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Weiterbildungspolitik in Mecklenburg-Vorpommern

Praktische Erfahrungen und erwachsenenpädagogische Entwürfe

1. Schwierigkeiten im Gegenstand der Weiterbildungspolitik

Die erste Erfahrung der Erwachsenenbildner mit der Weiterbildungspolitik war das (politisch gewollte?) Wegbrechen der aus der DDR stammenden Weiterbildung.

In Mecklenburg-Vorpommern (M-V) – wie in den anderen neuen Bundesländern – haben hiesige Erwachsenenbildner und Bildungsträger erst allmählich neue Erfah-rungen mit der Weiterbildungspolitik machen können. Einige von ihnen haben immer noch Schwierigkeiten, die sich seit drei Jahren entwickelnde Weiterbildungspolitik zu verstehen, mit ihr umzugehen und sie mit zu gestalten. Es fällt schwer, die verschie-denen Förderungsmöglichkeiten zu nutzen und sich allmählich unabhängig von dieser Förderung zu machen. Enttäuschung und Resignation breiten sich aus, wenn die Fördermöglichkeiten eingeschränkt werden oder wenn die Ergebnisse der Wei-terbildung nicht immer den Absichten und Zielen entsprechen. Die aus den alten Bundesländern kommenden Bildungsträger haben solche Schwierigkeiten natürlich nicht, was ihnen wenigstens anfangs Vorteile einbrachte.

Weiterbildungspolitik will (soll) Weiterbildung als wichtigen Bereich des Bildungswe-sens im Land (Kreis, Kommune) gewährleisten. Das bedeutet Einflußnahme durch Förderung von Maßnahmen und Institutionen sowie durch Anerkennung von Zertifi-katen und Prüfungen auf eine flächendeckende Versorgung und ein bedarfsgerech-tes Angebot, auf Qualität und Teilnehmerschutz, auf die Auswahl von Teilnehmern und Trägern usw.

Weiterbildungspolitik als Teil der Bildungspolitik wird von den jeweils regierenden politischen Kräften geprägt. In M-V ist das eine Koalition von CDU und FDP, deren Bildungspolitik aus pädagogischer Sicht mit einiger Skepsis zu beurteilen ist, wie die Einführung der Hauptschule in M-V zeigt. Ähnliche pädagogisch nicht vertretbare Entscheidungen sind aus der Weiterbildungspolitik nicht bekannt. Das mag seine Ursache darin haben, daß das Ressort Weiterbildung im Sozialministerium vom Koalitionspartner der CDU verwaltet wird – beim Kultusministerium war dagegen eine eher zögerliche Haltung gegenüber der Weiterbildung festzustellen.

Schwierigkeiten werden jeder Weiterbildungspolitik von ihrem Gegenstand, der Weiterbildung, bereitet. Das liegt erstens an der hohen Komplexität der Weiterbil-dung, denn in ihr wirken sehr viel mehr Faktoren zusammen als etwa im Bereich der Schulbildung. Zweitens ist Weiterbildung auf komplizierte Weise vernetzt, z.B. mit dem Arbeitsmarkt, der Wirtschaft, der Technologie, der Ökologie, der Sozialarbeit, der Kultur usw. In M-V ist die Weiterbildung beispielsweise konfrontiert mit der besonderen Lage der mecklenburgischen Landwirtschaft, der Werftindustrie und des Tourismus. Drittens liegt die größte Schwierigkeit der Weiterbildung in der Dynamik

der Bereiche, mit denen sie vernetzt ist, so daß viele Analysen und Modellprojekte der Wirklichkeit ständig hinterherlaufen.

Die Treffsicherheit weiterbildungspolitischer Maßnahmen ist deshalb – unabhängig von der parteipolitischen Linie – nicht so hoch, wie Bildungsträger und Teilnehmer es wünschen.

2. Finanzierung der Weiterbildung

Die Weiterbildung wurde in M-V vorwiegend aus Mitteln der Bundesanstalt für Arbeit finanziert. Die Ausgaben für die berufliche Weiterbildung stiegen von über 600 Mio.

DM 1991 auf 1,5 Mrd. DM 1993 – allerdings wurden 2/3 davon für Unterhaltsgeld aufgebracht. Im Jahresdurchschnitt 1993 konnten daran über 54.000 Teilnehmer partizipieren. Der von Arbeitslosigkeit am meisten betroffene Arbeitsamtsbezirk Neubrandenburg steht dabei mit 15.700 Teilnehmern an der Spitze.

Die AFG-Novelle hat erhebliche Kürzungen gebracht. Das äußert sich einerseits im Rückgang der „Eintritte in Maßnahmen der Fortbildung und Umschulung (FuU)“ (wie es in der Statistik heißt) von 119.000 im Jahre 1992 auf nur 51.000 in 1993 und andererseits im Rückgang des „Bestands an Teilnehmern in beruflichen Weiterbil-dungsmaßnahmen“ von ca. 50.000 im August 1993 auf ca. 45.000 im Januar 1994.

Die Förderung der Weiterbildung durch die Bundesanstalt für Arbeit (BA) führt auch zu Problemen. So mußten Erwartungen, daß ein vollständiger und problemloser Übertritt in normale Erwerbstätigkeit ohne „Suchzeiten“ zwischen Abschluß der Maßnahme und beruflicher Wiedereingliederung erfolgen könnte, relativiert werden.

Aus den 1992 abgeschlossenen Maßnahmen waren sechs bis neun Monate später 34 % der Teilnehmer noch Leistungsempfänger. Die geförderte Weiterbildung hat also nur zu 2/3 den gewünschten Erfolg gebracht.

Kritiker der Förderung durch die Bundesanstalt bemängeln, daß große Summen für die Weiterbildung Arbeitsloser ausgegeben werden, während die Weiterbildung Beschäftigter nur mit vergleichsweise geringen Mitteln gefördert wird. Das trifft in M-V kleine und mittlere Unternehmen, deren Wettbewerbsfähigkeit zwar von der Qualifikation ihrer Mitarbeiter abhängt, die aber die notwendige Weiterbildung nicht immer bezahlen können.

An der Finanzierung der VHS in M-V waren 1992 die Kommunen und Kreise mit 38,6 % (5,5 Mio. DM) beteiligt. Von Land, Bund und Europäischer Union wurden 20,8 % getragen, während die Eigenfinanzierung 40,6 % der Gesamtkosten erbrach-te. Für 1993 lagen im März 1994 noch keine statistischen Angaben vor; nach Auskunft mehrerer VHS kann gegenwärtig von einer Drittelfinanzierung aus den genannten Quellen ausgegangen werden. Einen interessanten Vergleich läßt der Haushaltsan-satz 1993 zu: Während die Ansätze von Schleswig-Holstein und M-V 1991 noch annähernd gleich waren, betrug der Ansatz für M-V 1993 nur ein Drittel des Ansatzes für Schleswig-Holstein. Mit der maßnahmebezogenen Förderung wurde 1993 die

Teilnahme von rd. 15.000 Personen (davon 685 Schulabschlüsse) an 1.199 Kursen ermöglicht.

Die berufliche Weiterbildung Beschäftigter, die Anpassungs- und Aufstiegsfortbil-dung, wird zum größten Teil von den Teilnehmern bezahlt. Das gilt vor allem für Maßnahmen, die mit Prüfungen und/oder einer staatlichen Anerkennung abschlie-ßen. Finanzkräftigere Unternehmen beteiligen sich in der Regel an den Kosten.

Weiterbildungspolitisch wirksam werden Bundes- und Landesministerien durch die Bezuschussung bestimmter Maßnahmen, die auch durch europäische Fonds geför-dert werden.

Über die Zahl der Teilnehmer lassen sich keine genauen Angaben machen, da hier im zunehmenden Umfang auch freie Träger beteiligt sind. Aus den Angaben der Kammern läßt sich vermuten, daß gegenwärtig in M-V wenig mehr als 10.000 Teilnehmer partizipieren.

Ein geringerer Teil weiterbildungspolitischer Maßnahmen besteht in der Förderung der Weiterbildungsberatung durch Bund, Land und Kommunen – z.T. durch Nutzung der Möglichkeiten des zweiten Arbeitsmarktes.

Schließlich muß auch die Förderung von Analyse-, Modell- und Entwicklungsprojek-ten zu den in M-V zur Wirkung gelangenden weiterbildungspolitischen Maßnahmen gerechnet werden. Durch Analyseprojekte wird die Weiterbildungspolitik mit den für ihre Entscheidungsfindung benötigten Daten versorgt; durch die Modell- und Ent-wicklungsprojekte werden neue Möglichkeiten für die Weiterbildungspraxis erschlos-sen. Die Förderung erfolgt hier durch Bundes- und Landesministerien, durch Kreise und Kommunen unter Einbeziehung europäischer Fonds.

Die verschiedenartige Förderung ist vielfach nicht abgestimmt, die Mittel gelangen nicht konzentriert zum Einsatz, so daß Effizienzverluste unvermeidlich sind.

3. Die Gesetzeslage

Das Weiterbildungsgesetz konnte Ende Februar 1994 wegen geschäftsordnungs-rechtlicher Probleme nicht verabschiedet werden.

Der vorliegende Entwurf wird von den Kammern und einigen freien Bildungsträgern wegen der Zuordnung der beruflichen Weiterbildung zur Volkshochschule kritisiert.

Die Landesvertretungen der Bildungsträger und andere Bildungsträger erwarten, daß nachfolgende Rechtsverordnungen dieses Problem klären werden.

Aus erwachsenenpädagogischer Sicht ist anzumerken, daß sich der Gesetzentwurf nicht auf die betriebliche Weiterbildung bezieht. Eine Förderung wird sich hier wohl auf andere ggf. noch zu schaffende Rechtsvorschriften stützen müssen. Schwierig-keiten entstehen auch durch die Bestimmung der Weiterbildung als „organisiertes Lernen“. Betriebliche Weiterbildung wird zunehmend das Lernen in der Arbeit anregen und beraten müssen – das ist aber etwas anderes als organisiertes Lernen.

Auch der Potentialerhalt bei Langzeitarbeitslosen wird allein durch organisiertes Lernen nicht möglich sein.

4. Die Situation der Träger bzw. Einrichtungen

Nachdem 1990 in den ehemaligen DDR-Bezirken Neubrandenburg, Rostock und Schwerin (dem heutigen Mecklenburg-Vorpommern) die Weiterbildung stark einge-schränkt und in einigen Regionen auch zum Erliegen gekommen war, setzte ab Herbst 1990 eine neue Entwicklung ein. Die Fördermöglichkeiten des Arbeitsamtes nach AFG wurden vor allem von Bildungsträgern aus Westdeutschland und einigen wenigen neugegründeten ostdeutschen Bildungsträgern genutzt. Ab Ende 1990 gab es in der Entwicklung der Bildungsträger einen regelrechten Boom, hauptsächlich über die Lehrgänge nach AFG § 41a. Nicht alle Anbieter waren seriös, aber die einsetzenden Qualitätsansprüche und ihre zunehmende Kontrolle haben bald dazu geführt, die Spreu vom Weizen zu scheiden.

1992 gab es eine (zu) große Zahl von Weiterbildungsträgern, die alle von den Fördermitteln des Arbeitsamtes existierten. Die Einschränkung der Förderungen nach der AFG-Novelle führte ab Herbst 1993 zu einer Reduzierung auf etwa 120 freie Träger im Land. Man rechnet damit, daß Ende 1994 die Zahl der Anbieter auf 60 abgesunken sein könnte. Die Mehrzahl der freien Träger existierte auch im Frühjahr 1994 zu 80 bis 90 % aus Mitteln des Arbeitsamtes, nur wenige erreichten eine Finanzierung durch Unternehmen und/oder Teilnehmer zu etwa 40 %, so daß für viele 1994 ein Jahr des Überlebenskampfes sein wird. Für die Weiterbildungspolitik ist das wichtig, weil darunter auch Bildungsträger mit speziellen Angeboten sind, für die eigentlich kein Ersatz bereitsteht.

Außerdem ist bedenklich, daß durch diese existentielle Bindung der freien Träger an die Anforderungskataloge der Arbeitsämter und der Kammern keine anderen ergän-zenden Angebote auf den Weiterbildungsmarkt kommen. Mitunter werden Elemente der allgemeinen oder politischen Erwachsenenbildung aus den beantragten Maß-nahmen herausgekürzt, so daß solchermaßen korrigierte Bildungsträger von ähnli-chen Angeboten in Zukunft absehen.

Diese Prägung der Bildungsträger durch Förderung hat auch dazu geführt, daß die meisten Träger auf das Lehrgangsprinzip fixiert sind. Nur wenige sind in der Lage, dem Bedarf von kleinen oder mittleren Unternehmen (die Großen helfen sich selbst!) an Weiterbildung als Lernen in der Arbeit, verbunden mit Personal- und Organisa-tionsentwicklung – noch dazu bei gruppenorientiertem Produktionskonzept – zu entsprechen. In vielen Fördermitteln sind nur wenig, oft gar keine Sachkosten enthalten. Das führt bei nicht wenigen Bildungsträgern zu ausgesprochener Kargheit in der Unterrichtstechnologie. In ländlichen Regionen kommt es durchaus vor, daß der Honorardozent (Ost) seinen eigenen Overhead-Projektor mit Projektionsfläche mitbringen muß. Vor Ort – und vom Bildungsträger gestellt – findet er nur einen alten Polylux und als Projektionsfläche die gemusterte Tapete im Vereinszimmer des Gasthofes …

Die Volkshochschulen haben eine langsamere Entwicklung genommen; einen Boom wie bei den freien Trägern hat es hier nicht gegeben.

Gegenwärtig existieren die meisten VHS durch die beim Kultus- oder Sozialministe-rium mögliche maßnahmebezogene Förderung mit langen und komplizierten An-tragswegen. Ansonsten sind sie auf die Haushaltsansätze der Kommunen oder Kreise angewiesen – mitunter geht davon die Miete für kommunale Räume gleich wieder ab. Die im Weiterbildungsgesetzentwurf vorgesehene institutionsbezogene Förderung (anscheinend gibt es diese nur für einige Heimvolkshochschulen und Akademien) wird deshalb von vielen VHS sehnlich erwartet, weil sie darin eine arbeitserleichternde und effektsteigernde Ergänzung zur weiterhin notwendigen maßnahmebezogenen Förderung sehen.

Die von den Volkshochschulen angebotene berufsorientierte Weiterbildung wird von freien Trägern als eine wettbewerbsverzerrende Konkurrenz empfunden.

Wegen der bevorstehenden Kreisgebietsreform in M-V gibt es Unsicherheiten, da sich die Zahl der Kreisvolkshochschulen verringern wird. Es wird angestrebt, die bisherigen VHS als Arbeitsstellen ohne Personalabbau zu erhalten, um die flächen-deckende Grundversorgung zu gewährleisten.

Andere kommunal geförderte Träger sowie die Bildungszentren der Kammern haben ebenfalls eine langsamere Entwicklung genommen.

Für die bisher vorwiegend über den zweiten Arbeitsmarkt geförderten Träger besteht mit der künftigen Möglichkeit einer institutionsbezogenen Förderung die Chance der Stabilisierung. Wegen der Prüfungshoheit der Kammern haben deren im Aufbau befindliche Bildungszentren keine Existenzprobleme – das gilt auch für die mit ihnen durch Kooperation fest verbundenen Bildungsträger. Hier gibt es vor allem im gewerblich-technischen Bereich eher Probleme der Kosten, da die zur Aus- und Weiterbildung benötigten technischen Anlagen nach drei bis fünf Jahren veralten und durch neue ersetzt werden müssen. Die Kosten dafür schlagen dann auf die Unternehmen und die Teilnehmer durch, die das in vielen Fällen gegenwärtig nicht bezahlen können.

Jürgen Castendyk