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Konzepte religiöser Koexistenz in der Rzeczpospolita

Im Dokument DigiOst – Band 2 (Seite 170-174)

Der lokalgeschichtlichen Untersuchung vorausgeschickt seien zwei Thesen im Hin-blick auf die staatliche Religionspolitik: Zum einen befassten sich Krone und Sejm mit dem Rechtsstatus der einzelnen Konfessions- und Religionsgemeinschaften nur selek-tiv und griffen in die Beziehungen zwischen ihnen lediglich ein, wenn sie die Stabilität des politischen oder ökonomischen Systems gefährdet sahen. Zum andern blieben Regelungen zentraler Institutionen mit dem Erstarken des Adelsstandes auf der loka-len Ebene oft ohne Wirkung.

Die Jagiellonen-Monarchie wurzelte zwar in der Annahme des lateinischen Christentums durch den paganen litauischen Großfürsten Jagiello im späten 14. Jahr-hundert, doch nahm sie im Zuge ihrer territorialen Expansion die Koexistenz von katholischen Polen und Litauern mit griechisch-orthodoxen Ruthenen jenseits der Herrscherebene für gegeben. In den folgenden zwei Jahrhunderten wurde das religiöse Spektrum im Zuge der Kolonisierung vor allem um Deutsche, Juden und Armenier erweitert;5 zudem brachte die Reformation in Polen-Litauen verschiedene protestanti-sche Gruppierungen hervor.6 Im Gegensatz zu den westlichen Nachbarstaaten, in denen religiöser Dissens in zermürbenden Kriegen und radikalen Ausweisungen eska-lierte, gelang es in Polen-Litauen, Spannungen zwischen den einzelnen Konfessions-und Religionsgemeinschaften durch politische Konfessions-und rechtliche Regelungen weitgehend zu neutralisieren.7 Da nicht allein unterschiedliche Konfessions- und Religionsge-meinschaften involviert waren, sondern auch unterschiedliche Stände, lagen die Lösungsansätze auf mehreren Ebenen.

Michael G. Müller hat in diesem Zusammenhang zwei Modelle des Tolerierens von Nichtkatholiken unterschieden: zum einen das individuelle, ausschließlich Adlige betreffende, zum andern das kollektive, auf verschiedene Gruppen Nichtadliger

ausge-5 Müller: Protestant confessionalisation, hier 264.

6 Schramm: Der polnische Adel, 27-161.

legte.8 Die Tolerierung nichtkatholischer Bekenntnisse im Adel reichte bis ins frühe 15. Jahrhundert zurück, als die griechisch-orthodoxen Bojaren in Litauen und Rotreu-ßen als Folge politischer Verhandlungen zwischen Krone und Großfürstentum diesel-ben Standesprivilegien wie Angehörige des katholischen polnischen und litauischen Adels erhielten.9 Im Grunde wurde jeder einzelne in seiner Qualität als Kriegsführer und Angehöriger der regionalen Elite mit den Adelsprivilegien der Krone ausgestattet.

Noch deutlicher trat das Konzept der individuellen Tolerierung in der Reformations-zeit zutage. Der politisch erstarkte Adel suchte nach einem Weg, die widerstreitenden konfessionellen Gruppen in seinen Reihen zu einigen, um den ständischen Zusam-menhalt zu sichern. Zunächst erarbeiteten protestantische Theologen und weltliche Kirchenpatrone 1570 auf der Synode in Sandomierz einen minimalen Konsens zwi-schen Böhmizwi-schen Brüdern, Calvinisten und Lutheranern.10 Auf dieser Grundlage garantierte der Warschauer Konföderationsreichstag 1573 Religionsfreiheit als Bestandteil der adligen Grundrechte. Damit war in der politischen Verfassung der Rzeczpospolita politische Kooperation innerhalb des Adels losgelöst von konfessionel-ler Zugehörigkeit. Die Notwendigkeit, die religiös heterogenen Eliten in den dynasti-schen Staat zu integrieren, wurde somit zur Basis religiöser Tolerierung11 oder präzi-ser: der Bereitschaft, religiöse Zugehörigkeit aus der politischen Sphäre auszublenden.

Die Tendenz zur ‚Entkirchlichung‘ des Politischen zeigte sich auch in der Ver-schiebung gerichtlicher Kompetenzen: Auf Druck des Adels gingen im Laufe der 1550er Jahre Gerichtsprozesse, die religiösen Konflikt – etwa Häresie, Apostasie, Blas-phemie und Sakrileg – verhandelten, von kirchlichen an weltliche Gerichte über.12 Damit eröffnete sich die Option, den bedingungslosen Wahrheitsanspruch der katho-lischen Kirche durch jeweils auszuhandelnde, von sozialen, politischen und ökonomi-schen Umständen abhängige Praktiken des Tolerierens abzulösen. Diesem Wandel

8 Müller: Protestant confessionalisation, 265.

9 Janeczek: Ethnicity, 33-36.

10 Müller: Der Consensus Sendomirensis, hier 399-401.

11 Müller: Toleranz vor der Toleranz, 67-71; Tazbir: Geschichte der polnischen Toleranz, 53-54.

12 Teter: Crime and Sacred Spaces, hier 171.

Kleinmann: Rechtsinstrumente in einer ethnisch-religiös gemischten Stadtgesellschaft

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zugrunde lag der Gedanke, dass ein königliches Gericht, ein städtisches Schöffenge-richt oder ein Magnat je nach politischem und wirtschaftlichem Kontext eine flexible-re Vorstellung flexible-religiöser Koexistenz vertrat als katholische Theologen.

Abgehoben vom individuellen Modell adliger Religionsfreiheit und transkonfes-sioneller Elitenbildung kristallisierte sich im Laufe der Stadtentwicklung durch deut-sche, jüdische und armenische Siedler, ein kollektives Modell religiöser Tolerierung heraus. Es umfasste unterschiedliche Gruppen von Nichtkatholiken, deren Rechtssta-tus nur teilweise normativ formuliert war. Das ihnen zugesprochene Maß an Religi-onsfreiheit stand in unmittelbarer Abhängigkeit von Gruppengröße, sozialem sowie ökonomischem Gewicht und war von Ort zu Ort auszuhandeln.13

Am deutlichsten treten in den Quellen rechtliche Regelungen im Hinblick auf die jüdische Bevölkerung hervor: Schon 1264 wurde das Privileg von Kalisz für die Juden von Großpolen als erstes Generalprivileg eines polnischen Fürsten formuliert.14 Es stellte sie kollektiv unter den Schutz des Landesherrn, legte ihrer Steuer- und Dienst-pflichten fest, bestimmte die Modalitäten ihrer Niederlassung sowie den Radius ihrer wirtschaftlichen Aktivitäten, gewährte ihnen freie Religionsausübung sowie den Auf-bau von Gemeinden und etablierte Grundregeln für die Beziehungen zwischen Juden und Christen.15 Entsprechende Privilegien wurden in leicht modifizierter Form im 14.

Jahrhundert für die Juden der Krone Polens und des Großfürstentums Litauens ausge-stellt. Neben diesen Generalprivilegien vergaben König und Großfürst im Interesse einer genaueren geographischen Differenzierung seit dem 14. Jahrhundert auch Regi-onal- und Gemeindeprivilegien.16

Zwei politische Entwicklungen veränderten die jüdische Siedlungsstruktur seit dem späten 16. Jahrhundert grundlegend. Zum einen stiegen einige Angehörige des mittleren Adels durch Kronämter, Heiratspolitik und Landkauf zu Magnaten auf. Vor allem in den östlichen Teilen der Rzeczpospolita beherrschten sie immer größere

Län-13 Müller: Protestant confessionalisation, 265.

14 Kodeks Dyplomatyczny Wielkopolski. Bd 1, 563-566 (Nr. 605).

15 Goldberg: Jewish Privileges. Bd 1, 2-6.

dereien und betrieben eine aktive Kolonisierungspolitik.17 Zum andern gerieten jüdi-sche Einwohner der Kronstädte Groß- und Kleinpolens durch das konkurrierende christliche Bürgertum und katholische Geistliche immer stärker unter Bedrängnis.18 Einige wurden kollektiv ausgewiesen,19 andere sahen sich nach attraktiveren Nieder-lassungsbedingungen um. Infolge dieser strukturellen Veränderungen verschob sich der Siedlungsschwerpunkt der polnischen Judenheit von den Kronstädten in die zahl-reichen Privatstädte der Magnaten,20 so auch nach Rzeszów . Sukzessive verloren die königlichen Generalprivilegien an Bedeutung, und 1539 büßte der König die Rechts-autorität über die jüdische Bevölkerung auf Adelsland gänzlich ein, so dass deren Repräsentanten künftig mit dem jeweiligen Magnaten die Bestätigung oder auch Erweiterung alter Privilegien aushandelten.21 Gemeinsam jedoch war allen Privilegien eines: Sie garantierten einem Kollektiv Rechte und Freiheiten, nicht wie im Falle des Adels einem Individuum. Jeder Jude und jede Jüdin gehörte der jeweiligen lokalen jüdischen Gemeinde an, wurde politisch, ökonomisch und rituell fast ausschließlich in Abhängigkeit von ihr wahrgenommen.22

Mit dem Schwinden des königlichen Einflusses auf Gütern der Szlachta hing der Rechtsstatus von Nichtkatholiken außerhalb des Adelsstandes zunehmend von regio-nalen und lokalen Autoritäten ab. Ähnliches galt für die Regelung der rechtlichen, sozialen und ökonomischen Beziehungen zwischen Angehörigen unterschiedlicher Religionsgemeinschaften. Weder die Koexistenzregelungen für den Adel der Rzeczpo-spolita noch die königlichen Privilegien für die jüdische Bevölkerung waren für Pri-vatstädte wie Rzeszów relevant. Daher avancierte die adlige Grundherrschaft, insbe-sondere ihre städtischen Zentren, zu einer dritten Arena, in der verschiedene rechtstif-tende Personen und Institutionen Grundregeln religiöser Koexistenz aushandelten. Im

17 Mączak: Zur Grundeigentumsstruktur, hier 126-129; Bömelburg: Die Magnaten, hier 121-122.

18 Heyde: Żydzi, hier 324-326; Węgrzynek: The Legislation, hier 504-508.

19 Das Beispiel Krakau beschreibt Balaban: Dzieje żydów. Bd. 1, 21-54.

20 Siehe die Fallstudien von Rosman: The Lords' Jews; Hundert: The Jews.

21 Kaźmierczyk: Żydzi, 7.

22 Goldberg: Jewish Privileges. Bd 1, 8-9, 11.

Kleinmann: Rechtsinstrumente in einer ethnisch-religiös gemischten Stadtgesellschaft

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Folgenden untersuche ich anhand ausgewählter Rechtsinstrumente der adligen Grundherren, der christlichen Rechtsstadt und der jüdischen Gemeinde, wie die ver-schiedenen Autoritäten in Rzeszów die Gegebenheit religiöser Heterogenität in politi-sches Handeln umsetzten.

Rechtsinstrumente der Grundherren: Privilegien

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