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3 Die Vorrede der ‚Wertheimer Bibel’

3.2 Das hermeneutsche Programm der Vorrede

3.2.4 Begrifslehre und Übersetzungstheorie

neue, gewissermaßen wissenschafliche und unanfechtbare christliche Theolo-gie“382 ausgearbeitet werden.

Der zentrale Dreh- und Angelpunkt des Verfahrens eines Nachweises der Wahr-heit der ‚Schrifen’ ist also die Bestmmung deutlicher Begrife. Im Folgenden soll daher Schmidts Begrifslehre eingehender erläutert werden. Diese leitet direkt zu Schmidts Übersetzungstheorie über.

schen nie hervorgebracht werden und, dass, selbst wenn sie zu Bewusstsein ge-langen, dieser Prozess auf einer nur mangelhafen und ungenügenden Stufe ste-hen bleiben kann.

An Schmidts Argumentaton ist abzulesen, dass er Wolf in diesem Verständnis folgt. Denn für Schmidt istein ‚Begrif’ etwas, das vom Ausdruck – also von den für die Umschreibung gewählten Wörtern – unabhängig besteht. Begrife bilden sich Schmidts Ansicht nach nicht erst kontextuell eingebunden durch Erfahrun-gen des Menschen, sondern bestehen kontextunabhängig und gehen den Erfah-rungen, die von Menschen in Worten ausgedrückt werden, voraus. Ein Begrif ist für Schmidt folglich ahistorisch, die Art, wie er ausgedrückt wird, ist aber durch geschichtliche Umstände bedingt. Diese These macht Schmidt zwar an keiner Stelle explizit, weil er sie als Vorwissen zur Begrifslehre voraussetzt, aber sie lässt sich aus seinen weiterführenden Erklärungen zum Verhältnis von ‚Wort’

und ‚Begrif’ ableiten.

Hiernach haben „die Worte keinen anderen Nutzen [...], als Begrife zu erwecken und vorzustellen“.386 Schmidt sieht den Grund für die Verschiedenheit der Aus-drücke unterschiedlicher Sprachen darin, dass ein Begrif mehr fasst, als mit ei-nem einzigen Wort auszudrücken wäre.387 Die Entscheidung, welches Wort als Ausdruck für einen Begrif verwendet wird, diferiert in den verschiedenen Spra -chen:

Der Ausdruck der Begrife sowohl, als die Verknüpfung derselben, ist bey so vielen Natonen, in welche sich die Menschen zertheilen, zu allen Zeiten gar sehr unter -schieden gewesen. Die Ursache ist, weil ein Begrif theils für sich selbst, theils in seiner Verknüpfung mit andern ungemein vieles in sich fasset, wovon eine iede Na-ton bald dieses bald ienes ergrifen hat, um solchen durch Worte vorzustellen.388

Die Verbindung zwischen einem Begrif und den Wörtern ist also nicht derart, dass mit einem Begrif nur ein bestmmtes Wort verknüpf werden könnte. Es können aber auch nicht beliebige Worte zur Beschreibung des Begrifes verwen-det werden. Die Beziehung ist eher von der Art, dass ein Begrif in Beziehung zu einem Worteld steht. Schmidt selbst fndet hierfür eine anschauliche Erklärung:

386 Anonym, Vorrede, 26.

387 Vgl. hierzu auch Goldenbaum, Wertheimer Bibel, 203.

388 Anonym, Vorrede, 23f.

Man kan dieses durch die Erfahrung erläutern, wenn man sich aus der Perspectv erinnert, daß eine Figur in einer Lage aus einem ieden angenommenen Augenpunct eine besondere Gestalt gewinnet, wovon keine der anderen ähnlich ist.389

Für die Übersetzungstheorie Schmidts bedeutet dies nun, dass es bei der Über-setzung nicht darauf ankommt, für ein Wort in der Ausgangssprache ein mög-lichst genaues Wortäquivalent in der Zielsprache zu fnden. Er bestmmt die all-gemeine Aufgabe einer Übersetzung vielmehr als das Ausdrücken der „Begrife einer Schrif in einer andern Sprache“.390 Das Übersetzungsverfahren hat sich an den Begrifen zu orienteren, nicht an Worten. Der Übersetzer muss „eine ge-wissse Folge von Begrifen vor sich nehmen, und dieselben so vortragen, wie es die Absicht des Verfassers nach den Regeln seiner Sprache [d. h. der Zielsprache, A. F.] erfordert.“391

Schmidt geht nun davon aus, dass die in den ‚Schrifen’ vermitelten ‚götlichen Wahrheiten’ durch die Verfasser nicht mit den Worten erklärt werden, die sich am besten eignen, um beim Leser des 18. Jahrhunderts die richtgen Begrife hervorzurufen, welche den ‚götlichen Wahrheiten’ in ihrer eigentlichen Intent-on entsprechen. Daher muss er zunächst näher bestmmen, welcher Begrif aus-gedrückt werden soll, um dann das für seine Zeitgenossen passende Wort zu fn-den. Dieses passende Wort wird nicht willkürlich gewählt, kann aber doch deut-lich anders sein, als das Wort, welches im Ausgangstext steht. Schmidt erläutert, dass es auch vorkommen kann, dass er dasselbe Wort verwendet, um verschie-dene Begrife auszudrücken. Hiermit ist Schmidt nicht zufrieden, er meint aber, dass ihm nicht anderes übrig bleibe, weil die deutsche Sprache noch immer nicht ausdiferenziert genug sei und somit nicht genug Wörter zur Verfügung stünden, um unterschiedliche Begrife auch mit unterschiedlichen Wörtern zu bezeich-nen.392

Aus Sicht der Sprachwissenschaf fasst Ricken trefend zusammen, dass Schmidts

„Anwendung der Wolfschen Begrifslehre [...] auf den Bibeltext [...] die

Proble-389 Anonym, Vorrede, 27.

390 Anonym, Vorrede, 23.

391 Anonym, Vorrede, 25.

392 Vgl. die Aussage Schmidts: „Wir verknüpfen [...] mit einem Wort verschiedene Begrife, aber aus ganz verschiedenen Umständen, weil wir aus Mangel der Worte darzu genöthiget wer-den.“ (Anonym, Vorrede, 35).

matk der Erkenntnis auf[wirf], die historisch weit zurückliegende Sprachen ver-miteln können“.393 Diese Problematk betrif nach Schmidts Ansicht nun die

‚Schrifen’ des Pentateuch vor allem wegen der häufgen Anwendung von meta-phorischer Redeweise. Schmidt entwickelt eine Metapherntheorie, nach der die Verwendung von Metaphern Folge einer noch unausgereifen Sprachstufe ist, die nur dazu geeignet ist, konkrete Gegenstände, nicht aber Abstrakta, zu be-schreiben:

In den alten Zeiten behalf man sich blos mit solchen Redensarten, welche man nö -thig hate, den Unterschied der Dinge bey den allernö-thigsten Verrichtungen des menschlichen Lebens anzuzeigen: und dahero geschahe es, daß es sehr schwer fel, wenn man von solchen Dingen reden wolte, welche nur in etwas von den Sinnen enternet sind. Dieienigen, welche der gleichen Erkänntniß einführeten, fanden zu ihrer Absicht kein anderes Mitel, als daß sie die alten Ausdrücke behielten, und di-eienigen von den neuen Begrifen damit verknüpfen, welche mit ienen eine Aehn-lichkeit haten: und dieses ist der Ursprung der verblühmten Wörter und Redensar-ten.394

Die Verwendung von Metaphern widerspricht Schmidts Verständnis der Relaton Wort-Begrif. Metaphern sind Sprungtropen, das heißt, es werden völlig unter-schiedliche Bereiche miteinander verknüpf. Ein Wort, das einem bestmmten Bereich zugeordnet ist, wird aufgrund von Analogie in einem oder mehreren Merkmalen dazu verwendet, einen Gegenstand aus einem ganz anderen Bereich zu beschreiben – ohne dies als Vergleich zu kennzeichnen.395 Das Wort gehört daher trotz einer Ähnlichkeitsbeziehung nicht zum eigentlichen Worteld des Ge-genstandes – oder, nach Schmidt, nicht zum Worteld des Begrifes. Es ist für Schmidt zulässig, einen Begrif zu beschreiben, indem man unterschiedliche Wör-ter aus dem Worteld des Begrifes verwendet, aber es ist nicht zulässig, auf-grund einer Ähnlichkeitsbeziehung in das Worteld eines anderen Begrifes zu

393 Ricken, Auflärung, 233.

394 Anonym, Vorrede, 24.

395 Wenn man etwa über ein freches Kind die Aussage trif: „Jakob ist manchmal ein richtger kleiner Kobold“, dann meint man, dass das Merkmal der ungestümen Frechheit sowohl von dem Kind als auch von dem Fabelwesen geteilt wird und deshalb in diesem Merkmal eine Analogiebeziehung besteht, obwohl ein Kind natürlich niemals tatsächlich unter die Gatung

‚Fabelwesen’ eingeordnet werden würde. Auch Schmidt arbeitet mit Vergleichen, kennzeich-net diese aber immer als solche.

wechseln, da dies unpräzise ist und zu Missverständnissen führen kann.396 Folg-lich ist Schmidts Grundsatz bei seiner Übersetzungstheorie: „Wenn also die Schrif von der Art ist, daß sie Begrife geben soll: so muß man die verblühmten Worte in eigentliche Redensarten verwandeln.“397

Den Beweis, der aufzeigen soll, welches der Begrif ist, der in der ‚Urkunde’ nur ungenau und ‚verblühmt’ ausgedrückt wurde, und weshalb das von Schmidt ge-wählte neue ‚eigentliche’ Wort besser passt und der Absicht der Verfasser mehr entspricht, liefert Schmidt in seinen zahlreichen Anmerkungen:398 „Die Anmer-kungen haben also die Absicht, die Übereinstmmung der Ubersetzung mit der Urkunde zu zeigen“.399 Bei den Beweisen verwendet Schmidt in Anlehnung an die mathematsche Methode Wolfs das Verfahren der syllogistschen Schlüs-se.400

Die konkreten Auswirkungen dieser Übersetzungstheorie zeigen sich in der

‚Wertheimer Bibel’ insbesondere an den Textstellen des Pentateuch, die ein di-rektes Handeln Gotes401 oder sogar eine Interakton Gotes mit den Menschen402 beschreiben. Zum Teil werden Stellen, an denen von Wundern berichtet wird, von Schmidt abgeändert, um zu zeigen, dass die Vorgänge mit den Gesetzen der Naturwissenschaf übereinstmmen.403 Auf die betrefenden Stellen wird später

396 Vgl. die Aussage Schmidts: „Die verblühmten Redensarten lassen sich sehr übel gebrauchen, wenn man den anderen von unbekanten Dingen unterrichten will: dahero sie sich auch zu den Wissenschafen gar nicht schicken.“ (Anonym, Vorrede, 25).

397 Vgl. Anonym, Vorrede, 25.

398 Vgl. die Aussage Schmidts: „Weil ich leicht voraus gesehen, daß nicht ein ieder sogleich in dem Stand seyn werde, meinen Ausdruck mit den Begrifen der Grundsprache zu vereinigen, woraus bey einigen Gedanken häten entstehen können; wie es bey manchen geschiehet, wenn sie sich nicht zu fnden wissen: so habe ich die Arbeit über mich genommen, solches selbst zu leisten, und zu dem Ende bey allen dergleichen Stellen Anmerkungen beyzufügen“.

(Anonym, Vorrede, 31).

399 Anonym, Vorrede, 31.

400 Vgl. die Aussage Schmidts: „Aus den Erklärungen habe ich nun den Beweis hergeleitet, und solchen so weit hinaus geführet, bis ich auf die Begrife gekommen bin, welche in meiner Ubersetzung enthalten sind. Er bestehet aus lauter Schlüssen, und diese sind auf solche Art mit einander verknüpfet, daß der Hintersatz des vorhergehenden allezeit den Untersatz zu dem folgenden abgibt: wozu der Obersatz aus den vorhergehenden Wahrheiten genommen wird;“ (Anonym, Vorrede, 35).

401 Schmidt nimmt etwa Anstoß an der Übersetzung von Gen 1,2 als „Der Geist Gotes schwebte über dem Wasser“, da Got nach Schmidts Ansicht nicht hin und her bewegen könne, wie es das hebräische Verbתֶפֶח ַר ְמ impliziere. Schmidt übersetzt ַחור daher mit Wind. Vgl. hierzu Kapitel 4.3.3 der vorliegenden Arbeit.

402 Vgl. hierfür das Kapitel 4.3.4 der vorliegenden Arbeit ‚Gotes Interakton mit den Menschen’.

403 Vgl. hierfür das Kapitel 4.3.2 der vorliegenden Arbeit ‚Wunder’.

exemplarisch eingegangen werden, wenn der Text von Schmidts Übersetzung untersucht wird.