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4 Der Übersetzungstext und seine Rezepton

4.3 Das Prinzip Adapton II – Das frühauflärerische Gotesbild

4.3.4 Gotes Interakton mit den Menschen

Reinbeck. In seiner Vorrede zu ‚Wertheimer Bibel’ hat Schmidt bereits ausge -führt, dass die Verwendung von Wörtern mit ‚verblümtem Verstand’ Kennzei-chen einer noch wenig entwickelten Sprache sei, also ein Überbleibsel der Sprachgeschichte.544 Für Schmidt lässt sich

רֶמאֹיַו

nicht korrekt mit dem deut-schen ‚und er sprach’ wiedergeben, vielmehr müsse man den hebräideut-schen Aus-druck auf den Begrif der götlichen Absicht zurückführen und dies dann auch im Deutschen so wiedergegeben.545 An der Stelle Gen 1,3 wird somit noch einmal deutlich, dass Schmidt Metaphern keinen eigenen Wahrheitsgehalt einräumt.

Reinbeck formuliert einen solchen Wahrheitsgehalt zwar nicht ausdrücklich, ar-gumentert aber de facto in diese Richtung, wenn deutlich macht, dass es sich hier um kein menschliches Sprechen handelt, dass aber dem Wort ‚Sprechen’ in diesem Kontext ein wesentlicher Sinn beiliegt, der durch andere Übersetzungen verloren ginge. Zudem zeigt sich an dieser Stelle auch ein unterschiedliches Got-tesbild: Bei Reinbeck wirkt Got selbst unmitelbar auf die Schöpfung ein, bei Schmidt dagegen ist Gotes Wirken deutlich mitelbarer.

Diese Einschränkung des götlichen Handelns wird bereits zu Anfang der ‚Wert -heimer Bibel’ im ersten Satz der Genesis deutlich. Im Hebräischen ist Got der unmitelbar schafende Akteur, denn die Vokabel

א ָרָב

steht im aktven Modus.

Bei Schmidt dagegen stehen ‚alle Weltkörper’ und die ‚Erde selbst’ prominent am Anfang des Satzes und Gotes Wirken wird nur im Passiv wiedergegeben:

„Alle Weltkörper, und unsere Erde selbst, sind anfangs von Got erschafen wor-den.“546

Menschen zu interagieren scheint. Zunächst soll das Konzept erläutert werden, das hinter Schmidts Übersetzungsentscheidungen steht und von ihm in der ‚Fest gegründeten Wahrheit’ ausführlich dargestellt wird, bevor auf Beispiele in der Übersetzung eingegangen wird und schließlich auf die zeitgenössische Kritk, die an Schmidts Übersetzung geäußert wurde.

Schmidt unterscheidet in § 33 der ‚Fest gegründeten Wahrheit’ eingangs zwi-schen ‚Erscheinungen’ und ‚Gesichten’. Erscheinungen sind laut Schmidt „Vor-stellungen von einem Geiste, welche in unsern Sinnen“ geschehen. Wichtg ist laut Schmidt, dass man bei Erscheinungen „in dem Zustand klarer und deutlicher Empfndungen“ sein muss. Dagegen ist ein Gesicht, „eine Vorstellung in der Ein-bildungskraf, welche sich nicht aus ihren Regeln [= den Regeln der Einbildungs-kraf, A. F.] erklären lässet“. Während eines Gesichtes befndet man sich in ei-nem „Zustand dunkeler Empfndungen“. Gesichte ereignen sich daher während des Schlafs oder einer ‚Entzückung’. Eine Erscheinung hat also einen Anhalts-punkt in der sinnlichen Wahrnehmung und somit in der Empirie, wohingegen sich ein Gesicht für Schmidt gerade dadurch kennzeichnet, dass die sinnliche Wahrnehmung der Außenwelt getrübt ist.547

Nachdem Schmidt diese Unterscheidung dargelegt hat, erläutert er, dass es Got viel mehr entspreche, „durch Gesichte den Menschen Begrife beyzubringen, als durch Erscheinungen.“ Dies begründet er damit, dass Got ein „einfaches Ding“

sei und bestrebt, keine Vorstellungen von seiner „Figur“ zu vermiteln, „um da-durch den Begrif des Einfachen bey andern zu erhalten“. Bei einer Erscheinung enthielten aber die Sinneseindrücke oder – wie Schmidt sie nennt – die Empfn-dungen „nichts als zusammengesetzte Dinge“. Dies steht für Schmidt im Wider-spruch zu Got als ‚einfachem Ding’. Wenn Got sich überhaupt in Erscheinungen zeige, dann nur in der Weise, „daß der Begrif des Einfachen dabey so gut erhal-ten wird, als es möglich ist“. Am Ende seiner Ausführungen kommt Schmidt da-her zu dem Schluss: Wenn „eine Vorstellung von Got oder einem andern Geiste vorkommt, wobey keine ausdrückliche Merkmahle deutlicher Empfndungen an-zutrefen sind: so hat man sie eher für ein Gesichte, als für eine Erscheinung, zu halten“. Mit diesen Ausführungen entzieht Schmidt die meisten Stellen, an

de-547 Alle Zitate dieses Absatzes: vgl. Anonym, Wahrheit, 126–128.

nen von einer Interakton Gotes mit Menschen erzählt wird, der sinnlich wahr-nehmbaren und empirisch messbaren Wirklichkeit und ordnet sie auf der glei-chen Ebene wie den Traum ein. Zudem hat er einer Verbalinspiraton bei ten eine klare Absage erteilt, denn Schmidt geht davon aus, dass Got in Gesich-ten nur Begrife vermitelt. Die Worte sind dabei lediglich „Zeichen von den Be-grifen“.548

Bei Stellen, an denen Got zu einem Menschen spricht, gibt Schmidt diese direk -te Anrede durchaus wieder, etwa in Ex 32 als sich Got an Mose wendet. Es gibt im Pentateuch aber auch Stellen, an denen Got mit den Menschen interagiert, diese Stellen jedoch nicht als Bericht über ein akustsches ‚Gesicht’ eingeordnet werden können. Es handelt sich laut um „Erscheinungen und solche[] Gesichten, bey welchen Bilder“ vorkommen. Schmidt schränkt Gotes direkte Teilhabe an dieser Klasse von Erscheinungen und Gesichten ein: Es entspreche Got mehr, wenn er sich bei solchen Gelegenheiten der „Geister“ bediene, die dann als seine Gesandten handelten. Weil dieser Gesandte aus „der Gewalt seines Obern“

handle, habe die Begegnung „nach den Regeln der Gesandtschaf die Gültgkeit, als wenn man die Unterhandlungen mit Got selbst gepfogen häte“. Daher wür-den die Menschen die Begegnungen mit diesen Gesandten Got selbst zuschrei-ben. Mit dieser Schlussfolgerung eröfnet sich Schmidt die Möglichkeit, in sei-nem Übersetzungstext einen Gesandten als Mitler zwischen Got und den Men-schen zu setzen.549

Auf diese Weise verfährt Schmidt etwa in Gen 16,13. In der rahmenden Erzäh -lung in Gen 16 wird berichtet, dass Hagar in der Wüste einen Engel trif. Zu-nächst wird dieser im hebräischen Text in 16,7 als

הָוהְי ך ַאְל ַמ

bezeichnet. Im wei-teren Verlauf der Begegnung ist von dem Engel in Gen 16,13 jedoch nicht mehr die Rede. Luther übersetzt Gen 16,13 wie folgt: „UND sie hies den Namen des HERRN, der mit jr redet, Du Got sihest mich, denn sie sprach, Gewislich hie hab ich gesehen den, der mich hernach angesehen hat“.550 Schmidt dagegen klassif-ziert das Geschehen als ‚Erscheinung’ und fügt einen Engel als Gesandten in sei-ner Übersetzung ein:

548 Alle Zitate dieses Absatzes: vgl. Anonym, Wahrheit, 126–128.

549 Alle Zitate dieses Absatzes: vgl. Anonym, Wahrheit, 126–128.

550 Luther, WA DB 8, 77.

Weil nun hier Got durch einen Engel mit ihr hate reden lassen, so sagte sie: du bist ia ein Got, der sich sehen lässet (El Roi)? Ingleichen sagte sie, nachdem die Er -scheinung vorbei war: Got lässet sich auch in dieser Gegend sehen?551

Schmidts Übersetzung der Erzählung Gen 18, in der Abraham im Hain Mamre eine Begegnung mit Got hat, ist ein weiteres Beispiel dafür, wie Schmidt Got nur mitelbar mit den Menschen interagieren lässt. Nach Joachim Lange geht es in dieser Erzählung darum, „wie der Sohn GOtes mit zween erschafnen Engeln dem Abraham sichtbarer Weise erschienen ist“.552 Luther übersetzt Gen 18,1a

„VND der HERR erschein jm im Hayn Mamre“,553 Schmidt dagegen klassifziert das Geschehen als ‚Erscheinung’: „Hier, bey dem Eichenwald Mamre, hate Abraham noch eine andere götliche Erscheinung“.554 Weiter heißt es in Vers 13a bei Luther: „DA sprach der HERR zu Abraham“.555 Hier fügt Schmidt gemäß sei-ner Theorie einen Mitler ein und übersetzt: „Der götliche Gesandte saget zu Abraham“.556 In dieser Weise verfährt Schmidt bei dieser Erzählung mit allen weiteren Stellen, an denen von einer direkten Interakton Gotes mit Abraham die Rede ist.

Für Joachim Lange sind Schmidts Änderung deshalb nicht tragbar, weil er davon ausgeht, dass der Sohn Gotes bereits in den Erzählungen des Pentateuch auf-taucht und mit den Menschen interagiert. Der Schlüssel für Langes Lesart des Pentateuch ist die Figur des

הָוהְי ך ַאְל ַמ

oder

םיִהלֱא ך ַאְל ַמ

. Diesen identfziert Lange mit dem Sohn Gotes, der ein „geheime[s] Vorspiel auf seine Sendung und Menschwerdung“ gebe. 557 Der Baustein ‚Engel des HERRN’ besitzt für den Nach-weis des Zusammenhangs von Altem und Neuem Testament eine besondere Wichtgkeit – dies zeigt sich an dem Raum, den Lange diesem Thema in seiner

551 Anonym, Schrifen, 69f.

552 Vgl. Lange, Religions-Spöter, 46.

553 Luther, WA DB 8, 81.

554 Anonym, Schrifen, 75.

555 Luther, WA DB 8, 81.

556 Anonym, Schrifen, 75.

557 Vgl. die Aussage Langes: „Es ist bey der gantzen nicht allein Evangelischen, sondern auch Christlichen Kirche, eine vest gegründete Wahrheit, daß der Sohn GOtes, als der ehemal noch zukünfige Meßias, sich, zum geheimen Vorspiel auf seine Sendung und Menschwer-dung, den Patriarchen als der Engel des Herrn, auch mit sichtbaren Erscheinungen geofen-baret, und damit nicht allein seine vom Vater und Heil. Geist unterschiedene besondere Per-sönlichkeit, andern dabey auch seine wahre Gotheit durch götliche Namen, götliche Eigen-schafen, götliche Wercke, und durch angenommene götliche Verehrung zu erkennen gege-ben hat“ (Lange, Religions-Spöter, 16).

gegen Schmidt gerichteten Schrif einräumt. Lange diskutert in der ersten Auf-lage des ‚Religions-Spöters’ auf fünf Seiten insgesamt sechs Stellen,558 an denen Schmidt den ‚Engel des Herrn’ im Pentateuch nicht mehr erwähnt. Zudem han-delt er in der zweiten Aufage des ‚Religions-Spöters’ in der neu hinzugefügten driten Secton die Thematk noch einmal auf sieben Seiten ab.559 Auf der Grund-lage dieser Identfkaton des

הָוהְי ך ַאְל ַמ

mit dem Sohn Gotes, erkennt Lange zu-dem auch in weiteren Stellen den Sohn Gotes in Gestalt des ‚Engels des Herrn’, auch wenn nicht direkt von einem

הָוהְי ך ַאְל ַמ

oder

םיִהלֱא ך ַאְל ַמ

die Rede ist.560 Lange kritsiert Schmidt daher dafür, dass Schmidt meist nur ‚Engel’ übersetzt, wenn im hebräischen Text von einem

הָוהְי ך ַאְל ַמ

oder

םיִהלֱא ך ַאְל ַמ

die Rede ist, und somit eine Lesart dieses Engels als Sohn Gotes ausschließt. In der ‚Fest ge-gründeten Wahrheit’ verteidigt sich Schmidt gegen Langes Angrife. Schmidt meint, dass es keinen Unterschied mache, ob man bloß ‚Engel’ oder ‚Gesandter Jehovas’ schreibe.561 Für Langes Kritk hat Schmidt kein Verständnis: „Ich kan also nicht begreifen, was Herr Lange haben will, wenn er dieses Verfahren tadelt“.562 Im Weiteren legt Schmidt in der ‚Fest gegründeten Wahrheit’ bei den einzelnen Pentateuchstellen dar, weshalb eine Identfkaton des Sohnes Gotes mit dem

הָוהְי ך ַאְל ַמ

nicht mit dem Text vereinbar sei.

Wie so of in der Debate um die ‚Wertheimer Bibel’ argumenteren Schmidt und Lange auch in der Frage des ‚Engels des HERRN’ aneinander vorbei, weil sie sich dem Alten Testament mit unterschiedlichen Erwartungen und Bedürfnissen nä-hern. Schmidt will nachweisen, dass der Got des Pentateuch einem vernünfi-gem Gotesbild entspricht, Lange hingegen will eine christologische Lesart des Pentateuch sicherstellen, um von hier aus die Wahrheit des Neuen Testaments zu beweisen. Dieser Diskussionspunkt zeigt somit sehr deutlich, wie stark die

in-558 Die Stellen sind: Gen 16,7; Gen 21,17; Gen 22,11; Gen 31,11; Ex 3,2; Num 22,22 (vgl. Lange, Religions-Spöter, 16–20).

559 Vgl. Lange, Religions-Spöter, 44–50.

560 Etwa in Gen 18,1f.; Gen 28,11f.; Ex 23,20 (vgl. Lange, Religions-Spöter, 16–20).

561 Vgl. die Aussage Schmidts: „Wie pfegen die Geister ausser unseren Seelen, welche die götli -chen Absichten befördern, schlechterdings Engel zu nennen: gleichwie wir die andern, wel-che den Absichten Gotes entgegen handeln, durch den Zusatz, böse Engel, von ienen unter-scheiden. Die Bennungen, der Gesandte Jehovas und der Engel, sind dahero einander voll-kommen gleichgültg: und dieses ist die Ursache, warum ich die letzte öfers allein gebraucht habe“ (Anonym, Wahrheit, 132f.).

562 Anonym, Schrifen, 133.

dividuellen Verstehensvoraussetzungen die Lesart und Übersetzung einer Bibel-stelle prägen.