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Versuch und Irrtum: Die Bearbeitung von Einzelfällen

Im Dokument Kreisen in Brandenburg 1945–1952 (Seite 130-143)

Gestaltung des rechtlichen Rahmens

1.5. Auf der Suche nach Verfahren und Kriterien

1.5.4. Versuch und Irrtum: Die Bearbeitung von Einzelfällen

Ausgewählte Beispiele aus der Fülle gescheiterter Verfahren250 zur Änderung von Ge-meindebezirksgrenzen sollen den Verfahrensablauf, die Arbeitsweise von Exekutive und Legislative, den Austausch von Argumenten, die Anwendung der im Verlauf der Verfah-ren gewonnenen Entscheidungskriterien, die auf den Gang der Handlung Einfl uss neh-menden Faktoren veranschaulichen, Motive der handelnden Personen und Stellen deut-licher werden lassen. Sie sollen darüber hinaus das in den vorangegangenen Abschnitten erörterte Allgemeine durch Einzelnes und Besonderes unterstützen und veranschaulichen.

Die Beispiele für Eingemeindungsverfahren vervollständigen die im folgenden Kapitel

„Die Kreisorganisation“ behandelten zur Aufnahme von Gemeinden aus Landkreisen in Stadtkreise. Wie bereits hervorgehoben, standen die Ausgemeindungsbegehren quantita-tiv an der Spitze der Verfahren. Sie offenbarten zudem ein besonderes Konfl iktpotential, auf das im Zusammenhang mit den Neubauernsiedlungen nochmals eingegangen wer-den wird. Die Darstellung von Einzelbeispielen kann erst mit der Durchsetzung eines ge-ordneten Verwaltungsverfahrens beginnen. Die näheren Umstände der unmittelbar nach

249 Mecklenburgischer Landtag, 1. Wahlperiode, Stenographische Berichte, Sp. 1631 – 1632. Müller/

Röpcke (Hg.), Die ernannte Landesverwaltung, S. 556, Dok. Nr. 126.

250 Im Gegensatz zu erfolgreich verlaufenen Verfahren für Gemeindegebietsänderungen bieten ge-scheiterte in der Regel einen besseren Einblick in Argumentation und Vorgehen der beteiligten Par-teien.

99 1.5. Auf der Suche nach Verfahren und Kriterien

Kriegsende erfolgten Gemeindebezirksänderungen müssen aus Mangel an Dokumenta-tion im Dunklen verbleiben.

1.5.4.1. „Es kann ohne weiteres angenommen werden, dass die Gebietsänderungen tatsächlich aus Gründen des öffentlichen Wohls vorgenommen worden sind“:

Der Kreis Prenzlau als Fallbeispiel251

Das Geschehen in diesem Kreis, das leidlich dokumentiert ist, ermöglicht über den Ein-zelfall hinaus einen guten Einblick in die kommunalen Verhältnisse nach 1945, erhellt die Versuche, der Probleme Herr zu werden, und macht das Verhalten der beteiligten Stellen sichtbar. Die dortigen frühen Gemeindegebietsänderungen betrafen überwiegend Guts-dörfer, in denen die Chance erkannt worden war, die 1928 vorgenommenen Entscheidun-gen rückgängig machen zu können. Drei dieser nunmehriEntscheidun-gen Ortsteile hatten sich von Beginn an mit ihrer 1928 verfügten Vereinigung mit benachbarten Orten nicht abgefun-den und fortwährend auf Verselbständigung gedrungen. Während das für Tornow (OT von Dauer) und Hildebrandshagen (OT von Fürstenwerder) noch verständlich erschei-nen mochte – ersteres hatte eine Fläche von über 600 ha und über 200 Einwohner, letz-teres ein Gebiet von knapp 700 ha und über 100 Einwohner –, bewegte sich die Forde-rung von Alexanderhof (OT von Prenzlau) mit lediglich 68 ha Fläche, aber immerhin mit knapp 200 Einwohnern im Irrealen. Alle drei Ortsteile hatten allerdings einen ungüns-tigen Zeitpunkt gewählt, um ihr Anliegen amtlich zur Geltung zu bringen: die nach Er-lass der Deutschen Gemeindeordnung von 1935 verstärkt betriebene Aufl ösung kleiner und leistungsschwacher Gemeinden. In diesem Umfeld war für ein gegenläufi ges Vorha-ben kaum Erfolg zu erwarten. Alexanderhof gab daraufhin seine Bemühungen auf. Tor-now und Hildebrandshagen aber – ihre Einwohnerzahl war durch die Bodenreform auf 361 bzw. 248 Einwohner angewachsen – erneuerten ihr Anliegen zusammen mit anderen Gutsdörfern unter neuen gesellschaftlichen Bedingungen. Das erschien umso mehr als begründet, als alle durch die Aufsiedlung einen erheblichen Einwohnerzuwachs zu ver-zeichnen gehabt hatten und damit durch eigene soziale und wirtschaftliche Verhältnisse geprägte Gemeinwesen darstellten. Das Landratsamt kam deshalb zu der Schlussfolge-rung, diese Änderungen seien dem Gebot des öffentlichen Wohls gefolgt. Ohne dass das aus der Überlieferung aktenkundig zu belegen ist, kann aus den Ausgemeindungsbestre-bungen auch auf die Absicht der Neusiedler geschlossen werden, in politisch selbständi-gen Gemeinden selbstbestimmt zu leben. Insofern runden diese Vorgänge die weiter unten im Zusammenhang mit der Darstellung der Siedlungspolitik getroffenen Feststellungen und Aussagen ab.

251 Rep. 2A I Kom. Nr. 103, Bl. 297, 470; Rep. 203 Nr. 857, Bl. 9; Nr. 1005; Nr. 1493, Bl. 201;

Rep. 250 Prenzlau Nr. 178. GVBl. I S. 23. Stenographische Berichte, 1. Wahlperiode, Drucks.

Nr. 314, Nr. 348.

Im einzelnen waren 16 Ausgliederungen, ein Zusammenschluss zweier Gemeinden und die Umgliederung eines Ortsteils252 vorgenommen worden. Der Landrat stellte sich hinter diese Entscheidungen, hielt die neugebildeten Gemeinden durchaus für lebensfä-hig und beantragte am 19. Februar 1946 en bloc die Genehmigung des eingetretenen Zu-stands. Die Provinzialverwaltung hingegen erachtete die Bildung neuer Gemeinden für ebenso unzulässig wie den Zusammenschluss ehemals selbständiger Gemeinden, ließ den Umstand, dass diese Maßnahmen auf Veranlassung oder mit Duldung der sowjeti-schen Besatzungsbehörden getroffen worden waren, außer acht. Sie stellte vielmehr den Grundsatz auf: „Die Tatsache dass nach der Besetzung die Orts- oder Bezirkskomman-danten die betreffenden Gemeinden wieder selbständig gemacht haben, reicht für einen Beschluss des Präsidiums der Provinzialverwaltung nicht aus!“ Sie gab erste Verfah-rensregelungen vor; danach war vom Landrat ein schriftlicher Antrag mit Begründungen durch die beteiligten Bürgermeister und mit der Zustimmung durch die örtlichen Gre-mien der politischen Parteien und des FDGB über den Oberlandrat an die Provinzialver-waltung einzureichen. Es blieb jedoch zunächst bei dieser Einzelfallregelung. Generelle Verfahrensbestimmungen wurden erst ein Jahr später erlassen. Dem Landrat wurde viel-mehr aufgegeben, umgehend den früheren Zustand wiederherzustellen; Gebietsänderun-gen dürften nur aus Gründen des öffentlichen Wohls vorGebietsänderun-genommen werden. Obwohl in Prenzlau gerade dieses Kriterium als gegeben angesehen wurde, wiederholte die Provin-zialverwaltung ihre Weisung, die alte politische Einteilung, wie sie vor dem Einmarsch der Roten Armee bestanden habe, wiederherzustellen. Dem beugte sich schließlich der Landrat und hob die Änderungen am 11. April 1946 auf. Von 16 betroffenen Ortsteilen nahmen sieben diese Entscheidung hin, neun stellten formale Ausgemeindungsanträge.

Von diesen hatte nur einer Erfolg253.

1.5.4.2. „Ob die neu gewählten Gemeindevertretungen von Neuenhagen und Dahlwitz-Hoppegarten nach ihrer politischen Zusammensetzung

der Vereinigung der beiden Orte zustimmen würden, erscheint zweifelhaft“:

Neuenhagen – Dahlwitz-Hoppegarten (Kr. Niederbarnim)254

Im Kreis Niederbarnim hatte die Besatzungsmacht, wie in den meisten anderen Landkrei-sen auch, nach KriegLandkrei-sende Bezirkskommandanturen eingerichtet, die jeweils für mehrere Gemeinden zuständig waren. Diese wiederum bildeten innerhalb dieser Bezirke Bezirks-bürgermeistereien, wie oben ausgeführt. Neuenhagen und Dahlwitz-Hoppegarten befan-den sich zusammen mit Ahrensfelde, Hönow und Mehrow im Bezirk Hoppegarten, der sich zeitweise selbst als „Stadt Hoppegarten“ bezeichnete. Sitz der Bezirksbürgermeis-terei war Neuenhagen b. Berlin. Von hier wurde die Landwirtschaft, die

Lebensmittel-252 Blöß, Brandenburgische Kreise und Gemeinden, S. 18 – 19, 28 – 29, 72 – 73, 149 – 155.

253 Ebenda, S. 28, 30, 150 – 151, 164.

254 Rep. 203 Nr. 857, Bl. 20; Nr. 861, Bl. 370 – 372; Nr. 872, Bl. 11; Nr. 972; Rep. 250 Niederbarnim Nr. 124, Bl. 22.

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versorgung, das Gesundheits- und Schulwesen des Bezirks zentral geleitet. Am 28. März 1946, also ein halbes Jahr vor dem generellen Aufl ösungserlass der Provinzialregierung, hob der Landrat die Bezirksverwaltung auf. Neuenhagen und Dahlwitz-Hoppegarten wa-ren nun am Weiterbestehen mindestens ihrer Verbindung interessiert. Sie hatten nicht nur eine gemeinsame Gemeindegrenze, die eine klare Abgrenzung nicht mehr erkennen ließ;

sie unterhielten bereits über Jahre zusammen eine Oberschule, ein Elektrizitätswerk, ei-nen kommunalen Fuhrpark, ein Krankenhaus und ein Altersheim. Im Pferdesport war die Vereinigung längst vollzogen. Trainierbahnen und Ställe in beiden Orten wurden von den Rennstallbesitzern in gleicher Weise genutzt. Und jetzt war geplant, die Leistungsprüfun-gen für das Vollblutmaterial wieder aufzunehmen. In Dahlwitz-Hoppegarten sah man sich außerstande, diese Last allein zu schultern. Die Vorarbeiten dazu hatte bereits die Verwal-tung von Neuenhagen geleistet.

Also stellten beide Bürgermeister am 24. April 1946 einen Antrag bei der Provinzial-verwaltung auf Zusammenlegung der Gemeinden. Sie nahmen damit ein Verfahren wie-der auf, das bereits vor 1933 eingeleitet, aber wegen des Machtantritts des Naziregimes nicht zu Ende geführt worden war. Die neue Gemeinde sollte „Hoppegarten“ heißen. Das war der durch den Pferdesport weithin bekannte Namen; gleichzeitig hoffte man, even-tuellen Widerständen in der wesentlich kleineren Gemeinde von vornherein die Spitze nehmen zu können. Diese hatte auf einer Fläche von 1.477 ha 3.149 Einwohner, Neuen-hagen auf 1.867 ha Fläche 10.847 Einwohner. Hinzu kamen 310 bzw. 1.590 Umsiedler.

Die Antifa-Ausschüsse beider Gemeinden unterstützten den Antrag ebenso wie die Orts-ausschüsse der VdgB und des FDGB. Sie waren in Ermangelung demokratisch gewähl-ter Gemeindevertretungen die legitimierten Vertregewähl-ter der Einwohner. Im Juli und August 1946 überschlugen sich angesichts der bevorstehenden Kommunalwahlen die Ereignisse.

Am 8. Juli sprachen drei Abgesandte von Dahlwitz-Hoppegarten bei der Abteilung In-neres der Provinzialverwaltung vor und baten dringend, die Zusammenlegung noch vor den Gemeindewahlen abzuschließen. Der Landrat stimmte dem Vorhaben ebenso zu wie der Oberlandrat von Bernau. Präsident Steinhoff war ebenfalls damit einverstanden. Die Abteilung Inneres schloss daraufhin beide Gemeinden gem. § 15 der Wahlordnung zum Wahlbezirk Hoppegarten zusammen.

Nur wenige Tage später aber, am 26. Juli, votierte eine Bauernversammlung von Dahl-witz- Hoppegarten einstimmig gegen die Zusammenlegung. Die beiden Bürgermeister, die weiterhin vorbehaltlos das Vorhaben betrieben, vermochten die sich daran anschlie-ßende gegenläufi ge Entwicklung nur einen Monat aufzuhalten. Am 20. August wandten sich Vertreter aller demokratischen Parteien von Dahlwitz-Hoppegarten an den Präsiden-ten der Provinzialverwaltung mit einem ebenfalls entschiedenen Votum gegen die Zusam-menlegung. Sie hatten den sowjetischen Militärkommandanten von Altlandsberg auf ihre Seite gezogen; dieser wiederum hatte eine Volksabstimmung angeordnet. Darüber hin-aus legten die drei Ortsgruppen der SED von Dahlwitz-Hoppegarten und seiner Ortsteile Birkenstein und Waldesruh beim Landrat Einspruch gegen die beabsichtigte Zusammen-legung ein. Sie bezeichneten den Plan als Resultat des Wirkens einzelner an der Zusam-menlegung interessierter Personen, ohne dass die Mitglieder der SED und die Bevölke-rung dazu hätten Stellung nehmen können. Sie unterbreiteten den Vorschlag, über das

Vorhaben in der Beratenden Versammlung beider Gemeinden einen Beschluss herbeizu-führen. Ein solches Vorgehen wollte jedoch die Abteilung Inneres vermeiden, um vor den Wahlen keine Unruhe in die Bevölkerung zu tragen. Nach den Wahlen sollte dafür eine Besprechung aller Beteiligten erfolgen. Zunächst steuerte sie um. Wie im Fall der Einge-meindungen nach Frankfurt (Oder) wurde auch hier dasselbe Verfahren in Bezug auf die Wahlen angeordnet. Beide Gemeinden hatten jeweils einen eigenen Abstimmungsbezirk zu bilden. Nach den Wahlen entschieden die neu gewählten Gemeindevertretungen über die Zusammenlegung: Die von Neuenhagen votierte einstimmig dafür, die von Dahlwitz-Hoppegarten mit 9:3 Stimmen dagegen. Im Zusammenhang mit der Gebietsreform von 1950 kam das Thema auf Initiative des MdI nochmals auf die Tagesordnung. Dahlwitz-Hoppegarten lehnte eine Zusammenlegung erneut ab. Beide Gemeinden blieben weiter-hin selbständig und vergaben damit eine in der Perspektive bestehende Möglichkeit zur Stadterhebung.

1.5.4.3. „Eine Zusammenfassung wäre jetzt wohl nicht am Platze“:

Gemeinden zwischen Elbe und Karthane (Kr. Westprignitz)255

Für die in der Niederung zwischen Elbe und Karthane angesiedelten Gemeinden Gar-sedow (315 ha; 61 Einwohner), Lütjenheide (160 ha; 37 Einwohner), Schadebeuster (154 ha; 28 Einwohner) und Zwischendeich (184 ha; 28 Einwohner) waren in Erwar-tung des zitierten Runderlasses des Reichsministers des Innern vom 6. Januar 1939 be-reits 1937/38 erste Planungen angelaufen, aber in Folge „Erlass des Führers und Reichs-kanzlers über die Vereinfachung der Verwaltung“ vom 28. August 1939 (RGBl. I S. 1533) nicht realisiert worden. Hinzdorf (391 ha; 123 Einwohner), das seiner geographischen Lage ebenfalls hätte einbezogen werden müssen, war nicht berücksichtigt worden, da in die Planung nur Gemeinden unter 100 Einwohner aufgenommen werden sollten. Nach Kriegsende hatte der sowjetische Militärkommandant des Bezirkes Bad Wilsnack die Zu-sammenlegung erneut angeregt und auch Hinzdorf einbezogen. Am 5. November 1945 reichte der Landrat von Westprignitz einen dahingehenden Antrag bei der Provinzialver-waltung ein. Dieser ging anscheinend in Potsdam nicht ein. Das Vorhaben kam nicht zu-stande. Die Ini tia tive ergriff im März 1946 der Bezirksbürgermeister von Bad Wilsnack und diskutierte mit den Bürgermeistern über die Zusammenlegung, erzielte aber keine Ei-nigung. Lediglich Hinzdorf als der größte Ort äußerte sich in gewisser Weise positiv und schlug vor, die fünf Orte nach ihrer Lage zu zwei Gemeinden zusammenzufassen: Hinz-dorf, Schadebeuster, Zwischendeich sowie Garsedow und Lütjenheide.

Gegen ein Zusammengehen mit Lütjenheide intervenierten die Bewohner von Gar-sedow umgehend beim Landrat mit dem Argument, sie wollten die örtliche Selbstver-waltung behalten. Der Oberlandrat von Brandenburg zögerte mit einer Entscheidung. Er

255 Rep. 2A I Kom. Nr. 103, Bl. 456 – 458, 475; Rep. 203 Nr. 911, Bl. 91; Rep. 250 Westprignitz Nr. 100.

103 1.5. Auf der Suche nach Verfahren und Kriterien

hielt es einmal für zweckmäßig, wegen der örtlichen Verhältnisse den Verwaltungssitz der einen neuen Gemeinde nicht in dem am weitesten östlich gelegenen Hinzdorf, son-dern in Garsedow oder in einer zwischen Garsedow und Hinzdorf gelegenen Gemeinde einzurichten. Die auch im Laufe der Verhandlungen ins Spiel gebrachte Eingemeindung nach Wittenberge, die eine Änderung der Kreisgrenze nach sich gezogen hätte, erklärte er als unerwünscht. Zum anderen aber – und das ist einmalig im Verlauf der Verfahren über Gemeindegebietsänderungen in dem behandelten Zeitraum – verlangte er eine Stel-lungnahme der kirchlichen Behörden zu dem Vorhaben. Es äußerten sich daraufhin von Juli bis September 1946 die evangelische Kirchengemeinde Wittenberge, das evangeli-sche Pfarramt Klein Lüben, die Superintendentur Havelberg/Bad Wilsnack und das Evan-gelische Konsistorium der Mark Brandenburg. Sie stellten zunächst die kirchlichen Zu-ständigkeiten klar. Danach gehörten Garsedow und Lütjenheide zur Kirchengemeinde Wittenberge, Hinzdorf, Schadebeuster und Zwischendeich zu der von Klein Lüben. Die Kirchengemeinde Wittenberge verhielt sich unentschieden: Die Großgemeinde Hinzdorf – damit billigte sie die beabsichtigte Zusammenlegung indirekt – könne sowohl nach Wit-tenberge eingepfarrt werden als auch eine eigene Kirchengemeinde bilden. Das Pfarramt Klein Lüben informierte darüber, dass die drei bei ihm eingepfarrten Gemeinden diesen Zustand auch dann beibehalten wollten, wenn eine politische Zusammenlegung erfolgt sei, und sprach sich gegen eine Einpfarrung nach Wittenberge aus: Es könne nicht im In-teresse der Kirche liegen, diese Mammutgemeinde noch weiter zu vergrößern. Der Su-perintendent von Havelberg/Bad Wilsnack lehnte ebenfalls die Einpfarrung von Hinzdorf, Schadebeuster und Zwischendeich nach Wittenberge ab und schlug vor, alle fünf Gemein-den nach Klein Lüben einzupfarren. Das Konsistorium schließlich hielt eine kirchliche Umorganisation im gegebenen Zeitraum überhaupt nicht für zweckmäßig. Es erwartete Widerstände aus den Kirchengemeinden und wollte zudem die mit einer solchen Maß-nahme verbundenen Verwaltungskosten unter den derzeitigen Verhältnissen vermeiden;

es schloss jedoch eine etwaige spätere Regelung in dem von der Verwaltung beabsichtig-ten Sinne nicht aus.

Von September bis Oktober 1946 lehnten die betroffenen Gemeinden selbst den Zu-sammenlegungsvorschlag mit unterschiedlichen Begründungen ab. Hinzdorf, das seine Chancen schwinden sah, als Gewinner aus dem geplanten Zusammenschluss hervorzuge-hen, brachte es auf den Punkt: „Eine Zusammenlegung wäre jetzt wohl nicht am Platze“.

Der Landrat schlug daraufhin dem Oberlandrat von Brandenburg am 30. Oktober 1946 vor, die Angelegenheit ruhen zu lassen. Und dabei blieb es. Ein Jahr später scheiterte der Versuch der Stadt Wittenberge, die Gemeinde Garsedow einzugemeinden256.

256 Lütjenheide wurde 1957 nach Garsedow eingemeindet, Schadebeuster und Zwischendeich gelang-ten im selben Jahr nach Hinzdorf. Dieses und Garsedow fi elen 1971 an Wittenberge.

1.5.4.4. „Formale Bedenken können in der jetzigen Zeit nicht mehr geltend gemacht werden“:

Neustadt (Dosse) – Köritz – Kampehl: Bahnhof Neustadt (Dosse), Bahnhofstraße, Neustädter Straße (Kr. Ruppin)257

Wirtschaftliche Interessen bestimmten die Auseinandersetzungen zwischen der Stadt Neustadt (Dosse) und den Gemeinden Köritz und Kampehl und zwischen Köritz und Kampehl um ein zwischen den drei Orten gelegenes Gelände. Aus einem daraus folgen-den Umgemeindungsverfahren entwickelte sich hier ein komplizierter und von starken Spannungen geprägter Eingemeindungsvorgang. Den Hintergrund bildete eine eigentüm-liche Verteilung wirtschaftlich starker Einrichtungen auf die der Stadt benachbart liegen-den Gemeindegebiete, die Neustadt und Köritz258 augenscheinlich benachteiligte: Sowohl der Reichsbahnhof Neustadt (Dosse) als auch der Bahnhof Neustadt (Dosse) der Bran-denburgischen Städtebahn fanden sich ebenso auf den Gebieten der benachbarten Ge-meinden wie die Flockenfabrik, das Lagerhaus der Hauptgenossenschaft Kurmark, die Molkereigenossenschaft Neustadt wie zwei Banken, Redaktion und Verlag der „Dosse-Zeitung“ sowie zwei Arztpraxen und eine Zahnarztpraxis. Flockenfabrik, Lagerhaus der Hauptgenossenschaft, Molkerei und Privatgrundstücke, die zum Gemeindebezirk des 1 bis 1,5 km entfernt liegenden Kampehl, das daraus ansehnliches Steueraufkommen ver-buchen konnte, gehörten, grenzten unmittelbar an die Gemarkung Köritz. Die in den Be-trieben Beschäftigten wohnten überwiegend in Köritz, die Kinder gingen dort zur Schule, die Bewohner waren in die Kirchgemeinde Köritz eingepfarrt. Augenfälliger Beweis für die Absurdität des Grenzverlaufs: Die Grenze zwischen Köritz und Kampehl lief durch das Grundstück „Am Städtebahnhof 2“. Die vom Bahnhof in die Stadt führende Straße zählte nicht zum Gemeindebezirk von Neustadt. Grundstücke an der Straße jedoch gehör-ten Bürgern von Neustadt. Zudem sah die Stadt ihre einzige Entwicklungsmöglichkeit in Richtung auf die beiden Gemeinden (vgl. Karte Nr. 1).

Das Bestimmende waren somit eine kaum durchschaubare Gemengelage und die da-durch von Willen und Absicht der drei Orte unabhängige Tendenz zum Zusammenwach-sen. Daraus entstanden Konfl ikte zwischen Neustadt und Köritz, Köritz und Kampehl und schließlich zwischen allen Beteiligten. Da diese vor allem ihre eigenen wirtschaftli-chen und fi nanziellen Vorteile im Auge hatten, spitzte sich der Streit in besonderem Maße zu. Die Bemühungen um Klärung der Situation waren so alt wie diese selbst. Unter al-len märkischen Städten hatte sich Neustadt in der misslichsten Lage befunden: Die Stadt war von fremdem Gebiet förmlich eingeschnürt. Im Westen lagen die beiden Gutsbezirke

257 Rep. 2A I Kom. Nr. 4618, Bl. 3 – 25; Rep. 203 Nr. 1018, Bl. 1 – 7; Rep. 250 Ruppin Nr. 547; Nr. 607;

Nr. 688; Rep. 274 Nr. 200; Nr. 506.

258 Köritz war schon einmal zu kurz gekommen, als zum 1.4.1938 (RMBliV. Sp. 126) die Gemeinde Schönfeld aufgelöst worden war. Diese wurde nicht in das naheliegende Köritz eingemeindet, ihre Gemarkung vielmehr zwischen diesem und dem weiter entfernten Friedrichsbruch aufgeteilt. Da-gegen hatte die Gemeinde von der Aufl ösung der Gutsbezirke mehr profi tiert als ihre beiden Part-ner. Durch Beschluss des Preußischen Staatsministeriums vom 11.9.1928 (Amtsblatt der Regierung Potsdam S. 306) war ihr der Gutsbezirk Köritz zugefallen.

105 1.5. Auf der Suche nach Verfahren und Kriterien

Spiegelberg und Friedrich-Wilhelm Gestüt, im Norden die Gemarkung Plänitz und die Gemeinde Kampehl, im Süden Köritz. Die Stadt hatte deshalb bereits im Vorfeld des Er-lasses der Landgemeindeordnung von 1891 versucht, mit einem ersten Schritt ihre Situa-tion zu verbessern. Am 14. Januar 1891 beantragte der Magistrat die Einverleibung des Bahnhofs Neustadt samt der dazugehörigen Häusergruppe. Sofort formierte sich der Wi-derstand der Gegenseite, der über 50 Jahre andauern sollte. Als auch noch Eisenbahndi-rektion und Eisenbahnbetriebsamt mit einer Stellungnahme zögerten, weil sie in Neustadt eine höhere Steuerbelastung fürchteten, kam das Projekt zum ersten Mal zum Erliegen.

Der Antrag der Stadt vom 16. März 1893 auf Eingemeindung von Köritz war deshalb wohl auch eher eine Trotzreaktion. Aussicht auf Erfolg hatte er nicht. Der Ruppiner Land-rat beschied kurz, dafür liege kein öffentlicher Grund vor. Von 1925 erst datiert ein zwei-ter Versuch: 82 im Bahnhof und an der Bahnhofstraße wohnende Familien hatten die Um-gemeindung von Bahnhof und Bahnhofstraße gefordert, wieder ohne Erfolg.

Im Zuge der 1919 eingeleiteten und durch das Dezember-Gesetz von 1927 verfügten Aufl ösung der Gutsbezirke konnte der Umklammerungsring teilweise aufgebrochen wer-den. Durch Beschluss des Preußischen Staatsministeriums vom 4. Mai 1926 (Amtsblatt der Regierung Potsdam S. 130) wurde der Gutsbezirk Spiegelberg mit Neustadt vereinigt.

Die Beschlüsse des Preußischen Staatsministeriums vom 11. September 1928 (Amtsblatt der Regierung Potsdam S. 306) und 13. August 1929 (Amtsblatt der Regierung Potsdam S. 249) wiesen der Stadt 4,7 ha aus dem Gutsbezirk Kampehl259 und den gesamten ge-stütsfi skalischen Gutsbezirk Friedrich-Wilhelm Gestüt zu.

Nach Kriegsende wurden die Bestrebungen wieder aufgenommen. Schon im Juli 1945 leitete das Landratsamt Ruppin einen entsprechenden Antrag von Neustadt zur Abstim-mung an den Bürgermeister von Köritz. Er enthielt den deutlichen Hinweis, formale Bedenken könnten in der jetzigen Zeit nicht mehr geltend gemacht werden;

Nach Kriegsende wurden die Bestrebungen wieder aufgenommen. Schon im Juli 1945 leitete das Landratsamt Ruppin einen entsprechenden Antrag von Neustadt zur Abstim-mung an den Bürgermeister von Köritz. Er enthielt den deutlichen Hinweis, formale Bedenken könnten in der jetzigen Zeit nicht mehr geltend gemacht werden;

Im Dokument Kreisen in Brandenburg 1945–1952 (Seite 130-143)