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Kunsthistorische Einordnung der Weicheringer Arbeiten

3. ÖFFENTLICHE ARBEITEN FRANZ HOFSTÖTTERS

3.2. Kunsthistorische Einordnung der Weicheringer Arbeiten

Die Arbeiten in Weichering134 zeigen eine Fortsetzung der in Ludwigsthal begonnenen Entwick-lung. Nach den schlechten Erfahrungen, die Hofstötter mit der Weiterentwicklung seines Stils in Weiden gemacht hatte, schloß er sich wieder stärker an die Tradition an, konnte aber trotzdem den dadurch insgesamt verfestigten Malstil durch die Aufnahme von Stilelementen des Jugendstils auflockern.135 Die Körperlichkeit seiner Figuren hatte im Vergleich zu Ludwigsthal zwar zuge-nommen, eine gewisse Flächigkeit seiner Malerei ist trotz allem aber noch zu bemerken.

Hofstötter beschränkte sich bei dem figuralen Schmuck trotz des relativ großen, ihm zur Verfügung stehenden Raums auf wenige Partien in Chor, am Triumphbogen und in der Vorhalle. Das Kir-chenschiff bekam fast nur ornamentalen Schmuck. Die Konzentration auf wenige Figuren und deren Ausarbeitung war nicht zuletzt auch durch die Kritik an der Nachlässigkeit der malerischen Behandlung der Bilder in Weiden von 1901 bedingt.136

3.2.1. Relief

Wie schon in den früheren Reliefs von Ludwigsthal beschränkte sich Hofstötter auch bei den vier Reliefs in Weichering auf das Wesentliche. Der Hintergrund der hochrechteckigen Reliefs ist auf eine einfarbig gefaßte, aber sonst nicht differenzierte, plane Fläche reduziert. Davor steht in flacher Erhebung über den Grund die Figur der oder des Heiligen. Die beigegebenen, kaum auffallenden Attribute (Afra mit Flammen neben sich, W 20; Elisabeth mit Rosen in den Händen, W 21;

Sebastian mit Pfeilen und an einen Baum gefesselt, W 23; Johannes der Täufer mit Fellgewand und Kreuzstab, W 22) bezeichnen die Heiligen genauer (Abb. 92).

Die in sich ruhenden Standfiguren der Heiligen in kontemplativer Haltung verstärken diesen Ein-druck durch den geschlossenen, fließenden Umriß ihrer Gestalt, der nicht durch hervorstoßende Gliedmaßen durchbrochen wird.

Während die Reliefs in Ludwigsthal (Abb. 28) insgesamt noch etwas eckig in der Darstellung der Figuren, fast nach einem organisierenden, übergeordneten Prinzip suchend, wirkten, sind die Wei-cheringer Reliefs fortgeschrittener in der Entwicklung. Der Umriß zeigt unter dem Einfluß des Jugendstils einen fließenden, nicht mehr durch Kanten oder Ecken durchbrochenen Rhythmus.

Die leicht gelängten Figuren wachsen aus der planen Fläche heraus, sie bilden keine abrupte Kante

134 Zu Baugeschichte der Kirche und Beschreibung der Arbeiten Hofstötters siehe ab Seite 120.

135 Der Jugendstil war inzwischen fast allgemein akzeptiert und bekam neue Aktualität durch zwischenzeitlich fer-tiggestellte Projekte wie dem Haus der "Secession" in Wien (Ernst Olbrich, 1898), Künstlerkolonie Mathildenhöhe in Darmstadt (Olbrich, 1899), das Schauspielhaus (Kammerspiele) in München (Riemerschmid, 1900), Kaufhaus

"L'Innovation" in Brüssel (Horta, 1901), Postsparkasse in Wien (Otto Wagner) u.a. oder Ausstellungen und ge-plante Projekte, die z.T. Skandale erregten wie die von Gustav Klimt für die Aula der Wiener Universität vorge-sehenen Bilder (ab 1900) oder die Beethoven-Ausstellung der Wiener Sezession mit dem Beethoven-Fries von Klimt und der Beethoven-Plastik von Max Klinger.

136 Neben dem zu "modernen" Malstil in Weiden (1901) wurde Hofstötter von Regierungs- und Ordinariatsstellen auch die fehlerhafte und nachlässige Behandlung der Figuren angekreidet.

als Abgrenzung zum Hintergrund. Geblieben ist der intensive, beinahe schmerzhafte Blick in der Art von zur Selbstversenkung und Reflexion anregenden Andachtsbildern.

3.2.2. Malerei

Der Einfluß von Strömungen der Kunst der Zeit blieb in der Malerei Hofstötters nicht ohne Ergeb-nis. Die etwa um diese Zeit begonnene Mitgliedschaft in der Münchener Gesellschaft für christliche Kunst brachte neue Eindrücke und Anregungen. Die im Jugendstil besonders stark wirkende Auffassung vom gestalteten Gesamtkunstwerk, bei dem alle Bereiche des Lebens berücksichtigt werden mußten, fand u.a. in der Münchener Villa des Künstlers Franz von Stuck (Fertigstellung 1898), in Konzeptausstellungen wie der vierzehnten, Beethoven gewidmeten Ausstellung der

"Secession" im Sommer 1902 in Wien und vor allem in dem von Josef Hoffmann und der von ihm gegründeten "Wiener Werkstätte" geschaffenen Palais Stoclet in Brüssel (1905-1911) ihren Ausdruck. Der von Gustav Klimt gestaltete Beethoven-Fries, der die von Max Klinger geschaffene Statue des Musikers als Genie begleitete und ergänzte, faßte gleichzeitig mit anderen Detailgestaltungen den ganzen Raum zu einem einzigen Raumkunstwerk zusammen. Das von dieser Ausstellung mit einer weiteren, Beethoven gewidmeten 15 Meter langen Wandmalerei von Ferdinand Andri und anderen Ereignissen137 erregte Aufsehen, bestärkte und förderte Hofstötter in seiner malerischen Entwicklung.

Der Vergleich der an der Decke im Chorraum freigelegten Bilder ("Christus als Weltenrichter" und

"Maria, umgeben von ihren Vorfahren und Engeln mit der lauretanischen Litanei"; W 2 - W 19, Abb. 87 und 91)138 mit den Malereien Hofstötters in Ludwigsthal oder gleichzeitigen und frühe-ren Bildern anderer Künstler läßt die Entwicklung Hofstötters deutlich werden.

Die anfangs in Ludwigsthal nur noch in wenigen Anklängen spürbaren Einflüsse aus der Akade-miezeit (Gabriel von Hackl u.a.) sind bei den Arbeiten in Weichering nicht mehr zu erkennen.

Hofstötter trieb die Konzentration auf das Wesentliche, unter Weglassung des räumlich definierten Hintergrundes, in seinen Bildern voran und stellte sich damit in Gegensatz zu einem mehr histori-sierend-erzählenden Malstil, wie ihn die gleichzeitig tätigen Künstler Gabriel von Hackl oder Mar-tin Feuerstein, Gebhard Fugel, Eduard von Gebhardt u.a. vertraten. Hofstötter bevorzugte einen ökonomischen, den Ausdruck, das Bemühen und die innere Kraft seiner Figuren betonenden Stil, zu dem er, neben der Weiterverabeitung von Tendenzen aus Beuron u.a. von Bildern Franz von Stucks (Abb. 159-161), Joseph Huber-Feldkirchs (Abb. 163) oder von Gemälden Gustav Klimts (Abb. 164) angeregt wurde.

Bei näherer Betrachtung der einzelnen Bilder fallen, neben den allgemeinen Prinzipien, besonders einige Details auf, auf die besonders eingegangen werden muß.

137 Zu den Ereignissen in Wien um die Jahrhundertwende siehe: Kat. Traum und Wirklichkeit. Wien 1870-1930; Kat.

Experiment Weltuntergang. Wien um 1900; dort jeweils auch weiterführende Literatur.

Zu den künstlerischen Ereignissen in München siehe: Kat. München leuchtete; Kat. Kandinsky und München;

Kat. Die Münchner Schule 1850-1914; jeweils mit weiterführender Literatur.

138 Die Beschränkung auf die freigelegten Bilder an der Decke des Chorraums muß vorgenommen werden, da die anderen Weicheringer Malereien durch die Restaurierung und andere Umstände möglicherweise so weit verän-dert wurden, daß der ursprüngliche Zustand und Eindruck heute nicht mehr wiedergegeben wird. Die Beurteilung der (im Juni 1988) nur in den Hintergründen aufgefrischten, ansonsten noch nicht restaurierten Bilder kann so zu einem besseren Ergebnis führen, als die Beurteilung z.B. des rekonstruierten Triumphbogen-Engelfrieses.

So wirkt die Figur Christi im Rundbild der Deckenmalerei des Chorjoches vor der Apsis (W 2, Abb.

87) nicht ganz homogen. Ober- und Unterkörper scheinen aus verschiedenen Quellen über-nommen. Der Unterkörper wird in einer aktiven Stellung dargestellt. Die Füße zeigen den Aus-schnitt einer Bewegung (Gewichtsverlagerung auf den linken Fuß, der rechte ist zurückgesetzt und gerade im Begriff den Körper hochzustemmen), die in einer ähnlichen Art oft bei Sitzfiguren Michelangelos vorkommt (Abb. 154).139

Der Oberkörper dagegen wirkt hieratisch und könnte durch traditionelle "Ecce Homo"-Darstellun-gen, Bilder des auferstehenden Christus o.a. angeregt worden sein (Abb. 156).140 Auch der Ein-fluß Beuroner Kunst ist gut denkbar. Eine Abwandlung der Haltung stellt das Vorzeigen des Bu-ches dar, auf dem die griechischen Buchstaben Alpha und Omega vom Anfang und Ende künden.141

Die sechs Engel, die Christus in zwei Gruppen umgeben, sind in ihren Haltungen sehr schwungvoll wiedergegeben. Ihre Gesichter sind teilweise in ungewöhnlicher Untersicht gegeben und erinnern in ihrer Art an Darstellungen des italienischen Manierismus.

Die diagonale Anordnung der Posaunenengel (W 3 - W 6) bot sich von der Form des Gewölbes her an, zum anderen war sie in der Tradition vorgegeben und z.B. in der Beuroner Schule verwendet worden (Abb. 153).142

Während Körper und Gewand relativ flächig erscheinen, sind die Gesichter der Engel durch An-deutung von Schattenpartien körperhaft durchgestaltet. Die Dominanz der Linie gegenüber der Fläche bleibt aber deutlich erhalten. Die Gesichtszüge sind zwar idealisiert aber in Einzelheiten doch mit individuellen Merkmalen ausgestattet. Zur Individualisierung trägt auch die für Hofstöt-ter typische Darstellung übergroßer Augen bei, die den Blick seiner Personen intensivieren.

Auffällig ist auch die Farbgebung, die intensive, reine Farben bevorzugt und großflächig einsetzt.

Die Farbflächen werden dabei durch Linien exakt begrenzt, die, meist in braunen Tönen gehalten, die Zeichnung stark betonen.143

Ähnliches gilt auch für die Darstellung der thronenden Maria, die das Kind auf dem Schoß prä-sentiert (W 11, Abb 91). Der Hintergrund des Rundbildes im Gewölbe wird durch ein intensives Blau gebildet, das zwischen den grünen Blättern und roten Blüten eines Rosenstrauches hervor-leuchtet und im Gewand der Maria wieder aufgenommen wird. Das gleiche, sonst nicht differen-zierte Blau dient auch als Hintergrund der die Mariendarstellung umgebenden kleineren Rundbil-der mit den Engeln Rundbil-der lauretanischen Litanei und den Vorfahren Marias (W 12 - W 19).144

139 Z.B. bei den Propheten Zacharias und Joel, bei der delphischen Sybille, bei Hesekiel an der Decke der Sixtinischen Kapelle im Vatikan; bei der Moses-Statue und der weiblichen Sitzfigur vom Grabmal für Julius II. u.a. Auch die Fußhaltung Christi im Jüngsten Gericht der Sixtinischen Kapelle könnte als Vorbild gedient haben.

140 Z.B. der Christus im Jüngsten Gericht der Ludwigskirche in München von Peter von Cornelius.

141 Offb. 21, 6.

142 Z.B.: "Christus von Engeln getragen" als Gewölbemosaik in der Zenokapelle von S. Prassede in Rom (817-824);

Beuroner Schule: im Gewölbe der Kapelle der Gekreuzigten in der Torretta von Monte Cassino (Abb. in Christl.

Kunst 7. Jg. 1910/11 S. 146).

143 Erst mit der Änderung der Maltechnik durch die Verwendung von Wachs änderte sich auch die Funktion und die Bedeutung der Linie (s.u.).

144 Ähnlichkeiten ergeben sich dabei besonders mit Arbeiten von Künstlern aus dem Wiener Jugendstil. Auf noch stärkere Übereinstimmungen mit Bildern von Ferdinand Andri (z.B. im Kapellenraum der Wiener Secession auf der Ausstellung für christliche Kunst in Wien 1905 oder Wandmalereien in der Ottakringer Pfarrkirche zu Wien)

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Interessant ist auch die Entwicklung, wie sie in der Darstellung der vier Evangelisten verfolgt werden kann. Während bei den Evangelistendarstellungen in Ludwigsthal (L 49, L 50, L 60, L 61, Abb. 43) der Einfluß karolingischer und vor allem ottonischer Buchmalerei vorherrscht, kann dies für die Weicheringer Arbeiten (W 7, W 8, W 9, Abb. 90, W 10) nicht mehr in diesem Maße behauptet werden. Die als architektonisches Kürzel aus der Buchmalerei übernommene gehäuse-artige Umrahmung der Evangelisten wurde zu einer bloßen Bezeichnung der Feldgrenzen der Malerei und ist nur im oberen Teil stärker ausgeformt, um der Tradition der Darstellung der durch würdevolle Formen überhöhten, verehrungswürdigen Gestalt zu entsprechen. In diesen stilisierten, gemalten Baldachin fließen andeutungsweise gotische Formelemente (Krabben, Drei-pässe u.ä.) mit ein. Die Figuren sind selbständiger, im Ausdruck der Gesichter und Gesten stärker und intensiver geworden. Die zunehmende Sicherheit Hofstötters im Gestalten seiner Bilder und Themen ist daran deutlich abzulesen.

3.2.3. Kurze Zusammenfassung

Die Einflüsse gleichzeitiger Kunstströmungen blieben auch auf die künstlerische Entwicklung Franz Hofstötter nicht ohne Wirkung. Die schon in Ludwigsthal äußerst stark zurückgedrängten Anklänge an die Münchener Akademiezeit sind in Weichering völlig verschwunden. Durch das Bemühen Hofstötters, die Darstellungen seiner Bilder auf das Wesentliche zu konzentrieren, dabei einen räumlich definierten Hintergrund auszuschließen und die ausdrucksvolle Gestaltung der Figuren und deren Gesichter und Gesten zu intensivieren, erschloß er sich einen Malstil, der die Betonung vor allem auf die menschliche Gestalt und deren Ausdrucksmöglichkeiten legte. Die Figuren der Weicheringer Kirche wirken nun stärker von innen heraus gestaltet. Sie zeigen in-tensiven Blick und spannungsvolle, ausdrucksstarke Gesten.

In der Gestaltung der vorgegebenen, in der Tradition begründeten Themen machte er durch Auf-nahme von Anregungen aus der italienischen Renaissance und dem Manierismus Fortschritte. Wie schon in Ludwigsthal bleibt die Dominanz der Linie gegenüber der räumlich gestalteten Fläche erhalten, wenn auch die Körperhaftigkeit besonders im Inkarnat der Figuren zunimmt. Bevorzugt werden nun intensive, reine Farben eingesetzt, die eine größere Leuchtkraft als die Farben in Ludwigsthal besitzen. Eine stärkere Auseinandersetzung mit Malern des (Münchener und Wiener) Jugendstils zeigte bereits in Weichering seine Auswirkung in solchen und anderen, kleineren De-tails. Diese Entwicklung wird noch bei den Arbeiten für Au/Hallertau, Weiden II und München weiter zu verfolgen sein.

mit einer ähnlichen Verarbeitung ägyptischer Einflüsse und der Verwendung von Stuck innerhalb von Wandma-lereien wird noch bei der Besprechung der Weidener Arbeiten eingegangen werden.