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Ein Vergleich von Ordnungsvorstellungen in der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts

Im Dokument DigiOst – Band 2 (Seite 30-33)

(1648-1721) und der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts (1848-1921)

Hans-Jürgen Bömelburg

Ein diachroner Vergleich katholischer Ordnungsvorstellungen in Polen zwischen der zweiten Hälfte des 17. und der zweiten Hälfte des langen 19. Jahrhunderts ist bislang nicht unternommen worden. Bisher überwogen in der zu einem erheblichen Teil kir-chenhistorisch dominierten Forschung entweder ein stärker „essentialistischer“ oder ein „genetischer“ Ansatz. In ersterem wurden als parallel oder sogar identisch aufge-fasste konfessionskulturelle Prozesse wie der Ausbau und die Stärkung eines katholi-schen konfessionellen Milieus im 17. und im 20. Jahrhundert durch die nicht mehr hinterfragbare Interpretation gedeutet, wonach Polen als europäisches Zentrum des Katholizismus historisch „immer“ ein Hort und Zentrum katholischer Ordnungsvor-stellungen gewesen sei. Ein solcher Ansatz liegt unterschwellig der polnischen katholi-schen Kirchengeschichtsschreibung zugrunde, etwa auch der verdienstvollen und bis heute in vielen Bereichen nicht überholten „Geschichte der katholischen Kirche in Polen“.1

Zweitens dominierten genetische Erklärungsversuche, die zwischen retrospektiv als „Messianismus“ definierten Auserwähltheitsvorstellungen der polnischen Nation im 17. und dem auch begriffsgeschichtlich gut fassbaren „Messianismus“ des 19. Jahr-hunderts einen unmittelbaren Kontinuitätsbogen entwarfen: Ältere Vorstellungen sei-en im 19. Jahrhundert wiederaufgsei-enommsei-en und ausdiffersei-enziert wordsei-en, so dass das 17. als Vorgeschichte des 19. Jahrhunderts erscheinen könne – so etwa Stanisław Ujej-ski 1931 in seiner breit rezipierten „Geschichte des polnischen Messianismus“.2 Dieser Ansatz ist auch deshalb problematisch, weil die in der polnischen Romantik entwi-ckelten Vorstellungen eines „Messianismus“ kanonisch durch die hochromantischen Nationaldichter (Adam Mickiewicz, Juliusz Słowacki, Cyprian Kamil Norwid) geprägt wurden und seitdem in der polnischen Kulturgeschichte mit einem umfangreichen Set von Texten und Geschichtsmythen dominierten, die dann anachronistisch ins 17.

Jahrhundert zurückgedeutet wurden.3

Dieses enge Verweissystem zwischen 17. und 19. Jahrhundert wurde bereits im polnischen nationalen Literaturkanon des 19. Jahrhunderts tief verankert: Insbeson-dere die Trilogie von Henryk Sienkiewicz4 (1846–1916) baute im letzten Viertel des 19. Jahrhunderts systematisch einen Verweisrahmen zwischen der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts und dem 19. Jahrhundert auf, in dem Katholizität und katholische Ordnungsvorstellungen als nicht mehr hinterfragbarer Referenzrahmen polnischer Geschichte aufgefasst wurden. Dabei wurde die komplexe Geschichte der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts in ihren Akzentuierungen und Wertungen den nationalen und politischen Bedürfnissen des späten 19. Jahrhunderts vollständig untergeordnet.

Der folgende Versuch bemüht sich dagegen um einen möglichst symmetrischen Vergleich, wobei beide Epochen ernst genommen werden und es keinesfalls um Kon-tinuitätslinien geht. Zwischen beiden Epochen liegt schließlich das späte 18. und frühe

2 Ujejski: Dzieje polskiego mesjanizmu; dazu Chrzanowski: Uwagi.

3 Zu einem modernen und vergleichenden Blick auf die politische Romantik in Polen vgl.

Lawaty: Zur romantischen Konzeption.

4 Die Werke „Ogniem i mieczem“ (Mit Feuer und Schwert), „Potop“ (Die Sintflut) und

„Pan Wołodyjowski“ (Herr Wołodyjowski) erschienen ursprünglich als Fortsetzungsro-mane in Zeitschriften und zwischen 1884 und 1886 auch in Buchform.

Bömelburg: Katholische Konfessionskulturen in Polen

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19. Jahrhundert, wo in der Forschungsmeinung durchaus auch für die polnischen Ter-ritorien von einer „Dechristianisierung“ gesprochen werden kann.5 Eventuelle Repri-sen im 19. Jahrhundert stehen in einem gänzlich anderen kulturellen und nationalen (polnische Reichsverfassung vs. Fehlen polnischer Staatlichkeit) Kontext und können keinesfalls genetisch, sondern lediglich als Aufnahmen eines nationalgeschichtlich und nationalkulturell verankerten Erzählungs- und Bildervorrats interpretiert werden.

Die im Titel genannten Zäsuren lassen sich durchaus ereignisgeschichtlich begründen – es geht dabei nicht um bloße „Zahlenmagie“: 1648 und 1848 stehen für Niederlagen und Krisen einer zeitlich sehr unterschiedlich definierten polnischen

„Staatlichkeit“. Der Kosakenaufstand und der Bürgerkrieg in der Ukraine ab 1648 sowie der Einmarsch schwedischer Truppen in Polen-Litauen lösten eine Kette bewaffneter Konflikte aus, die zeitweise das Ende des bisherigen polnisch-litauischen Staatsverbands zu bedeuten schienen. 1846 und 1848 scheiterten zum wiederholten Male alle Konzepte eines polnischen Nationalaufstandes, in Galizien und in der Pro-vinz Posen (Großpolen) dauerhaft bis zum Ersten Weltkrieg. Diese Niederlage brachte in Galizien konservative Politiker ans Ruder, in Großpolen setzte sich unter den Lan-deseliten eine Politik der inneren Konsolidierung durch, die in die „organische Arbeit“

mündete und eine Stärkung der gesellschaftlichen und zivilisatorischen Basis der pol-nischen Gesellschaft intendierte. Ein religiös und kulturell sich artikulierendes Krisen-bewusstsein war in beiden Epochen vorhanden und ist empirisch nachweisbar.6 Die Jahreszahlen 1721 (das Ende des Großen Nordischen Krieges und der Friede zu Nys-tad ) und 1921 (der polnisch-sowjetische Frieden zu Riga) stehen dagegen als Chiffren für das Ende lang anhaltender ausländischer Interventionen, eine erfolgreiche staat-lich-nationale Selbstbehauptung und die Rückkehr zu einer politischen Normalität.

Strukturell handelt es sich um die beiden Epochen der polnischen Geschichte, die am stärksten von außenpolitischen Interventionen anderskonfessioneller Mächte geprägt sind, seien es frühneuzeitlich das protestantische Schweden bzw.

Brandenburg-Preu-5 Rostworowski: Religijność i polityka; zu deistischen Auffassungen in der polnischen Spätaufklärung: Deszczyńska: „Historia sacra“.

ßen, die orthodoxen Kosaken oder der Moskauer Staat, seien es in der Moderne die nichtkatholischen Teilungsmächte Russisches Reich und Preußen-Deutschland.

Vergleichbar erscheinen die Durchsetzung katholischer konfessionskultureller Deutungen im polnischen Denken und andererseits die „Polonisierung“ des universel-len Katholizismus, die in letzter Konsequenz zur Gleichsetzung von nationaler polni-scher und universaler katholipolni-scher Geschichte führen konnten. Der Begriff der „Kon-fessionskultur“ wird dabei in Anlehnung an Thomas Kaufmann gebraucht.7 Der eben-falls verwandte Milieubegriff wird insbesondere in der Diskussion um das „katholi-sche Milieu“ des 19. Jahrhunderts zwi„katholi-schen deut„katholi-schen Kirchen- und Allgemeinhisto-rikern kontrovers diskutiert.8 Diese Diskussion kann hier nicht geführt werden, „Mili-eu“ eignet sich jedoch zur Beschreibung konfessionell katholisch geprägter Lebenswel-ten in der Frühmoderne wie im 19. Jahrhundert. Unterschiede und GemeinsamkeiLebenswel-ten zwischen beiden Epochen werden im Folgenden ohne Anspruch auf Vollständigkeit auf sechs Feldern beschrieben.

Im Dokument DigiOst – Band 2 (Seite 30-33)