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Verwaltungsorganisation und Selbstverwaltung nach Kriegsende

Im Dokument Kreisen in Brandenburg 1945–1952 (Seite 61-69)

Geleitwort des Herausgebers

1. Die Gemeindestruktur

1.1. Verwaltungsorganisation und Selbstverwaltung nach Kriegsende

Es war ein gründliches und vollständiges Neubeginnen92, das nach dem Ende des Krie-ges wie in der Krie-gesamten SBZ auch im verbliebenen brandenburgischen Restterritorium ungeordnet und unbeaufsichtigt zunächst das nackte Überleben und „das Unaufschieb-barste zuerst zu tun“ zum Ziel hatte Es gab keine Verkehrsmöglichkeiten, keine Produkti-onsstätten, keine Versorgung, keine strukturierte Verwaltungsorganisation93. Einer durch Krieg und Nachkrieg verursachten Wanderungsbewegung (vgl. Tab. 1) drohten ange-sichts von Nahrungs- und Obdachmangel und wegen des Fehlens jeglicher Kommunika-tionsmöglichkeiten noch bestehende Strukturen und Grenzen nicht mehr standhalten zu können. „Es war eine mit Konfl ikten überhäufte und von Spannung erfüllte Zeit“94. Jede Gemeinde, jeder Kreis, jede Stadt sahen sich dabei auf sich allein gestellt. Verwaltungs-handeln beschränkte sich auf die Sicherung der einfachsten Lebensbedürfnisse der Be-völkerung.

Verwaltung in dieser unmittelbarsten Form begann in den Gemeinden, nachdem über-geordnetes staatliches Recht nicht mehr bestand. Sie nahmen als erste und einzige Ho-heitsverwaltungen zusammen mit den zeitversetzt beginnenden Kreisverwaltungen ihre Arbeit auf. Wie selbstverständlich bedienten sie sich des Selbstverwaltungsrechts und nahmen damit den Tenor der Bestimmungen des Potsdamer Abkommens, das in Ab-schnitt A „Politische Grundsätze“ Ziff. 9 (I) die Wiederherstellung der lokalen Selbstver-waltung nach demokratischen Grundsätzen anordnen sollte, vorweg. Sie fanden die aus eigener Wurzel erwachsenen Rechte in diesem wieder und sahen sich von dessen Rege-lungen in ihrer Autorität und in ihrem Selbstbewusstsein bestätigt. Losgelöst von allen Bindungen des Staates oder überörtlichen Instanzen, lebten sie für eine gewisse Zeit in Form von „Dorf- und Stadtrepubliken“, die das Geschehen in ihrem Gebiet mangels staat-licher Vorgaben teilweise mit einer eigenen „Ortsgesetzgebung“ zu steuern suchten, ein Eigenleben der besonderen Art. Sie nahmen alle zur Aufrechterhaltung des öffentlichen Lebens notwendigen Befugnisse der nicht mehr bestehenden staatlichen Behörden wahr.

Der die Geschäfte des Landrats von Templin unter der selbst gewählten Amtsbezeichnung

„Kreisbürgermeister des Kreises Templin“ führende Bröse gab den Kreisinsassen mit ei-ner Bekanntmachung vom 5. Juli 1945 zu wissen: „Der Kreis Templin und seine Gemein-den bleiben in ihren früheren Grenzen bestehen“. Oberlandrat Koltzenburg beschrieb Gemein-den eingetretenen Zustand im September 1945: „Nach Einmarsch der Roten Armee bildeten

92 Ackermann, Dokumentarischer Bericht, S. 670, 672. Vgl. auch Badstübner in: Berichte, Einleitung, S. 23; Ein Jahr Bewährung, S. 12.

93 Ein Jahr Bewährung, S. 6. Für Mecklenburg: Brunner, Der Schein, S. 213.

94 Ackermann, Dokumentarischer Bericht, S. 674.

sich Bürgermeister, die die Könige der Gemeinde waren und und dort nach eigenem Er-messen schalteten“.

Vor allem die für die Lebensmittelversorgung getroffenen Regelungen beförderten solches Handeln weiter. Bis zum Oktober 1945 mussten jeder Kreis und jede Stadt die Einwohner aus den bei ihnen noch vorhandenen Vorräten verpfl egen. Erst ab diesem Zeit-punkt begannen die ganze Provinz erfassende einheitliche Maßstäbe zu greifen und eine darauf beruhende Organisation der Lebensmittelkartenverteilung das Leben zu normali-sieren. Besondere Gefahren durch eigenmächtiges und allein auf die eigenen Interessen bezogenes Handeln – auch in Bezug auf Änderungen der vorgefundenen kommunalen Strukturen – drohten von der zuweilen anzutreffenden Personalunion von Landrat und Bürgermeister der Kreisstadt, wie es beispielsweise in den Kreisen Prenzlau und Templin der Fall war. Es gehörte deshalb zu den ersten Entscheidungen der Provinzialverwaltung auf kommunalpolitischem Gebiet zwei Monate nach ihrer Einsetzung, diese Verbindun-gen wieder aufzuheben. Auf eiVerbindun-genartige Weise auch deckten sich häufi g die Interessen der unteren Verwaltungen mit denen der örtlichen und regionalen Militärkommandanten, hinter deren breiten Rücken und zum Teil mit deren Förderung so manches gemeindliche Vorhaben auf die Beine gestellt wurde. Für die Provinz Sachsen kam Ministerpräsident Hübener rückblickend zu dem Resumé: „Bürgermeister und Landräte herrschten dort, wenn auch unter Kontrolle der Kreis- und Ortskommandanten, so gut wie absolut“95. Eine Bekräftigung für solches Handeln war schnell bei der Hand: Auf einer Bürgermeisterta-gung im November 1945 in Beelitz verkündete der dortige Kommandant, die Bürger-meister und Ortsältesten seien lediglich den Befehlen der zuständigen Kommandanturen unterworfen; die Provinzialverwaltung habe nichts zu sagen96.

Das war der Boden für Autarkiebestrebungen und für eine Keimform von Partikula-rismus, der sich wenig später auf der Ebene der Länder und Provinzen zu einer besonde-ren Form des Föderalismus auswachsen sollte. Der vom Potsdamer Abkommen ausge-hende und von den demokratischen Kräften geförderte Aufbau einer neuen Staatsordnung von unten nach oben war damit von Beginn an mit einem in Anbetracht der Ausgangs-lage nicht vermeidbaren Systemfehler behaftet. Von diesem gingen in der Folgezeit Be-lastungen und Verwerfungen aus, die gedeihliches und abgestimmtes Handeln zuweilen

95 Landtag Sachsen-Anhalt, 1. Wahlperiode, Stenographische Berichte, Sp. 1694C. Vgl. auch Wille, An der Spitze, S. 12. Insofern trifft die Bewertung von Knevels, Aufbau, S. 5, Gemeinde- und Stadtverwaltungen hätten anfangs wie die Landräte ein „Schattendasein“ geführt, nicht zu.

96 Rep. 203 Nr. 121, Bl. 97; Nr. 1900; Rep. 258 Reiersdorf Nr. 1; Rep. 270 VVB (Z) Braunkohlenver-waltung Welzow Nr. 724. Stenographische Berichte, 1. Wahlperiode, S. 518. Vgl. auch Mielke, Die Aufl ösung, S. 38; Helle, Nachkriegsjahre, S. 63. Wie Pohl, Justiz in Brandenburg, S. 23, feststellt, führten auch zahlreiche brandenburgische Gerichte bis 1946 ein relativ autonomes Eigenleben. Das war eine allgemeine Erscheinung der Zeit. Eine Beratung im Landratsamt Hoyerswerda mit den Betrieben des Kreises im Juni 1945, als der Kreis einem Oberverband noch nicht zugeordnet war, erzielte Übereinstimmung darüber, dass zunächst eine eigene Wirtschaftspolitik betrieben werden müsse. Für Niedersachsen hat Schneider, Niedersachsen 1945/46, S. 104 – 105, aus Mangel an zen-traler Organisation herrührende regionale Autarkiebestrebungen festgestellt und das Jahr 1945 all-gemein als die Zeit des „Sich-Durchwurstelns“ charakterisiert.

31 1.1. Verwaltungsorganisation und Selbstverwaltung nach Kriegsende

ernsthaft zu gefährden drohten97. In Gemeinden und Kreisen selbst war Autarkie in der Anfangszeit ein Gebot des Überlebens in einer bis zum äußersten angespannten Versor-gungslage. Ihre spätere Ausrichtung lief darauf hinaus, den Angehörigen der eigenen Ge-bietskörperschaft möglichst Vorteile auf Kosten anderer zu verschaffen. Ein Weg dorthin wurde in Grenzänderungen zuungunsten benachbarter Gemeinwesen gesehen98. Vieler-orts legte man die neue Form der Selbstverwaltung gerade in diesem eigenen, engeren Interesse, aber auch als Befreiung von obrigkeitlicher Bevormundung aus, die aus der ge-rade untergegangenen Diktatur tiefe Wunden hinterlassen hatte. Bekundungen beiderseits der Zonengrenze weisen auf den allgemeinen Hintergrund. Der Präsident des Landtags von Sachsen-Anhalt, Böttge, bezeichnete 1948 in seiner Würdigung „Drei Jahre demo-kratische Selbstverwaltung“ die Landesregierung, die Kreis-, Stadt- und Gemeinderäte als Selbstverwaltungen und betonte, „Im Grunde genommen sind bei uns alles Selbstver-waltungsangelegenheiten, denn das Volk in der Ostzone verwaltet seine Angelegenheiten selbst“. Die Leitgedanken, die das Gerüst des von der hessischen Kabinettskommission kurz zuvor vorgelegten Planes für eine Verwaltungsreform in Hessen formten, hatten die neuen Prinzipien des Zusammenlebens befreiter Bürger klassisch defi niert. Danach er-fordere der am Grundprinzip demokratischer Lebensgestaltung orientierte Aufbau einer neuen Gesellschaftsform die Schaffung einer Selbstverwaltung des Volkes. In einer sol-chen Ordnung sei kein Raum mehr für den Gegensatz zwissol-chen Staatsverwaltung und Selbstverwaltung und eine Unterscheidung zwischen Hoheits- und Selbstverwaltungs-aufgaben fehl am Platze99.

Auf diese selbständig mit der Autorität ihrer Orts- und Kreiskommandanten agieren-den Gemeinde- und Kreisverwaltungen traf die Provinzialverwaltung Mark Branagieren-denburg, nachdem sie am 4. Juli 1945 von den Besatzungsbehörden eingesetzt worden war. Sie suchte auf verschiedenen Wegen zu Einfl uss, Autorität und Wirksamkeit zu gelangen. Un-vermittelt jedoch wurde sie mit einer Verwaltungsebene konfrontiert, die ihre Handlungs-möglichkeiten schon im Ansatz zu behindern drohte: die Bezirksbürgermeister. Diese waren nach Kriegsende bis auf die Landkreise Cottbus, Lübben und Spremberg in allen anderen Landkreisen im Zusammenwirken von Landräten und sowjetischen Kreiskom-mandanten entstanden. Sie entsprachen in ihrem räumlichen Zuschnitt in allen Fällen dem der entsprechenden sowjetischen Bezirks-Rayon-Kommandanturen und bildeten so eine

97 DY 30/IV 2/13 Nr. 7, Bl. 40 – 41. – Vgl. dazu Blöß, Grenzen und Reformen, bes. S. 288, 302 – 305, 311.

98 Nur um die Holzversorgung seines waldarmen Kreises zu verbessern, erhob beispielsweise der Landrat von Weißensee (Thüringen) zu Beginn des Jahres 1946 Ansprüche auf die Gemeinde Bilzingsleben (Kr. Eckartsberga, Prov. Sachsen), deren Gemarkung mit Wald ausgestattet war – LHASA, MD, Rep. K 3 Nr. 4398, Bl. 157, 209 – 212. Sogar in Berlin gab es – unabhängig von der Gliederung in Sektoren – solche Abgrenzungen. Hier galten nach Kriegsende die Verwaltungsbe-zirke als Versorgungseinheiten. Lebensmittelkarten wurden nur jeweils innerhalb dieser BeVerwaltungsbe-zirke an-erkannt und beliefert. Das nutzten Bezirksbürgermeister, um im Zusammenwirken mit den jeweili-gen Kommandanten „partikularistische Tendenzen“ zu entwickeln – LAB C Rep. 101 Nr. 582. Vgl.

auch Reibe, Reinickendorf, S. 223.

99 Rep. 203 Nr. 868. Landtag Sachsen-Anhalt, 1. Wahlperiode, Stenographische Berichte, 1457B, 1458D; Die Verwaltungsreform in Hessen I, S. 11, 76; II, S. 50.

Ausnahme in dem Verhältnis von deutscher zu Besatzungsverwaltung. Die Anzahl der Bezirksbürgermeistereien pro Landkreis entsprach der Größe der Kreise und erstreckte sich von drei (Guben) bis zu 15 (Niederbarnim). Die Funktion des Bezirksbürgermeisters wurde von dem Bürgermeister der Gemeinde wahrgenommen, in der sich der Sitz der Be-zirkskommandantur befand. Einzelne unter ihnen führten die Amtsbezeichnung „Ober-bürgermeister“. Die Provinzialverwaltung duldete ihr Fortbestehen, versuchte aber, ihre Kompetenzen auf Ernährungs- und Versorgungsfragen zu beschränken100. Wie das Bei-spiel des Bürgermeisters von Bad Wilsnack zeigt, der der Stadt in seiner Funktion als Be-zirksbürgermeister eine Reihe umliegender Gemeinden eingegliedert hatte und über diese nach eigenem Ermessen verfügte, ohne Verbindung zum Landratsamt zu halten, bildeten sie eine gute Grundlage für Autarkiebestrebungen und Alleingänge.

Im Kreis Niederbarnim waren die Bemühungen von Bezirksbürgermeistern, eigene Verwaltungsbereiche zu bilden, so stark, dass sie die Kompetenzen der Kreisverwal-tung zu gefährden und das SelbstverwalKreisverwal-tungsrecht der Gemeinden zu negieren droh-ten. Hier hatte u. a. der Bezirksbürgermeister von Hoppegarten mit dem Argument, klei-nere Gemeinden könnten ihre Aufgaben nicht ordnungsgemäß erfüllen, diese zu größeren Einheiten zusammengeschlossen. Am 26. Februar 1946 schritt der Landrat dagegen ein.

Er ordnete die Aufhebung der getroffenen Maßnahmen und die Wiederherstellung der Selbstverwaltungsrechte der betroffenen Gemeinden an. Die Kreiskommandantur des Kreises Luckau hatte den Kreis mit Befehl Nr. 90 vom 1. November 1945 in vier Bezirke geteilt (Finsterwalde, Kirchhain, Luckau, Golßen), angeordnet, diese abzugrenzen und die Kriegskommandanten dazu verpfl ichtet, an Ort und Stelle feste Grenzen zu schaffen.

Schon im August und September 1945 hatten sich die Landräte von Westprignitz bzw.

Templin für die Aufhebung dieser Zwischeninstanzen ausgesprochen. Sie sahen ihre ei-genen Einwirkungsmöglichkeiten empfi ndlich gestört, fürchteten eine latente Gefahr der Spaltung ihres Zuständigkeitsbereiches, betonten den vorübergehenden Charakter dieser Stellen und pochten auf die kommunalpolitische und wirtschaftliche Einheit des Kreises.

Nach den Erfahrungen von Meschkat (von Mai 1945 bis Herbst 1946 erster Landrat des Kreises Teltow) wohnte dieser Institution „die Gefahr der Dezentralisierung und die Nei-gung, aus eigener Machtvollkommenheit zu handeln“, inne101. Durch Runderlasse vom 22. August und 19. September 1946 wurden die Bezirksbürgermeistereien auf Grund des Befehls der SMA vom 30. Juli 1946 zum 1. Oktober 1946 aufgehoben.

Im unmittelbaren Anschluss an die Einsetzung der Provinzialverwaltung wa-ren, wie unten darzustellen sein wird, mit einer gegenläufi gen Tendenz Bezirksver-waltungen (Oberlandratsämter) errichtet worden. Sie sollten das Durchgriffsrecht der

100 Rep. 203 Nr. 330; Rep. 250 Niederbarnim Nr. 124, Bl. 22; Rep. 250 Spremberg Nr. 183. Die Initia-tive zu ihrer Errichtung könnte bei den Landräten gelegen haben, wie die Vorgänge im Kreis Calau zeigen. So lange Hauschild der dortige Landrat war, wurden keine Bezirksbürgermeistereien einge-richtet. Das geschah durch den ihm folgenden Landrat Freter. Aufführung der Bezirksbürgermeis-tereien im Kreis Zauch-Belzig (Stand: September 1945) bei Helle, Nachkriegsjahre, S. 330 – 331.

Für den Kreis Luckau vgl. Mietk/Ciesla, Die Kreise, S. 165.

101 Richard Meschkat, Erinnerungen an den schweren Anfang im Kreis Teltow, in: Heimatkalender Zossen 1969, S. 39 – 40.

33 1.1. Verwaltungsorganisation und Selbstverwaltung nach Kriegsende

Provinzialverwaltung stärken und zu diesem Zweck die von Potsdam zunächst nur schwer zu erreichenden Landratsämter zu abgestimmtem Handeln veranlassen und damit eine ge-wisse Übersicht und Aufsicht über diese erlangen. Da sie sich in der Hauptsache der Wie-deringangsetzung des Lebens in allen Bereichen widmeten, konnten sie die ihnen eigent-lich zugedachte Aufgabe nur ungenügend bewältigen. Sie waren weder imstande, den Druck von unten aufzufangen noch die Provinzialverwaltung mit den notwendigen Infor-mationen zu versehen. Eine neue Zwischeninstanz sollte deshalb das Vakuum ausfüllen:

Die Amtsbezirke lebten wieder auf. Am 11. September 1946 erging ein Runderlass der Abteilung I Inneres, der die Errichtung von Amtsbezirken „in früherer Form“ anordnete.

Jeder Amtsbezirk sollte ein räumlich zusammenhängendes und abgerundetes Flächenge-biet bilden und sich an den Abschnitt der Kreispolizei anlehnen; Gemeinden mit entspre-chender Größenordnung wurde anheimgegeben, einen eigenen Amtsbezirk zu errichten.

Die Amtsbezirke führten zwar die gleiche Bezeichnung wie ihre durch die „Kreisord-nung für die Provinzen Preußen, Brandenburg, Pommern, Schlesien und Sachsen“ vom 13. Dezember 1872 begründeten Vorgänger; sie unterschieden sich jedoch in ihren Auf-gabenstellungen beträchtlich. Neben den eigentlichen Polizeiaufgaben (Ordnungs-, Si-cherheits-, Sitten-, Gesundheits-, Wohlfahrts-, Wege-, Wasser-, Feld-, Forst-, Fischerei-, Gewerbe-, Bau-, Feuerpolizei) hatten sie vor allem die Tätigkeit der Bezirksbürgermeis-tereien auf den Gebieten Erfassung und Versorgung weiterzuführen. Mit der Festigung der Verwaltung und des Verwaltungszuges verloren sie an Bedeutung. Der Erlass von DGO und DKO, deren § 44 die Kreisordnung vom 13 Dezember 1872 außer Kraft gesetzt hatte, entzog ihnen die Rechtsgrundlage. Und eine Reihe von Landräten, die aktiv ihre Einrichtung betrieben hatten, verlangte nun die Aufl ösung. Auf der Beelitzer Tagung der Landräte und Oberbürgermeister am 3. Januar 1948 wurde übereinstimmend die Auffas-sung vertreten, die Amtsbezirke passten nicht in den durch DGO und DKO bestimmten Aufbau der Verwaltung; auf sie könne wegen verbesserter Verkehrsverhältnisse und der angelaufenen Schulung der Bürgermeister verzichtet werden. Der Rd. Erl. Nr. XIV/8/48 vom 17. Januar 1948 hob sie auf. Trotzdem glaubte man, wegen der immer noch unbe-friedigenden Kommunikationsverhältnisse, besonders aber um die Erfassung landwirt-schaftlicher Erzeugnisse, die Unterbringung der Umsiedler und insgesamt eine effektive Kontrolle der Gemeinden sichern zu können, auf Zwischeninstanzen immer noch nicht ganz verzichten zu können: Die Errichtung von Außenstellen der Landratsämter kam ins Spiel. Nachdem bereits Anfang des Jahres auch die Oberlandratsämter aufgelöst worden waren, bestand seitdem eine durch keine Zwischeninstanz – die Außenstellen der Land-ratsämter, die nicht in allen Landkreisen und ebenfalls nur als Interimslösungen fungier-ten102, agierten als deren ausgelagerte Strukturteile – gestörte, in drei Ebenen aufgestellte Verwaltungsorganisation.

102 Rep. 203 Nr. 2, Bl. 22; Nr. 29, Bl. 14, 17; Nr. 811, Bl. 1, 7; Rep. 250 Lebus Nr. 1, Bl. 97, 213;

Rep. 250 Lübben Nr. 24; Rep. 250 Niederbarnim Nr. 89; Rep. 250 Zauch-Belzig Nr. 93, Bl. 1 – 15.

Die im Februar 1948 im Kreis Lebus eingerichteten neun Außenstellen in Arensdorf, Booßen, Brieskow, Dahmsdorf, Fürstenwalde, Jakobsdorf, Letschin, Manschnow und Seelow wurden be-reits zum 31.12.1948, die im Kreis Zauch-Belzig am 1.4.1948 geschaffenen

Kreisverwaltungsstel-Die unterste Ebene allerdings erwies sich als besonders problematisch. Kreisverwaltungsstel-Die Gemein-den beanspruchten und behaupteten ihr originäres Selbstverwaltungsrecht und exekutier-ten es in exexekutier-tensiver Weise; sie konnexekutier-ten sich in der Regel wohlwollender Unterstützung seitens der Ortskommandanten sicher sein. Die erste Konferenz der Provinzialverwaltung am 16./17. Juli 1945 mit den Landräten und Oberbürgermeistern war geradezu zu einem Forum der landrätlichen Klagen über Eigenmächtigkeiten der Gemeinden ausgewachsen.

Landrat Fenz (Osthavelland) beklagte Schwierigkeiten mit den Gemeinden. Sie sähen nur sich selbst, regelten nur auf das eigene Wohl bezogene Fragen und dächten nicht weiter.

Arthur (Ostprignitz) machte auf „merkwürdige Autarkiebestrebungen“ aufmerksam, die unterbunden werden müssten. Stelzer (Teltow) kritisierte, jede Gemeinde wolle nur mög-lichst viel für sich herausholen; er verlangte, die „Willkürpolitik einzelner Gemeinden“

zu bremsen. Brandt (Templin) warnte am Beispiel von Zehdenick vor der Tendenz, dass Gemeinden sich vom Kreis lösen könnten. Der Bürgermeister von Zehdenick schiebe den Kreis beiseite; er wolle nur mit Berlin und seinem Kommandanten verhandeln. Ulbricht, der an der Konferenz teilnahm, ließ sich zu der Philippika hinreißen: „Es ist eine solche Lage in einer Reihe von Kreisen, dass man eine Ordnung eingeführt hat, die sogar unter der Sowjetmacht in der Sowjetunion niemals bestanden hat … Aber in einigen Kreisen ist eine Ordnung, die weit über das hinausgeht, was es in der Sowjetunion gibt“. Vizepräsi-dent Bechler hielt es für erforderlich, darauf hinzuweisen, die Provinzialverwaltung be-sitze die gleichen Rechte wie frühere Verwaltungen. Wenig später, am 9. August 1945, er-stattete Hoernle einen für Pieck bestimmten Bericht über die Lage in Brandenburg. Darin wandte er sich u. a. gegen die willkürlichen Verkehrs- und Handelsbeschränkungen zwi-schen Orten und Kreisen und forderte, „dass die Kreis- und Ortskommandanten der Roten Armee endlich mit ihren vielen Ausfuhrverboten Schluss machen“ sollten.

Präsident Steinhoff unternahm es deshalb, die ersten Schneisen in die von den „Selbst-verwaltungen“ besetzten Felder zu schlagen. Am 9. September äußerte er sich in einem schon als dramatisch zu bezeichnenden Appell an die Oberlandräte, Landräte und Ober-bürgermeister zu den eingetretenen Zuständen. In einer Art Inaugurationserklärung, die bereits wesentliche Züge der späteren Verfassung erkennen ließ, defi nierte er das Span-nungsverhältnis zwischen Selbstverwaltung und Kommunalaufsicht. Damit steckte er den Handlungsrahmen der in der Provinz agierenden Stellen ab und bereitete den Boden für die Wahrnehmung der Handlungsvollmachten der Provinzialverwaltung. Ausgangspunkt war die Forderung nach der Abkehr von den Gepfl ogenheiten der letzten zwölf Jahre. An deren Stelle habe einerseits auf der Grundlage der von den Besatzungsmächten wieder-hergestellten Demokratie der Grundsatz der Selbstverwaltung unter Beteiligung der Be-völkerung und der Gemeinden zu treten. Die Kommunalaufsicht andererseits habe die Kreise in ihren Rechten zu schützen und die gemeindliche Selbstverwaltung nach Kräften zu fördern. Aber: „Maßstab für die Selbstverwaltung ist das öffentliche Wohl, nicht das

len Beelitz, Belzig, Brück, Golzow, Lehnin, Michendorf, Niemegk, Treuenbrietzen, Wiesenburg am 1.4.1949 wieder aufgelöst. Die nach Kriegsende im vorpommerschen Kreis Usedom-Wolllin beste-henden Zwischeninstanzen hatten ebenfalls nur eine kurze Lebensdauer. Vgl. dazu Schleinert, Der Kreis Usedom-Wollin, S. 7.

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Gemeindewohl!“ Am 29. September präzisierte er die Haltung der Provinzialverwaltung.

Er betonte nochmals, Gemeindewohl sei nicht identisch mit Gemeinwohl, und wandte sich gegen Autarkiebestrebungen von Gemeinden und Kreisen. Einen notwendigen Aus-gleich herbeizuführen, werde sich seine Verwaltung bemühen. Ihre vornehmste Aufgabe aber sehe sie darin, die Gemeinden und Kreise in ihren Rechten zu schützen. Den Be-zirksbürgermeistern stehe die Amtsbezeichnung „Oberbürgermeister“ nicht zu.

Ähnliches zu verfolgen, sahen sich auch andere Landes- und Provinzialverwaltungen gezwungen. In Sachsen fand Matern auf der am 28. Juli 1945 in Radebeul abgehaltenen 1. Landeskonferenz der KPD deutliche Worte: „Nachdem die Landesverwaltung entstan-den ist, muss mit der engen Abschließung Schluß gemacht werentstan-den. Wir müssen wieder lernen, in der Gesamtheit zu denken und in der Gesamtheit zu handeln. Wir dürfen keine engen Bürokraten sein, die nur soweit sehen, wie ihre Nase reicht.“ In Mecklenburg kri-tisierte Präsident Höcker auf der Konferenz mit Landräten und Oberbürgermeistern am 20./21. August 1945, es gehe nicht, „dass einzelne Oberbürgermeister und Landräte glau-ben, sie können allein Gesetze machen“; und er musste Selbstverständliches betonen, wenn er darauf hinwies, nur die Landesverwaltung sei berechtigt, Verordnungen zu erlas-sen. Gegenüber der SMAM wiederholte er diese Auffassung; er betonte, aus seiner per-sönlichen Verantwortlichkeit für die Ausführung von deren Befehlen leite sich das allei-nige Anweisungs- und Informationsrecht gegenüber allen Verwaltungen im Lande ab. Er hatte sich am 17. August 1945 beim Chef der SMAM, Generaloberst Fedjuninski, über die Arbeit der Landräte und Bürgermeister beschwert, die mangelnde Autorität der

Ähnliches zu verfolgen, sahen sich auch andere Landes- und Provinzialverwaltungen gezwungen. In Sachsen fand Matern auf der am 28. Juli 1945 in Radebeul abgehaltenen 1. Landeskonferenz der KPD deutliche Worte: „Nachdem die Landesverwaltung entstan-den ist, muss mit der engen Abschließung Schluß gemacht werentstan-den. Wir müssen wieder lernen, in der Gesamtheit zu denken und in der Gesamtheit zu handeln. Wir dürfen keine engen Bürokraten sein, die nur soweit sehen, wie ihre Nase reicht.“ In Mecklenburg kri-tisierte Präsident Höcker auf der Konferenz mit Landräten und Oberbürgermeistern am 20./21. August 1945, es gehe nicht, „dass einzelne Oberbürgermeister und Landräte glau-ben, sie können allein Gesetze machen“; und er musste Selbstverständliches betonen, wenn er darauf hinwies, nur die Landesverwaltung sei berechtigt, Verordnungen zu erlas-sen. Gegenüber der SMAM wiederholte er diese Auffassung; er betonte, aus seiner per-sönlichen Verantwortlichkeit für die Ausführung von deren Befehlen leite sich das allei-nige Anweisungs- und Informationsrecht gegenüber allen Verwaltungen im Lande ab. Er hatte sich am 17. August 1945 beim Chef der SMAM, Generaloberst Fedjuninski, über die Arbeit der Landräte und Bürgermeister beschwert, die mangelnde Autorität der

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