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Nationaler Heiligenkult

Im Dokument DigiOst – Band 2 (Seite 36-42)

Der an der Krakauer Universität tätige Piotr Jacek Pruszcz (1605–nach 1667) verfasste um 1660 eine Sammlung, in der ein Abriss der Nationalgeschichte und der Herrscher-folge der polnischen Könige mit einer hagiografischen Sammlung „unserer polnischen Schutzheiligen“ („nasi Polscy Patronowie“) verbunden wurde.17 In der Darstellung bei Pruszcz setzte mit der Schilderung der Christianisierung ein Konstruktionsschema ein, das im Folgenden durchgehalten wurde: Nacheinander und in kanonisierter chro-nologischer Reihenfolge wurden die wichtigsten Ereignisse aus der Regierungszeit 15 „[…] jest potrzebny jak kolor pierwotny w świecie, jak ton w akordzie, jak litera w słowie […Polska] nie zginęła i tylko chodzi o chwilę wskrzeszania […] od Polaków zależy chwi-lę zmartwychstania Ojczyzny przyspieszyć albo opóźnić“. Jan Koźmian 1848, zit. nach Matusik: Religia i naród, 137.

16 Zahlreiche Hinweise bei Scholz: Der deutsche Katholizismus, 178-199.

17 Pruszcz: Forteca duchowna, hier Vorrede (unpaginiert); zum Autor: Polski Słownik

Bio-jedes Herrschers und die Viten und Taten der wichtigsten Nationalheiligen vorgestellt.

Insgesamt entstand durch diese Parallelisierung eine enge Verquickung von nationaler Geschichte und polnischer Hagiografie. Unterstützt wurde dieses Konzept durch die wiederholte Nennung von Heiligen und „heiligmäßigen“ Personen im Umkreis der Herrscherfamilie, die Aufnahme zahlreicher höherer Kleriker sowie durch die Hervor-hebung von geistes- und kulturgeschichtlich wichtigen Katholiken. Nicht in dieses Bild passende protestantische Persönlichkeiten wurden dagegen übergangen.

Die zeitgenössisch als Patrone, Schutzherren und Wächter des Königreichs Polen („patronus et tutelarius Regni, Regni Poloniae custodes, Sancti Regni huius patroni“) bezeichneten Nationalheiligen wurden in Predigten angepasst an adlige Staatsvorstel-lungen zu „himmlischen Staatsbürgern“ („niebiescy obywatele“)18 und Kopatrioten.

Publizistisch wirkten insbesondere die Zyklen männlicher und weiblicher „polnischer Schutzpatrone“, die in Anlehnung an Piotr Skargas Sammlung wiederholt erschienen.

Im Umfeld der Krakauer Universität gab es Bemühungen, einen Kult der Nationalhei-ligen zu entwickeln und in gewisser Hinsicht zu systematisieren. Als repräsentatives Beispiel kann das 1697 von dem mehrfachen Rektor Sebastian Piskorski (1636–1707) herausgegebene „Pantheon“ der Nationalheiligen gelten, in dem die Heiligenpanegyrik verschiedener Krakauer Autoren erschien:19 In einer hierarchisierten Reihenfolge wurden etwa 35 polnische Nationalheilige angeordnet, wobei in den einzelnen pane-gyrischen Gedichten der nationale Bezug deutlich angesprochen wurde. An der Spitze standen Maria und der Erzengel Michael, gefolgt von den aus dem Mittelalter überlie-ferten Schutzpatronen, den hll. Adalbert-Wojciech, Stanisław, Wenzel-Wacław und Florian, dem Schutzherrn des christlichen Soldaten, der im Kontext der „antemurale christianitatis“-Konzeption eine Rolle spielte. Daran schloss sich der hl. Kazimierz als fünfter Nationalheiliger und monarchischer Schutzherr sowie die frühen Märtyrerfi-guren (Jacek Odrowąż, die fünf Märtyrer, die Eremiten Andrzej Świerad und Bene-dikt, Brun-Bonifatius bzw. Bruno Prussiae) an. Schließlich folgten regionale (hl. Josa-fat Kuncewicz, Gaudentius, Abt Sadoch und die Märtyrer von Sandomierz, Hedwig

18 Stefanowicz: Dzieło zbawienia. Bd. 2, 56.

19 Piskorski: Pantheon.

Bömelburg: Katholische Konfessionskulturen in Polen

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von Schlesien, Salomea, Dorothea von Montau „Pruthenae“) und ständische bzw.

Ordensheilige. Allerdings ist die Hierarchie zwischen den aus dem Mittelalter überlie-ferten Nationalheiligen (hl. Adalbert-Wojciech, Stanisław, Wenzel-Wacław, Florian), den neuen gegenreformatorischen sowie den regionalen und den ständischen Heiligen auf die gesamte Frühe Neuzeit gesehen schwankend.

Nach 1848 expandierte neben der Verehrung der nun auf zwei Personen zusam-mengeschrumpften Nationalpatrone – dem hl. Stanisław und dem hl. Adalbert 20 – vor allem der Herz-Jesu-Kult21 mit seiner Symbolik des Herzens und der Rhetorik hingebungsvoller Liebe und unbedingter Loyalität. Er bot eine Frömmigkeit, die der Befestigung der Autorität der Kirche und des katholischen Klerus dienen konnte.

Nach der Wiedererrichtung des polnischen Staates und während des polnisch-sowjeti-schen Krieges im Juli 1920 weihte der polnische Episkopat die Nation dem Herzen Jesu.22

Vergleicht man die nationalen Heiligenkulte diachron, so wird in der Moderne der stärkere Einfluss supranationaler katholischer Heiligenkonzepte deutlich: Der Herz-Jesu-Kult findet sich in allen europäischen katholischen Gesellschaften,23 eine polnische Spezifik ist mit Ausnahme des Weiheaktes von 1920 wenig ersichtlich. Aller-dings ist hier eine geschichtspolitisch motivierte Kontinuität von nationalen Weiheak-ten zwischen dem 17. und dem 20. Jahrhundert unverkennbar: Erst der im 19. Jahr-hundert durchgreifend politisch aufgeladene Lemberger Weiheakt von 1656 bot die Folie und die Handlungsanweisungen, die den Weiheakt 1920 nahelegen.

20 Dzieje teologii katolickiej. Bd. 3, 7-24; Olszewski: Polska kultura religijna, 184, 201-205.

21 Busch: Frömmigkeit.

22 Pest: Kardynał Edmund Dalbor, 140f., 382, (am 27.7.1920).

Marienkult

Als typologischer Sonderfall der Etablierung eines Kanons von Nationalheiligen kann der Marienkult angesehen werden.24 Er ist für die katholische Konfessionskultur Polens von herausgehobener Bedeutung und wurde in der bisherigen Darstellung bereits mehrfach gestreift. Der polnische Königshof beschloss nach west- und mittel-europäischen Vorbildern (Bayern, Frankreich) in der militärisch ausweglos erschein-enden Situation 1655/56 den Marienkult für eine Mobilisierung der Bevölkerung zu nutzen. Eine neue Symbolik und Terminologie sowie eine den Marienkult fördernde Geschichtsschreibung sollten diesem Ziel dienen. In einem symbolisch aufgeladenen Staatsakt wurde diese neue Interpretation inszeniert: Am 1. April 1656 wurde in Lem-berg in einem nach dem Muster der Königswahlen und pacta conventa eingerichteten Votum des Königs Maria zur Patronin und Königin Polens erwählt.25 Diese an den gegenreformatorischen Marienkult anknüpfende nationale Integration der Marienfi-gur gewann mit der inszenierten politischen Anrufung und deren Bekanntmachung im ganzen Staatsverband neues Gewicht.

Spezifisch war dabei die Übernahme polnischer Verfassungsverfahren durch die Betonung des Elements der Wahl und des Votierens, argumentativer Figuren, die sich in der zeitgenössischen polnischen Marianologie wiederfinden. Die spätere Überset-zung ins Polnische als „Lemberger Gelöbnisse“ (Śluby lwowskie) blendet diesen Wahl-akt zugunsten der Hervorhebung des religiösen Gelöbnisses aus.26 Andererseits ist die Rolle Marias als „Königin Polens“ mit deren Position als Schutzherrin in Bayern,

24 Prosopografische Einführung: Bracha: Zarys historii mariologii; Kopeć: Uwarunkowa-nia; Wyrwas: Dzieje kultu. Die umfangreiche ältere Marienliteratur ist bei Bruchnalski:

Bibliografia mariologii polskiej, hier Bd. 2,1, 1-314, verzeichnet. Als Einführung kann das Lemma „Polen“ von Aleksandra Witkowska u. Ryszard Knapiński in: Bäumer / Scheffczyk (Hg.): Marienlexikon. Bd. 5, 260-266 dienen.

25 „Ingrossatio votorum Serenissimi Joannis Casimiri Regis Poloniae et Senatorum“. Text bei Kordecki: Nova Gigantomachia, 153 und folgende. Darstellung: Śreniowski: Z zagad-nień ideologii, hier 241-243.

26 Śluby króla Jana Kazimierza […]. Lwów 1887.

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Frankreich, Portugal oder Ungarn vergleichbar. Sichtbar wird die gemeineuropäische Dimension eines von allen katholischen frühneuzeitlichen Staatlichkeiten geförderten Marienkultes. In vielen Bereichen (Patronat, Weihe- und Erwählungsakte) sind die Ähnlichkeiten frappant – als spezifisch erscheint in Polen jedoch die vertiefte Auffas-sung eines „Wahlaktes“, der aufgrund des adligen Freiheitsbegriffs in jeder Situation neu zu treffen ist, sowie die Auffassung von Maria als Garantin einer national gefass-ten „polnischen Freiheit“, die in den monarchisch induziergefass-ten Marienkulgefass-ten fehlte.

Nach 1848 wurde partiell auf frühneuzeitliche Bilder von Maria als „polnischer Königin“ – etwa in der Marienhymnik und an einigen Wallfahrtsorten – zurückgegrif-fen. Zugleich wurden jedoch neue Frömmigkeitsformen wie in den 1850er Jahren der Marienmonat Mai und die Maiandachten integriert, wobei die katholische Litanei mit

„Maria, Königin von Polen, bitte für uns!“ sowie die Bezeichnung als „Königin Polens“

von der preußischen wie russischen Zensur untersagt wurde – die beliebten Krönun-gen von Marienbildern (auch hier auf der Basis frühneuzeitlicher Vorbilder) konnten vor 1905 nur im österreichischen Galizien durchgeführt werden.27

Zugleich entstanden jedoch gänzlich neue Marienwallfahrtsorte wie etwa Diet-richswalde/Gietrzwałd im Ermland, wo – vergleichbar mit dem saarländischen Mar-pingen – im Kulturkampf die Muttergottes im Sommer 1877 einigen Mädchen und Frauen insgesamt 160-mal erschien und sie nach deren Aussagen auf Polnisch ansprach.28 Bereits im September 1877 sollen nach – sicher überhöhten – zeitgenössi-schen Schätzungen zwizeitgenössi-schen 100.000 und 300.000 Pilger nach Dietrichswalde gekom-men sein; ein Beleg für die Mobilisierungsfähigkeit, die Ängste und die Hoffnungen einer Bevölkerung, die dem Zugriff des säkularen und protestantischen preußisch-deutschen Staates ausgesetzt war. Für die modernen Marienwallfahrten gibt es im frühneuzeitlichen Polen trotz verschiedener Versuche einer Parallelisierung29 keine

27 Bender: Władze zaborcze.

28 Piskorska: Kult Matki Bożej Gietrzwałdzkiej; Obłąk: Objawienia Matki Boskiej w Gietr-zwałdzie; Hipler: Objawienia; Najświętsza Panna w Gietrzwałdzie. Ferner dazu: Olenhu-sen (Hg.): Wunderbare Erscheinungen.

29 Die vom Paulinerorden in Tschenstochau herausgegebene wissenschaftliche Zeitschrift

Vergleichsbasis: Das Marienheiligtum auf dem Hellen Berg bei Tschenstochau wurde in den 1860er Jahren von ca. 40.000, in den 1890er Jahren von ca. 125.000 und vor 1914 von bis zu fast 200.000 Pilgern besucht.30 Solche Pilgerzahlen – die im demogra-phisch vergleichbaren deutschen Katholizismus nur mit den im Abstand von einem halben Jahrhundert zum Heiligen Rock nach Trier organisierten Wallfahrten paralleli-siert werden können31 – erforderten neue Vergesellschaftungsformen in den Pfarrge-meinden, angefangen bei Vorbereitungskomitees bis hin zu einer Betreuung der Pilger vor Ort.32

Die moderne Marienfrömmigkeit stellte ein zentrales Verbindungsmoment zwi-schen Religiösität und Nation dar und bot Raum für einen symbolisch-konfessionel-len Diskurs über das, was als eigentümlich katholisch-polnisch aufgefasst wurde. Im Mai 1910 verkündigte der Priester – und spätere Erzbischof von Warschau – Antoni Szlagowski (1864–1956) während einer Predigt aus Anlass der erneuten Krönung des Bildes der Schwarzen Madonna:

„Nur so viel Polen gibt es – sage ich euch – wie viel es in uns Katholizismus gibt. Denn unsere Nation wuchs und erstarkte dank des katholischen Glaubens, aus diesem Glau-ben schöpft sie bis heute die leGlau-bensspendenden Säfte. Katholizismus ist also unser Leben, unsere Zukunft.“ 33

Pilgerwesen zum Tschenstochauer Mariensanktuarium in den Vordergrund zu rücken.

Allerdings wird hier sehr selektiv argumentiert; gut begründete Gegenposition mit der These einer nur begrenzten Anziehungskraft Tschenstochaus in der frühen Neuzeit:

Zakrzewski: W kręgu kultu maryjnego.

30 1864: 46.191, 1899: 337.507, 1910: fast 900.000; Zahlen nach Jabłoński: Jasna Góra.

31 Schieder: Kirche und Revolution, hier 422f.

32 Jabłoński: Przemiany w maryjnym ruchu, hier 113f. Ein Quantifizierungsversuch bei:

Adamczuk / Zdaniewicz (Hg.): Kościół katolicki, 224-233; zum zeitgenössisch gesehe-nen nationalen Charakter der Wallfahrten: Olszewski: Polska kultura religijna 197f.;

ähnlich Kałamajska-Saeed: Ostra Brama, 190-202.

33 „A tyle Polski, ile u nas katolickości, powiem. Na katolickiej bowiem Wierze naród nasz wzrósł i zmężniał, z katolickiej też Wiary czerpie dotąd ożywcze soki dla siebie. Katoli-cyzm więc to nasze życie, to nasza przyszłość.“ Szlagowski: Mowy narodowe, 15; vgl.

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Insgesamt zeigt der Vergleich des Marienkults ebenfalls einen differenzierten Befund:

Vergleichbar ist die nationale Aufladung des Marienkultes vor der Folie der supranati-onalen katholischen europäischen Marienfrömmigkeit, spezifisch jedoch im 19. Jahr-hundert die Mobilisierung von Gläubigen zu den Marienwallfahren. Dagegen ist früh-neuzeitlich eine mobilisierende Wirkung des Marienkults zwar vielfach postuliert wor-den, aber nicht quantifizierbar.

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