) und die Tertiärstufe (IS(IS-CED 5, 6, 7, 8) gegliedert werden können.

Auf das Gymnasium als Ausbildungsstrang der Sekundarstufe II und dessen Bildungsziele geht Kapitel 4.1 näher ein. Einen wesentlichen Bestandteil des Unterrichtsangebots in Bezug auf die Erreichung des Bildungsziels des Gymnasiums bildet die wissenschaftspropädeutische Arbeit, die in Kapitel 4.2 fokussiert wird. Kapitel 4.3 fasst die wesentlichsten Aspekte zusammen und zeigt deren Relevanz für die vorliegende Arbeit auf.

4.1. Die Sekundarstufe II in der ISCED und das Bildungsziel des Gym-nasiums

Die im Rahmen dieser Arbeit im Fokus liegende Ausbildung der Sekundarstufe II (ISCED 3) ist durch ihre Ausrichtung darauf charakterisiert, Fähigkeiten zu vermitteln, die für die darauf-folgenden Ausbildungen relevant sind (UNESCO Institute for Statistics, 2012, ISCED level 3, A 162). Typischerweise sind die Schüler/-innen beim Einstieg in die Sekundarstufe II zwischen 14 und 16 Jahre alt (UNESCO Institute for Statistics, 2012, ISCED level 3, A 164). Eine der möglichen Ausbildungsvarianten auf der Sekundarstufe II bilden die Gymnasialen Maturitäts-schulen in der Schweiz, die in Deutschland als Gymnasiale Oberstufe und in Österreich als Allgemeinbildende höhere Schule (AHS-Oberstufe) bezeichnet werden. Die Bildungsziele die-ser Ausbildungsgänge werden aufgrund ihrer Vergleichbarkeit und dem hier vorliegenden Kon-text der Schweiz am Beispiel des Gymnasiums in der Schweiz erläutert.

Das Bildungsziel des Gymnasiums besteht darin, grundlegende Kenntnisse «im Hinblick auf ein lebenslanges Lernen» (Schweizerischer Bundesrat & EDK, 1995, Art. 5) zu vermitteln. Die

25 Schüler/-innen sollen «zu jener persönlichen Reife [gelangen], die Voraussetzung für ein Hoch-schulstudium ist und sie auf anspruchsvolle Aufgaben in der Gesellschaft vorbereitet»

(Schweizerischer Bundesrat & EDK, 1995, Art. 5). Nach Abschluss der gymnasialen Maturität verfügen die Schüler/-innen somit über die Fähigkeit, «sich den Zugang zu neuem Wissen zu erschliessen, ihre Neugier, ihre Vorstellungskraft und ihre Kommunikationsfähigkeit zu entfal-ten sowie allein und in Gruppen zu arbeientfal-ten» (Schweizerischer Bundesrat & EDK, 1995, Art.

5). Durch die an Universitäten vermehrt geforderten Phasen des Selbststudiums wird dem Gym-nasium als vorgelagerter Ausbildung eine spezielle Rolle zuteil, da die erfolgreich absolvierte Maturität als Ausweis der allgemeinen Hochschulreife gilt und damit eine uneingeschränkte Zulassung (mit Ausnahme des Medizinstudiums in der Schweiz) an einer Fachhochschule oder universitären Hochschule garantiert (Schweizerischer Bundesrat & EDK, 1995). Damit ist die Vermittlung der Fähigkeit zum selbstregulierten Lernen neben der Vermittlung von Fach- und Sachwissen eines der Hauptziele institutionalisierter Bildungsprozesse (Baumert et al., 2001).

Die Hochschulreife kann entlang des selbstregulierten Lernens (vgl. Kapitel 3) gefördert wer-den. Durch Erfahrungen im selbstregulierten Lernen und damit durch den Erwerb überfachli-cher Kompetenzen sollen Lernende besser auf ein Studium vorbereitet werden (Kyburz-Graber

& Notter, 2019). Folglich wurden selbstregulierte Arbeitsformen, wie die hier im Zentrum ste-hende wissenschaftspropädeutische Arbeit (Maturaarbeit), in die gymnasiale Ausbildung un-terschiedlicher Länder eingeführt (Kyburz-Graber & Notter, 2019).

Wissenschaftspropädeutische Arbeiten dienen folglich zum einen als Instrument zur Förderung der genannten Fähigkeiten, werden aber zum anderen auch zur Bewertung des Erwerbs dieser Fähigkeiten herangezogen (Huber, Husfeldt, Lehmann & Quesel, 2008b). Folgendes Kapitel 4.2 erläutert wissenschaftspropädeutische Arbeiten unterschiedlicher Länder näher und geht auf die besondere Stellung der Lehrpersonen im Rahmen der Betreuung und Beurteilung solcher Arbeiten ein.

4.2. Wissenschaftspropädeutische Arbeiten

Das Wort propädeutisch stammt aus dem Griechischen und bedeutet «vorher unterrichten»

(Duden, 2018h) oder auch «in ein Studienfach einführen» (Duden, 2018i). Da es sich in diesem Kontext um wissenschaftspropädeutische Arbeiten handelt, kann diese Wortbedeutung abge-leitet werden auf das ‘vorher Unterrichten von wissenschaftlichem Arbeiten’, was sich als die

26 Vorbereitung auf wissenschaftsbasierte Tätigkeiten verstehen lässt und unter anderem das Schreiben wissenschaftlicher Texte beinhaltet. Solche wissenschaftlichen Arbeiten sind in der Regel am Ende der Sekundarstufe II zu verfassen und werden, je nach Land, unterschiedlich bezeichnet.

In Deutschland wird die wissenschaftspropädeutische Arbeit Facharbeit (FA) genannt. Mit dem Ziel, die allgemeine Studierfähigkeit der Schüler/-innen der Oberstufe zu verbessern, wurde die FA im Kontext der Oberstufenreform 1972 eingeführt (Kulturministerkonferenz (KMK), 1972). Seit dem Jahr 2000 ist diese wissenschaftspropädeutische Arbeit fester Bestandteil in den Lehrplänen der einzelnen Bundesländer (Schmölzer-Eibinger, Bushati, Ebner &

Niederdorfer, 2018). Im Aufbau gleicht sie einer wissenschaftlichen Arbeit (z. B. Bachelor- oder Masterarbeit), fällt jedoch weniger umfangreich aus (Beck & Lübeck, 2016). Die Umset-zung der FA variiert je nach Bundesland (Schindler & Fischbach, 2015). Die Vorgaben zum Umfang liegen zwischen zehn und dreissig Seiten, wobei ein Bearbeitungszeitraum von fünf Monaten bis zu einem Jahr gewährt wird (Schmölzer-Eibinger et al., 2018). Auch wenn die FA einen direkten Einfluss auf die Abiturnote nimmt, fällt deren Gewichtung je Bundesland unter-schiedlich aus (Schmölzer-Eibinger et al., 2018). Gemeinsam ist diesen Arbeiten über die Bun-deländer hinweg, dass die Schüler/-innen eine wissenschaftliche Fragestellung auf der Basis vorhandener Literatur bearbeiten müssen (Schmölzer-Eibinger et al., 2018). Auch einige der vorgegebenen Pflichtelemente unterscheiden sich zwischen den Bundesländern nicht: Die FA soll ein Titelblatt, ein Inhaltsverzeichnis sowie die Strukturelemente Einleitung, Hauptteil und Schluss beinhalten. Zudem ist eine eidesstattliche Versicherung beizulegen, dass die FA eigen-ständig verfasst und genutzte Hilfsmittel eindeutig ausgewiesen wurden. Weitere Vorgaben für die Arbeit können von der Schule und/oder der Fachlehrkraft bestimmt werden (Beck &

Lübeck, 2016). Jede Lehrperson, die in der entsprechenden Jahrgangsstufe unterrichtet, ist dazu angehalten, FAs für ihren Fachbereich zu betreuen und zu beurteilen (Schmölzer-Eibinger et al., 2018). Auch wenn sich FAs stark an wissenschaftlichen Arbeiten orientieren und zum Be-stehen des Abiturs sowie zum Erzielen der angestrebten Abiturnote beitragen, werden diese deutlich als Lern- und nicht als Prüfungsform deklariert (Pohl & Steinhoff, 2010).

In Österreich wird diese Art der wissenschaftspropädeutischen Arbeit als vorwissenschaftliche Arbeit (VWA) bezeichnet (Karmasin & Ribing, 2017). Eine Lehrperson betreut und beurteilt dabei höchstens fünf Schüler/-innen (Jäger, 2018). Die VWA bildet einen Teil der Reifeprü-fung, die eine selbstständige und fachlich fundierte Auseinandersetzung mit einem Thema von

27 den Schülerinnen und Schülern fordert. Die VWA bildet mit etwa 15 bis 25 Seiten das Pendant zur FA in Deutschland und dient ebenfalls als Vorbereitung auf das wissenschaftliche Arbeiten an einer Universität oder Hochschule (Karmasin & Ribing, 2017). Der thematische Schwer-punkt der Arbeit lässt sich frei wählen, solange dieser der Fachkompetenz der Betreuungsper-son entspricht. Wie bereits bei der FA erfolgen auch hier Vorgaben zu gewissen Bestandteilen der VWA: Die Arbeit soll ein Deckblatt, ein Inhalts- und Abbildungsverzeichnis, einen Textteil, der in eine Einleitung, einen Hauptteil und einen Schluss gegliedert ist, sowie ein Literaturver-zeichnis und gegebenenfalls einen Anhang enthalten. Falls von der Betreuungsperson ge-wünscht, kann auch ein Vorwort verpflichtender Teil der VWA sein (Karmasin & Ribing, 2017). Im Gegensatz zur FA in Deutschland beinhaltet die VWA in Österreich zusätzlich ein Abstract im Umfang von 1.000 bis 1.500 Zeichen sowie ein Begleitprotokoll. Dieses Protokoll soll eine Dokumentation des Arbeitsverlaufs und eine Nennung der verwendeten Hilfsmittel und Hilfestellungen aufweisen. Zudem ist eine Auflistung der Vereinbarungen und Bespre-chungen mit der Betreuungsperson einzubringen. Auch eine Angabe über die Anzahl der Zei-chen mit einem Maximum von 60.000 ZeiZei-chen der abgegebenen Arbeit soll darin enthalten sein (Karmasin & Ribing, 2017).

In der Schweiz werden wissenschaftspropädeutische Arbeiten auf der Sekundarstufe II als Ma-turaarbeit (MA) bezeichnet. Die MaMa-turaarbeit ist seit Mitte der 1990er-Jahre Bestandteil des gymnasialen Curriculums (Zillig, 2004). Gezielte Bestimmungen zum Gymnasium und zur Ma-turaarbeit sind im Maturitätsanerkennungsreglement (MAR) dokumentiert. Das Ziel der Matu-raarbeit wird darin allerdings nicht explizit ausgewiesen. Aufgeführt wird lediglich, dass Schü-ler/-innen «allein oder in einer Gruppe eine grössere eigenständige schriftliche oder schriftlich kommentierte Arbeit erstellen und mündlich präsentieren» müssen (EDK, 1995, Art. 10). Viele Gymnasien erlauben Gruppenarbeiten von max. zwei bis drei Schüler/-innen, wobei die jewei-lige Eigenleistung der Beteiligten klar ersichtlich und bewertbar sein muss (Zillig, 2004). Zu-dem wird die Maturaarbeit oft als «projektbezogene Arbeit beschrieben, bei der die Selbstor-ganisation eine wichtige Rolle spielt» (Huber, Lehmann & Husfeldt, 2011, S. 450). Behördliche Vorgaben für die Maturaarbeit bestehen für zwölf Kantone, die jedoch in Bezug auf den De-taillierungsgrad stark variieren. Für die übrigen 14 Kantone liegt die Regelung der Maturaarbeit bei den einzelnen Schulen (Zillig, 2004). Dies hat zur Folge, dass sich sowohl das Vorgehen bei der Themenwahl (freie Wahl vs. vorgegebene Rahmenthemen) als auch die Praxis in Bezug auf die Betreuungsarbeiten (zwei vs. eine Betreuungsperson, Wahlrecht vs. Zuteilung) unter-scheiden. An vielen, aber nicht allen Gymnasien werden die Schüler/-innen angehalten, ein

28 Arbeitsjournal zu verfassen (Zillig, 2004), das im Gegensatz zum Begleitprotokoll in Österreich vorwiegend eine Arbeitsprozessdokumentation darstellt. Seit der Teilrevision des MAR im Jahr 2007 zählt die Maturaarbeit zu «den Bestehensnormen der gymnasialen Maturität» (Huber et al., 2011, S. 456). Die Maturaarbeitsnoten werden «aufgrund des Arbeitsprozesses, der schrift-lichen Arbeit und ihrer Präsentation» (Schweizerischer Bundesrat & EDK, 1995, Art. 15) durch die Betreuungsperson festgelegt.

4.3. Zusammenfassung und Ableitung für die vorliegende Arbeit

Das Bildungssystem der Schweiz lässt sich entlang der Internationalen Bildungsklassifizierung (ISCED) mit anderen Bildungssystemen, wie beispielsweise jenem in Deutschland oder Öster-reich, vergleichen. Das Gymnasium bildet einen möglichen Ausbildungszweig auf der Sekun-darstufe II (ISCED 3), das unter anderem das Ziel verfolgt, auf ein Universitäts- oder Hoch-schulstudium vorzubereiten und somit Wissen und Fertigkeiten in Bezug auf das lebenslange Lernen zu vermitteln (vgl. Kapitel 4.1). Diese Hochschulreife kann im Rahmen des selbstregu-lierten Lernens gefördert werden. Durch Erfahrungen im selbstreguselbstregu-lierten Lernen und damit durch den Erwerb überfachlicher Kompetenzen sollen Schüler/-innen besser auf ein Studium vorbereitet werden. Ein Instrument zur Förderung und Überprüfung dieser Fähigkeit zum selbstregulierten Lernen stellen die hier im Zentrum stehenden wissenschaftspropädeutische Arbeiten (MA, FA, VWA) dar, entlang derer die zentrale externe Ressourcenstrategie des selbstregulierten Lernens – die Hilfesuche – untersucht wird. Diese bildet das Kernthema dieser Arbeit und wird in den folgenden Kapiteln fokussiert.

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