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Exkurs: Schmidts volksauflärerische Intenton am Beispiel der Sexualität

4 Der Übersetzungstext und seine Rezepton

4.4 Exkurs: Schmidts volksauflärerische Intenton am Beispiel der Sexualität

4.4 Exkurs: Schmidts volksauflärerische Intenton am Beispiel der

schen Theologen kritsiert, sondern ofenbar von anderer Seite. Schmidt erklärt, er habe

aus besonderen Nachrichten vernommen, daß einige, welche begierig sind, alles zu tadeln, auch hierinnen einen Anstoß fnden; und daß verschiedene von dem rohen Volke daher die Gelegenheit nehmen, die Tugend und Schamhafigkeit des weibli -chen Geschlechts auf eine freche Art zu beleidigen [...].585

Daher sieht sich Schmidt in der Schrif genötgt, die Gründe für seine Überset-zung noch einmal zu erläutern. Bevor er auf die ÜbersetÜberset-zung konkreter Bibelstel-len eingeht, macht er sein Verhältnis zur menschlichen Sexualität deutlich:

Die Gliedmassen beyderley Geschlechter, welche zur Zeugung gehören, und alles, was damit verknüpfet ist, sind eben sowol Geschöpfe Gotes und gehören eben so gut zu seinen weisen Anstalten, als die edelsten und vortrefichsten Dinge in der Welt. Es wäre also ein schweres Verbrechen gegen Got, wenn man nur gedenken wolte, daß an sich etwas Unerbares und Unanständiges daran zu fnden wäre.586

Im Folgenden sollen die Auswirkungen dieser Einstellung auf die Übersetzung verschiedener Stellen des Pentateuch dargestellt werden, ebenso wie ergänzen-den Erläuterungen Schmidts in der Schrif ‚Beantwortung verschieergänzen-dener Einwür-fe’.

Zunächst fällt auf, dass Schmidt keine Umschreibungen für Geschlechtsverkehr verwendet, sondern die mehrdeutgen hebräischen Ausdrücke vereindeutgt. In Gen 4,1 wird das erste Mal im Alten Testament Sexualität erwähnt. Im Hebräi-schen heißt es:

ןִי ַק-ת ֶא דֶל ֵתַו רַה ַתַו ותְש ִא הָוַח-תֶא ע ַדָי ם ָד ָאָהְו .

Luther übersetzt:

„VND Adam erkandte sein Weib Heua, Vnd sie ward schwanger, vnd gebar den Kain“.587 Da

ע ַדָי

sowohl ‚erkennen’ als auch ‚Geschlechtsverkehr haben’ bedeu-ten kann, ist dies eine – wenn auch umschreibende, so doch – philologisch zuläs-sige Wiedergabe. Schmidt dagegen übergeht das Verb

ע ַדָי

fasst den ganzen Vor-gang zusammen und übersetzt: „Als Chavve ihr erstes Kind zur Welt brachte, so nennte sie es Kain“.588 In der Anmerkung 37 gibt er am Anfang die einigermaßen wörtliche Übersetzung: „Chavve wurde nach gepfogenem Beyschlaf mit ihrem

585 Anonym, Beantwortung, 415.

586 Anonym, Beantwortung, 415f.

587 Luther, WA DB 8, 47.

588 Anonym, Schrifen, 18.

Manne schwanger, und brachte ein Kind zur Welt.“589 Schmidt übersetzt also

ע ַדָי

nicht mit ‚erkennen’, sondern mit ‚Beischlaf haben’.

Neben dieser vereindeutgenden Übersetzung der im Pentateuch gebräuchlichen Verben für Geschlechtsverkehr sind die Anmerkungen aufschlussreich, welche Schmidt zu Pentateuchstellen anfügt, die sich mit Sexualität beschäfigen. In die-sen Anmerkungen zeigt sich Schmidts didaktsches Anliegen: Er will den Lesern humanbiologische Hintergrundinformatonen zu den im Text benannten oder an-gedeuteten Vorgängen liefern. Ofensichtlich geht Schmidt davon aus, dass es weiten Bevölkerungsteilen im Bereich der Sexualität an Grundwissen mangelt – besonders in Hinblick auf den weiblichen Körper.

Die erste Stelle, deren Anmerkung diskutert werden soll, ist Gen 31,35. In der rahmenden Erzählung geht es darum, dass Rahel ein gestohlenes Götzenbild vor ihrem Vater Laban unter einem Kamelsatel versteckt. Laban sucht nicht unter dem Kamelsatel nach dem Götzenbild, weil Rahel den Vater mit der Begrün-dung abweist, sie habe ihre Menstruaton und könne daher nicht aufstehen. Im hebräischen Text steht für ‚Menstruaton’ der Ausdruck

םי ִשָנ ך ֶר ֶד-יִכ

, den man in Anlehnung an Luther wörtlich mit ‚wegen der Frauen Weise’ wiedergeben kann.

Schmidt dagegen übersetzt im Hauptext Rahels Rede frei mit: „Es ist mir eben itzo nicht wol“, gibt aber am Anfang der Anmerkung 297 die wörtliche Überset-zung „ich habe itzo meinen weiblichen Zustand.“590 In der Anmerkung erläutert Schmidt, wie Regelschmerzen entstehen:

Weil dieser Auswurf des Geblütes, wie alle andere, durch Zusammenziehung der bewegenden Theile geschiehet, und das Geblüte dadurch einen starken Trieb ge-gen die Geburtsglieder bekommt: so geschiehet dieses mit einer besondern Emp-fndlichkeit des Leibes, welche nach Beschafenheit desselben ser unterschieden ist.591

Aber Schmidt möchte seinen Lesern nicht nur Regelschmerzen erklären. Es ist ihm auch ein Anliegen, zu erläutern, was es mit dem Jungfernhäutchen auf sich hat. Sein biologisches Wissen hierzu liefert er in deutlichen Worten in

Anmer-589 Anonym, Schrifen, 19.

590 Anonym, Schrifen, 149.

591 Anonym, Schrifen, 149f.

kung 1464. Die Anmerkung ist recht lang, daher soll nur ein Auszug zitert wer-den, der aber einen ausreichenden Eindruck vermitelt:

Die Jungfrauschaf ist der Stand einer Person weiblichen Geschlechts, welche noch niemals den Beyschlaf erliten und sich zugleich von allen Handlungen enthalten hat, welche demselben ähnlich sind. Man fndet in den Körpern solcher Jungfrauen, welche sich in allen Stücken keusch verhalten haben, an dem Eingang der Muter-scheide einen häutgen Cirkel, mit einer ganz kleinen Oefnung in der Mite, welcher das Jungfrauenhäutlein genennet wird.592

Anlass für seine Ausführungen ist Dtn 22,13–21. In dem Abschnit werden die Regelungen beschrieben, die angewendet werden, wenn ein Ehemann seine Frau beschuldigt, sie sei keine Jungfrau gewesen, als er die Ehe mit ihr einging.

Als Beweis „sollen die Eltern der iungen Frau das Tuch nehmen, auf welchem sich das Zeichen ihrer Jungfrauschaf befndet, und damit an das Thor vor die Richter gehen.“593 In der ‚Beantwortung verschiedener Einwürfe’ erläutert Schmidt, weshalb er sich genötgt sah, die biologischen Hintergründe der Jung-fräulichkeit in einer Anmerkung zu erklären. Er meint, dass der Bibeltext nicht ausführlich genug darlege, um was es geht:

Aus dieser Erählung wird niemand klug werden. Man kan nicht sehen, was der Mann eigentlich bey seiner Braut vermisset habe, daß er sie für keine Jungfrau hal -ten will: und noch viel weniger weiß man, wie das vorgezeigete Tuch zum Beweis der Jungfrauschaf dienen soll?594

Die Unklarheit, die aus der mangelnden Eindeutgkeit entstehen könnte, sieht Schmidt auch an dieser Stelle als Einfallstor für die generelle Infragestellung der Wahrheit der Schrifen:

Denn ungeachtet diese Verordnung bey uns nicht mehr üblich ist; ungeachtet auch die Sache eben nicht die Seligkeit der Menschen betrif: so ist es doch sehr gefähr -lich, nur bey dem geringsten Umstand in den götlichen Schrifen den Vorwurf zu dulden, als wenn etwas darinnen ohne Grund wäre geschrieben und verordnet worden. Nehmlich, weil wir die gesamten götlichen Schrifen Got, als ihrem Urhe-ber zuschreiben: so ist es unmöglich, daß derselbe weise und untrieglich seyn kan, wenn er nur an einem einigen Orte etwas ohne Grund hat hinsetzen lassen.595

592 Anonym, Schrifen, 955.

593 Anonym, Schrifen, 955.

594 Anonym, Beantwortung, 420.

595 Anonym, Beantwortung, 422.

Es ist für Schmidt also wichtg, dass die biblische Regel, wie mit Frauen umzuge -hen ist, deren voreheliche Jungfräulichkeit in Frage gestellt ist, in sich klar be-gründet und verständlich ist. Dieses Insisteren auf der Begründung der Regel steht im Kontrast zur Bedeutungslosigkeit dieser Regel für Schmidts Vorstellun-gen von einem geordneten Zusammenleben, denn es kommt für Schmidt nicht in Frage, die Regel noch anzuwenden.