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Versicherungsmäßige Voraussetzungen für den Leistungsbezug

Im Dokument Jahrgang 1965 ZAK (Seite 42-45)

Urteil des EVG vom 27. Mai 1964 i. Sa. S. P.

Art. 6, Abs. 1, IVG. Ein schweizerischer Staatsangehöriger, der bei Eintritt des Versicherungsfalls weder der obligatorischen noch der freiwilligen Versicherung angehörte, hat keinen Anspruch auf IV-Leistungen. Vorbehalten bleiben indessen solche Ansprüche, die in der Folge auf Grund eines neuen Versicherungsfalles entstehen können.

Die Versicherte hat in der Schweiz bis 1957, dem Jahre ihrer Heirat, regel-mäßig Beiträge an die obligatorische Versicherung geleistet. Ihr Ehemann unterstand ebenfalls der obligatorischen Versicherung und entrichtete an diese Beiträge bis Ende März 1959. Zu diesem Zeitpunkt zog er nach Frank-reich, wie seine Ehefrau es bereits ungefähr ein Jahr vorher getan hatte, und schloß sich dort der freiwilligen Versicherung erst am 5. März 1962 mit Wir-kung ab 1. April 1962 an.

Am 17. Mai 1962 meldete sich die Versicherte zum Bezug einer Invaliden-rente an. Die IV-Kommission stellte bei ihr ein angeborenes Herzleiden und iuvenile dorso-lumbale Skoliose (seitliche Verkrümmung der Lendenwirbel-säule) fest, welcher Zustand sich infolge Zwillingsschwangerschaft und Früh-geburt vom Oktober 1960 verschlimmert hatte; sie schätzte infolgedessen den dauernden Invaliditätsgrad der Versicherten auf 70 Prozent ab 1. Oktober 1960. Mit Verfügung vom 25. Februar 1963 lehnte jedoch die Ausgleichskasse das Rentengesuch ab mit der Begründung, daß die Leistungsansprecherin bei Eintritt der Invalidität nicht versichert war. Die ablehnende Verfügung wurde auf Rekurs der Versicherten hin durch die erstinstanzliche Behörde bestätigt. Die Versicherte legte hierauf Berufung ein und machte — unter Beilage entsprechender Dokumente — insbesondere geltend, daß ihre Inva-lidität bereits 1958 eingetreten sei. Die Berufung wurde vom EVG aus folgen-den Grünfolgen-den abgewiesen:

1. Leistungen der IV sind den Versicherten allein vorbehalten. Diese Regel wird in Art. 6, Abs. 1, IVG statuiert, nach dessen Wortlaut «Anspruch auf Leistungen gemäß den nachstehenden Bestimmungen ... alle versicherten Schweizerbürger, Ausländer und Staatenlosen» haben. Sie wird in zahl-reichen andern gesetzlichen Bestimmungen wiederholt, so in Art. 9, Abs. 1;

Art. 10, Abs. 1; Art. 28, Abs. 1; Art. 29, Abs. 1; Art. 36, Abs. 1 und Art. 42, Abs. 1, IVG. Diese Regel findet endlich ihre Bestätigung in den durch das Gesetz selbst vorgesehenen Ausnahmen, z.B. derjenigen von Art.9, Abs.3, IVG.

Aus der Rechtssystematik geht anderseits hervor, daß grundsätzlich alle erforderlichen Voraussetzungen für einen Anspruch auf IV-Leistungen bei Eintritt des Versicherungsfalles erfüllt sein müssen. Allerdings findet dieser Grundsatz in keiner gesetzlichen Bestimmung ausdrückliche Erwähnung; aber in einigen Vorschriften wird er doch offensichtlich vorausgesetzt, so insbe-sondere in Art. 85, Abs. 1, IVG, der für die am 1. Januar 1960 bereits invaliden

Versicherten die Invalidität als «im Zeitpunkt des Inkrafttretens dieses Ge-setzes eingetreten» annimmt. Dieser Grundsatz deckt sich aber auch mit den allgemeinen Grundsätzen der Versicherung, wie sie der Bundesrat in seiner Botschaft vom 24. Oktober 1958 klar niedergelegt hat (siehe daselbst S. 20 und 28/29; BBI 1958 II, S. 1156 und 5.1165; siehe auch EVGE 1962, S. 108;

ZAK 1962, S.508).

Nun bestimmt Art. 1 IVG, daß auf dem Gebiete der IV diejenigen Perso-nen versichert sind, die gemäß Art. 1 und 2 AHVG obligatorisch oder frei-willig versichert sind. Diese Personen müssen also entweder ihren zivilrechtli-chen Wohnsitz in der Schweiz haben, in der Schweiz eine Erwerbstätigkeit ausüben oder als Schweizerbürger im Ausland für einen Arbeitgeber in der Schweiz tätig sein und von ihm entlöhnt werden, in welchen Fällen sie torisch versichert sind (Art. 1 AHVG); oder aber, sie müssen als nicht obliga-torisch versicherte Schweizerbürger im Ausland den Beitritt zur freiwilligen Versicherung vollzogen haben (Art. 2 AHVG).

2. Im vorliegenden Fall war die Versicherte bis zum Zeitpunkt der Ver-legung des ehelichen Wohnsitzes nach Frankreich obligatorisch versichert.

Nach dem Beitritt des Ehepaares zur freiwilligen Versicherung der Schweizer im Ausland war sie sodann freiwillig versichert. Von der Wohnsitzverlegung im März 1959 bis zum Beitritt zur freiwilligen Versicherung mit Wirkung ab 1. April 1962 ( Art. 7 VFV) sind aber offensichtlich drei Jahre verflossen, während welcher das Ehepaar weder obligatorisch noch freiwillig bei der AHV und somit auch der IV versichert war.

Die IV-Kommission hat den Eintritt einer mehr als Zweidrittels-Invali-dität auf den 1. Oktober 1960 festgesetzt. Die Beschwerdeführerin bestreitet dies, indem sie ihre Invalidität auf das Jahr 1958 zurückführt. Diese Frage braucht nicht entschieden zu werden. Schließt man sich nämlich der Ansicht der IV-Kommission an, dann hat sich der Versicherungsfall in der Zeit er-eignet, während welcher die Beschwerdeführerin nicht versichert war. Stimmt aber die Version dieser letzteren, dann hat sich der Versicherungsfall vor Einführung der IV ereignet; die Invalidität wird damit gemäß Art. 85, Abs. 1, IVG als im Zeitpunkt des Inkrafttretens des Gesetzes eingetreten angenom-men, d. h. am 1. Januar 1960. Der 1. Januar 1960 gehört aber ebenso wie der 1. Oktober 1960 in den Zeitabschnitt, während dessen die Berufungsklägerin nicht versichert war.

3. Das letztinstanzliche Gericht muß somit die Berufung abweisen und damit auch seinerseits die ablehnende IV-Rentenverfügung vom 25. Februar 1963 bestätigen. Indessen müssen für die Zukunft nicht nur die Ansprüche gewahrt bleiben, welche die Versicherte gegenüber der AHV erwerben wird, worauf die Ausgleichskasse und die Vorinstanz hingewiesen haben, sondern auch solche Ansprüche, die sie gegebenenfalls gegenüber der IV selbst er-werben könnte. Ein solcher Fall müßte angenommen werden, wenn während der Versicherungsdauer ein neuer Versicherungsfall einträte, so z. B. dann, wenn die Versicherte — nachdem ihre gegenwärtige Erwerbs-unfähigkeit unter das rentenbegründende Ausmaß herabgesunken wäre — von einer neuen Invalidität betroffen würde, oder auch wenn Einglie-derungsmaßnahmen notwendig würden. Bei dieser Annahme müßte die IV-Kommission nach einer entsprechenden Anmeldung der Ver-sicherten über deren allfällige künftige Ansprüche befinden.

Eingliederung

Urteil des EVG vom 25. Juni 1964 i. Sa. M. H.

Art. 12 und 13 IVG. Heileurhythmie zur Korrektur der infolge an-geborener Blindheit gestörten Motorik Minderjähriger stellt eine über die Sonderschulung und die allgemeine körperliche Ertüchtigung im Rahmen von Erziehung und Schulung hinausgehende therapeutische IV-Maßnahme dar.

Die Versicherte leidet seit ihrer Geburt im Jahre 1960 an beidseitiger Opti-cusatrophie (teilweise oder total zugrunde gegangene Fasern des Sehnervs).

Ihr Vater meldete sie im August 1963 bei der IV zum Leistungsbezug an.

Die IV-Kommission gewährte dem Kind im wesentlichen medizinische Maß-nahmen und einen Beitrag an die Sonderschulung bzw. an die Vorbereitung auf die Sonderschulung. Dagegen lehnte sie die übernehme der Kosten für Heilgymnastik (Heileurhythmie) ab, weil diese Maßnahme beim blinden Kind zum Sonderschulunterricht gehöre. Ferner verweigerte sie die Übernahme der Transportkosten zum Besuch des Invalidensports und der Heilgymnastik;

an diesen Maßnahmen werde von der IV kein Beitrag geleistet. Abgelehnt wurde schließlich die Vergütung der Transportkosten zum Besuch der Sonder-schule mit der Begründung, ein entsprechendes Gesuch sei bereits mit andern Fällen zusammen an das BSV gerichtet worden.

Der Vater der Versicherten erhob Beschwerde und führte aus, die Heil-gymnastik des blinden und sehschwachen Kindes stelle eindeutig eine medi-zinische Maßnahme dar, durch die es eine normale neuro-muskuläre Koordi-nation erlange. Die Rekurskommission hieß die Beschwerde grundsätzlich gut, verneinte aber einen Anspruch auf Vergütung von Transportkosten zum Besuch der Heilgymnastik, weil diese letztere am selben Ort wie die Sonder-schulung durchgeführt würde.

Das EVG wies die vom BSV gegen den kantonalen Rekursentscheid eingereichte Berufung aus folgenden Erwägungen ab:

Es ist unbestritten, daß die Versicherte an einem Geburtsgebrechen im Sinne von Art. 2, Ziff. 155, GgV leidet. Nach Art. 13

IVG

haben minderjährige Versicherte Anspruch auf alle zur Behandlung von Geburtsgebrechen not-wendigen medizinischen Maßnahmen, sofern diese Gebrechen ihrer Art nach zu einer Beeinträchtigung der Erwerbsfähigkeit führen können. Gemäß Art.19 IVG werden an die Sonderschulung bildungsfähiger Minderjähriger, denen infolge Invalidität der Besuch der Volksschule nicht möglich oder nicht zu-mutbar ist, Beiträge gewährt. Im vorliegenden Fall ist streitig, ob die Heil-gymnastik (Heileurhythmie) eine medizinische Maßnahme oder einen Be-standteil der Sonderschulung im Sinne der angeführten Bestimmungen dar-stellt.

Mit dem behandelnden Arzt hat die IV-Kommission in ihrer Stellung-nahme im Beschwerdeverfahren die Ansicht vertreten, die gestörte Motorik des blinden Kindes sei die direkte Folge des Geburtsgebrechens. Deshalb hänge ihre Korrektur durch Heileurhythmie mit diesem Gebrechen unmittelbar zu-sammen. Es rechtfertige sich somit, die Heileurhythmie als medizinische Maßnahme zu betrachten. Aus dem vorliegenden ärztlichen Zeugnis ergibt

sich, daß die Ärzte etwa 50 Behandlungen pro Jahr in Form von Heileurhyth-mie zur Verbesserung der ungenügenden Motorik als notwendig erachten.

Schließlich weist auch der Vater des versicherten Kindes, der selber ein an-gesehener Spezialarzt für innere Krankheiten ist, darauf hin, daß die Förde-rung der allgemeinen körperlichen Ertüchtigung im Rahmen der Erziehung und Schulung für das sehbehinderte Kind nicht genüge. Sonst würden nicht viele Blinde schwere und schwerste Koordination-, Gangstörungen und Ma-nierismen aufweisen. Die Heilgymnastik stelle eine zusätzliche, über den Lehrplan der Sonderschulung hinausgehende therapeutische Maßnahme dar.

Dieser von verschiedenen Ärzten und auch von der Rekursbehörde geteilten Auffassung ist umso mehr beizupflichten, als gerade im vorliegenden Fall die Heilgymnastik von einer hierfür ausgebildeten und diplomierten Therapeu-tin erteilt wird. Qualifiziert sich somit die Heileurhythmie des seit der Geburt blinden Kindes 1V-rechtlich als medizinische Maßnahme, so sind deren Kosten gestützt auf Art. 13 IVG der Versicherung zu belasten.

Da die Heilgymnastikstunden im vorliegenden Fall am gleichen Ort wie die Sonderschulung erteilt werden, besteht kein Anspruch auf Vergütung besonderer Transportkosten zum Besuch dieser Stunden.

Im Dokument Jahrgang 1965 ZAK (Seite 42-45)