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2. CHRONOLOGIE

2.15. Erster Weltkrieg und Nachkriegszeit

Kaiser Wilhelm rief nach der Ermordung des österreichischen Thronfolgers Erzherzog Franz Ferdinand am 28. Juni 1914 in Sarajewo die Mobilmachung am 1. August aus. Die Kriegserklä-rungen an Rußland (01.08.), Frankreich (03.08.) und andere folgten unmittelbar. Nach anfängli-cher Zuversicht auf einen kurzen Feldzug verschlimmerte sich die Lage für Deutschland immer mehr, der Krieg dauerte an. Dadurch wurden die Lebensbedingungen und die Versorgungslage im deutschen Reich immer schlechter. Um die schweren Verluste an der Front auszugleichen, wurden schließlich die älteren Männer zu den Soldaten eingezogen.

Auch Franz Hofstötter wurde davon betroffen. Er kam zum Landsturm-Infanterie-Ersatz-Bataillon I (B 16 1. Kompanie) des Bayerischen Armee-Korps, das in München stationiert war.72

Am 17. April 1918 stellte das Staatsministerium des Innern für Kirchen- und Schulangelegen-heiten beim Kriegsministerium den Antrag auf Urlaub vom Kriegsdienst. "Der Maler und Bild-hauer Franz Hofstoetter in München, ein sehr begabter Künstler, der bei der Innenausstattung der Kirchen in Weiden, von St. Maximilian in München u.a. den Beweis großer künstlerischer Befähigung geliefert hat, war bis zu seiner Einberufung als Landsturmmann ... mit den Arbeiten für den neuen Hochaltar in der katholischen Kirche zu Landau i/Pf. beschäftigt. Die Arbeiten wurden ihm mit Allerhöchster Genehmigung als Staatsauftrag übertragen. Es wäre nun in hohem Maße erwünscht, wenn Hofstoetter die begonnene und ziemlich weit vorgeschrittene Arbeit wieder aufnehmen und vollenden könnte, da zu befürchten ist, daß er bei allzu langer Abwesenheit den Vorarbeiten sich künstlerisch entfremdet. Auch wird von den Kirchenbesuchern die Beendigung der Altararbeiten dringend gewünscht. Hofstaetter glaubt bei Gewährung eines Urlaubs von sechs Monaten den Auftrag zu Ende führen zu können.

Das K. Staatsministerium des Innern für Kirchen- und Schulangelegenheiten würde es mit Dank erkennen, wenn dem Maler und Bildhauer Hofstoetter, der schon im 47. Lebensjahre steht, ein ge-nügend langer Urlaub bewilligt würde!"73

72 Siehe Akt Nr. 14580 im Bayer. Hauptstaatsarchiv München, Abt. I, Akt MK 36701.

73 Bayer. Hauptstaatsarchiv München, Abt. I, Akt MK 36701, Nr. 10317.

Der Urlaub wurde nicht zuletzt wegen des Drängens der Kirchengemeinde in Landau/Pfalz geneh-migt; Hofstötter konnte den vernichtenden Schlachten an der Westfront in Frankreich entkommen und nahm spätestens im Juni 1918 die Arbeiten für die Marienkirche in Landau/Pfalz wieder auf.74

Eine weitere Zurückstellung vom Kriegsdienst erfolgte am 3. August 1918. Das Stellvertretende Generalkommando des Bayerischen Armeekorps verlängerte die bis zum 1. September 1918 gel-tende Beurlaubung Hofstötters bis zum 1. Dezember 1918 wegen "Mangels geeigneter Arbeitskräfte und wegen der Schwierigkeit in der Beschaffung der notwendigen Roh- und Hilfsstoffe". außerdem scheint der Hinweis, "daß es sich bei den Arbeiten um einen mit Allerhöchster Genehmigung erteil-ten Staatsauftrag handelt"75 in Richtung eines positiven Bescheids gewirkt zu haben.

Mit Schreiben vom 22. Oktober 1918, kurz vor der Revolution am 7. November 1918 in München, stellte die Regierung einen weiteren Antrag auf Zurückstellung, der ähnlich wie der vorige begrün-det wurde. Besonders betont wurde, daß "die künstlerischen Arbeiten Hofstoetter's aus Gründen des öffentlichen Interesses keine Unterbrechung erleiden sollten".76

Am 7. November 1918 proklamierte Kurt Eisner in München die Gründung der Bayerischen Repu-blik und ernannte sich mit Zustimmung seiner Anhänger zum provisorischen Ministerpräsidenten.

Nach dem Rücktritt Wilhelms II. und der Ausrufung der Republik durch Philipp Scheidemann mit Friedrich Ebert als neuen Reichskanzler am 9. November 1918 in Berlin wurde am 11. November der Waffenstillstand unterzeichnet. Die innenpolitische Lage verschärfte sich auf Grund der unter-schiedlichen politischen Gruppen immer mehr.

Von der Unsicherheit der Situation und der wechselnden Regierungen in Deutschland sowie der antikirchlich eingestellten Räteregierung in Bayern verleitet, schätzte Hofstötter die Lage falsch ein. Er fürchtete das Gelingen der Revolution und glaubte darum, daß er in Zukunft wegen der kirchenfeindlichen Haltung der hauptsächlich kommunistischen oder sozialistischen Regierung wohl keine lukrative Aufträge für Kirchenausstattungen mehr bekommen würde.77 Sein Dienst in der Armee, zu der er noch mit 47 Jahren eingezogen und als Idealist (und Pazifist) zu Handlungen gezwungen worden war, die er im zivilen Leben nie ausgeführt hätte, zusammen mit der Überdrüs-sigkeit, die er mit seinem Beruf auf Grund der entstandenen Schwierigkeiten (hohe Anforderung, aber schlechte Zahlungsbereitschaft der Auftraggeber; langsames Arbeitstempo, verschiedene

"Sonderlichkeiten" bei ihm selbst, u.a.)78 hatte, brachten Hofstötter zu einer Entscheidung, die sein und das Leben seiner Frau Elise (geb. 1878) und seines Sohnes (geb. etwa 1904) einschneidend verändern sollte.

Er setzte sich u.a. mit Hilfe des bereits für die Entwürfe zu den Arbeiten und die ausgeführten Glasfenster für Landau/Pfalz erhaltenen Vorschüsse in das Voralpenland ab und beendete damit seine Karriere als Künstler.

74 Bayer. Hauptstaatsarchiv München, Abt. I, Akt MK 36701, Nr. 14580.

75 Bayer. Hauptstaatsarchiv München, Abt. I, Akt MK 36701, Nr. 20748.

76 Bayer. Hauptstaatsarchiv München, Abt. I, Akt MK 36701, Nr. 29703.

77 Vgl. Rosenberg, Die Welt im Feuer, S. 72 und 117.

Daß Hofstötter mit seiner Auffassung nicht allein stand, zeigen die Äußerungen eines (anonymen) Bildhauers, die dieser bei seiner Beitrittserklärung zur "Deutschen Gesellschaft für christliche Kunst" 1918/19 abgab: "Nun kommt die Revolution und in ihrem Gefolge droht die Trennung von Kirche und Staat. Die Folge dieser Lage blieb nicht aus. Große Bestellungen, die geplant waren, werden zurückgehalten, man will erst abwarten. " (abgedruckt bei S. Staudhammer, Aussichten der Kunst, in: Christl. Kunst 15. Jg. 1918/19, S. 152.

78 Vgl. Brief Hofstötters vom 7. Januar 1914 und Brief Pfarrer Wolfgrubers vom 16. Oktober 1920 im Pfarrarchiv Weiden, Regal V; (s.o.).

Bereits am 3. Januar 1919 erging ein Antrag des Staatsministeriums für Unterricht und Kultus an die Polizeidirektion München auf Feststellung des Aufenthaltsortes von Franz Hofstötter.

"Der Kunstmaler und Bildhauer Franz Hofstötter, früher in München, Wilhelmstraße 28, war im Jahre 1912 mit der Herstellung eines Hochaltars für die Marienkirche in Landau beauftragt wor-den. Hofstötter hat auf diese Arbeit aus den staatlichen Mitteln 'zur Förderung und Pflege der Kunst' größere Teilzahlungen erhalten, hat aber die Arbeit nicht zu Ende geführt und scheint sich seinen Verpflichtungen entziehen zu wollen. Er ist z.Zt. unbekannten Aufenthaltes; dem Vernehmen nach soll er sich an einem oberbayerischen See (Wörthsee ?) aufhalten.

Hofstötters Aufenthalt wolle mit tunlichster Beschleunigung ermittelt werden."79

Hofstötter beteiligte sich 1919 noch an der Münchener Kunstausstellung im Glaspalast (1. August bis Oktober) mit zwei Gemälden und einer Plastik, die er vor seinem Verschwinden schon einge-reicht hatte. Da er keiner der ausstellenden Künstlervereinigungen ("Künstlergenossenschaft" und

"Secession") angehörte, kamen seine Beiträge "Abend", "Der See" (Ölbilder) und "Siegfried" (Gips, getont), nachdem sie eine Bewertungskommission passiert hatten, in die Abteilung "Freie Kunst-ausstellung" im Saal 60 des Glaspalastes.80

Nicht zuletzt wegen der weiteren politischen Entwicklungen verzögerten sich trotz der Angaben des vermutlichen Aufenthaltsortes und der Ausstellungsbeteiligung die Ermittlungen um ein ganzes Jahr. Erst nach der persönlichen Abmeldung Hofstötters am 3. Februar 1920 in München, wo er seinen neuen Wohnsitz angab, - er glaubte wohl, daß für ihn nichts mehr zu befürchten wäre - stellte das Ministerium am 9. Dezember 1920 beim zuständigen Bezirksamt Starnberg den Antrag, Hofstötter zu verhören.

"Der Kunstmaler und Bildhauer Franz Hofstötter, früher in München Wilhelmstraße 28, war im Jahre 1912 mit der Herstellung eines Hochaltars für die Marienkirche in Landau beauftragt worden. Hofstötter hat auf diese Arbeit aus den staatlichen Mitteln 'zur Förderung und Pflege der Kunst' Teilzahlungen im Betrag von 5500 M erhalten; nach seinen früheren Angaben sind die Mo-delle und einzelnen Teile seiner Arbeit fertiggestellt; nunmehr aber scheint er sich seinen Verpflich-tungen entziehen und die Arbeit nicht zu Ende führen zu wollen. Nach den Feststellungen der Poli-zeidirektion München ist Hofstötter seit 3. Februar 1920 nach Wörthinsel (Wörthsee), Gemeinde Buch, abgemeldet worden. Er wolle darüber einvernommen werden, ob und wann er die von ihm gemäß Vertrag vom 12. April 1912 übernommenen Arbeiten zu Ende führen will. Dabei wolle ihm bedeutet werden, daß das Staatsministerium für Unterricht und Kultus ihn aus dem erwähnten Vertrag in Anspruch nehmen und zum mindesten die Ablieferung der Modelle und der fertigen Teile seiner Arbeit verlangen wird."81

Am 2. November 1920 stellte die katholische Kirchenverwaltung Landau/Pfalz den Antrag, die Ausstattung der Marienkirche in einem Wettbewerb neu auszuschreiben, da "der Maler und Bildhauer Hofstötter seine Berufstätigkeit aufgegeben und München verlassen hat. Damit dürften die Beziehungen zwischen dem Künstler und der Kirchenverwaltung endgiltig abgebrochen sein.

Seit 10 Jahren schwebten Verhandlungen wegen Lieferung eines Hochaltares. Sie führten zu keinem praktischen Resultat. Jetzt scheint die Bahn frei zu sein für neue Maßnahmen.

79 Bayer. Hauptstaatsarchiv München, Abt. I, Akt MK 36701, Nr. 38276.

80 Katalog-Nr. 2305/06/07 im Katalog der Kunstausstellung im Glaspalast, München 1919.

81 Bayer. Hauptstaatsarchiv München, Abt. I, Akt MK 36701, Nr. 51211.

Der Monumentalbau der Landauer Marienkirche ist seit 10 Jahren vollendet. Der hochragende Bau, seine massigen Türme und hell leuchtenden Quader sind Wahrzeichen für die ganze Südpfalz. Dem eintretenden Beschauer fällt aber auf, daß von der gesammten Innenausstattung noch nicht ein Stück vorhanden ist. Altäre und Orgel, Kommunionbank und Kanzel, Beichtstühle und Kreuz-wegstationen, ausreichende Beleuchtung und entsprechende Bildwerke - alles das fehlt noch voll-ständig."82

Die Regierung lehnte den Antrag aber ab, da ihr ein Schreiben Hofstötters vom 7. Januar 1921 vorlag, in dem Hofstötter vorerst noch abstritt, seine Berufstätigkeit aufgegeben zu haben. Das Staatsministerium empfahl, "die seither von Hofstötter auf Grund des Vertrages vom Juni 1912 geleistete Arbeit, wofür er aus staatlichen Mitteln schon Teilzahlungen in Höhe von 5500 M erhalten hat, nicht ohne weiteres ungenützt liegen zu lassen, sondern zu versuchen, sie der Vollendung zuzu-führen."83

Nach einem Gutachten der künstlerischen Sachverständigenkommission vom April 1921 kam am 21. Juli 1921 das Staatsministerium zu der Entscheidung, doch den Vertrag mit Hofstötter aufzulö-sen. In der sehr kurzen Mitteilung, die Hofstötter daraufhin erhielt, heißt es: "Da Sie nach Ihrer Angabe nicht in der Lage sind, den Hochaltar für die Marienkirche in Landau fertigzustellen, so erübrigt nichts als den Vertrag vom 12. April 1912, dessen Erfüllung durch die Zeitverhältnisse unmöglich geworden ist, als aufgelöst zu erklären. Das Staatsministerium für Unterricht und Kul-tus verzichtet unter den obwaltenden Umständen darauf, Sie wegen der Erfüllung des Vertrages in Anspruch zu nehmen."84

Die Innenausstattung der Marienkirche in Landau/Pfalz wurde neu ausgeschrieben, vorerst stellte das Staatsministerium aus dem "Fonds zur Förderung und Pflege der Kunst" einen Zuschuß in Höhe von 50000 Mark "zur Herstellung eines oder mehrerer Altäre"85 zur Verfügung.

Hofstötter führte bis zu seinem Tod (mit 87 Jahren am 22.12.1958) mit einer Ausnahme - so weit bekannt - keine öffentlichen Aufträge mehr aus. Nach dem 1. Weltkrieg nahm er seinen vierzehn-jährigen Sohn aus der Schule und zog sich ganz auf die Insel im Wörthsee in ein halbverfallenes kleines Schloß der Grafen Törring zurück. Seine Entwürfe und Modelle nahm er mit.86 Im Laufe der nächsten Jahre renovierte er zusammen mit Familienangehörigen und wenigen Helfern lang-sam den Bau.

Auf Vermittlung des Sohnes von Hofstötter stieß 1925 zu der kleinen Gemeinschaft noch der jüdi-sche Künstler und spätere Schriftsteller Alfons Rosenberg hinzu, der die Situation und das Verhal-ten Hofstötters in den nächsVerhal-ten zehn Jahren in einigen Kapiteln seiner Bücher gut beschrieb. Es wird deutlich, daß Hofstötter bestimmend und unzugänglich sein konnte und von der Welt um ihn herum enttäuscht war.87 Rosenberg schildert ihn sogar als einen Menschen ohne echten Glauben.

"Er war wohl nie ein wirklich gläubiger Mann gewesen; die Reste des Glaubens entschwanden ihm

82 Bayer. Hauptstaatsarchiv München, Abt. I, Akt MK 36701, Nr. 1031.

83 Siehe Bayer. Hauptstaatsarchiv München, Abt. I, Akt MK 36701, Nr. 1031.

84 Bayer. Hauptstaatsarchiv München, Abt. I, Akt MK 36701, Nr. 19382.

85 Siehe Bayer. Hauptstaatsarchiv München, Abt. I, Akt MK 36701, Nr. 19382.

86 Rosenberg, Die Welt im Feuer, S. 81.

87 Siehe Rosenberg, Die Welt im Feuer, S. 72ff, 81ff.

vollends während seines Insellebens. ... Für ihn war christlicher Glaube identisch mit Klerikalis-mus."88

Mit dem Nationalsozialismus, dem Hofstötter anscheinend nicht grundsätzlich ablehnend gegen-überstand und deshalb sogar eine "Spaltung der kleinen Inselgemeinschaft"89 verursachte, änderte sich auch das Leben auf der Insel. Nach mehreren Durchsuchungen und Verdächtigungen mußte Alfons Rosenberg in die Schweiz fliehen; Hofstötter verließ mit seiner Familie die Insel und ließ sich in Bachern, einem Ort in der Nähe der Wörthinsel am Ufer des Sees, nieder, wo er bis zum Tod seiner Frau am 23. Oktober 1946 lebte.90

Hofstötters einziger Sohn mußte mit fast vierzig Jahren als Soldat am 2. Weltkrieg teilnehmen, aus dem er als vermißt gemeldet nicht zurückkehrte.