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Eidesrituale oder Wie verpflichtet man Christen und Juden auf die städtische Verfassung?

Im Dokument DigiOst – Band 2 (Seite 187-192)

Im Alltag der Privatstadt stellte sich zunächst die Frage, wie Angehörige unterschiedli-cher Religionszugehörigkeit Treue und Gehorsam gegenüber dem Stadtherrn und der 70 APRz, AmRz, sygn. 27, 67-68.

71 Diese manifestierte sich in einer starken katholischen Öffentlichkeit, die durch Klöster, Bildungsinstitutionen, den Marienkult und nicht zuletzt den katholischen König geprägt war. Bömelburg: Politische Öffentlichkeit. In Rzeszów selbst zahlte die jüdische Gemein-de Gemein-den ortsansässigen Piaristen seit 1692 eine jährliche Steuer pro tolerantia in Höhe von 4.700 Złoty. APRz, 519: Archiwum Lubomirskich, sygn. 113, 12-12v.

72 APRz, AmRz, sygn. 4139: Mons Pietatis, 43-45.

73 APRz, AmRz, sygn, 27, 72.

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städtischen Verfassung glaubhaft versicherten. Das Bindeglied zwischen dem normati-ven Anspruch der Privilegien und der Rechtspraxis bildete der Eid. Er war die Grund-lage eines jeden politischen Vertrages: Durch die Anrufung Gottes wurde dieser zum Garanten der Wahrheit einer Aussage, eines Versprechens oder auch einer Verpflich-tung. Der Eid Leistende – gleich welcher Religion oder Konfession – verpfändete damit sein diesseitiges und jenseitiges Leben.74

Umstritten war jedoch im frühneuzeitlichen Polen, in welcher Form der Eid zu leisten sei, das heißt, welches Eidesritual und welche Eidesformel gelten sollten. Schon im späten 16. Jahrhundert berichtete Bartłomiej Groicki, dessen Übertragung und Kommentierung Magdeburger Rechts polnische Stadtgerichte über die gesamte Dauer der Rzeczpospolita konsultierten,75 von heftigen Auseinandersetzungen um den richti-gen Eid, die aus unterschiedlichen religiösen Anschauunrichti-gen unter Christen entstan-den waren:

„So sind jüngst große Streitigkeiten unter den Leuten darüber aufgekommen, wie der-jenige, den man zum Eid aufruft, die zwei [ausgestreckten] Finger der rechten Hand zu halten habe. Die einen sagen, dass er sie zu einem Kreuz übereinander legen muss;

die anderen sagen, er müsse sie auf das Evangelium legen, und die dritten befehlen, sie in die Höhe zu strecken.“ 76

Groicki selbst hielt dergleichen Streit für überflüssig und wählte für seine weitere juristische Argumentation als extremes Beispiel den Eid jener Gruppen, die seine Zeit-genossen gemeinhin als Nichtchristen betrachteten:

74 Zur Bedeutung des Eides in der politischen Geschichte siehe Prodi: Der Eid, hier VII-VIII.

75 Bartłomiej Groicki (gest. 1605) hatte das Amt eines Schreibers am Krakauer Oberhof inne; entsprechend vertraut war er mit Problemen der Adaption deutschen Rechts an die polnische Praxis. Koranyi: Wstęp.

76 „Spory się dziś wielkie miedzy ludźmi wszczęły, jako ten, którego do przysięgi wiodą, dwa palca prawej ręki trzymać ma. Jedni powiadają, iż je na krzyżu winien położyć;

drudzy powiedają, iż na Ewangelijej; trzeci je każą podnieść wzgórę.“ Groicki: Tytuły

„Wenn ich jemanden zum Eid führen müsste, würde ich es vorziehen, dass er ihn auf jene Weise ablegt, die er [selbst] achtet, und nicht auf eine Weise, die ihm nichts bedeutet. […] Mithin soll man es überall so halten: Wenn ein angeschuldigter Ruthe-ne, Jude oder Türke den Eid leisten soll, so begnügt sich derjenige, der die Anklage erhebt, mit der [Eides]Form die jener Ruthene, Jude oder Türke üblicherweise gebraucht, achtet und fürchtet. Mag auch diese Form in den Augen des Anklägers nur lachhaft sein, wenn er sieht, wie der Ruthene an der Türkette der Kirche schwört, oder wie der Jude auf einer Schweinshaut77 oder beim Torah-Griff steht – so halte der Ankläger ihn nicht zu einer solchen Eidesform, zu einer solchen Zeremonie an, die ihm nichts bedeutet […]; auf dass sein Eid nach seinem Brauch, in seinen Augen guten Gewissens gerecht sei.“ 78

Im Kern behauptete Groicki, ausschlaggebend für die Wirksamkeit des Eides sei nicht der Standpunkt der Gerichtsgewalt, sondern jener des Eid Leistenden. Durch diese Umkehrung der Perspektive legitimierte er für die Städte nach deutschem Recht eine Pluralität von Eidesformeln und -bräuchen.

77 In dieser Passage erlag Groicki einem Irrtum: Üblicherweise wählten Juden in Polen-Litauen freiwillig entweder den so genannten kleinen Eid an der Synagogentür oder aber den großen Eid am Torah-Griff in der Synagoge. Der auf den Codex Justinianus zurück-gehende Eidschwur auf der Schweinshaut hingegen wurde ihnen als Demütigung von christlichen Autoritäten auferlegt. Siehe Kaźmierczyk: Żydzi w dobrach prywatnych, 122.

78 Ja, gdybym kogo na przysięgę przywieść miał, wolałbym, aby mi onego sposobu używał, który u niego jest ważny, aniż tego, którego sobie za nic nie ma. […] Przeto tak się wszę-dy pospolicie zachowuje: kiewszę-dy obżałowany Rusin, Żyd, Turczyn przysięgać ma, zawżwszę-dy ten, który na przysięgę instyguje, przestawa na tym sposobie, którego on Rusin, Żyd abo Turczyn używa, który sobie za ważny ma i boi się go. Choć on sposób u instygatora nic innego nie jest, jedno śmiech, gdy Rusina widzi, a on, jąwszy się u bożnice wrzeciądza, przysięga; Żyd na świniej skórze abo na rodale stoi – nie wiedzie go instygator do takie-go sposobu przysięgi, do takiej ceremonijej, która u nietakie-go nic nie waży […]; aby jetakie-go przysięga wedle sposobu jego, przed oczyma jego, w sumnieniu dobrym sprawiedliwa była.'' Groicki: Tytuły prawa majdeburskiego, 171.

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Im Fall Rzeszów lässt sich die Eidpraxis anhand unterschiedlicher Praktiken – etwa Amtseiden, Aussagen vor Gericht und Vertragsabschlüssen79 – nachzeichnen. Im vorliegenden Zusammenhang interessiert insbesondere das so genannte Register der vereidigten Bürger der Stadt Rzeszów,80 das – wenn auch unvollständig –81 jene begü-terten Einwohner erfasste, die in den Jahren 1665 bis 1798 das Bürgerrecht annahmen und damit in die relativ kleine Gruppe der politisch relevanten Einwohner aufstiegen.

Als Gegenleistung gingen sie umfangreiche – oft unpopuläre und kostspielige – Ver-pflichtungen ein: die Stadt militärisch zu verteidigen, Steuern an die Krone, den Stadt-herrn und die Bürgergemeinschaft zu entrichten, die städtischen Immobilien sowie ihre eigenen Häuser instand zu halten, und im Extremfall, die Stadt nicht ohne Erlaubnis des Stadtherrn zu verlassen.82 Anhand der Eintragungen im Register lässt sich verfolgen, wie die Zugehörigkeit zur städtischen Gemeinschaft im Eidesritual ver-ankert wurde.

Der Kandidat auf das Bürgerrecht oder eine Gruppe von Kandidaten, wurde beim Magistrat vorstellig – genannt werden im Register namentlich der Bürgermeister und die Ratsherren83 – und leistete dort den Eid „nach dem vorgeschriebenen körper-lichen Schwur“.84 Die Einträge der ersten Jahre geben keine Auskunft darüber, was genau dieser Schwur umfasste. In späteren Jahrzehnten verweist das Bürgerregister jedoch ausdrücklich auf die Regeln des Magdeburger Rechts und dokumentiert mehr-heitlich den Schwur beim Kruzifix im Rathaus.85 Dieser unmittelbar mit dem

Kreuz-79 Für Amtseide siehe APRz, AmRz, sygn. 18, 358; sygn. 4139, 62, 79; für Aussagen vor Gericht siehe APRz, AmRz, sygn. 14, 7v-8; sygn. 18, 935; sygn. 24, 94, 359, 545-547, 874-878; für beeidigte Verträge siehe APRz, AmRz, sygn. 28.

80 APRz, AmRz, Sign. 28.

81 Ein um 1910 von Jan Pęckowski erstelltes Verzeichnis aller Bürger, die zwischen 1665 und 1798 das Stadtrecht annahmen, umfasst in einigen Jahren mehr, in anderen weniger Bürger als das hier konsultierte Register. Pęckowski: Dzieje miasta Rzeszowa, 435-446.

82 Wegen der erheblichen mit dem Bürgerrecht verbundenen Lasten versuchten viele Hausbesitzer, sich dem Bürgereid zu entziehen. Pęckowski: Dzieje miasta Rzeszowa, 324.

83 APRz, AmRz, Sign. 28, 1.

84 Im lateinischen Original: „praestito corporale juramento“. APRz, AmRz, Sign. 28, 11.

igungsmotiv assoziierte Eid wirft die Frage auf, ob und wie Juden in Rzeszów auf die städtische Verfassung verpflichtet wurden. Bei näherer Betrachtung teilt sich das Register in zwei Teile: Der erste umfasst bis in die 1750er Jahre ausschließlich christli-che Bürger, die durch den üblichristli-chen Titel honestus oder durch ihre Vornamen als solchristli-che gekennzeichnet sind. Im letzten Drittel der Bindung beginnt unter der Überschrift

„Anfang des Rechts der Juden“86 mit dem Jahr 1680 ein zweites Register, in das zunächst ausschließlich Juden mit der Kennzeichnung infidelis oder starozakonny (Altgesetzlicher) als Neubürger eingetragen wurden.87 Auf den ersten Seiten fehlt jeg-liche Information über ihre Vereidigung, vermerkt wurden indessen, dass auch die jüdischen Kandidaten das Stadtrecht in Anwesenheit von Bürgermeister und Stadtrat annahmen.88

Erstmals 1709 findet sich unter dem Eintrag des Mendel Slamowicz der Hinweis auf einen Eid durch „Hand auf das Herz“, der in späteren Einträgen als das vorge-schriebene Eidesritual für Juden genannt wird.89 Ob diese Form des Eides von den Rzeszower Juden oder ihren Gemeindeältesten gewählt oder aber von den christlichen Autoritäten vorgeschrieben wurde, geht aus dem Register nicht hervor. Einige Schlüs-se im Hinblick auf den Status begüterter Juden in der Stadt lasSchlüs-sen sich indesSchlüs-sen zie-hen: Zum einen genossen sie Respekt – so wurde ihnen kein demütigendes Eidesritual wie der Schwur auf der Schweinshaut abverlangt –, zum andern leisteten sie ihren Eid vor dem Magistrat, das heißt, dem selben Gremium wie christliche Neubürger, nicht an der Synagogentür oder am Torah-Griff, den traditionellen Orten des jüdischen Eids. Somit wurden sie der christlichen Rechtsstadt verpflichtet. Abzuwägen ist darü-86 Im Original abgekürzt als „Judaeor[um] inceptio juris“.

87 Diese Zweiteilung entsprach der Untergliederung Rzeszóws in die so genannte Altstadt (Stare miasto), die spätmittelalterliche christliche Stadt, und die Neustadt (Nowe mias-to), die seit dem späten 16. Jahrhundert hauptsächlich von jüdischen Kolonisten besie-delt wurde. Jedoch hatte die strikte Aufteilung in einen christlichen und einen jüdischen Teil der Stadt keinen Bestand. Schon im 17. Jahrhundert besaßen die wohlhabendsten Juden Häuser am Alten Markt, ebenso waren Christen Hausbesitzer in der Neustadt.

88 AmRz, Sign. 28, 109-110.

89 AmRz, Sign. 28, 111. Präzisiert für die Einträge der Jahre 1749 und 1753: „jus civile sus-ceperunt praestito juramento tacto pectore Infideles scilicet“. Ebenda, 113-114.

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ber hinaus, ob durch den Bürgereid ‚zweierlei Gestalt‘ eine Gemeinschaft der Besit-zenden und politisch Verantwortlichen unterschiedlicher religiöser Zugehörigkeit geschaffen wurde. Darauf deutet, dass spätestens in den 1760er Jahren die konsequen-te Gliederung des Regiskonsequen-ters in einen christlichen und in einen jüdischen Teil aufgeho-ben wurde.90 Die gemeinsame Verantwortung war jedoch nicht zu verwechseln mit gemeinsamen politischen Gremien.

Autonomien? – Christliche Rechtsstadt und

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