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3.1 Zwischen Tradition und Moderne - Lehrbücher des Entwerfens 1945- 1945-1960

3.1.5 Durch Handwerk zum Kunstwerk - Zusammenschau der Lehrbücher von 1945 -1960

Die Entwurfslehren in der Zeit von 1945 bis 1960 sind gekennzeichnet durch ein Anknüpfen an traditionelle Gestaltungskonzepte aus der Zeit der zwanziger und drei-ßiger Jahre. Dabei setzen sie ganz unterschiedliche Schwerpunkte. Martin Elsaesser versucht, an die Periode des "Neuen Bauens" vor 1933 anzuknüpfen und diese einer gemäßigten Moderne verpflichtete Tradition mit den veränderten Ansprüchen in der Zeit des Wiederaufbaus zu verbinden. Für ihn bleibt der Bau das Kunstwerk eines individuellen Schöpfers, und er beklagt Geistlosigkeit und Materialismus in der mo-dernen Architektur.219 Seine Entwurfslehre ist von dem Gedanken der Auflösung von Polaritäten durchdrungen. Walther Schmidt sieht wie Elsaesser die Notwendigkeit des Ausgleichs zwischen Tradition und Moderne, doch scheint bei ihm die Skepsis gegen-über einer Vereinbarkeit und Auflösung beider in einer höheren Einheit zu gegen- überwie-gen. Seine Haltung ist pragmatisch. Der Sachzwang der Realität wird beide Vorstel-lungswelten im Gefüge der wiederaufzubauenden Stadt zwangsläufig zu einer Einheit verbinden. Der Auseinandersetzung zwischen Tradition und Moderne stellt sich

218 R. K. Schlott, 1959, S. 175

219 Martin Elsaesser, Schulen, Universitäten, Kindergärten, Jugendherbergen. In: Handbuch der modernen Architektur. Reinhard Jaspert (Hrsg.), Safari-Verlag, Berlin 1957, S. 654 ff.

bert Karl Schlott nicht. Da sein Hauptanliegen dem "normalen Bauen" vornehmlich im ländlichen Kontext dient, glaubt er daraus ein Leitbild ableiten zu können, das sich einzig auf die gewachsenen, regionalen Bautraditionen bezieht und einen großen Teil der Baurealität um 1959 ausblendet. Dies gelingt ihm jedoch nicht, weil er dem An-spruch, eine allgemeine Baugestaltungslehre verfassen zu wollen, erliegt und auch Bauformen (Flachdach), Fertigungsmethoden (Stahlbeton) und Konstruktionsweisen (Stützenbauweise), die er für beispielhaft modern hält, zur Kenntnis nehmen muss und damit in Widerspruch zu seiner eigentlichen Haltung gerät.

Schöpferischer Prozess und Lehrbarkeit des Entwerfen

Fritz Schumacher formuliert 1926 in seinem Aufsatz "Das bauliche Gestalten" in Be-zug auf das architektonische Entwerfen: "Auch die liebevollste Beschäftigung mit theoretischen Problemen der Kunst darf den Schaffenden nie darin stören, intuitiv zu arbeiten."220 Das Bild des schöpferisch tätigen Künstlerarchitekten ist das vorherr-schende Modell in den Entwurfslehren von Schmidt und Elsaesser. In der Einleitung seiner "Einführung in das Entwerfen" stellt Elsaesser fest: "Nun ist klar, daß das Ent-werfen in seinen entscheidenden Vorgängen weder lehrbar noch darstellbar ist, denn das Wesentliche, der eigentlich schöpferische Prozess, vollzieht sich beim einzelnen Architekten nach individuellen Gesetzen, die nicht in eine Norm gebracht werden können."221 Es geht Elsaesser hierbei nicht um intuitive Kreativität und subjektives Ausdruckswollen, wie es das Lehrkonzept von Johannes Itten am Bauhaus zeigt, sondern um die Verantwortung des schöpferischen Individuums gegenüber seinem Werk. Er fordert, dass der Architekt aus einer inneren Wahrheit heraus gestalten soll.

Diese Wahrheit ist persönlich und entzieht sich jeglichen Normierungsversuchen und damit auch einer Lehrbarkeit.

"Auch heute soll beim Architekten Begabung stillschweigende Voraussetzung sein."222, schreibt Walther Schmidt. Für Elsaesser ist Begabung nicht erlernbar, "Sie kann aber in mehr oder weniger vollkommener Weise entwickelt und gesteigert wer-den."223 In dieser Beziehung möchte er seine Lehre als eine Hilfestellung verstanden wissen, um den Unerfahrenen "unnötige Umwege zu ersparen". Schlotts Anliegen ist hier ein anderes. Ihm geht es von vornherein nicht um den "künstlerisch Begnade-ten", sondern er wendet sich an die "unsichere Hand", die mit einfachen, alltäglichen Bauaufgaben konfrontiert wird. Dem, der die "Materie nicht meistern kann", "soll durch die aufgezeigten Gesetzmäßigkeiten die Hand geführt werden".224 Dabei geht er davon aus, dass der Begabte ohnehin die "Fesseln sprengen" und über sie hinaus wachsen würde. Demzufolge versucht seine Lehre in vielen Einzelbeispielen Lösungen aufzuzeigen, die übernommen werden können. Implizit drückt sich hier auch eine Haltung der Nichtlehrbarkeit des Entwerfens gegenüber dem Begabten aus, der Un-terweisung nicht nötig hat, und gegenüber dem Unbegabten, bei dem sie vergebens ist. Dem Unbegabten wird die Verantwortung für sein Tun aus der Hand genommen, sie wird übertragen auf einen Katalog vorgegebener Lösungen.

220 F. Schumacher, 1991, S. 53

221 M. Elsaesser, 1950, S. 5

222 W. Schmidt, 1947, S. 24

223 M. Elsaesser, 1950, S. 5

224 R. K. Schlott, 1959, S. 9

Theoretische und methodisch-didaktische Aspekte des Entwerfens in den Lehrbü-chern von Schmidt, Elsaesser und Schlott

Im Gegensatz zu dem umfangreichen und in sich geschlossenen Lehrgebäude Osten-dorfs kann in den drei nachfolgenden Entwurfslehren der fünfziger Jahre nicht von einem System gesprochen werden. Die Offenheit des Entwurfsprozesses ist ein be-sonderes Kennzeichen der Bücher von Schmidt und Elsaesser. In ihrem Bemühen um Ausgleich versuchen sie unterschiedliche Vorstellungen, wie traditionelles und mo-dernes Bauen, in ihrer Lehre zusammenzuführen. Die drei Lehren teilen das Anliegen eines einfachen Bauens ohne besonderen Formwillen in Ausrichtung auf das Material und seine konstruktiv gestalterischen Implikationen. Diese Haltung kann über Osten-dorf bis auf die im "Handbuch der Landbaukust" von David Gilly aufgestellten Forde-rungen nach einem einfachen und zweckhaften, nicht formalistischen Bauen zurück-verfolgt werden.

Elsaesser als ein prominenter Vertreter der Neuen Sachlichkeit zeigt sich in seiner Entwurfslehre der Moderne gegenüber unentschlossen. Sein Konzept des Ausgleichs von Polaritäten und des individuellen Leitbildes führt in hohem Maß zu einer Mehr-deutigkeit in den vorgestellten Entwurfsansätzen. Dennoch scheint in seiner Ent-wurfslehre eine persönliche Verbundenheit mit den Prinzipien einer gemäßigten Mo-derne durch, die sich in der Betonung der funktionalen Aspekte im Entwurfsprozess zeigt. Einen verbindlichen Aussagegehalt besitzt seine Entwurfslehre nur in Bezug auf die praktische Organisation des Entwurfsprozesses in der Abfolge einzelner Schritte bis zum fertigen Entwurf.

Walther Schmidt als ein Vertreter der bayerischen Postbauschule betont in seiner Entwurfslehre traditionelle und regionale Aspekte einer gemäßigten Moderne. Ein-fachheit und elementare Prinzipien der Gestaltung findet er in einer materialbezoge-nen Handwerklichkeit. Von dieser Position aus stellt er die Notwendigkeit fest, mo-derne Entwicklungen wie Typisierung und industrielle Fertigungsmethoden auf-zugreifen. Alle drei Autoren erkennen die Notwendigkeit industrieller Fertigung zur Bewältigung des Wiederaufbaus an. Die zentrale Frage in den Entwurfslehren ist, inwieweit das architektonische Kunstwerk und der schöpferische Prozess seiner Ges-taltung durch industrielle Fertigungsmethoden und der damit verbundenen Typisie-rung seinen wesentlichen Charakter, nämlich die "seelische Wirkung", einbüßt. Wenn Entwerfen zu einem bloß technisch-rationalen Vorgang würde, hätte der Architekt seinen Künstlerstatus verloren, und das Bauwerk wäre nicht mehr Kunstwerk, son-dern ein optimiertes Produkt.

Für Walther Schmidt ist die Ausbildung des handwerklichen Details in einer Architek-tur, die deutlich auf "das Elementare" ausgerichtet ist, unerlässlich bei der Vermitt-lung zwischen verschiedenen Maßstäben innerhalb eines Gebäudes. Für die Bedeu-tung des Details stehen in seiner Entwurfslehre die Ausführungen zu den Profilen.225 Durch den zunehmenden Einsatz industrieller Fertigungsmethoden verschieben sich für Schmidt die Aufgaben des Architekten in Richtung auf eine sorgfältige Durchar-beitung von Fertigungstypen. Hierin sieht er die Chance, dass nicht mehr "individu-elle Eigenarten" des Gestalters Grundlage des Entwerfens sind, sondern dass in der Selbstverständlichkeit der Lösung an die "guten alten anonymen Bauten" angeknüpft werden kann.226 Es zeigt sich die Sehnsucht nach einem überindividuellen Leitbild,

225 R. K. Schmidt, 1947, S. 100

226 R. K. Schmidt, 1947, S. 13

das ehemals, durch Kultur und Tradition verankert, in den "anonymen Bauten"

durchschien, jetzt durch Industrie und Technik wiederhergestellt werden soll. Wie dieses neue Leitbild dann auf den Architekten als Künstler und das Gebäude als Kunstwerk einwirkt, bleibt ungeklärt. Den Ausgleich zwischen Tradition und Moderne sieht Schmidt allerdings zuerst in dem nivellierenden Einfluss der praktischen Baure-alität, die extreme Positionen nicht zulässt.

Robert Karl Schlott knüpft in seiner 1959 vergleichsweise spät erschienenen Bau-gestaltungslehre nahtlos an die Prinzipien des Bundes für Heimatschutz an. Land-schaftsgebundenes, traditionelles Bauen im ländlichen Kontext ist sein Leitkonzept.

In der Verbesserung des Gestaltungsniveaus decken sich seine Absichten mit den ursprünglichen Zielen der Heimatschutzbewegung, wie sie schon beim Wiederaufbau Ostpreußens nach dem Ersten Weltkrieg formuliert wurden. Schlott meint, sich den modernen Entwicklungen entziehen zu können, indem er sich auf den ländlichen Raum beschränkt, sich dem "normalen alltäglichen Bauen" zuwendet und die Minder-begabten als seine Zielgruppe definiert.

Die eigentliche Methode des Entwerfens zeigt sich bei Elsaesser und Schmidt in der Entwicklung einer Idee. Neigt Elsaesser mehr zu individuell subjektiven Aspekten für die Entwicklung einer Idee, so ist für Schmidt die Idee ein Vorstellungskomplex, der sich in Abhängigkeit von dem jeweiligen kulturellen Kontext entwickelt. Die Aufde-ckung dieses kulturellen Bodens und die Ableitung eines Standpunktes ist das Ziel seines Buches. Durch die Vorrangstellung der Idee ist das Zeichnen für beide Autoren nicht Teil der kreativen Arbeit im Entwurfsprozess. Die Zeichnung dient der "Fixie-rung" der Idee in Form einer "Niederschrift".

Im Gegensatz zu Schmidt und Schlott beschreibt Elsaesser den Vorgang des Entwer-fens ausführlich in der Abfolge der einzelnen Schritte von Programmanalyse, Bau-platzanalyse, Raumorganisation sowie Grundrissentwicklung in Abstimmung mit der Baukörperentwicklung und den Fassaden. Schmidt setzt in seinem Buch mit der Be-schreibung des Entwurfsvorgangs dort an, wo der kreative Prozess schon abgeschlos-sen ist, und wo mit der Niederschrift der Entwurf ausgearbeitet wird. Damit klammert er den bedeutenden Komplex der Idee aus, weil der sich ohnehin der Erklärung ent-zieht. Auch er betont die gegenseitige Abhängigkeit von Grundriss und Aufriss. Er verweist auf die unterschiedlichen Planmaßstäbe, die vom Maßstab 1:200 bis 1:1 den verschiedenen Planungsständen im Planungsprozess entsprechen sollen.

In der Beaux-Arts Tradition waren Grundriss und Aufriss in das stabile System eines Stils eingebunden. War der Grundriss folgerichtig innerhalb eines Stilsystems entwi-ckelt, so ergab sich daraus der Aufbau des Gebäudes in logischer Konsequenz. Wie gezeigt wurde, hat die Beaux-Arts Schule, nicht zuletzt durch die bedeutende Ent-wurfslehre von Julien Guadet, an den deutschen Architekturakademien und Hoch-schulen bis in die zwanziger Jahre hinein ungebrochen gewirkt. Bei Ostendorf zeigt sich die Auflösung des durch einen Stil bedingten Verbundes zwischen Grundriss und Aufriss jedoch deutlich. Er benutzt kassizistische Stilelemente hauptsächlich zur Glie-derung der Fassaden, wobei die Grundrissorganisation zuerst der ForGlie-derung nach der Geschlossenheit der Form folgt und nicht an einen Stil gebunden ist. Die gegenseitige Abhängigkeit von Grundriss und Aufriss wird in den Entwurfslehren der Nachkriegs-zeit im Wesentlichen durch Programm und Funktion und durch stofflich konstruktive Aspekte des Materials hergestellt. Als ein zusätzlicher Faktor kommt die Proportions-und Harmonielehre hinzu.

In der methodischen Vermittlung des Stoffs verfolgen die drei Entwurfslehren sehr unterschiedliche Modelle. Das Lesebuch Walther Schmidts ist keine direkte Anleitung zu einer möglichen Gestaltung des Entwurfsprozesses. Durch Reflexionen zu be-stimmten Entwurfsthemen soll die eigene Haltung überdacht und ein Standpunkt formuliert werden, von dem aus dann im Entwurfsprozess Entscheidungen getroffen werden können. Im Gegensatz zu Elsaesser und Schlott führt Schmidt nur wenige Beispiele an, untermauert aber seine Gedanken durch Illustrationen. In Elsaessers

"Einführung in das Entwerfen" bilden Fallbeispiele die didaktische Grundlage. Im Fallbeispiel wird der Entwurfsprozess durchgespielt und Entwurfsentscheidungen erklärt. Hierbei kommt es weniger darauf an, dass der Leser die Beispiellösung in seinen Entwurf übernimmt, sondern dass er in der Abfolge der Schritte eine Methode nachvollziehen kann, die sich auf den eigenen Entwurfsvorgang übertragen lässt.

Schlott bezeichnet seine "Baugestaltungslehre" als Nachschlagewerk, in dem Bei-spiellösungen vom Leser für den eigenen Entwurf übernommen werden können; aus Mangel an Begabung soll der auf die Einzellösung angewiesen sein. Die Form der Präsentation von Positiv- und Negativbeispielen beabsichtigt dabei auch eine erziehe-rische Wirkung. Schlotts Entwurfslehre ist in ihrem Wesen eine Nachahmungslehre, die sich mit kreativen und künstlerisch schöpferischen Prozessen nicht auseinander-setzt. An die Stelle der Idee setzt Schlott das Vorbild. Dieses Vorbild eines traditio-nellen, regionalen ländlichen Bauens wird nicht begründet oder in Frage gestellt.

Vielmehr wird diese Leitvorstellung dem Leser als "Formgesetz" präsentiert. Ist die Methode auch äußerst fragwürdig, so zeigt sich Schlotts Lehrbuch didaktisch am klarsten. Es muss aber bezweifelt werden, ob eine derartige Eindeutigkeit für den Entwurfsprozess überhaupt sinnvoll genutzt werden kann, wenn man die schöpferi-sche Kreativität des Entwerfers als Teil des Entwurfsprozesses ernst nehmen will.

Einordnung der Entwurfslehren in den Zeitkontext am Beispiel der HfG Ulm

Die drei Entwurfslehren, die in der Zeit von 1947 bis 1959 erschienen sind, beziehen sich, wie dargestellt wurde, ganz wesentlich auf die Architektur der gemäßigten Mo-derne vor 1933. Die Autoren selbst waren in dieser Zeit als Architekten erfolgreich tätig gewesen. In der Nachkriegssituation versuchen sie, an eigene Positionen anzu-knüpfen und, wie Schmidt und Elsaesser mit jeweils unterschiedlicher Akzentsetzung, sich vorsichtig an die veränderten Bedingungen der neuen Zeit anzupassen. Hierbei wird, nicht zuletzt aufgrund der Erfahrungen mit dem Nationalsozialismus, die Unab-hängigkeit des Individuums und der Wert der geistigen Persönlichkeit besonders hervorgehoben.227

In der Wiederaufbausituation werden gemäßigte Architekten wie Elsaesser und Schmidt in offizielle Funktionen berufen. Die meisten der progressiv modernen Ar-chitekten waren durch den Nationalsozialismus zur Emigration gezwungen worden und standen nicht zur Verfügung. Darüber hinaus war das Bedürfnis nach der Sicher-heit des Bekannten durch ein Anknüpfen an Traditionen stärker als der Wille, sich mit dem progressiveren Teil der Moderne vor 1933 auseinanderzusetzen. Diese Phase der Reorganisation, der die Entwurfslehren zuzuordnen sind, schließt im Verlauf der fünfziger Jahre ab. In dieser Hinsicht ist die "Baugestaltungslehre" von Schlott mit dem Erscheinungsjahr 1959 nicht mehr der Phase der Reorganisation und des

227 Siehe dazu auch: W. und J. Petsch, 1983, S. 10 ff.

deraufbaues zuzuordnen. Dies macht das Werk zu einer für seine Zeit singulären Erscheinung, weil es zeitlich versetzt eine extreme Position der Nachkriegsrestaurati-on widerspiegelt. Obwohl im Verlauf der fünfziger Jahre die RezeptiNachkriegsrestaurati-on und das Inte-resse an der progressiven Moderne zunimmt und der Wind auch an den Hochschulen dreht, erfährt die Entwurfslehre Schlotts eine große Verbreitung. Dies kann eigentlich nur in dem Mangel an Vergleichspublikationen begründet liegen.

In die Phase des Wiederaufbaus fällt die Gründung der Hochschule für Gestaltung (HfG) in Ulm 1952 durch Inge Scholl, Otl Aicher und Max Bill. Diese Gründung steht in einem außerordentlichen Gegensatz zu den restaurativen und gemäßigt modernen Tendenzen, welche die Architektur und ihre Lehre in der Nachkriegssituation weitge-hend bestimmen. Hier wird jenseits des wiederhergestellten akademischen Lehrbe-triebs ein tatsächlicher Neuanfang versucht. Max Bill bezieht ehemalige Bauhauspro-tagonisten wie Gropius oder Albers in die Konzeption von Lehrmodellen und zeitweilig auch in die Lehre selbst ein.228 Bewusst wird versucht, an die Institution des Bauhau-ses anzuknüpfen. Im Gegensatz zu einem schöpferisch-künstlerischen und subjektiv geprägten Entwerfen wird der Entwurfsvorgang jetzt von einem wissenschaftlichen Standpunkt aus begriffen. Die in den Aufgabenblättern vorgestellten Methoden zei-gen sich als Strategie zur Lösung von Problemen. "Die Wortwahl und der sprachliche Duktus implizierten nur einen einzigen Weg der Problemlösung: rational, methodisch, exakt und meßbar."229 Hier scheinen in Abgrenzung zu Gropius die auf Funktionali-sierung ausgerichteten SystematiFunktionali-sierungsbestrebungen Hannes Meyers am Bauhaus und dessen Methode der Lebensprozessstudien durch. In der zweiten Phase ihrer Entwicklung ist es das erklärte Ziel der HfG, die Tätigkeit des Entwerfers aus einem kunsthandwerklichen Verständnis zu befreien und in einen industriellen Kontext zu überführen. In dem Unterrichtskonzept von Tomás Maldonado können die Verände-rungen im Grundkurs der HfG nachvollzogen werden. Er entwickelt auf der Basis der im Bauhaus-Vorkurs angewandten Prinzipien der sinnlichen Wahrnehmung eine Me-thodik, die Kenntnisse aus den Bereichen der Mathematik, Symmetrie und Typologie, der Topologie und der Wahrnehmungstheorie einbezieht.230 Mit Maldonado gewinnt eine neue Generation bestimmenden Einfluss auf die Lehre des Entwerfens. Aller-dings sind von den Lehrern an der HfG Ulm keine Publikationen zum Entwerfen ver-fasst worden.

Im Verlauf der fünfziger Jahre beginnt allmählich auch eine Rezeption der Architektur und der Gestaltungslehre des Bauhauses in Deutschland. Das Bauhaus findet zuerst über verschiedene Einzelausstellungen der Bauhausmaler wieder offizielle Beach-tung.231 Aber erst mit der großen Bauhauspublikation von H. M. Wingler 1962 findet die Bauhaus Rezeption einen breiten Niederschlag. Schon in den fünfziger Jahren wird das Konzept des Bauhausvorkurses als Lehrmethode für die Ausbildung an den Kunstakademien, wie zum Beispiel in Stuttgart, eingeführt. Auch an den Architektur-fakultäten der Technischen Hochschulen werden Lehrstühle eingerichtet, die das

228 Zur Rolle von Gropius bei der Gründung der HfG Ulm und der Entwicklung des Ausbildungskonzeptes siehe: Hans Frei, Konkrete Architektur. Verlag Lars Müller, Baden 1991, S. 40 ff.

229 Bernhard E. Bürdek, Zur Methodologie an der HfG Ulm und deren Folgen. In: Katalog, Ulmer Museum / HfG Archiv (Hrsg.), ulmer modelle. hochschule für gestaltung ulm 1953-1968. Hatje Cantz , Ostfildern-Ruit 2003, S. 50

230 Marcela Quijano, Ist der Weg das Ziel? In: Katalog, Ulmer Museum / HfG Archiv (Hrsg.), ulmer modelle, hochschule für gestaltung ulm 1953-1968. Hatje Cantz , Ostfildern 2003, S. 65

231 W. und J. Petsch, 1983, S. 79

Modell des Bauhausvorkurses zum Vorbild nehmen. Mit der Schaffung des Lehrstuhls

"Zeichnen und Modellieren, Elementare Mittel der Gestaltung" (Stuttgart 1949), des

"Lehrstuhls Grundlagen der Architektur" (Karlsruhe 1958) und des Lehrstuhls für

"Grundlagen des Gestaltens" (München 1958) wird versucht, die in der Nachkriegs-zeit wiederaufgenommenen Lehrmethoden entsprechend des Bauhausvorkurses zu reformieren.232 Dabei findet das Problem der verhängnisvolle Übertragung des durch Gestaltungsprinzipien der bildenden Kunst geprägten Vorkurses auf den Entwurfspro-zess in der Architektur, das sich ja schon am Bauhaus selbst so deutlich gezeigt hat-te, keine Beachtung.

Der methodische Ansatz einer Verwissenschaftlichung und Rationalisierung des Ent-wurfsvorgangs führt in den verschiedenen Phasen der Entwicklung233 der HfG in den sechziger Jahren dazu, dass die eigentliche Gestaltung der Dinge in der Lehre über-haupt nicht mehr thematisiert wird. Entwerfen als gestalterischer Prozess ist diskre-ditiert und nur noch als technisch rationaler Vorgang legitimiert. Auf der anderen Seite können die Lehrstühle, die sich mit den Grundlagen der Gestaltung befassen, aufgrund des Vorkursmodells mit allgemein künstlerischer Orientierung ebenfalls keine Hilfestellung für die umfassende gestalterische Bewältigung des Entwerfens von Gebäuden geben. Die Entwurfslehren der Nachkriegsperiode zeigen hier besonders im Verweis auf die stofflichen und konstruktiven Implikationen von Material als Bau-stoff zumindest eine dem Entwurfsvorgang immanente Möglichkeit auf, schöpferisch-künstlerische Aspekte der Gestaltung und objektive Bedingungen des Entwerfens miteinander zu verbinden. Gerade in dieser Verbindung zeigt sich das eigentliche Wesen der architektonischen Gestaltung.

3.2 Entwerfen als Planungstheorie - Lehrbücher der Architektur von 1960