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3.3 Entwerfen als Formgestaltung - Entwurfslehren von 1980 - 1990

3.3.1 Wahrnehmungspsychologische Begründung und Deutung der Form

den. - Die Vorstellung des kontinuierlichen Raumes der Moderne bleibt weiterhin wesentli-che konzeptionelle Grundlage und - die Nutzungsinterpretation die Basis für architektoni-sche Gestaltung und ihre Moralität."315

Hoesli reagiert hier auf Beliebigkeit, Relativismus und Stilpluralismus, wie sie sich seit den sechziger Jahren in der Gleichzeitigkeit von Nachkriegsmoderne, Strukturalismus und Postmoderne zeigen, mit der Bezugnahme auf einen am Räumlichen orientier-ten, erweiterten Begriff der Moderne. Für ihn ist die Moderne die bestimmende Tradi-tion der Architektur des ausgehenden zwanzigsten Jahrhunderts, die nicht ignoriert werden kann.

neuerung des Entwurfsbegriffs hinsichtlich einer entwerferischen Autonomie in der Gestaltung. Die jetzt berufenen Lehrer haben ihre Hochschulausbildung in den aus-gehenden sechziger und siebziger Jahren absolviert und sind von der Auseinander-setzung mit politischen und theoretischen Inhalten geprägt. Damit ist eine abstrakte, begriffliche Basis geschaffen, die das theoretische Fundament der eigenen Hoch-schullehre bildet und sich dann besonders in der Betonung wahrnehmungstheoreti-scher Lehrziele äußert. In der Unterrichtspraxis sollen wahrnehmungspsychologische und kunsttheoretische Erkenntnisse über Gestaltungsprinzipien und -phänomene gewonnen werden, die als eigene Transferleistungen von den Studierenden auf äs-thetische und architektonische Gestaltungen in ihrem jeweiligen Entwurfskontext übertragen werden sollen.317 Bildete in den siebziger Jahren die Beschäftigung mit politisch-soziologischen Inhalten die theoretische Basis für Planung und Entwurf, so entwickelt sich die Theoretisierung in den achtziger Jahren tendenziell zu einem phi-losophischen Diskurs als Grundlage eines auf Gestaltung abzielenden Raumverständ-nisses.

Schon in den Entwurfslehren der fünfziger Jahre finden sich gestaltpsychologische Entwurfsansätze. So stellt Robert Karl Schlott in seiner "Baugestaltungslehre" unter dem Begriff "optische Beeinflussung" ohne direkten Verweis in verallgemeinernder Form einige der Sehgesetze Metzgers -wie zum Beispiel die perspektivische Wirkung paralleler Linien- vor.318 Für Schlott stellen diese Phänomene aber zuerst eine auf Empfindung beruhende Korrektur geometrischer Gesetzmäßigkeiten dar, die auch Walther Schmidt in seiner Entwurfslehre beschreibt. Schlott verweist darauf, dass die Berücksichtigung von Empfindungswerten bis auf die Anwendung der Kurvatur bei griechischen Tempeln zurückreicht. Im Gegensatz zur Entwurfslehre der fünfziger Jahre findet bei der erneuten Hinwendung zu Fragen der Gestaltung eine Verschie-bung weg von einem an das kreativ tätige Individuum gebundenen Begriff des Ent-werfens statt. Im Zentrum der Betrachtung steht weniger die entwerfende künstle-risch-schöpferische Persönlichkeit, sondern das den Raum und die Architektur erle-bende Subjekt. Der Raum ist jetzt nicht mehr eine Struktur gesellschaftlichen Han-delns, sondern er besitzt in seiner formalen Ausprägung eine an die Wahrnehmung des Subjekts gebundene eigene Gestalt, die in ihrer Ganzheit über funktionale, tech-nische und soziale Verflechtungen hinausreicht. Grundlage des Raumverständnisses ist die Gestalttheorie und die Wahrnehmungspsychologie. Beide eröffnen die Möglich-keit, sich in einer wissenschaftlich objektiven Weise den formal-ästhetischen Fragen der Gestaltung wieder zuzuwenden. Das Ziel der in den achtziger Jahren zahlreich erscheinenden Entwurfslehren ist es nicht, nur Entwerfen als Gestalten neu zu etab-lieren, sondern auch ein gemeinschaftliches Vokabular als Grundlage eines neuen Architekturverständnisses zu erarbeiten. Zudem erfordert die Lehre des Entwerfens eine methodisch-didaktische Rechtfertigung, da erkannt wird, dass die Art der Ver-mittlung des Lehrstoffs den Lernerfolg wesentlich mitbestimmt. Neben der formal-ästhetischen Erziehung wird das Wecken von Bewusstseinsprozessen und die Öffnung verfestigter geistiger Haltungen angestrebt, um zu eigenständigen Entwurfsergebnis-sen zu gelangen.319 Das unwissenschaftliche Lehrkonzept der Nachahmung des Vor-bildes eines Künstlerarchitekten war durch die Forderung des vorangegangenen

317 P. Liebl-Osborne 2001, S. 148 ff.

318 R. K. Schlott, 1959, S. 18

319 P. Liebl-Osborne, 2001, S. 151

zehnts nach einer theoretischen Begründung der Lehre desavouiert. Der Anspruch auf Theorie bezieht sich jetzt auch auf die Methode der Vermittlung von Lehrinhalten.

In den Entwurfslehren der achtziger Jahre ist also ein Wissenschaftsanspruch doku-mentiert, der die Lehre eines auf Gestaltung hin ausgerichteten Entwerfens theore-tisch begründen will. Bei aller Unterschiedlichkeit in der Ausrichtung und in der Schwerpunktbildung ist die Auseinandersetzung mit Wahrnehmung, Form und Raum eine verbindende Gemeinsamkeit. Alle Entwurfslehren sind am Gestaltbegriff ausge-richtet. Was Joedicke als eine Möglichkeit, der "Methodenfalle" zu entkommen, ange-deutet, wird in den Lehrbüchern der achtziger Jahre zum Kern des Entwerfens.

Form als Symbol, Bedeutung und Gestalt

Einen Mangel an formgestalterischer Kompetenz beim Entwerfen stellt Robert Venturi 1966 in seinem Buch "Complexity and Contradiction in Architecture" fest, indem er die Unfähigkeit der Architektur kritisiert, "das Ganze der gebauten Umwelt zu ges-talten". Das Resultat der methodischen Bemühungen bezeichnet er mit "Planung nach vorgegebenem Raster"320. Das zentrale Thema in der nun einsetzenden formal-ästhetischen Auseinandersetzung mit der Moderne zeigt sich in der Bedeutungsdi-mension von Form. In dem 1978 erschienenen Buch "Learning from Las Vegas" kriti-siert Venturi die Architektur der nur scheinbar "reinen Form" der Moderne und fordert den "Primat des Symbolischen vor der reinen Form"321. Explizit stellt er die Architek-tur der reinen Formen im Licht, wie sie Le Corbusier beschrieben hatte, in Frage, wenn er schreibt: "Wir sollten deshalb eine Ästhetik verwenden, die ihre Wirkung aus anderen Quellen als dem Licht bezieht, eher aus symbolischen als aus räumlichen Quellen."322 Die Schlussfolgerung, die insbesondere amerikanische Architekten wie Venturi, Moore, Tigerman u.a. ziehen, liegt in der Verwendung ikonografischer Zei-chen, die sich auf historische Stilformen beziehen. Die Entschlüsselung der jeweiligen Codes soll Sinnbezüge innerhalb der Gebäude und zu ihrem Umraum herstellen. Der kulturelle Kontext der Gegenwart weist den Stilformen als Zeichen jedoch eine ganz andere Bedeutung zu, als es ihrer ursprünglichen geschichtlichen Stellung entsprach.

Die übermittelte Botschaft besteht daher zuerst in einer popartigen Verfremdung und Ironisierung, wie sie zum Beispiel in dem Entwurf der Piazza Italia von Charles Moore in New Orleans von 1978 zum Ausdruck kommt. Im vorausgegangenen Jahr hatte Charles Moore zusammen mit dem Architekturprofessor Kent C. Bloomer die Ent-wurfslehre "Body, Memory, and Architecture"323 veröffentlicht, in der, ausgehend von der Leibräumlichkeit der Wahrnehmung, typologische Architekturelemente dargestellt werden, die zu einer Aneignung des Raumes als Ort bedeutsam sind.

Der Aspekt der Form hat innerhalb der auf Bedeutung abzielenden Auseinanderset-zung mit der Moderne auf ganz unterschiedliche Weise Eingang in den Entwurfspro-zess gefunden. Neo-rationale Architekten wie Aldo Rossi interpretieren den

320 Robert Venturi, Komplexität und Widerspruch in der Architektur. Bauweltfundamente 50, Vieweg &

Sohn, Braunschweig 1978, S. 18. Zuerst: Complexity and Contradiction in Architecture. The Museum of Modern Art, New York 1966

321 Robert Venturi, Denise Scott Brown, Steven Izenour, Lernen von Las Vegas. Bauweltfundamente 53, Vieweg & Sohn, Braunschweig 1979, S. 19 Zuerst: Learning from Las Vegas. The Massachusetts Institute of Technology, 1978

322 R. Venturi, 1979, S. 174

323 Charles Moore / Kent C. Bloomer, 1980

tungszusammenhang der Form zuerst typologisch und morphologisch. Tür, Tor und Portal können zwar auch als in ihrer geschichtlichen Funktion dekodierbare Zeichen verstanden werden, darüber hinaus wirken sie aber auch direkt durch ihre Form, ihren Maßstab, durch ihre Materialität und die Art ihrer Fertigung, also durch ihre räumlichen Eigenschaften auf die Mechanismen der menschlichen Wahrnehmung. Ist die Dekodierung eines ikonografischen Zeichens bei Venturi ein weitgehend von sinn-lichen Wahrnehmungsaspekten des Erlebens losgelöster, kultureller Vorgang geisti-gen Erkennens, so ist bei einer typologisch und morphologisch geprägten Architektur, wie sie Arbeiten von Aldo Rossi oder auch Oswald Mathias Ungers verkörpern, das sinnlich Wahrnehmbare Auslöser eines Erlebens, das zu einer geistigen Vorstellung führt, die auch auf geschichtlich entwickelte Typologien verweisen kann. Hier aber bestimmt die sinnliche Wahrnehmung selbst und sodann die daraus abgeleiteten Bedeutungen das räumliche Erleben des Subjekts. Die Art der Zuweisung von Be-deutung hängt von dem Abstraktionsgrad der Architektur ab. In der Architektur Aldo Rossis nimmt die symbolische Konkretion im Verlauf seiner Arbeit in den neunziger Jahren in einer Weise zu, dass sich in seinen gebauten Projekten auch konkrete his-torische Bezüge in popartiger Verfremdung finden lassen. Ein Beispiel dafür ist der Baublock an der Schützenstraße in Berlin-Mitte von 1997 in dem er Details des Palaz-zo Farnese in Rom nachbildet. Hier treten räumliche Aspekte hinter der symbolischen Zeichenfunktion des Gebauten zurück.

Neben den aus der Semiotik abgeleiteten Untersuchungen zur Form, wie sie Venturi vorgenommen hatte, versuchen andere, das Konzept des Raumes weiterzuent-wicklen. Christian Norberg-Schulz bietet in dem Buch "Existence, Space and Archi-tecture" eine Vorstellung vom architektonischen Raum an, die als "Konkretion von Mustern und Bildern der Umwelt für die notwendige Orientierung des Menschen sorgt und damit sein Sein in der Welt beschreibt"324. Norberg-Schulz identifiziert mit dem

"praktischen Raum", dem "Wahrnehmungsraum", dem "existenziellen Raum", dem

"zu erkennenden Raum" und dem "abstrakten Raum" der reinen logischen Beziehun-gen fünf Raumtypen mit zunehmendem Abstraktionsgrad. Der architektonische Raum wird in diesem Modell als der durch den Menschen konkretisierte, auf Handeln aus-gerichtete, existenzielle Raum beschrieben.

Norberg-Schulz' Modell geht auf philosophische Vorstellungen zurück, wie sie von Maurice Merleau-Ponty (Phänomenologie der Wahrnehmung, Paris 1945), Gaston Bachelard (Poetik des Raumes, Paris 1958) oder Otto Friedrich Bollnow (Mensch und Raum, Stuttgart 1963) formuliert worden waren. Alle finden ihren Ursprung in der Idee von der Räumlichkeit des menschlichen Daseins, die eine Grundlage der Philo-sophie Martin Heideggers bildet. Hierin ist der Raum "weder ein äußerer Gegenstand noch ein inneres Erlebnis. Es gibt nicht den Menschen außer dem Raum."325 Der an den Menschen gebundene Raum ist nicht durch abstrakte Räumlichkeit gekennzeich-net, sondern sein Wesen zeigt sich in Orten, die nach Norberg-Schulz ein Produkt aus Handlung und Umgebung darstellen.326 Heidegger beschreibt diesen Zusammenhang schon 1926 in seinem Schlüsselwerk "Sein und Zeit" wie folgt:

324 Christian Norberg-Schulz, Existence, Space and Architecture. Praeger Publishers, New York 1971, S. 7:

"a concretisation of environmental schemata or images, which form a necessary part of man´s general orientation or "beeing in the world"

325 Martin Heidegger, Bauen, Wohnen, Denken. (1952) In: Martin Heidegger, Vorträge und Aufsätze.

Neske, Pfullingen 1954, 6. Auflage 1990, S. 151

326 Ch. Norberg-Schulz 1971, S. 24

"Das >Oben< ist das >an der Decke<, das >Unten< ist das >am Boden<, das >Hinten<

das >bei der Tür<; alle Wo sind durch die Gänge und Wege das alltäglichen Umgangs entdeckt und umsichtig ausgelegt, nicht in betrachtender Raumausmessung festgestellt und verzeichnet."327

Die Unterscheidung zwischen "entdecken" und "feststellen" weist im Gegensatz zur logischen Erkenntnis auf das hier entscheidende Phänomen der durch die Sinne voll-zogenen menschlichen Wahrnehmung hin. Bachelard macht auf die im Unterbewusst-sein verankerten Bilder aufmerksam, deren Erinnerung durch bestimmte sinnliche Wahrnehmungen ausgelöst werden. Bollnow hat die Bedeutung von auf den Men-schen bezogene Urphänomene des Raumes aufgezeigt. Ausgehend vom MenMen-schen als die Mitte seines Raumes beschreibt er mit den Phänomenen des Oben und Unten, Vorn und Hinten, Rechts und Links den Raum als Nähe und Ferne, als Weg und Ort und als ein Wohnen, das sich in dem ergänzenden Verhältnis von der "Geborgenheit des Hauses" und dem "in die Welt geworfen sein" vollzieht. Auch Norberg-Schulz identifiziert die Elemente des existenziellen Raumes mit Zentrum und Richtung, die als Ort und Weg erlebt werden. Nähe und Ferne, Orientierung, Richtung, Innen und Außen sind dabei als elementare Interaktionen Ableitungen der primären Erfahrung von Ort und Weg. In einem weiteren Schritt identifiziert er folgerichtig die Ebenen des existenziellen Raumes mit Geografie, Landschaft, Stadt, Haus, und Ding.

Neben einer Architektur der Zeichen und Symbole, wie sie beispielhaft von Robert Venturi vertreten wird und der Architektur typologischer und morphologischer Vor-stellungen, die wesentlich räumliche Aspekte mit einbeziehen, entwickelt sich als dritter Zweig eines auf Bedeutung abzielenden formal-ästhetischen Architekturver-ständnisses eine Architektur, die das körperhaft-sinnliche, räumliche Erleben bei weitgehender formaler Abstraktion in den Vordergrund rückt. Bedeutung wird hierbei nicht als ein auf Symbolhaftigkeit ausgerichtetes, semiotisches Phänomen begriffen, sondern als ein Phänomen der Gesamtgestalt einer baulichen Erscheinung.