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Wie geht Kroatien mit Kriegsverbrecherproblematik um?

5 Der internationale Strafgerichtshof für das ehemalige Jugoslawien in Den Haag und General Ante Gotovina

5.2 Wie geht Kroatien mit Kriegsverbrecherproblematik um?

Im Dezember 1999 starb der erste kroatische Präsident Franjo Tudjman und die Kroatische Demokratische Union (HDZ) verlor ihre Macht im Parlament. Mit der Wahl von Stipe Mesic zum neuen Staatspräsidenten kam eine große Wende in der Politik, da die davor regierende Partei, die HDZ, nicht für einen EU Beitritt Kroatiens war. Nun standen die Türen offen für Verhandlungen mit der Europäischen Union.127

Im Jahr 2000 erhob der Internationale Strafgerichtshof für das ehemalige Jugoslawien Anklagen gegen Kroatische Generäle. Angeklagt wurden Rahim Ademi, Janko Bobetko und Ante Gotovina. Da die HDZ viel an Macht verloren hatte, musste sie eine Strategie entwickeln, diese wieder zurückzubekommen.

Also begann die HDZ den kroatischen „Heimatkrieg“ zu verherrlichen und die Anklagen gegen kroatische Generäle als Angriffe auf die kroatische Unabhängigkeit zu werten. Die HDZ und ihre Politiker sprachen sich strikt gegen den ICTY aus und organisierten große Demonstrationen, die sich gegen die Anklagen der Generäle und den Internationalen Strafgerichtshof in Den Haag richteten. Die größte Demonstration fand am 11. Februar 2001 in Split statt, bei der an die 150 000 Menschen anwesend waren. Ivo Sanader, der damalige Parteivorsitzender der HDZ, hielt eine Rede, in der er die angeklagten Generäle als Helden bezeichnete, welche Kroatien nicht im Stich lassen werde und auf die die ganze Nation stolz sei.128

Diese ICTY Strategie brachte der HDZ bei den Parlamentswahlen im Jahr 2003 43,4% der Stimmen. Zuerst befürchtete man in der Europäischen Union, dass die

126 Hartmann, The ICTY and EU conditionality, Chaillot Paper Institute for Security Studies 6, 2009, 67.

127 Subotic, Hijacked Justice - Dealing with the Past in the Balkans(London 2009) 87.

128 Jovic, Croatia after Tudjman: the ICTY and issues of transitional justice, Chaillot Paper Institute for Security Studies 6,2009, 13.

48 Verhandlungen mit Kroatien gefährdet sein könnten, da eine „contra EU“ Partei nun wieder an der Spitze war, doch die HDZ änderte ihren politischen Kurs ab 2003 radikal. Sie war nicht mehr gegen die Zusammenarbeit mit dem Internationalen Strafgerichtshof in Den Haag, ganz im Gegenteil. Dies lässt sich damit erklären, dass Sanaders Position in der Politik bis 2003 nicht gefestigt war und er so viele Wähler wie nur möglich für sich gewinnen musste. Doch nach den Parlamentswahlen 2003 stand ihm offen zu tun, was er wollte. Mithilfe der ICTY Kondition der Europäischen Union konnte er nun mächtige Gegner auf hohen Positionen an den Strafgerichtshof in Den Haag ausliefern und somit seine eigene Position noch mehr stärken. Er wurde 2003 zum Premierminister ernannt.129 Inzwischen wurde es immer schwieriger die Helden des Heimatkrieges nur als Helden anzusehen, da einige von ihnen, wie zum Beispiel General Ivan Korade, sehr negativ auffielen. Korade hatte im Jahr 2008, bevor er sich selbst das Leben nahm, vier Zivilisten und einen Polizisten erschossen. General Korade sollte nicht das einzige negative Beispiel bleiben. Auch General Vladimir Zagorac, der seitens kroatischer Gerichte aufgrund der Veruntreuung von umgerechnet 5 Millionen Euro in der Zeit von 1992 bis 1995, angeklagt wurde, konnte nunmehr schwer als Held bezeichnet werden. All dies erleichterte der kroatischen Regierung die Zusammenarbeit mit dem Internationalen Strafgerichtshof.130

Doch trotz Voranschreiten der Zusammenarbeit mit dem internationalen Strafgerichtshof gibt es immer noch einige ungelöste Probleme. Obwohl der neue Staatspräsident Stipe Mesic sich vom Tudjman Regime distanzieren wollte und öffentlich alle geflüchteten Serben dazu aufrief, wieder in ihre Häuser zurück zu kommen und Kroatien hierzu 55 Millionen Dollar investierte um eine Rückkehr zu erleichtern, war man in Kroatien dennoch lange Zeit nicht bereit, ernsthaft die Kriegsverbrecherproblematik überhaupt zu thematisieren.131 In den Medien wurde über die Tatsache, dass auch kroatische Staatsbürger Kriegsverbrechen

129 Jovic, Chaillot Paper Institute for Security Studies 6,2009.

130 Jovic, Chaillot Paper Institute for Security Studies 6,2009.

131 Subotic, Hijacked Justice - Dealing with the Past in the Balkans89.

49 verübt haben könnten, nicht viel berichtet. Man wollte nicht wahrhaben, dass man als Gewinner des Heimatkrieges dennoch auch Verbrechen verübt haben könnte. Selbst bereits verurteilte Generäle, wie zum Beispiel Mirko Norac, konnten weiterhin mit hohen Militärpensionen und anderen Privilegien rechnen.132

Bei Gerichtsverhandlungen wegen Kriegsverbrechen wurden vorwiegend serbische Staatsbürger verurteilt, zum Teil auch ohne deren Anwesenheit bei den Verhandlungen oder auf Grundlage nicht gesicherter Beweismittel.133 Auch im Bereich des Zeugenschutzes gibt es immer noch große Lücken. So wurde zum Beispiel währen einer Verhandlung gegen Branimir Glavas, der Name eines der wichtigsten Zeugen in den Medien veröffentlicht, welcher daraufhin schikaniert und bedroht wurde. Dasselbe geschah auch in Split im Zuge des Gerichtsprozesses gegen Mitglieder der Militärpolizei wegen Morden und Folter an serbischen Gefangenen im Gefangenenlager Lora.134

Ein weiteres Problem ist, dass keine ausreichende rechtliche Vertretung der Vertriebenen vorhanden ist. Von den ca. 300 000 Vertriebenen, vor allem Krajina-Serben, kehrten nur ca. 120 000 wieder zurück, wovon viele lediglich formal zurückkehrten um ihre Staatsbürgerschafts- und Eigentumsrechte zu regeln. Aus Angst vor willkürlichen Verhaftungen wegen Kriegsverbrechen und auch aus Angst vor Diskriminierungen in verschiedenen Lebensbereichen, kehren serbische Staatsbürger nicht in ihre Häuser in Kroatien wieder. Doch nicht nur diese Tatsachen stellen Hindernisse für eine Rückkehr von kroatischen Serben dar. Viele können ihr Recht auf Rückkehr nicht ausüben weil andere, meist kroatische Staatsbürger, in ihren Häusern wohnen und diese nicht verlassen wollen. Auch wurden kroatische Serben bei der Erneuerung ihrer Häuser, im

132 Jovic, Chaillot Paper Institute for Security Studies 6,2009.

133 Subotic, Hijacked Justice - Dealing with the Past in the Balkans101ff.

134 Jovic, Chaillot Paper Institute for Security Studies 6,2009.

50 Gegensatz zu Kroaten, diskriminiert und erhielten die ihnen zustehenden Unterstützungen nicht. 135

Die Zahl der Fälle ethnisch motivierter Gewalttaten und Schikanen der kroatischen Serben ist besorgniserregend. Im Jahr 2005 wurden 48 Fälle von Gewalttaten gegen serbische Minderheiten verzeichnet. Die Polizei war bei den meisten Fällen nicht in der Lage die Verantwortlichen zu verhaften.136

In einigen Teilen Kroatiens haben Serben keinen vollen Zugang zu ihren landwirtschaftlichen Flächen. Ein weiteres Problem ist die unzureichende Vertretung der serbischen Minderheit in der staatlichen Verwaltung, Justiz und der Exekutive. Die Diskriminierung von kroatischen Serben am Arbeitsmarkt, gerade in Gebieten mit hoher Arbeitslosigkeit, ist schwer nachzuweisen, doch kann man davon ausgehen, dass diese vorhanden ist. Nur 34 von beinahe 1500 Richtern in Kroatien gehören der serbischen Minderheit an. Bei Beamtenstellen werden serbische Minderheiten insofern diskriminiert, da diese vorrangig den kroatischen Veteranen vorenthalten sind.137

Diese und andere Probleme sind noch zu lösen. Die Frage ist, wie schnell das Lösen dieser Probleme weiterentwickelt wird, wenn Kroatien erst mal Mitglied der Europäischen Union geworden ist und somit sein Ziel erreicht hat. Zu befürchten ist, dass der Schutz der Minderheiten und Flüchtlinge noch langsamer voranschreiten wird als im Moment.

135 HumanRightsWatch, Broken Promises von 03.09.2003

http://www.hrw.org/en/reports/2003/09/02/broken-promises (28.05.2012).

136 HumanRightsWatch, A Decade of Disappointment von 05.09.2006

http://www.hrw.org/reports/2006/09/04/croatia-decade-disappointment (28.05.2012).

137 HumanRightsWatch, A Decade of Disappointment von 05.09.2006

http://www.hrw.org/reports/2006/09/04/croatia-decade-disappointment (28.05.2012).

51 5.3 Wie ist die Situation jetzt und welche Fortschritte hat es gegeben?

Nach jahrelangen Verhandlungen und Bemühungen Kroatiens, alle EU Konditionen zu erfüllen, konnte der Beitrittsvertrag schlussendlich im Dezember 2011 unterzeichnet werden. Dieser muss nun von allen Mitgliedstaaten bis zum 1. Juni 2013 ratifiziert werden, danach wird der Beitritt Kroatiens in die Europäische Union erwartet.138

Im Fall Ante Gotovina fand am 14. Mai 2012 eine Berufungsverhandlung statt.

Beide Generäle, sowohl Gotovina als auch General Markac, haben sich auch persönlich an den Internationalen Strafgerichtshof für das ehemalige Jugoslawien gewandt. In der Berufungsverhandlung durften keine neuen Beweise vorgebracht werden, daher war das Ziel der Verteidigung zu zeigen, dass die Beweise in der vorherigen Verhandlung nicht richtig interpretiert wurden. Die Generäle hoffen, dass ihr Urteil gemildert wird und ihre Strafen nicht mehr 24 bzw. 18 Jahre Haft betragen. Ein Urteil wird bis Ende 2012 erwartet.139

Kroatien hat in den Jahren seit Beginn der Zusammenarbeit mit der Europäischen Union und seit dem Beitrittsantrag im Februar 2003 erhebliche Fortschritte gemacht. Die Kopenhagener Kriterien sind nach wie vor erfüllt. Die Unabhängigkeit des Gerichtswesens wurde gestärkt und seine Effizienz stark verbessert. Bei der Korruptionsbekämpfung konnten gute Fortschritte erzielt werden, auch in Fällen schwerer Korruption. Gesetze über den Zugang zu Informationen, über die Finanzierung politischer Parteien und über Interessenkonflikte wurden verbessert und neue Gesetze wurden erlassen.

Ebenfalls gab es gute Fortschritte im Bereich der unparteiischen Durchführung von Kriegsverbrecherprozessen.

138 SEC(2011) 1200final.

139 Index.hr, Gotovina i Markac se nece izvuci, ali kazna ce im vjerojatno biti smanjena von 15.05.2012 http://www.index.hr/vijesti/clanak/gotovina-i-markac-se-nece-izvuci-ali-kazna-ce-im-vjerojatno-biti-smanjena/615162.aspx (04.06.2012).

52 Auch die wirtschaftlichen Kriterien sind erfüllt, denn Kroatien hat eine funktionierende Marktwirtschaft. Das Land sollte in der Lage sein, den Marktkräften und dem Wettbewerbsdruck in der Europäischen Union standzuhalten.

Die noch ausstehenden Verpflichtungen sollten vor dem Beitritt am 1. Juni 2013 erfüllt werden. Diese sind vor allem noch weitere Bemühungen und Fortschritte in den Beriechen Justiz- und Verwaltungsreform, Korruptionsbekämpfung, Minderheitenrechte, der Rückkehr von Flüchtlingen und Kriegsverbrechen. Auch bei der Bekämpfung der Korruption und der Bearbeitung von Korruptionsfällen, bedarf es noch weiterer Verbesserungen. Die Vorschriften, bei denen die Transparenz in den Bereichen Parteienfinanzierung, öffentliche Aufträge und Interessenkonflikte erhöht werden soll, müssen vollständig angewandt werden.

Weitere Bemühungen, die Kroatien sich verpflichtet hat umzusetzen, sind die Umstrukturierung der Werften, die Verbesserung der Inanspruchnahme von EU-Mitteln und die ordnungsgemäße Anwendung der Vorschriften und der Standards der EU notwendigen Verwaltungskapazitäten.

Bis zum Beitritt Kroatiens in die Europäische Union wird die Kommission die Fortschritte in allen Bereichen sorgfältig überwachen.140

140 SEC(2011) 1200final.

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