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Entwicklung einer Nationaltheologie

Im Dokument DigiOst – Band 2 (Seite 33-36)

Frühneuzeitlich sind nationaltheologische Ordnungsvorstellungen mit herausgehobe-nen Vorstellungen von nationaler Auserwähltheit insbesondere im Milieu von Mittel-adel und katholischem Klerus nachweisbar. So findet sich etwa in Wezpazjan Koch-owskis (1633–1700) lyrischem Werk 1674 ein ausdrucksstarkes Bild, das die Vision einer sarmatisch-polnischen Nation als „neues Israel“ beschreibt: Der am Kreuz ster-bende Jesus streckt den nördlichen Völkern (gemeint ist Polen-Litauen) seine Hand aus. Maria – seit 1656 durch einen Wahl- und Krönungsakt durch König Johann Kasi-mir zur Königin Polens erwählt – steht unter dem Kreuz und blickt nach Norden gegen das protestantische Schweden; das Kreuz schützt und die Gottesmutter

vertei-7 Kaufmann: Konfession und Kultur.

8 Henkelmann: Caritasgeschichte.

Bömelburg: Katholische Konfessionskulturen in Polen

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digt das auserwählte Volk.9 Die Vorlage für dieses Bild schöpfte Kochowski wahr-scheinlich aus zeitgenössischen Predigten und gedruckten Predigtsammlungen, wo die Vermittlerrolle Marias für die polnische Nation akzentuiert wurde.10

Die Parallelisierung zwischen dem alttestamentarischen Volk Israel und dem neuen auserwählten Volk wurde von Kochowski noch deutlicher in den „Polnischen Psalmen“ („Psalmodia polska“ von 1693/95) ausgeführt.11 Bereits der programmati-sche Titel mit dem Anspruch, nun in Anlehnung an die bibliprogrammati-schen Psalmen eine „pol-nische Psalmensammlung“ verfassen zu wollen, deutete den geschichtsphilosophi-schen Entwurf an. Der fünfte Psalm der Sammlung – die göttlichen Wohltaten gegen-über der Krone Polen – zeichnet die Herkunft von Nation und Staat nach.12 Gott übernehme eine besondere Fürsorge für die „polnische Freiheit“ und stehe deshalb in

9 „Kończąc mękę, / Skłania rękę / Na północnych ludzi. / Matka znać dając, że nam jest w pomocy, / Pod Krzyżem stoi ku nam na północy, / Krzyż zasłoni, / Matka broni“. Koch-owski, Wespazjan: Góra Łyssa depozytem drzewa Krzyża Ś. w sendomirskim kraju sław-na [Der Kahle Berg als berühmter Aufbewahrungsort des Heiligen Kreuzes im Land Sandomierz]. In: Ders.: Utwory poetyckie, 92-95.

10 Stefanowicz: Dzieło zbawienia ludzkiego, hier Bd. 2, 108: „Pytam teraz: na cosz Panna po lewey stronie pod Krzyżem stała gdy Pan umierał. Tenże solwnie. Gdy Pan wisiał na Krzyżu twarza był obrocony na wschód zaczym na lewey stronie pułnocna była kraina / tamże Panna we środku między Chrystusem y pulnocą / ktora oziębłych grzeszników symbolizuie. (…) Z Pułnocy wszytko złe / na lewey stronie potępieni staną / tam Panna Przenaświętsza będzie poznawała swoich.“ [„Ich frage jetzt: Warum stand die Jungfrau zur linken Seite unter dem Kreuz, als der Herr starb. Als der Herr starb, war sein Antlitz nach Osten gerichtet, dahinter auf der linken Seite im Norden war eine Gegend / dort die Jungfrau in der Mitte zwischen Christus und dem Norden / der die kaltherzigen Sünder symbolisiert (…) Aus dem Norden kommt alles Böse / auf der linken Seite ste-hen die Verfluchten / dort wird die Allerheiligste Jungfrau die Ihrigen erkennen“]. Vgl.

auch Kochowski: Utwory poetyckie, 180.

11 Kochowski: Utwory poetyckie 367-456. Vgl. auch Hernas: Barok, 503-509; Kauer: Sar-macka historiozofia.

12 „Wolność polską ma Pan w opiece swojej“ [„Die polnische Freiheit hat der Herr unter seinem Schutz“], aus: Psalm 5 Dobroziestwa Boskie nad Koroną Polską wylicza [Die

besonderem Verhältnis zur polnischen Gesellschaft. In dieser Lage sei Johann Sobieski von Gott gesandt: Er könne das „dahintaumelnde Polen“ retten.13

Kochowski war nicht irgendwer: Als in Kleinpolen angesehener Adliger und von König Johann Sobieski geförderter Schriftsteller und Historiograph, der mit dem Titel eines „Königlichen Historiographen“ und einer Entlohnung aus der Schatulle des Monarchen ausgestattet war, steht er für eine breite Strömung nationaltheologischen Denkens in den polnischen Eliten und in der Publizistik der zweiten Hälfte des 17.

Jahrhunderts. Ihm zur Seite gestellt werden kann Andrzej Maksymilian Fredro (ca.

1620–1679), gewählter Sejmmarschall, Senator und auflagenstärkster polnischer Schriftsteller der Epoche. Fredro argumentierte, die polnische Verfassung sei auf der Grundlage geschichtlicher Erfahrungen eingerichtet, biete bestmögliche Lösungen und sei von Gott gewollt:

„Wir müssen die Verfassung der Respublica (ähnlich einem großen Geheimnis) bewundern, da diese unseren der Freiheit würdigen Völkern dieses Los zuerkannte, worin uns die Jahrhunderte bestärkten und Gott befestigte und worüber ich nicht anders sprechen kann. Gott ist der Schöpfer aller dieser Geheimnisse.“ 14

Kochowski, Fredro und andere Autoren sind Meinungsführer unter der mitteladligen Mehrheit der Epoche und treffen lediglich unter den hochadligen Eliten, etwa bei Sta-nisław Herakliusz Lubomirski (1642–1702), auf spätstoisch-skeptizistische Gegenposi-tionen.

In der Moderne finden sich nationaltheologische Argumentationslinien in Polen bereits 1848 bei Jan Koźmian (1814–1877), einem Posener Domherrn, der im Kultur-kampf zum informellen Vertreter des Posener Erzbischofs aufstieg und in seiner Theo-13 „Zwłaszcza pod panowaniem najjaśniejszego Jana III, który jest człowiekiem od Boga posłanym: aby nademloną dźwigał Sarmacyją“ [„Gerade unter der Herrschaft des erleuchteten Johann III., einem von Gott gesandten Menschen, damit dieser das tau-melnde Sarmatien schultere“], aus: Psalm 37 Na rewolucyje państw w klimakterykach.

In: Kochowski: Utwory poetyckie, 435.

14 Fredro: Gestorum Populi, 287: „Nam in tam admiranda Reipublicae compage, (magno arcano simili,) quam fata dignis libertati populis insinuavere, saecula texerunt, Deus firmavit, loqui aliter vix possum. Deus Deus omnino tanti arcani author est (…).“

Bömelburg: Katholische Konfessionskulturen in Polen

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logie formulierte: Jedes, „auch das kleinste“ christliche Volk habe seinen spezifischen Platz in der harmonischen Vielfalt der katholischen Christianitas, sei „notwendig wie die ursprünglichen Farben in der Welt, der Ton im Akkord, der Buchstabe im Wort“;

Polen „ging nicht unter und es geht nur um den Moment der Wiedergeburt […], von den Polen hängt es ab, ob der Moment der Auferstehung des Vaterlandes beschleunigt oder verspätet wird“.15 Ähnliche Konzepte wurden im Exil und später auch in den polnischen Territorien insbesondere von dem einflussreichen Orden der Resurrekti-onisten (Zmartwychstańcy) vertreten. Schaut man sich die Belegstellen genau an, so gibt es allerdings eine Differenz: Offen werden explizite Vorstellungen einer polni-schen Auserwähltheit zumindest von polnipolni-schen Klerikern (im Unterschied zu man-chem spätromantischen Publizisten) in der Moderne nicht mehr vertreten – sichtbar wird hier die wachsende ultramontane Prägung auch des polnischen Klerus nach 1848.16

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