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Die Neusiedlung „treffsicher“ einfügen:

Im Dokument Kreisen in Brandenburg 1945–1952 (Seite 162-179)

Landwirtschaftliche Betriebsformen gegen territoriale Strukturen

1.6.3. Die Neusiedlung „treffsicher“ einfügen:

Die Neubauernsiedlung als Problem der Siedlungs- und der Kommunalpolitik

Die überstürzte und unkoordinierte Landzumessung, die zu Widersprüchen zwischen Wohnsitz und Wirtschaftsfl ächen der Siedler geführt hatte, barg zugleich den Kern für die politische Seite des Siedlungsgeschehens. Das verdichtete sich zu der Frage, in welcher kommunalpolitischen Organisation die Neubauern leben sollten. Die materielle Voraus-setzung für deren Beantwortung, die Bewältigung eines ländlichen Siedlungs- und Bau-programms, das es in dieser Größenordnung bis dahin noch nicht gegeben hatte, sei ledig-lich angemerkt; dem wird an anderer Stelle nachgegangen werden.

Die Bodenverteilung war bereits unter mancherlei Mühen und behaftet mit weit in die Zukunft reichenden Geburtsfehlern vorgenommen worden. Aus der daraus auf einen Schlag hervorgehenden Masse von Kleinbauernwirtschaften, die Haus und Hof benötig-ten, folgten Konsequenzen in kaum beherrschbaren Ausmaßen. Es hörte sich einfach an und schien eine Selbstverständlichkeit zu zitieren, wenn Hoernle auf der Konferenz für ländliches Bauwesen am 26./27. Februar 1946 als Zielstellung des Bauens forderte: „Je-dem Bauern seinen eigenen Hof!“ Und es entsprach „Je-dem Sachverstand und wirtschaft-licher Vernunft, die Hamann in die Worte gekleidet hatte: „Ein Bauer ohne Hof ist kein Bauer und wird nicht im entferntesten, selbst bei gutem Willen, soviel leisten, wie derje-nige, der in der eigenen Wirtschaft arbeitet“307. Die Erfüllung dieser Forderung, die mit der Beantwortung der Frage nach der kommunalpolitischen Heimat der Neubauern ver-knüpft war, jedoch sollte sich als eine der problematischsten Aufgaben erweisen, die sich aus der Bodenreform herleiteten.

Sollten die durch die Bodenreform auf dem Land geschaffenen neuen Verhältnisse stabilisiert und verstetigt werden, reichte auch Bauen allein nicht aus. Schon der Masse der zu errichtenden Gehöfte wegen waren Entscheidungen über das „Wo und Wie“ des

307 DK 1 Nr. 8889, Bl. 120. – Hamann, Bauen auf dem Lande, S. 75.

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Bauens nicht zu umgehen. Siedlungsplanung war gefragt, um die Entwicklung in geord-nete Bahnen zu lenken. In diesem Zusammenhang mussten nicht nur Antworten auf die Frage nach der kommunalen Zuordnung der den Neubauern zugewiesenen Bodenfl ächen, sondern auch nach der Einordnung ihrer künftigen Gehöfte und deren Zugehörigkeit zu einer politischen Gemeinde gesucht werden. Sollten sie eigene Siedlungen und eigene po-litische Gemeinden bilden? Sollten sie in den bestehenden Gemeinden angesetzt werden?

Die Umwälzung der Eigentumsverhältnisse brachte deshalb in der Konsequenz nicht nur die Entscheidung über den Umgang mit den bisherigen Gütern und den Behausun-gen der ehemaliBehausun-gen Landarbeiter, sondern auch die nach der künftiBehausun-gen Gestalt der Dör-fer überhaupt auf die Tagesordnung. Die allgemeine Antwort erschien einfach: Sie soll-ten „ein demokratisches Gesicht“ bekommen. Vor allem aber sollsoll-ten sie, wie Fechner auf der Kommunalpolitischen Tagung des ZS der SED am 1. Juli 1946 postulierte, so gestal-tet werden, dass Umsiedler und Heimkehrer nicht enttäuscht werden. Mit der These, die Gemeinde habe durch die Bodenreform gegenüber Neubauern und Umsiedlern Aufgaben und Verpfl ichtungen in bisher ungekanntem Ausmaß, übertrug er der kleinsten kommu-nalen Körperschaft eine Verantwortung von historischer Dimension308. Ihm assistierte Hoernle mit seinen Vorstellungen und Visionen.

Der überkommene Rahmen schien dafür nicht mehr tragfähig zu sein; die Änderung der Gemeindebezirke von unbewohnten Flächen versprach zwar eine gewisse Anpassung;

mit der Forderung, die Bodenreform dürfe nicht bei einer Bodenbesitzreform stehenblei-ben, sondern müsse in eine Agrarreform münden und schließlich auch eine Landschafts-reform umfassen309, traten zugleich völlig neue siedlungspolitische und siedlungsplaneri-sche Dimensionen hervor. Sie gewannen zusätzlich Wucht und Dynamik angesichts des Bevölkerungsansturms durch Umsiedler – vor allem aus überwiegend agrarisch gepräg-tem Gebiet –, der zu einem bedeutenden Anstieg der Siedlungsdichte und zu ungeord-net und spontan entstehenden Neubauernstellen und Neubauernsiedlungen geführt hatte.

In Brandenburg mussten zunächst etwa 113.000 Menschen, die in der ersten Etappe der Bodenreform Land bekommen hatten, untergebracht werden. Deshalb auch bot sich endlich die Möglichkeit, die von Architekten, Siedlungsplanern und Landbaumeistern schon lange beklagte nicht mehr zeitgemäße Struktur der bestehenden Dörfer zu refor-mieren und den neuen Anforderungen anzupassen. Vor Planung und Politik stand also die Aufgabe, die Neubauern unterzubringen, die Umsiedler zu integrieren und dabei land-wirtschaftliche Strukturen umzuwälzen, ja, ein neues Verhältnis von landwirtschaftli-cher Fläche zu Siedlungen und von diesen zu den politischen Gemeinden zu schaffen.

Im Überschwang der ersten Stunde und euphorisch angesichts der in kürzester Zeit auf dem Lande herbeigeführten radikalen Änderung der Besitzverhältnisse, aber auch bar je-der den Umständen angemessenen Lageeinschätzung preschte Präsident Steinhoff vor. In seinem Rechenschaftsbericht über die Tätigkeit der Provinzialverwaltung im ersten Jahr ihres Bestehens stellte er die Aufgabe, ca. 90.000 Neusiedler in etwa 2.500 neuen Dörfern

308 NY 4182 Nr. 1087, Bl. 108 – 109. – Goldenbaum, Die deutschen Bauern, S. 103.

309 Pniower, Intensivierung, S. 161.

ansässig zu machen. Er befand sich in bester Gesellschaft. Hoernle schwärmte auf der 2. Tagung des Arbeitsausschusses „Ländliches Bauwesen“ im Kuratorium für Technik in der Landwirtschaft am 26./27. Februar 1946 ebenfalls von einer großen Menge neuer Dörfer: „Wir beginnen mit dem Aufbau ganzer neuer Dörfer auf ehemaligem Gutsge-lände“. Landschaftsplaner Pniower ließ sich ebenfalls von dem Enthusiasmus der Auf-bruchzeit mitreißen. Er prognostizierte die Entstehung von tausenden neuer Dörfer in der Ostzone auf zweckmäßig ausgewählten Dorfl agen. Sie sollten zu „Kulturdenkmälern der neuen Zeit“ gestaltet werden. Wesentlich vorsichtiger äußerten sich die Fachleute. Ha-mann sprach allgemein von der Anlage neuer Dörfer und Weiler und – näher an der Rea-lität – von Tausenden von Dorferweiterungen. Siedlungsplaner Bergmann leitete aus der Aufteilung großer Gemarkungsfl ächen den Bau dazugehöriger „Neudörfer verschiedenen Ausmaßes“ ab. Waterstradt sah „Hunderte von Dörfern neu entstehen“310. Die Realität sollte zu anderen Lösungen zwingen.

Die Neusiedler waren nicht nur die ehemaligen Landarbeiter und landarmen Bauern aus den jeweiligen Gemeinden, sondern häufi g Umsiedler. 1949 standen in Brandenburg 27.716 einheimischen Neubauern 25.043 Umsiedler-Neubauern (= 47,5 %) gegenüber.

Der kommunalrechtliche Aspekt des Umgangs mit Neubauernsiedlungen wurde somit zu-sätzlich überlagert von der Aufgabe, die Umsiedler in ihrer neuen Heimat zu integrieren.

Die Zufl uchtsstätte war in der Regel die kleine Gemeinde. Schwartz hat festgestellt, dass die kleinste Gemeindegrößenklasse mit 27,2 % den stärksten Bevölkerungszuwachs auf-zunehmen hatte311. In diesen kleinen Orten konnten die aus Zuwanderung und Bodenver-teilung entstandenen massiven gesellschaftlichen Konfl ikte erst in einem häufi g zermür-benden und opferreichen Assimilierungsprozeß bewältigt werden. Gerade dort, in einer geschlossenen dörfl ichen Gesellschaft, war der Gegensatz zwischen Einheimischen und Neuankömmlingen besonders ausgeprägt. Starke Spannungsverhältnisse zwischen Alt- und Neubauern folgten daraus. Letztere blieben lange eine nach Herkunft, Sprache und Kultur klar defi nier- und diskriminierbare Unterschicht. Das hatte Auswirkungen auf ihre Vorstellungen von Organisation und Selbstorganisation.

Die Umsiedler waren bereits bei der Vergabe des Bodens ungenügend berücksichtigt worden, da sie naturgemäß keine Kenntnis hatten über die qualitative Zusammensetzung der zur Verteilung stehenden Stücke; häufi g waren sie auch erst nach der Aufsiedlung des größten Teils der besten Flächen in ihrer neuen Heimat angelangt. Sie verfügten kaum über Zugkraft, besaßen keine landwirtschaftlichen Maschinen, kein Saatgut; häufi g fehl-ten ihnen sogar die Mittel zur Ernährung der eigenen Familie. Die von den Ausschüssen für gegenseitige Bauernhilfe organisierte Gespannhilfe, erste Bestell- und Erntegemein-schaften und auch die seit November 1946 bestehenden Maschinenhöfe der Ausschüsse waren nicht in der Lage, ihre Benachteiligung in kurzer Zeit aufzuheben. So gerieten sie

310 DK 1 Nr. 8739, Bl. 120. – Steinhoff, Aus dem Rechenschaftsbericht, S. 166; Hoernle, 1 Jahr Bo-denreform, S. 8; Hamann, Die ländliche Siedlung, S. 4; Deutsche Bauerntechnik 1 (1946/47), H. 6, S. 12; Bergmann, Ländliches Bauwesen, S. 407; Waterstradt, Dörfer, S. 142.

311 Schwartz, Vertriebene, S. 106, 637 – 638. Nach Meinicke, Zur Integration, S. 874, lebten 47 % der Um-siedler in Dörfern bis 2.000 und 22 % in Gemeinden und Kleinstädten mit bis zu 10.000 Einwohnern.

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wie auch häufi g die einheimischen Neusiedler schnell in neue bedrückende Verhältnisse.

An die Stelle der bisherigen, spätfeudalen Bindung an den Gutsherrn trat nun die Abhän-gigkeit von den alteingesessenen Bauern und deren Entourage, die auch die Kommando-höhen in der Gemeinde (Bürgermeister, Gemeinderat, VdgB) besetzt hielten. Hinzu kam häufi g eine die Grenzen überschreitende persönliche Diskriminierung.

Diese erwies sich zuweilen als kaum tragbar. Alteingesessene verfügten über genü-gend Wohnraum; die Zugezogenen vegetierten häufi g in erbärmlichen Unterkünften zu-sammengepfercht312. Sie mussten sich sogar wie in Jänschwalde (Kr. Cottbus) die De-mütigung zufügen lassen, ihren verstorbenen Angehörigen umbetten zu lassen, weil er in einer Grabreihe bestattet worden war, die nur Einheimischen vorbehalten bleiben sollte, oder ihn wie in Saspow (Kr. Cottbus) auf für Umsiedler besonders ausgewiesenen Flä-chen des Friedhofes oder auf einem für Neusiedler vorsorglich angelegten eigenen Fried-hof außerhalb des Dorfes wie in Dennewitz (Kr. Luckenwalde) begraben lassen313. Wenn schon den Toten ein angemessener Platz nicht gegönnt wurde, um wieviel mühseliger und belastender war es für die Lebenden, sich auf dem neuen Lande zu behaupten und sich in-mitten einer ablehnenden Mehrheitsgesellschaft in des Wortes wahrster Bedeutung „anzu-bauen“? Unterstützung durch Politik und Verwaltung war zwar vorhanden; der Cottbuser Landrat Rutzen nutzte die Vorgänge in Jänschwalde und Saspow, um auf der Kreistags-sitzung am 28. Februar 1950 an die Feststellung, die Umsiedler hätten noch keine Gleich-berechtigung, die Forderung zu knüpfen, sie nicht als Menschen 2. Klasse zu behandeln.

Die Umsetzung dieses Willens war jedoch immer abhängig von den Verhältnissen in der jeweiligen Gemeinde. Insofern ergaben sich in beiden Teilen Deutschlands allein aus der Notwendigkeit des Umgangs mit den Massen von Flüchtlingen ähnliche Problemlagen bei unterschiedlichen gesellschaftlichen Bedingungen: Für Bayern beispielsweise hat Er-ker bis Ende 1948 „die Begegnung zwischen Dorfbewohnern und Flüchtlingen vor al-lem als Konfl iktgeschichte“ gekennzeichnet. Ein besonderes Vorgehen gegen „Überfrem-dung“ durch die Zuweisung von Flüchtlingen ließen der Landrat, zehn Bürgermeister und alle Kreistagsabgeordneten des Landkreises Wesermarsch erkennen: Am 21. April 1947, einen Tag nach der ersten Landtagswahl in Niedersachsen, legten sie geschlossen ihre Mandate nieder. In den sorbischen Gebieten der Lausitz sperrten sich die Bewohner ge-gen die Aufnahme von Umsiedlern deutscher Nationalität: Sie fürchteten, mit deren Ein-bürgerung ihre Chancen auf einen Anschluss an die Tschechoslowakei zu beschädigen314.

312 Beispiele bei Bauerkämper, Auf dem Wege, S. 251 – 254; ders., Vorgetäuschte Integration, S. 200- 203; Plato/Meinicke, Alte Heimat, S. 61; Schwartz, Vertriebene, bes. S. 625 – 840, 918 – 973. Vgl.

auch Bauerkämper, Die Neubauern, S. 110, 117, 126. Zur Lage in einem Dorf: Ihlo/Scholz, Weiß-agk, S. 108. Vgl. auch Sattler, Wirtschaftsordnung, S. 168 – 169; Oehlsen, Vertriebenenlager, S. 71 – 79; Dölling, Wende, S. 114 – 115.

313 Rep. 202G Nr. 54, Bl. 50; Rep. 250 Cottbus Nr. 5, Bl. 25, 30; Nr. 57, Bl. 19; Rep. 334 Luckenwalde Nr. 200. DY 30/IV 2/13 Nr. 42, Bl. 142.

Vgl. auch Ther, Deutsche und polnische Vertriebene, S. 291, der die Umbettung allerdings nicht er-wähnt.

314 Erker, Revolution des Dorfes? S. 386; Schneider, Niedersachsen 1945, S. 104; Damm, „Unser Zei-chen…“, S. 24.

Siedlungsplanung und Kommunalpolitik hatten sich also zwei Herausforderungen zu stellen: Erstens Organisationsformen für das Zusammenleben auf dem Lande auszubil-den, die den neuen Eigentumsverhältnissen entsprachen und diese auch zu fördern und zu stabilisieren vermochten; zweitens Bedingungen zu schaffen, die geeignet waren, die Neuankömmlinge in ihren Zufl uchtsstätten heimisch werden zu lassen. Es ging um Ent-scheidungsfragen von erheblicher politischer Bedeutung. Ein Grundsatz, der schließlich auch die kommunalpolitischen Entscheidungen bestimmen sollte, war schnell geklärt; die politische Linie hieß: „Rückhaltlose Assimilation“ der Umsiedler, um ihnen so den Cha-rakter einer Sondergruppe zu nehmen315. Den außerordentlich starken Bestrebungen zur Rückkehr in die alte Heimat konnte überdies nur in dem Maße der Boden entzogen wer-den, in dem die neuen Bürger auf ihrem neuen Land Fuß fassten. Damit wurden auch sie in die Lage versetzt, ihren Anteil am gesellschaftlichen Ausgleich im Dorf und zur Her-stellung eines fruchtbringenden Klimas im Sinne des mählichen Übergangs von der Kon-fl ikt- zur Arbeitsgemeinschaft zu leisten und so auch zum Aufbrechen der vielfach ent-standenen „Verhärtungen“ beizutragen. Die daraus resultierenden Impulse wurden zudem gebraucht, um die allgemeine Ernährungslage zu stabilisieren. Allein damit war die erste Frage beantwortet, kaum dass sie gestellt worden war: Die bestehende politische Ge-meinde musste den Rahmen für die Integration abgeben. Wie in Sachsen-Anhalt wandte man sich überall „dezidiert“ dagegen, neue Dörfer zu gründen316. In diesem durch die frühe politische Entscheidung für eine ungeteilte Gemeinde verursachten Spannungsfeld hatten sich Kommunal- und Siedlungspolitik zu bewähren und einen Ausgleich zu suchen zwischen Ansiedlung und Integration in bestehende Strukturen und der durch die Boden-reform für ehedem benachteiligte Gruppen geschaffenen Voraussetzungen und Möglich-keiten, in neuen Formen ein selbstbestimmtes Gemeindeleben zu gestalten.

Der für Landwirtschaft und Umsiedler im ZS der SED zuständige Merker äußerte sich eindeutig zur Ansiedlung von Umsiedler-Neubauern und gab erste Orientierungen für den siedlungs- und kommunalpolitischen Umgang mit ihren Lebensräumen. Er wandte sich gegen ihre Isolierung auf eigenen Gebieten, favorisierte die Unterbringung in bestehen-den Dörfern als die beste Voraussetzung für die Assimilation und zur Vermeidung eines gefährlichen Nährbodens für revisionistische Umtriebe; er sprach in diesem Zusammen-hang ausdrücklich von der „Eingemeindung der Umsiedler“. Die Kommunalpolitischen Richtlinien vom 17. Juli 1946 verlangten: „Vollste Eingliederung der Umsiedler in das gesamte Leben der neuen Heimatgemeinde“317. Für Brandenburg gab Vizepräsident Bech-ler auf dem 1. Provinz-Kongreß der Gegenseitigen Bauernhilfe der Mark Brandenburg

315 Schwartz, Vertriebene, S. 419, 627, 690; S. 625 – 892, handelt ausführlich über die Integration der Umsiedler durch die Bodenreform; S. 412 – 543, werden die aus „katastrophalen materiellen Not-lagen und … deprimierenden Erfahrungen von Ausgrenzung und Benachteiligung“ geborenen Be-mühungen um „Selbstorganisation“, beschrieben, in beiden Komplexen jedoch die kommunalpoli-tischen Weiterungen und Folgen nicht berührt. Vgl. auch Meinicke, Zur Integration, S. 870; Ther, Deutsche und polnische Vertriebene, S. 262 – 264.

316 Dix, „Freies Land“, S. 244.

317 Merker, Die nächsten Schritte, S. 11; Dokumente der Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands, Bd. 1, S. 75.

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am 16. und 17. März 1946 die Losung aus. Er appellierte an die Entscheidungsträger und die Bauern selbst: „Und nun noch eins: Zeigen Sie alle noch mehr Verständnis für die Umsiedler, die aus dem Osten gekommen sind. Ihnen gilt es in erster Linie zu helfen. Sie müssen eingegliedert werden in unsere neue demokratische Gemeinschaft. Sie müssen gleichberechtigt in unser gesellschaftliches Leben eingebaut werden, sie müssen gleich-berechtigt auch in den Vereinigungen der Gegenseitigen Bauernhilfe vertreten sein. Es muß alles getan werden, bei ihnen das Gefühl zu stärken, dass sie endlich eine neue Hei-mat gefunden haben. Hier gibt es noch viel zu tun, viele Hemmungen und viel Misstrauen müssen beseitigt werden“318. Etwas ambivalenter Reutter, Leiter der Abteilung Landwirt-schaft beim ZS der SED. Er sah besonders in Gebieten mit vorherrschender Gutswirt-schaft und weiter Entfernung zwischen Gutssiedlung und Bauerndorf neue Gemeinden entstehen. Der Landschaftsplaner und Architekt Miller fasste die gewaltige Aufgabe in die einfachen Worte: „In politischer Hinsicht gilt es, die Flüchtlinge als vollwertige Dorf-insassen an der Verwaltung des Gemeinwesens in vollem Umfange mit teilhaben zu las-sen, um ihnen Gelegenheit zu geben, auch von dieser Stelle aus alles zu veranlaslas-sen, was zu ihrer vollständigen Eingliederung und zur Linderung ihrer Not erforderlich und mög-lich ist“319. Die anders gelagerten mecklenburgischen Verhältnisse verlangten nach ande-ren Lösungsmöglichkeiten. Landrat Brinkmann hatte dafür, wie dargestellt, auch kommu-nalrechtliche Bedingungen schaffen wollen.

Für die Siedlungsplaner war es fast eine Selbstverständlichkeit, das aus Alteingesesse-nen und Neuankömmlingen zusammengesetzte Dorf als die beste Voraussetzung sowohl für die schnelle Ausstattung der Neubauern als auch für die Aufnahme der Hinzugekom-menen, vor allem aber als unabdingbare Voraussetzung für die Organisation der gegen-seitigen Hilfe, ohne die die erforderlichen Aufbauleistungen als nicht denkbar angesehen wurden, als Vorzugsvariante der Siedlungsplanung zu favorisieren. Im November 1946 übersetzte der Leiter der Bauabteilung im Zentralen Bauernsekretariat der VdgB, Hil-scher, die Forderungen der Politiker: „Gerade diese kleinen Bauernwirtschaften haben eine recht enge Anlehnung an das bestehende Dorf notwendig. Sie sind erst recht in der heutigen Zeit auf die gegenseitige Hilfe angewiesen. Das ist alles aber nur möglich, wenn der enge Zusammenschluss innerhalb des Dorfes ermöglicht wird oder wenn bei der Anlage eines Weiler-Dorfes die Entfernung bis zum Stammdorf tragbare Grenzen nicht überschreitet“320. Die Betriebswirtschaftliche Abteilung der DVLF hob in ihrer Stellung-nahme vom 4. Dezember 1946 zum Gesetzentwurf des Arbeitsausschusses Ländliches Bauwesen für die bauliche Durchführung der Bodenreform ausdrücklich die dort vorge-sehene Förderung der Selbsthilfe hervor. Ein Jahr später, als die Befehle 209 der SMAD

318 Bechler, Zur Durchführung, S. 31.

319 Reutter, Was will die Vereinigung, S. 31; Merker, Die nächsten Schritte, S. 11; Miller, Dorf Seega, S. 51. Wie Ther: Deutsche und polnische Vertriebene, S. 173, und Murken, Zur Integration, S. 54, festgestellt haben, war auch die karge Bemessung der Grundstücksgrößen der Neubauern vor allem darauf zurückzuführen, den Bedarf der Umsiedler befriedigen zu können.

320 Rep. 350 Nr. 903. – Neue Bauwelt 1 (1946), S. 10; Hilscher, Die landwirtschaftlichen Bauaufga-ben; S. 6 – 7; Hamann, Bauen auf dem Lande, S. 75; ders., Die ländliche Siedlung, S. 5; ders., Zur Planung, S. 4 – 5.

„Maßnahmen zum wirtschaftlichen Aufbau der neuen Bauernwirtschaften“ vom 9. Sep-tember 1947 und Nr. 163 der SMA „Maßnahmen zur wirtschaftlichen Einrichtung der Neubauern“ vom 7. Oktober 1947321 mit der Anweisung, bis zum Ende des Jahres 1948 in Brandenburg 10.000 Neubauernstellen zu schaffen, eine Aufgabe von kaum beherrsch-baren Ausmaßen gestellt hatten, wurden die Forderungen an die Dorfgemeinschaft noch deutlicher. Die Bauabteilung des Zentralen Bauernsekretariats formulierte am 4. Dezem-ber 1947 den Standpunkt der VdgB, die Neubauern seien allein zur Bewältigung der Auf-gabe nicht im Stande und Alt- und Neubauern deshalb für die Zukunft „auf Gedeih und Verderb“ miteinander verbunden. Selbsthilfeaktionen größeren Umfangs seien erforder-lich, um den Befehl 209 erfüllen zu können. Die Altbauern hätten nicht nur eine morali-sche Verpfl ichtung zum Helfen, sie könnten auch auf Grund dieses Befehls nachdrück-lichst dazu verpfl ichtet werden. Dazu jedoch sollte es nur im äußersten Falle kommen.

Kein Altbauer dürfe jedoch in Zukunft mehr zusehen, „wie sich unsere Neubauern unter Einsatz ihrer äußersten Kräfte am Bau der Gehöftanlagen abquälen“. Deshalb müsse „un-bedingt ernstens angestrebt werden, dass jedes Aufbaudorf im Laufe der Zeit zu einer in sich geschlossenen Baugemeinschaft oder Genossenschaft von Alt- und Neubauern um-geformt wird“.

Gegen die schnelle Umsetzung dieser Vorstellungen und Forderungen stand anfäng-lich die allgemeine Zielstellung der Politik gegenüber den Neusiedlern. Diese war nahezu ausschließlich auf die Konsolidierung ihrer wirtschaftlichen Situation gerichtet. Eine sta-bile wirtschaftliche Lage wurde als der entscheidende Hebel angesehen, mit dem alle an-deren – mehr als sekundär eingestuften – Probleme beiseite geräumt und geklärt werden könnten. Darauf waren Neubauern-Bauprogramm, Kreditprogramme und zahlreiche an-dere Hilfen, wie bevorzugte Bereitstellung von Saatgut, Betriebsmitteln und Zugkräften in erster Linie ausgerichtet. Integration würde schon, wie von Merker und den Siedlungs-planern vorgegeben, vor allem über Zusammenleben und Zusammenarbeiten, also über die Einbeziehung der Neuankömmlinge und der vormals landlosen Arbeiter in das poli-tische Leben und in die Arbeit der bäuerlichen Genossenschaften, gefördert und schließ-lich erreicht werden. Die bestehende Gemeinde war so theoretisch als Auffangbecken und soziale Gemeinschaft und wohl auch als Katalysator für den Ausgleich unvermeidlicher Interessenkonfl ikte vorgegeben. Die Gefahr von Spannungen, die aus unterschiedlicher sozialer Stellung und anderer Herkunft in den engen dörfl ichen Verhältnissen beinahe

Gegen die schnelle Umsetzung dieser Vorstellungen und Forderungen stand anfäng-lich die allgemeine Zielstellung der Politik gegenüber den Neusiedlern. Diese war nahezu ausschließlich auf die Konsolidierung ihrer wirtschaftlichen Situation gerichtet. Eine sta-bile wirtschaftliche Lage wurde als der entscheidende Hebel angesehen, mit dem alle an-deren – mehr als sekundär eingestuften – Probleme beiseite geräumt und geklärt werden könnten. Darauf waren Neubauern-Bauprogramm, Kreditprogramme und zahlreiche an-dere Hilfen, wie bevorzugte Bereitstellung von Saatgut, Betriebsmitteln und Zugkräften in erster Linie ausgerichtet. Integration würde schon, wie von Merker und den Siedlungs-planern vorgegeben, vor allem über Zusammenleben und Zusammenarbeiten, also über die Einbeziehung der Neuankömmlinge und der vormals landlosen Arbeiter in das poli-tische Leben und in die Arbeit der bäuerlichen Genossenschaften, gefördert und schließ-lich erreicht werden. Die bestehende Gemeinde war so theoretisch als Auffangbecken und soziale Gemeinschaft und wohl auch als Katalysator für den Ausgleich unvermeidlicher Interessenkonfl ikte vorgegeben. Die Gefahr von Spannungen, die aus unterschiedlicher sozialer Stellung und anderer Herkunft in den engen dörfl ichen Verhältnissen beinahe

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