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Formal-ästhetische Fragestellungen in den Entwurfslehren von Moo- Moo-re, Ching und Fonatti

3.3 Entwerfen als Formgestaltung - Entwurfslehren von 1980 - 1990

3.3.8 Formal-ästhetische Fragestellungen in den Entwurfslehren von Moo- Moo-re, Ching und Fonatti

Die Darstellung des Diskurses des Entwerfens in Entwurfslehrbüchern der achtziger Jahre ist erst umfassend, wenn sie auch den Einfluss außerhalb der Bundesrepublik erschienener Publikationen zur Entwurfslehre miteinbezieht. Gerade in der Aus-richtung der Gestaltung auf wahrnehmungspsychologische Erkenntnisse zeigt sich die internationale Vernetzung des Diskurses. Die Grundlagen der Wahrnehmungstheorie werden in den zwanziger Jahren des vorigen Jahrhunderts besonders an den psy-chologischen Instituten in Berlin und Wien entwickelt, dann aber durch die erzwun-gene Emigration vieler ihrer Protagonisten in zahlreiche Länder, insbesondere in die USA, verbreitet. Von dort gelangen dann wichtige Veröffentlichungen in die Bundes-republik Deutschland wie zum Beispiel Rudolf Arnheims Untersuchung "Kunst und Sehen"420 zum Verhältnis von Wahrnehmungspsychologie und Kunst, die zuerst 1954 in Berkeley, USA, erscheint und erst 1964 in einer deutschen Übersetzung vorliegt.

Ein Interesse an formal-ästhetischen Fragestellungen zeigt sich in der Funktionalis-muskritik, die Robert Venturi 1966 in seinem Buch "Complexity and Contradiction in Architecture" formuliert, indem er fordert, "das Ganze der gebauten Umwelt zu ges-talten". Entwurfslehrbücher, die sich mit formal-ästhetischen Fragestellungen des Entwerfens auseinandersetzen, erscheinen in den USA rund ein Jahrzehnt früher als die hier vorgestellten deutschen Publikationen und können somit als Vorläufer ange-sehen werden.

Der an der Yale University unterrichtende, amerikanische Architekt Charles Moore präsentiert 1977 in seiner Entwurfslehre "Body, Memory and Architecture"421 die theoretischen Grundlagen eines Entwerfens, das sich an einer leibräumlichen Wahr-nehmung und der Bedeutung von Form ausrichtet. Dort wird zum ersten Mal die Theorie des Körperschemas nach Paul Schilder in einer Entwurfslehre vorgestellt. Ein auf Ort und Weg, Mittelpunkt und Rand ausgerichtetes, phänomänologisches Raum-verständnis, wie es Otto Friedrich Bollnow vorführt, wird dort zum ersten Mal

420 R. Arnheim, 1964

421 Ch. Moore / C. K. Blomer, 1980

kret auf die Gestaltung von architektonischem Raum bezogen. Besonders in der Ent-wurfslehre Meisenheimers ist die Ort-Wege-Beziehung die Basis eines auf Handlung bezogenen Raumverständnisses, das sich an typologischen Mustern orientiert. Moore betont in seiner Veröffentlichung die Bedeutung typologischer Architekturelemente zur Stiftung von Identifikation mit einem Ort. So verweist er auf seinen Entwurf für die Kresge Colleges der Universität von Santa-Cruz in Kalifornien von 1974. Um den elementaren Bedürfnissen nach Geborgenheit, Wohnlichkeit und Identität nachzu-kommen, greift er auf das Bild des Dorfes als Urform des gemeinschaftlichen Zu-sammenlebens zurück. Durch Zeichen persönlicher und historischer Erinnerung kann der Bewohner den Ort physisch und psychisch in Besitz nehmen und erfährt eine Bestätigung seiner Identität. Durch die Verwendung typologischer Grundmuster wie Platz, Brunnen, Tor oder Arkade wird ein Bedeutungszusammenhang hergestellt, den die Benutzer als gemeinschaftliches Erleben teilen können.

Der an der Universität von Wisconsin lehrende Francis Ching publiziert 1979 die Ent-wurfslehre "Architecture, Form, Space and Order"422, die als eine mophologische Studie wesentliche Elemente von Form und Raum und die Grundsätze ihrer Gestal-tung vorstellt. 1983 erscheint dieses Werk unter dem Titel "Die Kunst der Architek-turgestaltung als Zusammenklang von Form, Raum und Ordnung" in einer deutschen Übersetzung. Ching stellt anhand von Architekturbeispielen, die den Weltkulturen und besonders dem Werk der Protagonisten der Moderne Le Corbusier, Mies van der Ro-hes, Frank Lloyd Wrights und Louis Kahns entlehnt sind, Lösungen für formale Prob-leme der Architektur vor. Die Entwurfslehre kategorisiert die Beispiele in Bezug auf die Organisation von Form (z.B. Nachbarschaft, Zentralisierung, Linearität, Radialität, Gruppe), Wege (Annäherung, Eingang, Wegeführung), Proportion (Proportionssyste-me und Maßregler) und Ordnungsprinzipien (Achse, Sym(Proportionssyste-metrie, Hierarchie, Rhyth-mus, Wiederholung) und stellt sie katalogartig vor. So entsteht ein Lexikon architekturräumlicher Phänomene, das ein Vokabular auflistet, dessen sich jeder Entwerfer -gleich einem Schriftsteller, der die Regeln der Grammatik und der Syntax kennen muss, um ein Essay oder Novellen zu schreiben423 - bedienen kann, um eine Gestal-tungsaufgabe zu lösen. Den Ausgangspunkt seiner Untersuchung bildet die Entwick-lung von Punkt, Linie und Fläche in eine räumliche Dimension entsprechend der Vor-stellung vom Punkt, der sich in Bewegung setzt, wie sie Paul Klee im pädagogischen Skizzenbuch formuliert hatte. Chings Ansatz bleibt den abstrakt-geometrischen Raumvorstellungen der Moderne verbunden, bezieht Wahrnehmungsaspekte mit ein, ohne jedoch direkt auf die Wahrnehmungspsychologie und ihre Gesetze zu verwei-sen. So nennt er vertikale Formen grundsätzlich aktiver im Vergleich zu horizontalen, leitet diese Beobachtung aber nicht aus der Leibräumlichkeit des Körperschemas ab.424

Als dritte Entwurfslehre schließlich ist die Publikation Franco Fonattis "Elementare Gestaltungsprinzipien in der Architektur"425 von 1982 anzuführen. Fonatti ist Assistent von Gustav Peichel an der Meisterschule für Architektur der Akademie der bildenden Künste in Wien, bevor er 1984 Professor für Gestaltungslehre und Gestaltungstheorie

422 Francis Ching, Die Kunst der Architekturgestaltung als Zusammenklang von Form, Raum und Ordnung.

Bauer Verlag, Wiesbaden 1983. Zuerst: Architecture, Form, Space and Order. Litton Educational Publishing, 1979423 F. Ching, 1983, S. V

424 F. Ching, 1983, S. 120

425 Franco Fonatti, Elementare Gestaltungsprinzipien in der Architektur. Gustav Peichel (Hrsg.), Wiener Akademie Reihe Bd. 11, Akademie der bildenden Künste Wien, Wien 1982

an der Akademie wird. Seine Entwurfslehre thematisiert die Organisation zumeist geometrisch bestimmter Formen in Hinblick auf Gestaltganzheit. Es werden Operatio-nen vorgeführt, mit deOperatio-nen Formen entsprechend der ihOperatio-nen innewohOperatio-nenden geomet-rischen und optischen Logik bestimmt und in einen sinnvollen Zusammenhang ge-bracht werden können. Fonatti strebt eine Synthese aus Wahrnehmung und Vorstel-lung an, in der "die rezeptiven Sinne die wahrgenommenen sinnlichen Eindrücke mit Hilfe des analytischen Geistes verarbeiten"426. Im Wesentlichen orientiert sich die Entwurfslehre an den Elementarformen Kreis, Quadrat und Dreieck, die mit Operatio-nen der Bewegung, Varianz, Annäherung, Teilung, Integration, Drehung, Durchdrin-gung und der Strukturbildung untersucht werden. Hierbei stellt sich für Fonatti die Bewegung als zentrales Motiv für die Form dar, wie sie sich in der Bewegung des Punktes zur Linie, zur Fläche, zum Raum ausdrückt. Wie auch Ching bezieht er sich auf die Darstellung Paul Klees im Pädagogischen Skizzenbuch. Diese Interpretation kann in Zusammenhang mit den Ausführungen Wagners gestellt werden, der in sei-ner Entwurfslehre betont, dass die im Anschauungsraum erfassbaren Bewegungen Strukturen gestaltbildende Eigenschaften besitzen, deren Erscheinungsformen inner-halb der Symmetrielehre beschrieben werden können.427 Das bedeutet, dass sowohl die Form selbst als auch ihre Veränderung und Organisation aus ihrer Motivation zur Bewegung abgeleitet wird. Auch Fonatti folgt der Theorie Ehrenfels', der die Gestalt-ganzheit als eine Qualität aus dem Produkt von Gestaltreinheit und Gestalthöhe be-greift. Obwohl die Entwurfslehre auch morphologische und typologische Elemente aufweist, ist Fonatti zuerst an dem abstrakten Spiel der Formen gelegen, das er in unzähligen Operationen vorführt. Die Fixierung auf die Form bedingt einen Verzicht sowohl auf funktionale und konstruktiv-technische Aspekte als auch auf eine kon-textbezogene Untersuchung von Form im Raum. Auch Wagner untersucht die Logik geometrischer Formen. Mehr noch aber interessieren ihn die Gesetzmäßigkeiten räumlich-geometrischer Strukturen. Die Untersuchung der Primärformen und ihrer logischen Teilungen, ihre Additionen und Transformationen beschränkt sich bei Fo-natti auf ihre gestaltbildende Funktion im Grundriss. Den operativen Umgang mit geometrischen Formen als einem spezifischen Aspekt des Entwerfens erweitert Fo-natti zu seinem grundlegenden Verständnis von Architektur überhaupt. Die Bezug-nahme auf abstrakte geometrische Formen bringt seinen Ansatz in die Nähe zur Mo-derne. Ohne die Beachtung funktionaler und technisch-konstruktiver Entwurfsimpli-kationen erscheint seine Lehre jedoch formalistisch.

So wichtig und richtig die Wiederentdeckung der Bedeutung formal-ästhetischer räumlicher Qualitäten in den Entwurfslehren der achtziger Jahre auch ist, so bringt die Vernachlässigung anderer entwurflicher Faktoren zwar eine Reinheit in der Lehre hervor, bleibt aber in Bezug auf das Ganze des Entwerfens fragmentarisch. Der ei-gentliche Wert des wahrnehmungspsychologischen Ansatzes in der Lehre des Ent-werfens liegt in dem Versuch, die seit der Aufklärung vorherrschende Dichotomie des westlichen Denkens, in sinnliches Erleben und geistiges Erkennen, zu überwinden.

Der Gestaltansatz macht deutlich, dass die besondere Bedeutung der Architektur in ihrem realen, materiellen Charakter liegt, der immer wieder neu in präsentischer Wahrnehmung erfahren wird. Die geistige Dimension der Architektur zeigt sich in der Bedeutungsdimension der Wahrnehmung, durch die sie erst zum Erleben werden kann.

426 F. Fonatti, 1982, S. 8

427 F.-Ch. Wagner, 1981, S. 123

3.4 Komposition als Ordnung der Form und als konstruktive Logik des