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Anforderungen der EU in Bezug auf die Kriegsverbrecherproblematik

5 Der internationale Strafgerichtshof für das ehemalige Jugoslawien in Den Haag und General Ante Gotovina

5.1 Anforderungen der EU in Bezug auf die Kriegsverbrecherproblematik

Um Kroatien an die EU heranzuführen, entwickelte die Europäische Union eine Beitrittspartnerschaft mit Kroatien. Diese dient dazu, den kroatischen Behörden bei der Erfüllung der Beitrittskriterien zu helfen. Die Beitrittspartnerschaft umfasst eine Darlegung der Kriterien und Prioritäten, die Kroatien erfüllen muss.

Diese sind unter anderem die uneingeschränkte Zusammenarbeit mit dem Internationalen Strafgerichtshof für das ehemalige Jugoslawien und die Gewährleistung der Integrität von Kriegsverbrecherverfahren vor kroatischen Gerichten. Weitere Prioritäten sind der Abschluss des Prozesses der Rückführung von Flüchtlingen und eine endgültige Regelung der Bereitstellung von Wohnraum für Inhaber früherer Wohn- und Eigentumsrechte. Ebenso zu den Prioritäten zählt die Fortsetzung der Bemühung der Aussöhnung der Bürger, die Förderung der Toleranz gegenüber der serbischen Minderheit und Maßnahmen zum Schutz von Angehörigen von Minderheitengruppen vor Bedrohungen oder diskriminierenden, feindseligen oder gewalttätigen Handlungen. Weitere

107 Rat Allgemeine Angelegenheiten 29./30. April 1997, C97/129.

108 SEC(2011) 1200final.

40 Prioritäten sind die Gewährleistung der Integrität von Kriegsverbrecherverfahren, insbesondere indem gegen die ethnische Voreingenommenheit gegenüber Serben vorgegangen wird, Anwendung eines einheitlichen Maßstabs für die strafrechtliche Verantwortung und ein besserer Schutz von Zeugen und Informanten. Die Schaffung der nötigen sozialen und wirtschaftlichen Voraussetzungen, um das Klima für die Wiedereingliederung von Rückkehrern und Ihre Akzeptanz durch die Aufnahmegemeinschaften zu verbessern, ist ebenso von Bedeutung wie die vollständige Umsetzung der Übereinkommen mit den Nachbarländern sowie die Unterzeichnung der noch ausstehenden Übereinkommen.109

Jährlich wird in den Fortschrittsberichten der Europäischen Union über die Zusammenarbeit Kroatiens mit dem Internationalen Strafgerichtshof für das ehemalige Jugoslawien berichtet.

Der Internationale Strafgerichtshof für das ehemalige Jugoslawien ist ein Ad-hoc-Strafgerichtshof, der am 25 Mai 1993 durch die Resolution 827 des UNO-Sicherheitsrates geschaffen wurde. Der ICTY hat seinen Sitz in Den Haag und ist zuständig für die Verfolgung schwerer Verbrechen, die seit 1991 im Zuge der Jugoslawienkriege begangen wurden. Bis dato wurden 161 Personen angeklagt.

Insgesamt wurden 126 Verfahren abgeschlossen, wobei 64 Personen für schuldig erklärt und 13 Personen freigesprochen wurden. Die restlichen Personen sind entweder verstorben oder die Anklagen gegen sie wurden aus verschiedenen Gründen zurückgenommen.110

Die Arbeit und das Ziel des Straftribunals liegen darin, über Personen, die sich schwerer Verstöße gegen das internationale Völkerrecht schuldig gemacht haben, zu richten, zur Wiederherstellung und Sicherung des Friedens beizutragen und

109 Beschluss des Rates vom 12. Februar 2008 über die Grundsätze, Prioritäten und Bedingungen der Beitrittspartnerschaft mit Kroatien und zur Aufhebung des Beschlusses 2006/145/EG.

110 ICTY.org, About the ICTY http://www.icty.org/sections/AbouttheICTY (09.05.2012).

41 die Verbrechen in der Region zu beenden und potenzielle Täter von weiteren Verbrechen abzuhalten.111

Trotz der genannten positiven Aspekte, gibt es auch einige negative Kritikpunkte, die in der Fachwelt ausführlich diskutiert wurden.112 So wird zum Beispiel die Fairness der Prozesse in manchen Fällen in Frage gestellt, da die unterschiedliche Höhe der Strafen für ähnliche Taten oft willkürlich erscheint. Ebenfalls wird von der Literatur kritisiert, dass das Tribunal unter bestimmten Bedingungen auch Aussagen von anonymen Zeugen zulässt, oder bestimmte Verdächtige nicht verfolgt, da sie als Zeugen gegen andere Verdächtige herangezogen werden. Im Jahr 2004 sorgte das Kontaktverbot von Slobodan Milosevic und Vojislav Seselj mit serbischen Politikern für Aufsehen. Mit dieser Entscheidung sollte den beiden eine Einflussnahme am serbischen Wahlkampf unmöglich gemacht werden. Doch hatte diese Entscheidung eindeutig politischen Charakter und ging über den UN-Auftrag hinaus.113

Für den ICTY war die Kooperation von Kroatien der Schlüssel zur Verbesserung der Zusammenarbeit mit anderen Ländern des Westbalkans. Um zu zeigen, wie ernst es der Europäischen Union mit der ICTY Kondition war, wurden selbst die Beitrittsverhandlungen mit Kroatien, die im März 2005 eröffnet werden sollten, auf unbestimmte Zeit verschoben. Die Chefanklägerin Carla Del Ponte beteuerte, Kroatien würde nicht mit dem Tribunal in Den Haag kooperieren. Die Beitrittsverhandlungen wurden schließlich im Oktober 2005, nach einem unerwartet positiven Avis von Del Ponte, doch eröffnet. Kurze Zeit später konnte auch Ante Gotovina gefasst und nach Den Haag ausgeliefert werden.114

Ante Gotovina ist ein kroatischer General, der 1955 auf der Insel Pasman in der Nähe von Zadar geboren wurde. Seine militärische Karriere begann er mit 18

111 Pommer, Vergleich der EU-Tauglichkeit von Kroatien und Bosnien-Herzegowina(Frankfurt am Main 2008) 72.

112 Magliveras, The Interplay Between the Transfer of Slobodan Milosevic to the ICTY and Yugoslav Constitutional Law, European Journal of International Law 13,2002 661.

113 Pommer, Vergleich der EU-Tauglichkeit von Kroatien und Bosnien-Herzegowina72.

114 SEK(2005) 1424.

42 Jahren in Frankreich und kehrte 1990 nach Kroatien zurück. Von 1992 bis 1994, wobei der Kroatienkrieg von 1991 bis 1995 andauerte, war er Generalmajor und wurde daraufhin zum Generalleutnant ernannt. Zwischen 1992 und 1996 war er Befehlshaber des Militärdistrikts Split und beteiligte sich an der Planung einiger Militäroperationen, darunter auch der Operation Sturm (Oluja). Unter seinem Befehl wurden die Gebiete Livanjsko polje, Dinara und Knin durch die kroatischen Truppen zurückerobert.115

Im Jahr 2000 wurde die erste offizielle Anklage gegen Ante Gotovina vom Internationalen Strafgerichtshof für das ehemalige Jugoslawien erhoben. Der General wurde in acht Punkten angeklagt.

Punkt eins der Anklageschrift ist die Verfolgung von Krajina Serben im Jahr 1995, im Zuge derer ebenfalls andere Verbrechen wie Mord, Plünderung des öffentlichen oder privaten Eigentums, Zerstörung von Eigentum, Zwangsumsiedlung und andere unmenschliche Handlungen begangen wurden.

Die Verfolgungen der Krajina-Serben waren so enorm, dass die Zahl der serbischen Bevölkerung in einigen Gemeinden drastisch zurückgegangen ist. Mit diesen Taten macht Ante Gotovina sich des Verbrechens gegen die Menschlichkeit, nämlich der Verfolgung aus politischen, rassischen und religiösen Gründen strafbar gemäß den Artikeln 5(h) und 7(1) und 7(3) der Satzung des Internationalen Strafgerichtshofes für das ehemalige Jugoslawien.

Die Punkte zwei und drei sind Morde an Krajina-Serben im Jahr 1995 und die Verletzungen der Kriegsgesetze. Ante Gotovina wusste oder hatte Grund zu wissen, dass die Truppen unter seinem Kommando mindestens 150 Serben getötet haben indem sie diese entweder erschossen, verbrannt oder erstochen haben. Der General hat es unterlassen Maßnahmen gegen diese Taten zu ergreifen und macht sich somit des Verbrechens gegen die Menschlichkeit schuldig gemäß Artikel 5(a) in Verbindung mit Artikel 7(3) der Satzung des

115 ICTY.org, Indictment http://www.icty.org/x/cases/gotovina/ind/en/got-ii010608e.htm (17.04.2012).

43 Internationalen Strafgerichtshofes für das ehemalige Jugoslawien. Weiterst machte er sich der Verletzung der Gesetze oder Gebräuche des Krieges schuldig gemäß Artikel 3 (1)(a) der Genfer Konvention von 1949 und gemäß Artikel 3 in Verbindung mit Artikel 7(3) der Satzung des ICTY.

Der Punkt vier ist die Plünderung von Eigentum. Die Truppen des Generals entwendeten den Krajina-Serben, sowohl denen, die geflüchtet sind als auch denen, die geblieben sind, gewaltsam Eigentum aus deren Häusern, Nebengebäuden und Scheunen. Ante Gotovina hat alleine oder mit anderen die Taten geplant, dazu angestiftet, angeordnet oder auf andere Weise geholfen, dass diese umgesetzt wurden. Durch diese Handlungen und die Unterlassung von Gegenmaßnahmen macht er sich der Verletzung der Kriegsrechte schuldig, indem er sich der Plünderung des öffentlichen oder privaten Eigentums gemäß Artikel 3(e) in Verbindung mit Artikel 7(1) und 7(3) der Satzung des ICTY strafbar machte.

In Punkt fünf wird Ante Gotovina die mutwillige Zerstörung von Städten und Dörfern zur Last gelegt. Die kroatischen Truppen unter General Gotovina haben zwischen August und November 1995 mutwillig Städte und Dörfer der Krajina-Serben verbrannt und zerstört. Ante Gotovina hatte Grund davon zu wissen und hat sich ebenfalls an der Planung und Ausführung dieser Taten beteiligt. Er hat es unterlassen Gegenmaßnahmen zu ergreifen bzw. die Täter zu bestrafen. Somit machte er sich laut Anklage der Verletzung der Kriegsrechte schuldig, nämlich der mutwilligen Zerstörung von Städten und Dörfern, strafbar gemäß Artikel 3(b), 7(1) und 7(3) der Satzung des ICTY.

Die Punkte sechs und sieben sind Deportation und Zwangsumsiedlung von Krajina-Serben im Jahr 1995. Kroatische Truppen haben zahlreiche Morde, Brandstiftungen, Raub, Schikanen, Terror und körperliche Gewalt an Krajina-Serben ausgeführt und somit andere eingeschüchtert und genötigt ihre Häuser zu verlassen. Diese Verbrechen wurden noch mindestens drei Monate nach

44 Zurückeroberung der Krajina durch die kroatischen Truppen weiter begangen.

Durch weitere Morde an den nicht geflohenen Serben, Verbrennung, Zerstörung und Plünderung ihrer Häuser und Eigentums wurden 150 000 bis 200 000 Serben nach Bosnien und Herzegowina bzw. Serbien vertrieben. Des Weiteren wurden Maßnahmen ergriffen, damit die Geflohenen nicht mehr zurückkehren konnten oder wollten. Durch diese Handlungen und Unterlassungen macht Ante Gotovina sich des Verbrechens gegen die Menschlichkeit schuldig, strafbar gemäß Artikel 5(d), 7(1) und 7(3) der Satzung des ICTY. Des Weiteren macht er sich der Verbrechen gegen die Menschlichkeit gemäß Artikel 5(i) in Verbindung mit Artikel 7(1) und 7(3) der Satzung des ICTY.

Der letzte Anklagepunkt, Punkt acht, sind andere unmenschliche Handlungen.

Zwischen August und November 1995 wurden Krajina-Serben durch kroatische Truppen unmenschlichen Behandlungen, Demütigungen und Erniedrigungen ausgesetzt. Da General Gotovina auch darüber informiert war, macht er sich strafbar gemäß Artikel 5(i) in Verbindung mit Artikel 7(3) der Satzung des ICTY.116

Ante Gotovina wurde am 7 Dezember 2005 in Spanien festgenommen und am 10 Dezember 2005 an den internationalen Strafgerichtshof für das ehemalige Jugoslawien in Den Haag ausgeliefert.117

In Kroatien, vor allem in der Gegend um Gotovinas Heimat, sorgte seine Verhaftung für Aufregung.118 Der General galt in Kroatien sowohl früher als auch heute noch als nationaler Held.119

116 ICTY.org, Indictment http://www.icty.org/x/cases/gotovina/ind/en/got-ii010608e.htm (17.04.2012).

117ICTY.org, Case information sheet http://www.icty.org/x/cases/gotovina/cis/en/cis_gotovina_al_en.pdf (23.04.2012).

118Index.hr, Uhicen Ante Gotovina u Madridu, nalozeno izrucenje haskom sudu von 08.12.2005 http://www.index.hr/vijesti/clanak/uhiceni-ante-gotovina-u-madridu-nalozeno-izrucenje-haskom-sudu/295545.aspx (23.04.2012).

119 Sander, Quo vadis, Europa?: Europas Verfassung und künftige Erweiterungen(Hamburg 2006) 181.

45 Doch nicht nur General Gotovina wurde vom Internationalen Strafgerichtshof für das ehemalige Jugoslawien angeklagt. Zusammen mit Ante Gotovina wurde auch Anklage gegen die Generäle Ivan Cermak und Mladen Markac erhoben.

Ivan Cermak wurde in Kroatien geboren und war ab 1990 ein Berater des kroatischen Präsidenten Franjo Tudjman. Zwischen 1991 und 1993 war er Assistent des kroatischen Verteidigungsministers und hatte den Rang eines Generalleutnants. Er stand dem Präsidenten Franjo Tudjman privat sehr nahe und wurde von diesem im Jahr 1995 zum Garnisonskommandanten von Knin ernannt. Er war somit für das Handeln und die Kontrolle seiner Truppen verantwortlich.120

Mladen Markac wurde ebenfalls in Kroatien geboren und wurde nach seinem Uni Abschluss in Zagreb und der Absolvierung seiner Bundeswehrpflicht Mitglied der Exekutive. Im Jahr 1990 gründete er mit anderen Personen eine Polizeieinheit für besondere Zwecke, die bald in die Anti-Terror-Einheit umbenannt wurde. Mladen Markac war der Kommandeur dieser Einheit und hatte 1992 den Rang eines Generalleutnants inne. Im Jahr 1994 wurde er vom kroatischen Präsidenten Franjo Tudjman zum Assistenten des Innenministers und zum Kommandanten der Spezialeinheit der Polizei ernannt. Als solcher hatte er die volle Verantwortung und die volle Kontrolle über alle, die der Spezialeinheit der Polizei angehörten. Darüber hinaus hatte er die Kontrolle über alle Mitglieder der Raketen- und Artillerie-Truppen, die während der Operation Sturm unter seinem Kommando standen. Nach der Operation Sturm hatte er den Rang des Generalleutnants inne.121

Ivan Cermak und Mladen Markac stellten sich nach deren Anklagen freiwillig dem Gericht und wurden am 11. März 2004 nach Den Haag ausgeliefert. Die Anklagen

120 ICTY.org, Corrected corrigendum to prosecution´s notice of filing amended joinder indictment http://www.icty.org/x/cases/gotovina/ind/en/got-coramdjoind080312e.pdf (28.04.2012).

121 ICTY.org, Corrected corrigendum to prosecution´s notice of filing amended joinder indictment http://www.icty.org/x/cases/gotovina/ind/en/got-coramdjoind080312e.pdf (28.04.2012).

46 gegen Gotovina, Cermak und Markac wurden 2006 zusammengelegt und mehrfach geändert.

In der geänderten Anklage sind die Punkte 2 und 3, Mord und Verletzung der Kriegsgesetze, mit den Punkten 6 und 7, Deportation und Zwangsumsiedelung, vertauscht. Hinzu kommt ein neuer Punkt 9, in dem ebenfalls allen drei Generälen grausame Behandlung gemäß 3(1)(a) der Genfer Konvention in Verbindung mit 3, 7(1) und 7(3) der Satzung des ICTY vorgeworfen werden.122

Der Prozess begann am 11.03.2008. Alle drei Urteile wurden am 15.04.2011 verkündet und General Ante Gotovina wurde in allen, außer im Punkt 3, Deportation und Zwangsumsiedelung, für schuldig erklärt und zu 24 Jahren Haft verurteilt.123

General Ivan Cermak wurde für nicht schuldig erklärt und freigelassen. General Mladen Markac wurde, ebenso wie Ante Gotovina, in allen, außer im Punkt 3, für schuldig erklärt und zu 18 Jahren Haft verurteilt.124 Die kroatische Bevölkerung reagierte zutiefst enttäuscht und verärgert über die Urteile und über die Tatsache, dass man Kroatien und Serbien beide als Kriegsverbrecher gleichsetzte.125

Die Berufungsverhandlung von Ante Gotovina und Mladen Markac fand am 14.

Mai 2012 statt. Das Urteil des Gerichtes wird bis Ende des Jahres 2012 erwartet.

Ohne den Druck der Europäischen Union, mittels Erfüllung der ICTY Kondition, den Beitrittsprozess voranzutreiben, könnte der Internationale Strafgerichtshof für das ehemalige Jugoslawien seine Aufgaben nicht so gut erfüllen wie er es tut,

122 ICTY.org, Corrected corrigendum to prosecution´s notice of filing amended joinder indictment http://www.icty.org/x/cases/gotovina/ind/en/got-coramdjoind080312e.pdf (28.04.2012).

123 ICTY.org, Urteil Teil 2 http://www.icty.org/x/cases/gotovina/tjug/en/110415_judgement_vol2.pdf (02.05.2012).

124 ICTY.org, Urteil Teil 2 http://www.icty.org/x/cases/gotovina/tjug/en/110415_judgement_vol2.pdf (02.05.2012).

125 Cohen/Lampe, Embracing Democracy in the Western Balkans497.

47 da die jeweiligen Regierungen kein großes Interesse haben die Beschuldigten zur Rechenschafft zu ziehen.126