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4 Der Übersetzungstext und seine Rezepton

4.3 Das Prinzip Adapton II – Das frühauflärerische Gotesbild

4.3.1 Ein wissenschaflicher Schöpfungsbericht

Schmidt verweist bereits bei den ersten Worten seiner Übersetzung der Genesis auf die (Natur-)wissenschaf. Indem er für

םִי ַמָׁשַה

nicht ‚Himmel’, sondern ‚alle Weltkörper’ übersetzt, verwendet er ein zu seiner Zeit gebräuchliches wissen-schafliches Vokabular – und die Erwartung, die er durch das Vokabular evoziert, wird im Folgenden eingelöst: Der Schöpfungsbericht wird bei Schmidt in dieses wissenschafliche Verständnis der Welt eingeordnet. Gerade die Erschafung der Welt muss Schmidt in die Kausalkete von Ursache und Wirkung einordnen, denn hier nehmen alle weiteren Kausalketen ihren Anfang. Bei der Erschafung

der Welt dürfen folglich nur Mitel zum Einsatz kommen, welche einer vernünfi-gen Prüfung standhalten. Daher kommt

םוה ְת

, der mythisch konnoterte ‚Ur-grund’ in Schmidts Übersetzung nicht vor, ebenso wenig eine ‚Finsternis’ mit un-klarer Ursache, statdessen ist die Erde von einem ‚fnsteren Nebel’ umgeben.

Mit der schriflichen Diskussion, die sich zwischen Schmidt und Christoph Mat-thäus Pfaf um diesen ‚fnsteren Nebel’ und seine Erklärung zuträgt, soll in die zeitgenössische Debate um die ‚Wertheimer Bibel’ eingestegen werden.

Schmidt erläutert in seiner Anmerkung 3, weshalb er für

ךֶשֹח

‚fnsteren Nebel’

übersetzt: Durch die Wärmeeinwirkung der Sonne auf das Wasser sei es zu

‚Dünsten’ und zu einem Nebel gekommen. Und dieser Nebel habe die Sonne ver-deckt, weshalb es auf der Erde fnster gewesen sei. Daher ist ‚fnsterer Nebel’ für Schmidt der deutliche Begrif, der in den Übersetzungstext gehört.502

Nun wird aber die Sonne – zumindest in der traditonellen Lesart der Genesis – erst am vierten Tag erschafen, Schmidt jedoch bezieht sie hier noch vor dem Ende des ersten Tages in seine Argumentaton ein; worauf Pfaf in seiner Kritk der ‚Wertheimer Bibel’ hinweist.503 In einer Antwort auf Paf, die Schmidt in der

‚Samlung’ als Fußnotentext direkt unter den Text von Pfaf druckt, erläutert Schmidt, weshalb er davon ausgeht, dass die Sonne schon am ersten Tag exis-terte. Er führt an, dass nach Gen 1,5 bereits dieser erste Tag aus Tag und Nacht bestand und argumentert weiter, dass Tag und Nacht „die Zeit in sich [begreifet], da die Sonne wieder in den Mitagszirkel kommt.“504 Schmidt bezieht sich hier also auf die physikalische Erklärung für die Entstehung von Tag und Nacht. Zudem legt Schmidt dar, dass es unlogisch sei, davon auszugehen, dass die Sonne bis zum vierten Tag nicht vorhanden gewesen sei, da bis dahin schon Vorgänge passierten, die ohne Sonnenlicht nicht möglich seien, wie etwa das Wachstum der Pfanzen:

Den driten Tag kommen die Gewächse hervor. Dieses kan auf der ganzen Erde nicht ohne einen erwärmenden Körper geschehen, welcher kleiner ist, als die

Son-502 Vgl. die Aussage Schmidts: „Die Sonne war also da, und schien auf die obere Fläche der Erde, welche aus lauter Wasser bestund. Hieraus entstunden viele Dünste, welche aber nicht in die Höhe steigen konten, weil die füssige Materie um die Erde damals noch von leichterer Art war. Sie blieben also unten hängen und machten einen dicken Nebel, und dieser war die Ur-sache der Finsterniß.“ (Anonym, Schrifen, 4).

503 Vgl. Pfaf, Bedenken, 457.

504 Anonym, Pfafens, 457.

ne. Will man einen Körper an ihrer Stat erdichten: so muß man sagen; wann der -selbe erschafen worden, und wo er nachgehends hingekommen sey? Sind dieses nicht Widersprüche?505

Aber was macht Schmidt nun mit Gen 1,16, dem Vers, in dem Got Sonne und Mond erschaf? Schmidt verweist auf das sehr vage hebräische Zeitensystem:

„Kan nicht das Wort vai-iaa heissen: Got hate gemacht (16 V.)?“ Schmidt meint also, dass das Verb ein Perfekt bezeichnet und damit einen Vorgang, der zum Zeitpunkt des Sprechens schon abgeschlossen war. Für Schmidt listet der Schöp-fungsbericht damit zwar Gotes Schöpfungswerke auf, er tut dies aber nicht in der chronologischen Reihenfolge, in der diese Werke erschafen wurden.506 Wenn also die Sonne in der Genesis unter dem vierten Tag gelistet ist, so heißt das für Schmidt nicht, dass sie auch zu diesem Zeitpunkt entstanden sein muss.

Gleiches gilt für den Wind, denn auch hier kritsiert Pfaf, dass Schmidt den Wind und somit die Luf bereits in Gen 1,2 erwähnt, dabei sei die Luf erst später er-schafen worden. Ausschlaggebend für die zeitliche Abfolge der Schöpfung sind für Schmidt die Naturgesetze: „Die Werke der Schöpfung sind nach und nach zu Stande gekommen, wie es nach den Gesetzen der Bewegung geschehen konte.“507 Nun wird der Bibeltext beim Übersetzen von Schmidt an diese herme-neutsche Prämisse angeglichen und dasjenige Wort in der Übersetzung verwen-det, das mit ihr vereinbar ist. Schmidt selbst sagt: „Die Worte müssen aus den Sachen erkläret werden, und nicht umgekehrt.“508

In der 1736 verfassten ‚Beantwortung verschiedener Einwürfe’ spezifziert Schmidt noch einmal, wie die Schöpfung seiner Meinung nach vor sich gegangen sein muss:

Die Hervorbringung der Dinge, ohne daß vorher andere waren, heisset die Schöp -fung. Got hat also bey Erschafung der Welt nichts als einfache Dinge hervorge-bracht, und zwar solche, welche durch ihre innerliche Kraf die gegenwärtge Welt, die Got erschafen wolte ausmachen und die verschiedenen Veränderungen in

505 Anonym, Pfafens, 457.

506 Steck erläutert, dass die von Schmidt angeführten Unstmmigkeiten der historisch-kritschen Bibelexegese als Hinweis dafür gelten, dass der erste Schöpfungsbericht nicht aus einem Guss ist, sondern einen längeren Werdegang hinter sich hat (vgl. Steck, Schöpfungsbericht, 13). Eine solch literarkritsche Erklärung für die mangelnde Logik des Textes kommt für Schmidt jedoch ofensichtlich nicht in Betracht.

507 Anonym, Pfafens, 458.

508 Anonym, Pfafens, 458.

derselben zu Stande bringen konten. Weil die einfachen Dinge nicht anderst, als auf einmal, entstehen können; und die Kraf derselben sich auf alle andere beziehet, welche mit ihnen zugleich sind: so hat Got mit einer einigen Handlung die ganze Welt erschafen.509

Schmidt ist also ausdrücklich nicht der Ansicht, Got habe die Welt an sechs auf-einander folgenden Tagen erschafen. Zudem macht er deutlich, dass er die Schöpfung als den Akt ansieht, mit dem Got als erste Ursache die Ordnung der Welt in Gang gesetzt hat. Von hier aus ergeben sich die weiteren Entwicklungen aus der ‚innerlichen Kraf’ dieser ersten ‚einfachen Dinge’.