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Frühes Chaos: Besatzungshoheit und erste Selbstbestimmungsversuche

Im Dokument Kreisen in Brandenburg 1945–1952 (Seite 69-84)

Geleitwort des Herausgebers

1. Die Gemeindestruktur

1.2. Frühes Chaos: Besatzungshoheit und erste Selbstbestimmungsversuche

Fragestellungen oder Forderungen nach einer grundsätzlichen Reform der administrativ-territorialen Ordnung blieben in der unmittelbaren Nachkriegszeit außerhalb des Vorstell-baren. Neue Strukturen wurden vielmehr – wenn auch auf unterster Stufe und ohne in großen Zusammenhängen zu denken – geradezu herausgefordert, wenn man sich an Ort und Stelle von ihrer Lösung eine bessere Bewältigung der anstehenden Probleme ver-sprach. In vielen Fällen erwies es sich nämlich, dass dringende Nöte von einer Gemeinde allein nicht zu lösen waren. Anforderungen bisher ungekannter und nicht vorgedachter Art ergaben sich zudem aus der Notwendigkeit, die Massen von Flüchtlingen anzusie-deln, und aus der Bodenreform. So entstanden schnell und spontan auf Initiative von Bür-germeistern, Landräten, Aktionsausschüssen oder auch von der Besatzungsmacht aus-gehend, immer aber an ihre Zustimmung gebunden, erste überörtliche Verständigungen, neue Verwaltungsinstanzen und häufi g auch neue gemeindliche Strukturen.

tung der Landrat irgendeines Kreises sich den Teufel darum geschert hat, was die Landesverwal-tung in Dresden gesagt hat, sondern dass der Landrat eines Kreises noch in guter Freundschaft mit dem militärischen Kommandanten stand. Wenn jemand von Dresden gekommen ist, hat er gesagt, was geht mich das an, ich bin König in meinem Kreis“ – HStAD 11384 LRS Min. f. Wirtschaft Nr. 2102, Bl. 95 – 96.

Halder, Modell, S. 68 – 69, zitiert ein Gutachten der sächsischen Wirtschaftskammer vom 27.7.1945, das die von dem jeweiligen Militärkommandanten unterstützten Abschließungsversuche der Kreise beklagte.

Im Oktober 1945 sperrte der Landrat von Cottbus den Transport von Autowracks aus dem Land-kreis in den StadtLand-kreis Cottbus. Dadurch fehlten der Stadt Transportmittel für das Heranschaffen von Lebensmitteln – Rep. 206 Nr. 173, Bl. 11.

Noch im Januar 1949 hatten die Neubauern Hagen und Lubau aus Günterberg (Kr. Angermünde) ein Erlebnis der besonderen Art. Sie waren mit einer Kuh und einer Färse nach Bernau (Kr. Nie-derbarnim) gefahren, um beide Tiere gegen ein Pferd zu tauschen. Sie konnten keine „Ausfuhr-genehmigung“ vorweisen. Deshalb wurden beide Tiere beschlagnahmt und geschlachtet. Da die Schlachtung in einem anderen Kreis erfolgte, wurde das Fleisch nicht auf ihr Soll angerechnet; über Zugkraft verfügten sie weiterhin nicht – DO 1/8.0 Nr. 5, Bl. 27 – 28.

106 Landtag Sachsen-Anhalt, 1. Wahlperiode, Stenographische Berichte, 1850D.

Aber nicht nur die Erfordernisse des unmittelbaren Überlebens und des Reagierens auf Ereignisse der ersten Nachkriegszeit waren in Brandenburg die allein bestimmenden Kräfte, die auf Veränderungen von Gemeindegebieten hinwirkten; auch das Bestreben, die obrigkeitslose Situation zu nutzen, um bereits seit langem gehegte Absichten zu ver-wirklichen, Eitelkeiten von Dorfobrigkeiten zu befriedigen, vor allem Verletzungen aus der Zeit des 3. Reiches zu heilen, zielte in diese Richtung. Ein erster Schub hob an, Ge-meindebezirke zu ändern, und zwar aus eigenem Recht. In der Hauptsache ging es darum, die zahlreichen während des Nationalsozialismus häufi g willkürlich und gegen den Wil-len der beteiligten Gemeinden vorgenommenen Eingemeindungen und Zusammenlegun-gen rückgängig zu machen. Damit allerdings gelangte früh ein retardierendes Moment in die Kommunalpolitik. Diese war über lange Zeit unter dem Leitbild einer leistungsstarken und somit leistungsfähigen Gemeinde angetreten, hatte ihm aber nur gelegentlich genü-gen können. Ungeachtet aller Tagessorgenü-gen, ging man schnell ans Werk, nachdem die Ge-meinden mit der Einsetzung von Bürgermeistern handlungsfähig geworden waren. Man war sich anscheinend dessen bewusst, das Zeitfenster werde für solche Vorhaben nur kurz geöffnet sein. Es begann sich mit der Einsetzung der Provinzialverwaltung Mark Bran-denburg am 4. Juli 1945 und der Errichtung von Oberlandratsämtern am 25. Juli 1945 zu schließen. Der Erlass der DGO im September 1946 schlug es endgültig zu. Zunächst aber nahmen die Dinge ihren Lauf, ohne dass übergeordnete Stellen eingreifen oder sie len-ken konnten. Bis dahin aber waren wesentliche Vorentscheidungen bereits gefallen. In der kurzen Zeitspanne vom Kriegsende bis zum Sommer 1945 hatten sich mehr Gemeinde-gebietsänderungen vollzogen als von dieser Zeit ab bis zur Gebietsreform von 1950. Es waren hauptsächlich Ausgliederungen107.

In der SBZ insgesamt bestimmen zunächst drei große Umstrukturierungen im Ge-meindebestand das Geschehen; sie waren in ihrer Zielsetzung der unterschiedlichen gangslage geschuldet: und Eingliederungen in der Provinz Mark Brandenburg, Aus-gliederungen in Mecklenburg-Vorpommern, EinAus-gliederungen in der Provinz Sachsen.

Während die Ausgliederungen im Verlauf der NS-Zeit vorgenommene Zusammenlegun-gen wieder rückgängig zu machen zum Ziel hatten, sollten in der Provinz Sachsen leis-tungsfähigere Gemeinden am Ende stehen. Das alles ging in den drei Territorien, weil spontan und lediglich auf örtliche Initiativen hin vorgenommen, nicht fl ächendeckend vor sich; es waren jeweils nur wenige Kreise, in der Provinz Sachsen nur ein Kreis, ein-bezogen. In Sachsen hatte sich daneben eine Reihe von Gemeinden aus eigenem Recht ohne obrigkeitliche Genehmigung zusammengeschlossen. Das wurde in einer späteren Wertung als „deutlicher Beweis für ihr gesundes Empfi nden und ihre Urteilsfähigkeit“

befunden108.

107 Für alle selbständig und ohne Vorliegen gültiger Rechts- bzw. Verwaltungsnormen vorgenomme-nen Gemeindegebietsänderungen werden die Begriffe „Eingliederung“, „Ausgliederung“, „Um-gliederung“ anstelle von „Eingemeindung“, „Ausgemeindung“, „Umgemeindung“, die eine gültige Rechtsordnung und eine von dieser vorgeschriebene Anhörung der Beteiligten sowie ein ordnungs-gemäßes Verfahren zur Voraussetzung haben, gebraucht.

108 Kreutz, Über die Verwaltungskraft, S. 166.

39 1.2. Frühes Chaos: Besatzungshoheit und erste Selbstbestimmungsversuche

Wesentlicher Hintergrund der in Brandenburg sofort nach Kriegsende einsetzenden Bemühungen um die Ausgliederung ehemals selbständiger Gemeinden war die Einge-meindungswelle der Jahre 1937/38. Sie war die brandenburgische Antwort auf die Auf-forderung zum Umbau der Gemeindestrukturen, die die „Deutsche Gemeindeordnung“

vom 30. Januar 1935 (RGBl. I S. 49) erhoben hatte. Das Ausmaß einer auf die gesamte Provinz bezogenen Gemeindereform erreichte sie, wie in allen anderen Provinzen auch, allerdings nicht: Als Glied im preußischen Staatsverband war die Provinz an zentrale Vor-gaben gebunden. Solche ergingen nicht bzw. wurden zu spät erlassen, und so nutzten al-lein einzelne Landräte den Spielraum, um lange gehegte Pläne durchzusetzen. Im Focus stand die Beseitigung der Zwerggemeinden. Das hatte in dem die Provinz Mark Branden-burg bildenden Territorium zu 105 Eingemeindungen, überwiegend solch kleiner kom-munaler Körperschaften geführt109, die von einer Tilgung slawischer Ortsnamen begleitet worden war110. Von den betroffenen ehemals selbständigen Gemeinden erklärten sich 26 Orte111 wieder als selbständig. Die überwiegende Mehrzahl stammte aus den Landkreisen Beeskow-Storkow (11) und Cottbus (6). Im Kreis Westprignitz dagegen, der ebenfalls eine beträchtliche Anzahl von Eingemeindungen aufzuweisen hatte, sind keine Rückab-wicklungen vorgenommen worden. 13 Ortsteile, die nie als eigene Kommunen bestan-den hatten, nutzten die Gunst der Stunde, um sich als Gemeinde zu konstituieren. Neu Stahnsdorf (Kr. Beeskow-Storkow), das bereits 1901 nach Alt Stahnsdorf eingemeindet worden war, nahm ebenfalls die Chance wahr, seine Selbständigkeit zurückzuerlangen.

Andere Orte wiederum sahen keinen Anlass, den im 3. Reich herbeigeführten kommunal-politischen Status zu ändern112. 23 ehemalige Gutsbezirke, allein 16 davon aus dem Kreis Prenzlau113, die 1928 im Zusammenhang mit der Aufl ösung der Gutsbezirke in Preußen mit benachbarten Gemeinden vereinigt worden waren, versuchten, sich von ihren

Stamm-109 Von dieser Zahl entfi elen allein 51 Eingemeindungen auf fünf Landkreise: Beeskow-Storkow (17), Westprignitz (10), Lübben (9), Ruppin (9), Cottbus (6). Dieses Geschehen wird von HGV nur un-zureichend dokumentiert. Da bei einer Reihe von Orten die erste Eingemeindung nicht verzeichnet wird, entfällt als Folge die Angabe der eigenmächtig vorgenommenen Ausgliederungen. Dadurch werden lediglich die 1950 und später erfolgten Eingemeindungen aufgeführt. Vollständig und rich-tig angegeben sind die Gemeindebezirksänderungen nur für den Kreis Westprignitz. Umso unver-ständlicher erscheinen handwerkliche Fehler bei den Eintragungen zu anderen Kreisen: So wird u. a. (S. 49) die durch Entscheidung des Oberpräsidenten vom 3.12.1937 (RMBliV. 1938 Sp. 126) erfolgte Aufl ösung der Gemeinde Schönfeld (Kr. Ruppin) und deren Aufteilung auf die Gemein-den Friedrichsbruch und Köritz als Eingemeindung nach Köritz angegeben. Die am 20.11.1937 ( RMBliV. 1938 Sp. 47) verfügte Eingemeindung von Neu Boston (Kr. Beeskow-Storkow) nach Storkow ist (S. 74) unter den Angaben zum Kreis Uckermark zu fi nden.

110 Blöß, Umbruch, hier bes. S. 170 – 176.

111 Rep. 212 Nr. 398. – Blöß, Brandenburgische Kreise und Gemeinden, S. 27 – 30, 127 – 147, 156 – 158.

112 Durch Beschluss des Preußischen Staatsministeriums vom 10.4.1934 (MBliV. Sp. 666) war im Kreis Templin Ahlimbsmühle (44 Einwohner) nach Petersdorf (242 Einwohner) gegen den Wider-stand beider Orte eingemeindet worden. Dessenungeachtet blieben beide nach Kriegsende zusam-men.

113 Die Zahl der Ortsteile, die sich aus ihren Muttergemeinden ausgegliedert hatten, muss noch größer gewesen sein. Ein Vermerk des Landratsamtes Prenzlau vom 2.4.1946 gibt mit 122 Orten eine um 28 Orte gegenüber dem ursprünglichen Bestand von 94 gestiegene Gemeindeanzahl an. Auf Grund ungenügender Quellenlage kann dieser Befund nicht im einzelnen dargestellt werden.

gemeinden abzulösen und in die kommunale Unabhängigkeit zu kommen. Sonderfälle stellen die aus den Wehrmachtsgutsbezirken Schießplatz Jüterbog (Kr. Jüterbog-Lucken-walde) und Schießplatz Kummersdorf (Kr. Teltow) hervorgegangenen bzw. wiedererrich-teten kommunalen Körperschaften, der Status des Ortes Basedow (Kr. Prenzlau) und das Verhältnis von Schönfl ieß und Vogelsang (Kr. Guben) zu Fürstenberg (Oder) dar114. Als Ausgliederung wird auch die Bildung neuer Gemeinden defi niert, die sich als Folge von aus der Nachkriegsordnung hervorgegangenen Grenzziehungen erforderlich machte. Das waren acht westlich der Oder gelegene Ortsteile von nun zu Polen gehörenden Gemein-den des ehemaligen Kreises Königsberg/NM und ein Ortsteil aus dem Kreis Niederbar-nim, der durch Abmachungen der Alliierten für eine kurze Zeit an Berlin gefallen war115. Wie die Aktenlage ausweist, waren die eigenmächtigen Änderungen auf wenige Schwerpunkte, und zwar die Landkreise Beeskow-Storkow, Cottbus, Prenzlau und Sprem berg sowie den RK Königsberg/NM und den damit im Zusammenhang stehenden Kreis Oberbarnim konzentriert. Auf Grund der mangelnden schriftlichen Überlieferung können diese Vorgänge nur bruchstückhaft dargestellt werden. Eine allgemeingültige Aussage über den tatsächlichen Umfang und den jeweiligen Ablauf solcher Änderungen wird deshalb wohl immer ein Desideratum bleiben. Nach einem Bericht des Landrates von Westhavelland vom 24. Februar 1947 erfolgte nämlich auch in diesem Kreis nach der Besetzung eine Ausgliederung von Ortsteilen in großer Zahl116. Dass sich Pinnow, seit 1928 Ortsteil von Velten (Kr. Osthavelland) verselbständigt hatte, ist nur einer Notiz des Landratsamtes vom 28. März 1946 zu entnehmen. Danach war der Ortsteil wieder in den Verband der Stadtgemeinde Velten aufgenommen worden117. Ähnliches scheint auch im Kreis Luckau vor sich gegangen zu sein. Das ist jedenfalls aus dem am 26. Juni 1947 im Ausschuss für Gemeindeangelegenheiten des Kreistages Luckau behandelten Antrag des Vorwerks Grünswalde zu schließen, nach Gehren eingemeindet zu werden. Zu dieser Gemeinde hatte der Ortsteil schon vor Kriegsende gehört. Die Ausgliederungen gingen in der Regel von der Ernennung von Ortskommandanten für vereinzelt gelegene Orts-teile aus. Diese hatten dort eigene Bürgermeister eingesetzt118. Auch Umgliederungen von Ortsteilen wurden freihändig vorgenommen: Am 6. Dezember 1945 teilte der

Bür-114 Blöß, Brandenburgische Kreise und Gemeinden, S. 13, 18 – 19, 22, 24, 27 – 28, 30, 35 – 36, 72, 75 – 76, 102, 135 – 139, 161.

115 Blöß, Grenzen und Reformen, S. 87 – 89.

116 Diese aber können keine Rückabwicklungen gewesen sein, denn in dem Kreis hatten zwischen 1935 und 1939 Eingemeindungen nicht stattgefunden.

117 Rep. 203 Nr. 1010, Bl. 4; Rep. 250 Osthavelland Nr. 137, Bl. 31.

Durch Beschluss des Preußischen Staatsministeriums vom 28.9.1928 (Amtsblatt der Regierung Potsdam S. 325) waren Teile des Gutsbezirks Pinnow den Gemeinden Birkenwerder, Borgsdorf und Hohen Neuendorf zugewiesen worden; der Restgutsbezirk wurde nach Velten eingemeindet, der OT Pinnow 1956 nach Borgsdorf umgemeindet.

118 Ähnliche Vorgänge sind auch in Mecklenburg-Vorpommern zu beobachten. Hier setzten z. B. im Landkreis Schwerin Militärbefehlshaber für die Ortsteile Buchholz (Holthusen), Moorbrink (Bar-ner Stück) und Pulverhof (Ülitz) und im Landkreis Stargard für Carlshöhe, Fritscheshof, Küssow und Monkeshof eigene Bürgermeister ein – LHAS 5.12-3/1 Nr. 777/22; 6.11-11 MdI 1945 – 1952 Nr. 2209, Bl. 3.

41 1.2. Frühes Chaos: Besatzungshoheit und erste Selbstbestimmungsversuche

germeister von Brieselang (Kr. Osthavelland) seinem Landrat mit, das Vorwerk Glien sei am 14. September von Bredow an seine Gemeinde übergegangen119.

Diese Vorgänge hatten – ob Aus- oder Eingliederungen – im wesentlichen den glei-chen Verlauf. Sie wurden entweder direkt von den zuständigen sowjetisglei-chen Besatzungs-behörden oder durch diese auf Verlangen örtlicher Gremien oder Amtsträger bzw. mit ihrem Einverständnis herbeigeführt. Alle diese Entscheidungen waren Ausfl uss der allei-nigen Hoheit der Besatzungsmacht. Im allgemeinen scheint von dieser nach Aktenlage den deutschen Ersuchen entsprochen worden zu sein. Als negativer Fall ist bisher nur der Vorgang um die Gemeinde Breese (Kr. Westprignitz) bekannt. Hier kam die sowjetische Behörde den Bitten der Arbeiterschaft des Ortes, diesen nach Wittenberge einzugliedern und damit die Kreisgrenze zu ändern, nicht nach120. Auch Gegenteiliges trat auf, wie das Beispiel des Kommandanturbezirks Bad Wilsnack zeigt.

Vorgehensweise, Argumente und Handeln der Interessierten und Beteiligten in sol-chen Fällen sind am ausreisol-chend dokumentierten Beispiel Staffelde – Kuhsiedlung – Kremmen (Kr. Osthavelland) gut nachzuzeichnen. Unmittelbar nach Kriegsende hatten sich die Bürgermeister von Kremmen und Staffelde geeinigt, dessen Ortsteil Kuhsied-lung in wirtschaftlicher Hinsicht Kremmen anzuschließen. Daraus ergab sich vor allem die Einbeziehung der dort niedergelassenen Neubauern in das von der Stadt verwaltete landwirtschaftliche Veranlagungssystem. In deren Händen lag ebenfalls die Anbaupla-nung und die Festsetzung des Pfl ichtablieferungssolls für landwirtschaftliche Erzeug-nisse. Der mit minderer Verwaltungskraft ausgestatteten Gemeinde Staffelde wurde damit eine schwierige und häufi g zu lang andauernden Streitigkeiten führende Aufgabe abge-nommen.

Am 7. März 1946 erreichte ein Antrag der Neubauern der Kuhsiedlung auf Einglie-derung nach Kremmen dessen Bürgermeister. Außer der Bindung an die Stadt durch das Pfl ichtablieferungssystem brachten sie als Argument die bessere Verkehrsverbindung vor.

Und das mit Recht. Vor allem die Schulkinder hätten einen einfacheren Schulweg. Zwi-schen den Bürgermeistern der beiden Orte entspann sich ein Dauerstreit. Die Verfügung über die Kuhsiedlung versprach Vorteile in der auf Selbstversorgung und Abschluss nach außen orientierten Zeit. Das Landratsamt suchte mit Hinweis auf höhere entscheidungs-berechtigte Instanzen den Antrag abzuweisen. Der Oberlandrat von Bernau, an den sich die Siedler daraufhin wandten, bezog überhaupt keine Stellung; er reichte den Antrag ein-fach nach Nauen weiter. Kremmen seinerseits pochte auf alte Rechte und verstieg sich zu der offenen Drohung, die Pachten über von Siedlern aus der Kuhsiedlung bearbeiteten städtischen Ländereien könnten gekündigt werden.

Inzwischen waren Kommunalwahlen abgehalten, Rechtsgrundlagen geschaffen und Verfahrensregelungen erlassen worden. Diese einzuhalten, drängte der Kreistagsaus-schuss für Gemeindeangelegenheiten. Da der Kreistag in der Folge eine Umgemeindung

119 Das zum Gutsbezirk Perwenitz gehörende Vorwerk war durch Beschluss des Preußischen Staatsmi-nisteriums vom 16.10.1928 (Amtsblatt der Regierung Potsdam S. 349) nach Bredow eingemeindet worden.

120 Rep. 203 Nr. 1049, Bl. 3.

abgelehnt hatte, entschloss sich Bürgermeister Wessel (Kremmen), noch einmal die Bür-ger sprechen zu lassen. Auf einer von ihm für Anfang Mai 1947 einberufenen Versamm-lung entschieden sich von zehn anwesenden Siedlern neun für Kremmen. Die Nichter-schienenen hatten erklärt, sich der Mehrheit anschließen zu wollen. Damit war der Weg frei, das vorgeschriebene Verfahren zu eröffnen. In Nauen jedoch schien man am Erhalt des Status quo interessiert zu sein. Kreisrat Walenda forderte Bürgermeister Wessel am 30. Juni 1947 ultimativ auf, den alten Zustand wieder herzustellen. Dieser zog nun sei-nen letzten Trumpf: Indem er sich auf die gemeinsame landwirtschaftliche Veranlagung bezog, glaubte er, mit dem Verschieben des Rückgliederungstermins auf die Monate nach der Ernte Zeit gewinnen zu können. Überdies band er die Rückgabe an die Erfüllung des Abgabesolls. Es bedurfte des Eingreifens durch den Sekretär des Kreistages, um ihn zum endgültigen Einlenken zu bewegen121.

Ein Jahr nach Kriegsende griff man nicht mehr zur Selbsthilfe. Am 20. Juni 1946 wurde im Kreis Angermünde der formelle Antrag gestellt, den OT Pehlitz aus der Ge-meinde Brodowin auszugeGe-meinden122. Er gelangte jedoch ebenso wie die zu gleicher Zeit beantragte Ausgemeindung von Naundorf, das 1936 im Kreis Calau mit Zschornegosda zu Schwarzheide zusammengeschlossen worden war (Amtsblatt der Regierung Frankfurt S. 189), nicht in ein amtliches Verfahren. Ein solches wurde im Fall der Umgemeindung von Heidekrug (Kr. Niederbarnim) eingeleitet. Der Ort mit 66 Einwohnern auf 109 ha Fläche gehörte zur Gemeinde Zinndorf. Nach Kriegsende wurde er auf Betreiben der Be-satzungsbehörden in den Verwaltungsbereich von Lichtenow einbezogen. Das entsprach den gegebenen Verhältnissen: Die Ansiedlung befand sich in einer günstigeren Lage zu dieser Gemeinde; die Muttergemeinde war nur über einen weiten Umweg, der über Lich-tenow führte, zu erreichen, wenn nicht Feldwege benutzt werden sollten. Die Gemeinde-vertretungen beider Gemeinden und auch der Kreistag Niederbarnim bewerteten das als entscheidendes Argument, um der Umgemeindung zuzustimmen und damit den Weg zur Legalisierung des eingetretenen Zustands frei zu machen. Im MdI wurde ein entsprechen-der Gesetzentwurf gefertigt, die Angelegenheit aber nicht weiter verfolgt.

Die amtliche Kenntnisnahme der vorgenommenen Änderungen blieb hinter den Ge-schehnissen zurück. Im Kreis Lübben123 beispielsweise wird die Existenz der neuen Ge-meinden zum ersten Mal am 9. August 1945 in einem Gemeindeverzeichnis dokumen-tiert. Gegenüber dem MdI, dem die Ausgliederung von Sabrodt und Sawall aus Trebatsch erst zu Beginn des Jahres 1948 über das Statistische Zentralamt zur Kenntnis gelangt war, bekundete der RdK Beeskow-Storkow seine Auffassung, es bei dem eingetretenen Zu-stand zu belassen. Er erwartete jedoch anscheinend aus Potsdam einen gegenteiligen

Be-121 Rep. 250 Osthavelland Nr. 312; Nr. 337, Bl. 89 – 123.

122 Rep. 203 Nr. 321, Bl. 183; Nr. 857, Bl. 20; Nr. 858, Bl. 30; Rep. 250 Luckau Nr. 50.

Der Gutsbezirk Pehlitz war durch Beschluss des Preußischen Staatsministeriums vom 22.8.1928 (Amtsblatt der Regierung Potsdam S. 293) mit der Gemeinde Pehlitz vereinnigt, diese durch Erlass des Oberpräsidenten in Berlin vom 16.12.1936 (RMBiV. 1937 Sp. 260) nach Brodowin eingemein-det worden.

123 Rep. 203 Nr. 880, Bl. 4, 14; Rep. 250 Beeskow-Storkow Nr. 34, Bl. 14; Nr. 404; Nr. 414; Nr. 435, Bl. 116, 135.

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scheid oder er war durch die Frage, wer eine solche Trennung angeordnet habe, zu einer anderen Bewertung der Vorgänge im Kreis gelangt. Jedenfalls fanden im März und April 1949 Sitzungen der Gemeindevertretungen von Hohenbrück, Giesensdorf, Wulfersdorf, Trebatsch und Sabrodt sowie eine Gemeindeversammlung in Neu Schadow statt, die die Rückabwicklung der 1945 erfolgten Ausgliederungen zum Thema hatten. Bis auf Gie-sensdorf lehnten alle anderen Gremien Eingemeindung bzw. Zusammenschluss ab. Es fi elen harte Worte.

Die Ausgliederungen im Lande waren von unterschiedlichem Bestand. Mit 28 Ge-meinden blieb weniger als die Hälfte der Orte auf Dauer selbständig. Der überwiegende Teil wurde bis 1948 – der Hauptteil im Jahr 1946 – wieder in seinen ursprünglichen Zu-sammenhang zurückgeführt. Zwölf Gemeinden schließlich gelangten im Zuge der Ge-bietsreform von 1950 bis auf Rietz-Neuendorf (Kr. Beeskow-Storkow), das nicht nach Groß Rietz rück-, sondern nach Görzig eingemeindet wurde, an ihre Stammgemeinden124. Das bestätigte jenseits alles ideologischen Ballasts den sachlichen Hintergrund der im 3. Reich getroffenen Entscheidungen.

Auch an den Eingliederungen waren – so weit erkennbar – in den meisten Fällen die örtlichen oder regionalen Kommandanten der Roten Armee maßgeblich beteiligt. Sie entsprachen damit überwiegend dem Wunsch der Ortsinsassen. Deshalb kann auch bei diesen selbständig vorgenommenen Änderungen von Gemeindebezirken angenommen werden, dass sie, wenn nicht mit direkter Unterstützung, so doch mit Duldung der Be-satzungsbehörden vonstatten gegangen sind. Die insgesamt 46 festgestellten Eingliede-rungen (vgl. Tab. 2) unterscheiden sich von ihrem Gegenstück, den AusgliedeEingliede-rungen, in Ursprung, Beweggründen und handelnden Stellen. Den 18 aus eigenem Recht (11) oder auf aktenkundiges Betreiben der Besatzungsmacht (7) erfolgten Eingliederungen stehen 28 Eingliederungen gegenüber, die die Rückabwicklung zuvor erfolgter Ausgliederungen darstellen. Sie sind zugleich ein früher Beweis für die schrittweise Erlangung von Au-torität und Handlungsvollmacht durch Exekutive und Legislative. Die dadurch gebilde-ten neuen Kommunen waren von größerer Dauerhaftigkeit als die durch Ausgliederung in die kommunale Selbständigkeit gelangten. Nur zwei der betroffenen Orte, Heinrichs-dorf (Kr. Oberbarnim) und Hildebrandshagen (Kr. Prenzlau) gelang die Rückkehr in den Kreis der politischen Gemeinden125. Weitere Eingliederungen, die nach den Beispielen der Kreise Niederbarnim und Westprignitz zweifellos auch in anderen Kreisen vorgenommen worden sind, können im einzelnen nicht nachgewiesen werden. Sicher ist hingegen, dass sie nur kurzen Bestand hatten.

124 Blöß, Brandenburgische Kreise und Gemeinden, S. 19 – 22, 78 – 79, 98. Rietz-Neuendorf hatte damit

124 Blöß, Brandenburgische Kreise und Gemeinden, S. 19 – 22, 78 – 79, 98. Rietz-Neuendorf hatte damit

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