• Keine Ergebnisse gefunden

Renten und Taggelder

Im Dokument Jahrgang 1965 ZAK (Seite 45-68)

Urteil des EVG vom 15. Juni 1964 i. Sa. J. G.

Art. 16 und Art. 22, Abs. 1, IVG. Ein Versicherter mit Anspruch auf eine IV-Rente, dessen erstmalige berufliche Ausbildung von der IV übernommen wird, kann während dieser Ausbildung die Rente weiterbeziehen.

Der ledige, 1938 geborene Versicherte hat am 16. Februar 1960 eine Anmel-dung zum Bezug von IV-Leistungen ausgefüllt. Zuckerkrank seit dem Alter von 15 Jahren, konnte er ab 1. Januar 1960 eine Rente beziehen. Mit Be-schluß vom 23. April 1963 erkannte ihm die IV-Kommission den Anspruch auf eine erstmalige berufliche Ausbildung zu, insbesondere einen Beitrag von 300 Franken pro Monat an die Kosten für Unterkunft und Verpflegung.

Dieser Beschluß wurde dem Versicherten am 17. Juni 1963 von der Ausgleichs-kasse eröffnet, welche mit Verfügung vom 2. Juli 1963 die Zahlung der vordem bewilligten Rente ab 1. Mai 1963 einstellte. Gegen diese Verfügung erhob der Versicherte Beschwerde. Die erste Instanz hieß die Beschwerde gut und hielt dafür, daß der Versicherte seine Rente während der erstmaligen beruflichen Ausbildung weiterbeziehen könne.

Die gegen diesen Entscheid eingelegte Berufung des BSV wurde vom EVG auf Grund der folgenden Erwägungen abgewiesen.

1. Wie die erste Instanz richtig erkannt hat, geht es im vorliegenden Fall um die Frage, ob die 'Übernahme der erstmaligen beruflichen Ausbildung eines Versicherten, der Rentenbezüger ist, eo ipso die Aufhebung der Rente nach sich zieht.

Das EVG hat bereits festgehalten, daß der Bezüger einer IV-Rente den Anspruch hierauf grundsätzlich behält, auch wenn in der Folge Eingliede-rungsmaßnahmen angeordnet werden. Es ist auch nicht ausgeschlossen, daß zusätzlich zu dieser Rente noch Taggelder gewährt werden, zumindest inso-weit der Versicherte die Bedingungen von Art. 21, Abs. 4, IVV erfüllt (vgl.

EVGE 1963, S. 279, ZAK 1965, S. 43). Gewiß dürfte es in gewissen Fällen angemessen sein, — wie die Berufungsklägerin hervorhebt — die Rente durch Taggelder zu ersetzen oder Rente und Taggelder durch Taggelder, welche sich dann anders bemessen (vgl. Art. 21, IVV). Im vorliegenden Fall taucht diese Frage nicht auf, da Art. 22, Abs. 1, letzter Satz, IVG ausdrücklich die Gewährung von Taggeldern während der erstmaligen beruflichen Aus-bildung im Sinne von Art. 16 IVG, untersagt. Es ist unter diesen Umständen unnötig abzuklären, inwiefern und unter welchen Voraussetzungen es sich gegebenenfalls rechtfertigen könnte, die Tragweite der grundsätzlichen Fest-stellungen, welche sich aus dem zitierten Entscheid ergaben, einzuschränken.

Nach dem oben Gesagten erhellt, daß im vorliegenden Fall die Aufnahme der erstmaligen beruflichen Ausbildung die Ausrichtung der dem Beschwerde-führer vordem bewilligten Rente durchaus zuläßt. Es bleibt noch abzuklären, ob der Versicherte während der erwähnten beruflichen Vorbereitungszeit im-mer noch eine Erwerbsunfähigkeit von mindestens zwei Dritteln aufwies.

Dies darf zweifellos bejaht werden. Es findet sich kein Beleg in den Akten, in welchen übrigens jegliches ärztliche Gutachten fehlt, aus dem der Beweis des Gegenteils hervorginge. Vielmehr muß angenommen werden, daß der Besuch von 20 Schulstunden pro Woche und die Bewältigung der damit ver-bundenen Aufgaben, es nicht zuließen, daß dem noch durch seine Zucker-krankheit behinderten Versicherten eine schon damals fragliche Erwerbs-unfähigkeit von mehr als 33 1A Prozent verblieb.

Zu Recht hat daher die erste Instanz dafür gehalten, daß der Versicherte für die Dauer des Quartals, während dessen die IV seine erstmalige berufliche Ausbildung übernahm, die IV-Rente weiterbeanspruchen könne.

Urteil des EVG vom 11. November 1963 i. Sa. V. H.

Art. 22, Abs. 1, und Art. 29, Abs. 1, IVG. Art. 21, Abs. 4, und 28, Abs. 1, IVV. — Ein Versicherter, Bezüger einer Rente infolge lang-dauernder Krankheit, der wegen drei Monate währender Ein-gliederungsmaßnahmen an der Ausübung einer Erwerbstätigkeit verhindert ist, hat weiterhin Anspruch auf eine Rente; diese wird gegebenenfalls durch ein Taggeld ergänzt, wenn der Versicherte un-mittelbar vor der Eingliederung eine Erwerbstätigkeit ausgeübt hat.

Art. 29, Abs. 1, IVG und Art. 28, Abs. 1, IVV. Einem Versicherten, der auf die Durchführung angeordneter Maßnahmen wartet und bereits eine Rente, insbesondere infolge langdauernder Krankheit, bezieht, wird während der Wartezeit an Stelle des Taggeldes weiter-hin die Rente ausgerichtet.

Der Versicherte wurde am 7. November 1955 Opfer eines Verkehrsunfalles und mußte sich das rechte Bein wenig unterhalb des Knies abnehmen lassen.

Infektionsherde und Geschwürbildungen am kurzen und schlecht verheilten Stumpf sowie eine schwere Muskelatrophie des Schenkels und Schwierig-keiten in der Anpassung der Prothese hinderten den Versicherten lange Jahre hindurch, seine Tätigkeit als diplomierter Automechaniker wieder auf-zunehmen; er erweiterte indessen seine Kenntnisse und erwarb 1960 das eid-genössische Meisterdiplom in seinem Beruf. Seit Dezember 1960 ist er mit einer in Österreich angefertigten Prothese versehen, welche ihm nun viel besser paßt; seit Oktober 1961 verfügt er über eine zweite Prothese derselben Herstellung. Am 20. April 1960 ging sein Leistungsgesuch bei der IV-Kom-mission ein. Diese wandte sich am 27. Februar 1961 an den behandelnden Arzt. Aus dessen Bericht vom 16. Mai 1961 geht insbesondere hervor, daß der Patient, nachdem er bislang arbeitsunfähig gewesen war, die im Dezem-ber 1960 erhaltene Prothese gut ertrug und daß die Besserung seines Zu-standes es ihm erlaubte, eine spätere Wiederaufnahme der früheren Berufs-tätigkeit ins Auge zu fassen. Die IV-Kommission beauftragte hierauf die IV-Regionalstelle, die Umschulungsmöglichkeiten abzuklären. In ihrem Be-richt vom 20. September 1961 hob die IV-Regionalstelle hervor, daß der Ver-sicherte nach Abschluß der orthopädischen Vorkehren innert kurzer Frist eine fast normale Wettbewerbsstellung auf dem Arbeitsmarkt zurückzugewinnen vermöge und keine Maßnahmen beruflicher Art wünsche. Mit Beschluß vom 27. November 1961 verweigerte die IV-Kommission insbesondere jeglichen Anspruch auf Taggelder, da der Versicherte sich den Eingliederungsmaß-nahmen als Voraussetzung zu ihrer Gewährung nicht unterziehen wolle; sie erklärte, einstweilen eine Rente nicht gewähren zu können. Dieser Beschluß wurde dem Beschwerdeführer von der Ausgleichskasse mit Verfügung vom 21. Dezember 1961 eröffnet. Auf dessen Rekurs hin sprach die erstinstanzliche Behörde dem Versicherten mit Entscheid vom 13. Mai 1963 einen Anspruch auf Taggeld sowohl für die Wartezeit als auch für die Zeit der Eingliederung

— vom 1. Januar 1960 bis zum 31. März 1961 — zu. Hingegen wurde jeglicher Rentenanspruch abgelehnt, weil ein solcher während der Dauer der Eingliede-rung nicht zugestanden werden könne und ab 1. April 1961 die Invalidität nur noch ungefähr 40 Prozent betrage. Der kantonale Entscheid wurde vom Versicherten wie auch vom BSV an das EVG weitergezogen. Die beiden Be-rufungen sind aus folgenden Erwägungen teilweise gutgeheißen worden:

1. Streitig sind in erster Linie Geldleistungen der IV; als solche sprach die erste Instanz dem Versicherten einen Taggeldanspruch vom 1. Januar 1960 bis zum 31. März 1961 zu. Während der Versicherte fordert, daß ihm diese Taggelder in vollem Umfang über das betreffende Datum hinaus weiter aus-gerichtet werden, gelangt das BSV zum Schluß, daß diese für die Periode vor Dezember 1960, dem Zeitpunkt der Lieferung der ersten Prothese ausländi-scher Herstellung, durch eine Rente zu ersetzen seien.

a) Die Gewährung einer IV-Rente hat nach Art. 28, Abs. 1, IVG zur Vor-aussetzung, daß der Versicherte entweder zu mindestens 50 Prozent oder in Härtefällen zu mindestens 40 Prozent invalid ist. Der Betreffende erhält Anspruch auf eine ganze Rente, wenn seine Invalidität zwei Drittel (66%

Prozent) erreicht, auf eine halbe Rente, wenn der Grad seiner Invalidität zwischen 50 Prozent (oder 40 Prozent in Härtefällen) und 662,3 Prozent liegt.

Art. 4, IVG definiert die Invalidität als «die durch einen körperlichen oder geistigen Gesundheitsschaden als Folge von Geburtsgebrechen, Krankheit oder Unfall verursachte, voraussichtlich bleibende oder längere Zeit dauernde Erwerbsunfähigkeit». Ausgehend von dieser Legaldefinition der Invalidität und den beiden darin enthaltenen Varianten regelt Art. 29, Abs. 1, IVG den Beginn des Rentenanspruchs. Nach dem Wortlaut dieser Bestimmung ent-steht ein Rentenanspruch, sobald der Versicherte entweder «mindestens zur Hälfte bleibend erwerbsunfähig geworden ist» oder «während 360 Tagen un-unterbrochen voll arbeitsunfähig war und weiterhin mindestens zur Hälfte erwerbsunfähig ist». (Unnötig ist hier zu untersuchen, ob die Definition der langdauernden Invalidität, wie sie der Entstehung des Rentenanspruchs nach der zweiten Variante zugrunde liegt, erschöpfend ist oder nicht).

Die Erwerbsunfähigkeit darf als bleibend vorausgesetzt werden, wenn der körperliche und geistige Gesundheitszustand des Versicherten sich ge-nügend stabilisiert hat, so daß voraussichtlich eine während der ganzen nach der Lebenserwartung normalen Aktivitätsperiode dauernde Arbeitsunfähig-keit besteht, welche auch durch Eingliederungsmaßnahmen nicht mehr völlig oder zumindest merklich verbessert werden kann. Wie die Rechtsprechung anerkannt hat, darf bei einem evolutiven Krankheitsprozeß dauernde Er-werbsunfähigkeit im Sinne der ersten Variante von Art. 29, Abs. 1, IVG in der Regel nicht angenommen werden. Bei der langdauernden Erwerbsunfähig-keit wird eine solche voraussehbare Dauer nicht vorausgesetzt. Nach Art. 29, Abs. 1, IVG darf auf dem Gebiete der Renten die zweite Variante als erfüllt gelten, wenn der Versicherte während ununterbrochen 360 Tagen voll arbeits-unfähig war. Im Falle eines evolutiven Krankheitsprozesses, der zwar von völliger Arbeitsunfähigkeit begleitet ist, aber doch in der Regel die Annahme von Dauerinvalidität im Sinne der ersten Variante nicht erlaubt, beginnt des-halb der Rentenanspruch unmittelbar nach Ablauf der 360tägigen Frist, vor-ausgesetzt, daß der Versicherte noch eine mindestens hälftige Erwerbsunfähig-keit erleidet. Deren weitere Dauer ist nicht maßgeblich (vgl. z. B. EVGE 1962, S. 353; ZAK 1963, S. 248, und die darin zitierte Rechtsprechung).

Im vorliegenden Fall war der Versicherte bereits bei Inkrafttreten der IV invalid; es darf deshalb nach Art. 85, Abs. 1, IVG angenommen werden, daß sein Rentenanspruch gemäß der zweiten Variante von Art. 29, Abs. 1, IVG am 1. Januar 1960 begonnen hat. Zu diesem Zeitpunkt war tatsächlich die Frist von 360 Tagen ununterbrochener völliger Arbeitsunfähigkeit — unter Anrechnung des Krankheitsverlaufs vor Inkrafttreten der IV (EVGE 1962, S. 357; ZAK 1963, S. 141, Erwägung 2) — abgelaufen, und es bestand weiterhin eine mindestens hälftige Erwerbsunfähigkeit. Anderseits hatte sich der Gesundheitszustand nicht derart stabilisiert, daß zu diesem Zeitpunkt eine Dauerinvalidität im Sinne der ersten Variante angenommen werden durfte, welche die vorherige Durchführung von Eingliederungsmaßnahmen und als deren Ergänzung die Gewährung von Taggeldern erfordern würde. In diesem Punkt ist daher die Berufung des BSV gutzuheißen.

b) Da der für die Ausrichtung einer Rente erforderliche Invaliditätsgrad während der ganzen im vorliegenden Verfahren maßgeblichen Periode fest-stand — dies geht aus den nachfolgenden Erwägungen unter Buchstabe c) hervor — folgt, daß sich entgegen der Annahme des BSV die Frage nach dem

Zeitpunkt der Entstehung eines Taggeldanspruchs gar nicht stellt. Für diese Periode besteht tatsächlich kein solcher Anspruch.

Nach dem Wortlaut von Art. 22,

Abs. 1, IVG

hat der Versicherte «wäh-rend der Eingliederung Anspruch auf ein Taggeld, wenn er an wenigstens drei aufeinanderfolgenden Tagen wegen der Eingliederung verhindert ist, einer Arbeit nachzugehen oder zu mindestens 50 Prozent arbeitsunfähig ist».

Ferner kann der Versicherte ein Taggeld beanspruchen für die der Durch-führung von Eingliederungsmaßnahmen vorangehende Wartezeit (Art. 22, Abs. 3, IVG) unter den in Art. 18 IVV gegebenen Bedingungen. — Weist der Versicherte gemäß dem zweiten Fall von Art. 22, Abs. 1, IVG eine min-destens hälftige Arbeitsunfähigkeit auf, wird nach der Rechtsprechung das Vorliegen eines Verhältnisses von Ursache und Wirkung zwischen der Durch-führung der Eingliederungsmaßnahmen und der Arbeitsverhinderung nicht vorausgesetzt (vgl. z. B. die Urteile F. J. vom 20. Januar 1961; ZAK 1961, S. 129, und E. K. vom 27. August 1962; ZAK 1963, S. 36).

Rentenbezüger befinden sich indessen in verschiedener Hinsicht in einer besonderen Lage: Nicht nur entzieht ihnen Art. 18, Abs. 3, IVV jeglichen Taggeldanspruch während der Wartezeit, sondern erkennt ihnen Art. 21, Abs. 4, DTV außerdem einen solchen Anspruch während der Eingliederung nur zu, «wenn sie vor der Eingliederung erwerbstätig waren», wobei für die Bemessung des Taggeldes «das letzte vor der Eingliederung erzielte Erwerbs-einkommen» maßgebend ist. Diese Erwerbstätigkeit muß nach Art. 21, Abs. 4, IVV unmittelbar vor der Eingliederung ausgeübt worden sein, und es ist anzunehmen oder mindestens zu vermuten — dies ergibt sich aus der Logik des Systems, da die bestehende Arbeitsunfähigkeit durch die Ausrichtung einer Rente kompensiert wird —, daß deren Ausübung wegen der Durchfüh-rung der EingliedeDurchfüh-rungsmaßnahmen behindert wird. Hieraus folgt, daß im zweiten Fall des Art. 22, Abs. 1, IVG die Gewährung von Taggeldern einer-seits denjenigen Versicherten vorbehalten bleibt, die keine Rente beziehen und Rentenbezügern nur, wenn sie den besondern, oben dargelegten Voraus-setzungen des Art. 21, Abs. 4, IVV genügen. Art. 28, Abs. 1, IVV, nach dessen Wortlaut «der Rentenanspruch nicht entsteht, solange der Versicherte sich Eingliederungsmaßnahmen unterzieht oder auf die Durchführung angeordne-ter Maßnahmen wartet», kann in denjenigen Fällen keine Geltung besitzen, in denen der Rentenanspruch, zumindest wenn er auf Grund der zweiten Variante von Art. 29, Abs. 1, IVG entstanden, schon früher begonnen hat.

Im vorliegenden Fall besitzt der Versicherte einen Rentenanspruch ab 1. Januar 1960 nach der zweiten Variante von Art. 29, Abs. 1,

IVG.

Infolge-dessen kann er während der der Eingliederung vorangehenden Wartezeit nicht auf Taggelder Anspruch erheben; diese Wartezeit endete mit der Lieferung der ersten Prothese ausländischer Herstellung im Dezember 1960. Es ist deshalb unnötig abzuklären, welches sonst die Auswirkungen der außer-ordentlich langen Frist zwischen Leistungsgesuch und Verwaltungsbeschluß gewesen wären (vgl. hierzu EVGE 1963, S. 73 und 78; ZAK 1963, 385 und 506).

Der Versicherte hat aber auch keinen Anspruch auf Taggelder während der Durchführung der Eingliederungsmaßnahmen, da er anscheinend — nach

seiner eigenen Darstellung — seit seinem Unfall vom 7. November 1955 bis Herbst 1962 keine Erwerbstätigkeit ausübte. Endlich finden sich bei ihm die Voraussetzungen zum Bezug der Rente während der ganzen für das vor-liegende Verfahren maßgeblichen Zeit aufrechterhalten.

c) Am 1. Januar 1960, dem Zeitpunkt des Rentenbeginns, hat sich der Versicherte aller Wahrscheinlichkeit nach auf die Meisterprüfung vorbereitet.

Die Tatsache, daß er es vor der Einführung der IV vorgezogen hat, seine berufliche Ausbildung zu vervollkommnen und keine andersgeartete Tätig-keit — sofern man ihm eine solche überhaupt hätte zumuten können — aus-zuüben, vermag seine Rechte nicht zu schmälern. Zu dieser Zeit ließ sich anderseits voraussehen, daß der Versicherte, sobald er einmal im Besitze einer passenden Prothese und an deren Gebrauch gewöhnt war, zur Wieder-aufnahme seiner Berufstätigkeit durchaus imstande sein würde. Die IV-Regionalstelle bestätigt in einem späteren Bericht vom 20. September 1961, daß die erworbene Ausbildung es dem Versicherten erlaubte, eine fast normale Wettbewerbsstellung in seinem Beruf zurückzuerlangen. Allgemein ist da-gegen anerkannt worden, daß seine Erwerbsfähigkeit v o r Anschaffung der Prothese gleich null war. Vernünftigerweise konnte man deshalb unter diesen Umständen dem Versicherten, der die Lieferung seiner Prothese erwartete und mit der baldigen Wiederaufnahme seiner Tätigkeit in seinem ange-stammten Beruf rechnete, nicht zumuten, daß er sich in der Zwischenzeit einer andern Tätigkeit zuwende. Man darf auch nicht behaupten, daß der Versicherte durch die Weigerung, sich solchen beruflichen Maßnahmen zu unterziehen, sich jeglichen Anspruchs auf Geldleistungen der IV begeben hätte; eine solche Annahme wird von der IV-Regionalstelle deutlich wider-legt. Es ist daher anzunehmen, daß der Versicherte am 1. Januar 1960 eine Invalidität von mindestens zwei Dritteln aufwies und diese ihm infolgedessen einen Anspruch auf eine ganze Rente gab.

Es fragt sich nun noch, bis zu welchem Zeitpunkt ihm dieser Anspruch zustand. Nach der im ärztlichen Gutachten vom 20. Februar 1963 vertretenen Ansicht schätzte die erste Instanz den ab 1. April 1961 verbleibenden Inva-liditätsgrad auf nicht mehr als 40 Prozent. Es dürfte tatsächlich feststehen, daß sich der Versicherte zu diesem Zeitpunkt weitgehend an die im Dezember 1960 gelieferte passende Prothese gewöhnt hatte und imstande gewesen wäre, eine zumindest teilweise Tätigkeit in seinem Beruf wieder aufzunehmen. Dies geht auch aus dem objektiven Bericht des behandelnden Arztes vom 16. Mai 1961 hervor, wenn dieser Praktiker auch andere Folgerungen daraus zog.

Daß der Versicherte — wie er selbst hervorhebt — in der Folge sich an die zweite Prothese gewöhnen mußte, die er im Oktober 1961 erhielt, ist in dieser Hinsicht unwichtig. Es muß daher angenommen werden, daß nach dem 31. März 1961 eine Invalidität von zwei Dritteln oder mehr nicht weiterbe-standen hat und mit diesem Datum infolgedessen der Anspruch auf eine ganze Rente erlosch.

Wenn man in Betracht zieht, daß der Versicherte, bis er endlich mit einer passenden Prothese ausgerüstet war, sehr lange untätig geblieben war, kann man immerhin Zweifel hegen, ob seine Erwerbsfähigkeit schon am 1. April 1961 den Umfang erreicht hat, den ihm der ärztliche Bericht vom 20. Februar 1963 auf lange Sicht rückwirkend zuschreibt. Der Bericht des

behandelnden Arztes vom 16. Mai 1961 weist darauf hin, daß die Prothese zwar gut vertragen werde, aber doch noch eine schmerzhafte Reaktion im Bereich der erschlafften Stumpfgewebe verursache, und daß dazu Hüft-schmerzen aufträten. Sowohl der Bericht der IV-Regionalstelle vom 20. Sep-tember 1961 als auch die von der ersten Instanz angeordnete Untersuchung stimmen ebenfalls mit der Ansicht überein, daß die völlige Wiederaufnahme der beruflichen Tätigkeit dazumal kaum im Bereich des unmittelbar Mögli-chen lag. Im Zeitpunkt ihres Beschlusses, am 27. November 1961, hätte des-halb die kantonale IV-Kommission ohne sich dem Vorwurf der Willkür aus-zusetzen, weiterhin eine mindestens hälftige Invalidität annehmen und dem Versicherten für die Zeit vom 1. April 1960 bis 31. März 1961 einen Anspruch auf eine halbe Rente zuerkennen dürfen, unter Wahrung seiner Rechte für die nachfolgende Zeit. Die Billigkeit erheischt, daß sich das Gericht zu dieser Lösung bekennt.

Urteil des EVG vom 13. Juli 1964 i. Sa. A. H.

Art. 29, Abs. 1, IVG und Art. 29 IVV. Die 360tägige volle Arbeits-unfähigkeit ist nur dann unterbrochen, wenn die Arbeit an insgesamt mehr als 30 Tagen, wenn auch nur teilweise, aufgenommen wurde, wobei Sonn- und Ruhetage nicht zu zählen sind.

Die 1930 geborene Versicherte litt an Lungentuberkulose. Seit 5. Mai 1962 war sie gänzlich arbeitsunfähig. Am 15. November 1962 nahm sie die Arbeit halbtags wieder auf. Am 18. Dezember 1962 erlitt sie durch einen Sturz in ein Schwimmbassin eine Beckenfraktur. Noch während der dadurch verursachten Arbeitsunfähigkeit wurde am 16. Februar 1963 ein neues Rezidiv der Lungen-tuberkulose festgestellt. Im Mai 1963 erklärte ein Arzt, die Arbeitsunfähig-keit werde noch einige Monate dauern.

Mit Verfügung vom 12. Juli 1963 wurde das Rentengesuch zur Zeit ab-gewiesen, da keine bleibende Erwerbsunfähigkeit vorliege, und eine 360tägige ununterbrochene und gänzliche Arbeitsunfähigkeit noch nicht gegeben sei.

Die 360tägige Frist habe erst am 18. Dezember 1962 zu laufen begonnen. In ihrer Beschwerde machte die Versicherte geltend, sie habe in der Zeit vom 15. November bis 18. Dezember 1962 halbtagsweise nur von Montag bis Frei-tag, also insgesamt nur an 24 Tagen gearbeitet. Die kantonale Rekurskom-mission hieß die Beschwerde gut und sprach der Versicherten eine IV-Rente seit Mai 1963 zu. Die hiegegen erhobene Berufung der Ausgleichskasse wies das EVG mit folgender Begründung ab:

1. Gemäß Art. 29, Abs. 1, IVG entsteht der Rentenanspruch, sobald der Versicherte mindestens zur Hälfte bleibend erwerbsunfähig geworden ist (erste Variante) oder während 360 Tagen ununterbrochen voll arbeitsunfähig war und weiterhin mindestens zur Hälfte erwerbsunfähig ist (zweite Va-riante). Bleibend gemäß der ersten Variante ist die Erwerbsunfähigkeit grund-sätzlich nur dann, wenn sie auf einen überwiegend stabilisierten Zustand zu-rückgeht; ein labiler Gesundheitsschaden, wie er bei der Versicherten gegeben war, begründet dagegen in der Regel keine bleibende Erwerbsunfähigkeit.

Demzufolge stellt sich hier lediglich die Frage, ob ein Rentenanspruch im Sinne der zweiten Variante von Art. 29, Abs. 1, IVG entstanden sei.

2. Den Akten läßt sich entnehmen, daß die Versicherte vom 5. Mai 1962 bis 15. November 1962 und wiederum vom 18. Dezember 1962 jedenfalls bis in den Sommer 1963 voll arbeitsunfähig war. Ein Rentenanspruch ist somit

2. Den Akten läßt sich entnehmen, daß die Versicherte vom 5. Mai 1962 bis 15. November 1962 und wiederum vom 18. Dezember 1962 jedenfalls bis in den Sommer 1963 voll arbeitsunfähig war. Ein Rentenanspruch ist somit

Im Dokument Jahrgang 1965 ZAK (Seite 45-68)