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Autonomien? – Christliche Rechtsstadt und jüdische Gemeinde

Im Dokument DigiOst – Band 2 (Seite 192-200)

In der jüngeren Forschung zu den christlich-jüdischen Beziehungen im frühneuzeitli-chen Polen zeichnet sich vor allem in der Rechts- und Kulturgeschichte eine Tendenz ab, die Institutionen und Rechtsinstrumente der christlichen Rechtsstadt strukturell in Analogie zu jenen der jüdischen Gemeinde zu betrachten.91 Als ein Beispiel wird das parallele Streben nach Rechtskodifizierung, insbesondere durch den erwähnten Kra-kauer Gerichtsschreiber Bartłomiej Groicki und den KraKra-kauer Rabbiner Moses Isser-les (um 1525–1572) angeführt. Während Groicki deutsches Recht übersetzte, intensiv kommentierte und um Elemente des polnischen Gewohnheitsrechts ergänzte, integ-rierte Isserles 1571 in seine glossierte Krakauer Edition des sephardischen Shulkhan arukh – der maßgeblichen frühneuzeitlichen Kodifikation des jüdischen Religionsge-setzes – Elemente des Gewohnheitsrechts (minhag) der polnischen Judenheit.92 Bei-den Gelehrten lag somit an der Adaption transferierten Rechts an die Praxis in Polen.

In Rzeszów, ebenso wie in anderen nach Magdeburger Recht gegründeten Privat-städten, ging die strukturelle Analogie noch einen Schritt weiter: Die christliche Rechtsstadt und die jüdische Gemeinde waren fraglos religiös distinkt, doch im Zusammenhang der Grundherrschaft funktional gleich. Was in der Privatstadt unter 90 AmRz, Sign. 28, 104-105.

91 Rechtsgeschichtlich insbesondere Teller: Der Blick nach Osten, 402-405; kulturge-schichtlich Rosman: How Jewish Is Jewish History? 93.

Autonomie der einen wie der anderen zu verstehen war, muss am Einzelfall untersucht werden. Waren die Rechtsinstrumente der christlichen Rechtsstadt und der jüdischen Gemeinde tatsächlich autonom oder sind sie präziser als Rechtsinstrumente der adli-gen Grundherren zu begreifen? Dies wird hier am Beispiel der Ämterbesetzung und der Ausübung von Rechtsfunktionen abgewogen.

Die Rechtsordnung der Stadt Rzeszów fußte, wie erwähnt, seit 1354 auf Magde-burger Recht. Damit stand es der damals noch ausschließlich christliche Einwohner-schaft frei, Ämter und Institutionen der städtischen Selbstverwaltung zu etablieren.

Andere Autoritäten fanden lediglich in einem Punkt Berücksichtigung: Sollte der Vogt, der allein dem König rechenschaftspflichtig war, in der Rechtsprechung nachläs-sig sein, würde die Rechtshoheit dem adligen Stadtherrn übertragen. Selbst in diesem Punkt verwies das Privileg auf die Vorgaben des Magdeburger Rechts.93 Diese Garan-tien bestätigten sämtliche Stadtherren vom späten 14. bis ins 18. Jahrhundert. Keines ihrer Privilegien beschränkte die städtische Selbstverwaltung.94 Somit galt das Magde-burger bzw. deutsche Recht, das in mehreren lateinischen und polnischen Überset-zungen, Kommentaren und Zusammenfassungen vorlag,95 zumindest offiziell als das maßgebliche Rechtsinstrument der christlichen Stadtgemeinschaft.

Aufschluss über die längerfristige Entwicklung gibt die älteste Überlieferung zur städtischen Praxis an der Wende zum 17. Jahrhundert: Die Verwaltung der christli-chen Rechtstadt bestand aus einem fünfköpfigen Rat bzw. Magistrat, dessen Mitglie-der sich nach einem Rotationsprinzip alle drei Monate im Bürgermeisteramt abwech-selten. Die Gerichtsfunktionen des Vogtes wurden inzwischen von mehreren Gremien wahrgenommen: vom Ratsgericht, vom Schöffengericht, dem der Vogt vorstand, und schließlich von der Versammlung der Zunftältesten, die die breitere Stadtgemeinschaft (popółstwo/communitas) der Handwerksmeister und Krämer vertraten.96 Sie tagten –

93 AGAD, Metryka Koronna, 17, 247v-248 (Kopie).

94 APRz, AmRz, sygn. 2 (Pergament) und ebenda sygn. 27, 619-625 (Kopie); ebenda 625-627; ebenda 633; ebenda 628-629; ebenda 630-632; APRz, AmRz, sygn. 8.

95 Neben Groickis Adaptionen waren dies insbesondere Jaskier: Juris Municipalis Majde-burgensis; Szczerbic: Ius municipale.

96 Przyboś (Hg.): Akta radzieckie rzeszowskie, XLI.

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je nach Angelegenheit – getrennt oder auch in gemischter Versammlung. Darüber hinaus beanspruchten „Männer aus dem Volk“ (tribuni plebis), ein Gremium aus 12 Personen, vor allem Mitsprache der ärmeren Bevölkerung in städtischen Belangen.97 Theoretisch konnten die Rzeszower Amtsträger am Krakauer Oberhof für das Deut-sche Recht juristiDeut-schen Rat einholen; in der Praxis jedoch galt der adlige Grundherr als letzte Konsultations- und Appellationsinstanz,98 so dass gerade strittige städtische Belange einer vergleichenden juristischen Betrachtung entzogen waren.

Die städtischen Ämter unterlagen prinzipiell der Wahl durch die christliche Stadtgemeinschaft. Die genauen Modalitäten sind nicht bekannt, doch durften Wah-len schon im frühen 17. Jahrhundert nur in Gegenwart des Stadtherrn Ligęza oder sei-nes Stellvertreters stattfinden. Ebenso kam es vor, dass er sämtliche Amtsträger ernannte.99 Das Vogtamt wurde inzwischen regulär durch den Stadtherrn aus den Rei-hen des Patriziats besetzt, womit sich die Bedeutung der Krone in der Rechtsstadt auf Steuerforderungen beschränkte.100 Unter Ligęzas Nachfolgern, den Magnaten Ostrog-ski, büßte die christliche Bürgerschaft bis 1650 weitere Hoheitsrechte ein: Nun wählte sie ihre Beamten gar im Namen des Stadtherrn unter Aufsicht eines Schlossbevoll-mächtigten. Damit war sie von einer selbstverwalteten Stadtgemeinschaft zu einer Bürgerschaft im Dienst des adligen Grundherrn degradiert.101 Dieses Unterordnungs-verhältnis sollte sich im Laufe des 18. Jahrhunderts verfestigen.

Im Fall der jüdischen Gemeinde lässt sich die Frage nach der Autonomie in der Ämterbesetzung anhand der spärlichen Quellen für das 17. Jahrhundert nur tentativ beantworten. Weder ein Gründungsprivileg noch eine Chronik (pinkas) oder eine

97 Przyboś (Hg.): Akta radzieckie rzeszowskie, XLII.

98 Der Krakauer Oberhof wurde kraft eines Privilegs Kasimirs des Großen von 1356 etab-liert und bestand bis 1794. Jedoch beschränkte sich der Radius seiner Tätigkeit schon Mitte des 17. Jahrhunderts auf die königlichen Städte. Łysiak: Ius supremum Maydebur-gense, 4-6, 77-78; Opas: Zagadnienie apelacji mieszczan, 26.

99 Przyboś (Hg.): Akta radzieckie rzeszowskie, XXXVII-XXXIX.

100 Przyboś (Hg.): Akta radzieckie rzeszowskie, XXXIX-XL.

Gemeindeordnung (takkanot) sind für Rzeszów überliefert.102 Lediglich als Annähe-rung ist die Ordnung der jüdischen Gemeinde Krakau, der tonangebenden Gemeinde der Region, aus dem Jahr 1595 hinzu zu ziehen. Diese sah vor, die Gemeindeältesten und übrigen Kahal-Mitglieder gemäß der Torah und „im Einklang mit den von den [nichtjüdischen] Autoritäten erlangten Privilegien“ zu wählen und anschließend die königliche Bestätigung der Liste einzuholen.103

In der Privatstadt Rzeszów entfiel die Rückbindung an die Krone in der Ämterbe-setzung, doch deutet einiges darauf, dass der Magistrat, der lokale katholische Klerus und der adlige Grundherr gleichermaßen versuchten, den Repräsentanten der jüdi-schen Gemeinde Herrschaftsfunktionen zu übertragen, die sie selbst nicht auszufüllen vermochten. So weigerten sich 1627 die jüdischen Ältesten, eine Verordnung von Magistrat und Probst, die die Anstellung von christlichen Köchinnen in jüdischen Haushalten einschränkte, innerhalb der jüdischen Gemeinde durchzusetzen.104 Zwei Jahre später hingegen leisteten die Ältesten Moszko Aftarz und Jeleń an der Synagoge in Anwesenheit des Magistrats auf Polnisch einen Eid nach jüdischem Brauch, mit dem sie sich verpflichteten, die in der Stadt auf die jüdische Bevölkerung entfallenden königlichen und herrschaftlichen Steuern musterhaft einzutreiben, zu registrieren und abzuliefern.105 Damit übernahmen die Ältesten neben ihren Aufgaben in der jüdi-schen Gemeinde Funktionen städtischer Beamter. Ihre Zahl war auf vier Mitglieder festgelegt, die im Laufe eines Jahres für jeweils drei Monate das Amt des so genannten Quartalsbürgermeisters und damit die Verantwortung für die Finanzen der Gemeinde übernahmen.106 Dieses Rotationsprinzip ebenso wie das Aufgabenfeld der Bürger-102 Das von Hieronim Augustyn Lubomirski 1686 ausgestellte Privileg zum Bau der Neuen Synagoge räumte jüdischen Kolonisten in der Neustadt zwar die gleichen Rechte ein wie jenen in der Altstadt, doch präzisierte es jene älteren Rechte nicht. APRz, AmRz, sygn. 9, 1

103 Statut krakowskiej gminy żydowskiej, 20-21, 28-29.

104 APRz, AmRz, sygn. 13, Eintrag vom 7. August 1627. Hier konsultiert: Przyboś (Hg.):

Akta radzieckie rzeszowskie, 86.

105 Przyboś (Hg.): Akta radzieckie rzeszowskie, Eintrag vom 8. Juni 1629. Hier konsultiert:

Przyboś (Hg.): Akta radzieckie rzeszowskie, 130-131.

106 Pęckowski: Dzieje miasta Rzeszowa, 364-365.

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meister entsprach jenem der christlichen Ratsherren und verstärkte die strukturelle Analogie zur christlichen Rechtsstadt.

Die Position des Rabbiners war innerhalb der jüdischen Gemeinden Polens weni-ger scharf umrissen als jene der Gemeindeältesten. In der Krakauer Ordnung von 1595 figurierte der Rabbiner bescheiden unter den Lehrern (melamdim), denen von der Gemeinde für den Religionsunterricht ein bestimmter Stundenlohn garantiert wurde.107 Weder innerhalb noch außerhalb der jüdischen Gemeinde kam ihm eine politische Funktion zu. Auch im Rzeszower Zusammenhang beschränkte sich das Amt zunächst auf die innergemeindliche Vorbildfunktion als Prediger, Religions- und Rechtsgelehrter. Im Gegensatz zu den Gemeindeältesten trat er im 17. Jahrhundert in der Kommunikation mit der christlichen Rechtsstadt und mit dem Schlossherrn nicht in Erscheinung.

Eine Veränderung in der Wahrnehmung des Amtes vollzog sich jedoch im frü-hen 18. Jahrhundert. In einem Zirkular Jerzy Ignacy Lubomirskis aus dem Jahr 1736 pochte dieser auf sein gewohnheitsmäßiges Recht, den Rzeszower Rabbiner aus einer vom Kahal getroffenen Vorauswahl mehrerer Kandidaten zu ernennen,108 und schon im Folgejahr intervenierte er durch ein Zirkular erneut ins Rabbinat:

„Da Szaul Lejzorowicz, der von mir als Rzeszower Rabbiner bestätigt wurde, sein Amt nicht antritt, den ihm auferlegten Aufgaben nicht nachkommt und keine Anstalten macht, sich hier in Rzeszów niederzulassen, erkläre ich meine Bestätigung für null und nichtig, wenn er nicht vom heutigen Tage an innerhalb von zwei Monaten in Rzeszów seinen Wohnsitz nimmt, um sich den Angelegenheiten der hiesigen jüdi-schen Gemeinde zu widmen. Andernfalls befehle ich der jüdijüdi-schen Gemeinde, sich um einen neuen Kandidaten für eben jenes Rabbineramt zu bemühen.“ 109

107 Statut krakowskiej gminy żydowskiej z roku 1595, 95.

108 Pęckowski: Dzieje miasta Rzeszowa, 366.

109 „Ponieważ Szaul Lejzorowicz, odebrawszy konsens ode mnie na rabinowstwo rzeszows-kie, funkcyi swojej nie pilnuje, spraw do niego należących nie atentuje oraz na mieszka-nie tu do Rzeszowa mieszka-nie sprowadza się, iż jeżeliby a data praesentis in spatio dwóch mie-sięcy dla atentowania spraw synagogi rzeszowskiej zachodzących nie sprowadził się na

Aus welcher Motivation heraus die Rzeszower Stadtherren die Ernennung des Rabbi-ners für sich beanspruchten, geht auch aus dem Zirkular nicht hervor, doch zeugt die Aufregung Jerzy Ignacys von einer Dringlichkeit, die die Funktion des Rabbiners rein semantisch in die Nähe des Stadtherrn rückt. Detaillierte Auskunft gab Jerzy Ignacys Sohn Teodor Hieronim 1755 in einem weiteren Zirkular an den Schlosskommissar, den Magistrat und die jüdische Gemeinde:110 Seit 1753 war das Rabbineramt erneut vakant, und der Stadtherr hatte die jüdische Gemeinde eindringlich aufgefordert, ihm unverzüglich einen neuen Kandidaten zu präsentieren, da er Recht und Sitten gefähr-det sah. Der Rabbiner war somit in seinen Augen ein Hüter der öffentlichen Ordnung unter der jüdischen Bevölkerung der Stadt. In diesem Zusammenhang stimmte Teo-dor Hieronim der Wahl von Berek Lewkowicz sogleich zu, da ihn die Gemeindeältes-ten als „hervorragend in der Schrift und im jüdischen Recht, ebenso in den guGemeindeältes-ten Sit-ten bewandert und mustergültig und zudem aus guter Familie stammend“111 empfoh-len hatten.

Die Vollmachten, mit denen der Stadtherr den neuen Rabbiner ausstattete, gin-gen indessen weit über das bekannte Maß hinaus. Er berief Lewkowicz auf Lebenszeit.

Den Kahal verpflichtete er, keine Sitzung ohne den Rabbiner abzuhalten, die jüdische Gemeinde, ihm „nach altem Recht“ ein wöchentliches Gehalt zu zahlen und weitere Einkünfte durch Hochzeiten etc. zu sichern. Das Rabbinatsgericht, das ausschließlich unter dem Vorsitz von Lewkowicz tagen sollte, wurde autorisiert, Fälle bis zu einem Streitwert von 200 Złoty in letzter Instanz zu entscheiden. Erst in kostspieligeren Aus-einandersetzungen durften die Gerichte des Schlossherrn in Anspruch genommen werden. Abschließend forderte der Stadtherr die Ältesten und die Gemeinde auf, dem Rabbiner Respekt und absoluten Gehorsam zu zollen.112

synagodze zaś o inszego kandydata na toż rabinostwo starać się rozkazuję.“ APRz, AmRz, sygn. 25, 253. Hier zitiert nach Kaźmierczyk (Hg.): Żydzi polscy, 99.

110 APRz, 519: Archiwum Lubomirskich (AL), sygn. 169, 14-14v.

111 „`[…] ze tak w pismie y prawach Zydowskich jest doskonały, jako też w przystoynych obyczajach doswiadczony y przykładny, a przytym z dobrey family swoję prowadzi pro-cedencyą'“.APRz, 519: Archiwum Lubomirskich (AL), sygn. 169, 14.

112 APRz, 519: Archiwum Lubomirskich (AL), sygn. 169, 14v.

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Damit wurde das Rabbineramt, das im 17. Jahrhundert noch außerhalb des Kahal gestanden hatte,113 ins politische Zentrum der jüdischen Gemeinde verschoben, und der Rabbiner unter den persönlichen Schutz des Schlossherrn gestellt. Es ist daher kein Zufall, dass der Archivar der Magnaten Lubomirski das Zirkular zur Ernennung des Rabbiners neben Korrespondenzen über Kirch- und Klosterstiftungen114 in der Rubrik Patronat ablegte. Der Rabbiner wurde seit dem frühen 18. Jahrhundert als Teil des magnatischen Herrschaftsuniversums, nicht mehr allein als erster Religionsgelehr-ter einer selbstverwalteten jüdischen Gemeinde betrachtet. Auch seine exponierte Position innerhalb der jüdischen Gemeinde entsprach dem politischen Denken des Schlossherrn mehr als dem traditionellen kollegialen Prinzip des Kahal. In welchem Maße dieses Herrschaftskonzept Eingang in die Lebenswelt der jüdischen Gemeinde fand, ist bislang nicht bekannt.

Aus dem Vergleich der Besetzung von Ämtern in der christlichen Rechtsstadt und in der jüdischen Gemeinde ergeben sich einige Parallelen: Zum einen büßten bei-de Enbei-de bei-des 17., spätestens Anfang bei-des 18. Jahrhunbei-derts stufenweise das Recht auf autonome Wahlen ein. Indem der Stadtherr die Wahlen vereinnahmte, absorbierte er die Amtsträger in seinen Herrschaftskreis. Weder im Fall der christlichen Rechtsstadt noch im Fall der jüdischen Gemeinde wurden Ämter abgeschafft; vielmehr betrieben die adligen Stadtherren eine Verschiebung der politischen Funktionen. So höhlten sie das Magdeburger Recht aus, ohne es widerrufen zu müssen, und beschnitten die Voll-machten des Kahal, ohne etwa auf ihn als Mittler in der Steuereinziehung zu verzich-ten.

113 Jacob Katz betont, dass das Religionsgesetz (halacha) – das Feld des Rabbiners – in der Verwaltung der frühneuzeitlichen Gemeinden gegenüber den Gemeindeordnungen (takkanot) des Kahal eine zweitrangige Rolle spielte. Katz: The Rule of Halakhah, hier 179-183.

114 APRz, 519: AL, sygn. 169, 6-9v, 19-20. Die Ausstattung des Rzeszower Rabbiners mit umfassenden Vollmachten war kein Einzelfall. In ähnlicher Form und zum Teil in iden-tischem Wortlaut hatte Teodor Hieronim Lubomirski schon 1750 einen Rabbiner im

Die Entwertung der Stadtverwaltung nach Magdeburger Recht ebenso wie des Kahal lässt sich insbesondere an den Einträgen in den Büchern des städtischen Rats-und Schöffengerichts nachvollziehen. Die Ratsbücher des späten 16. Rats-und frühen 17.

Jahrhunderts spiegelten hauptsächlich die Rechtsfindungsprozesse der stadtbürgerli-chen Gremien wider und dokumentierten deren Aushandlungen mit den Ältesten der jüdischen Gemeinde.115 Hingegen häuften sich in den Schöffenbüchern seit der Wen-de zum 18. JahrhunWen-dert Eintragungen grundherrlicher Verordnungen, Zirkulare, Instruktionen und Vollmachten, die dem Magistrat und der jüdischen Gemeinde lediglich zur Kenntnis gegeben wurden. Diese neuen Rechtsinstrumente befassten sich mit Angelegenheiten – etwa mit dem Verkauf von Häusern und dem Niederlassungs-recht –,116 die zuvor Sache der stadtbürgerlichen und jüdischen Institutionen gewesen waren. Rathaus, Marktplatz, Kirchen und Synagogen dienten somit nur noch der Ver-öffentlichung von Entscheidungen, die sie nicht mehr selbst hervorbrachten.

Abschließend soll am Beispiel des klassischen Sanktionsinstruments der jüdi-schen Gemeinde, des so genannten Banns (cherem) untersucht werden, in welchem Maße der Rzeszower Kahal in der Rechtsprechung autonom war. In seiner histori-schen Entwicklung bezeichnete der Cherem unter den aschkenasihistori-schen Juden ein abgestuftes Strafenregister von der Ermahnung in der Synagoge, über den Ausschluss von rituellen Zeremonien und Ehrenämtern, die Verweigerung eines jüdischen Begräbnisses bis zur Exkommunikation.117 In den jüdischen Diaspora-Gemeinden, die über keine eigene Exekutivgewalt verfügten, war das untergliederte Bannsystem die einzige effektive Form der Bestrafung delinquenter Gemeindemitglieder. Es beruhte auf religiöser, sozialer und wirtschaftlicher Isolierung.118

In der Rzeszower Überlieferung fehlen aufgrund der Verluste durch den zweiten Weltkrieg und die Shoah die Akten von Kahal und Rabbinatsgericht. Die frühneuzeit-liche Bannpraxis kann daher lediglich in jenen Momenten erfasst werden, in denen

115 Przyboś (Hg.): Akta radzieckie rzeszowskie, XLII-XLIII.

116 Zahlreiche Beispiele birgt das Buch des Vogt-Schöffengerichts für die Jahre 1707-1731.

APRz, AmRz, sygn. 24.

117 Gotzmann: Jüdische Autonomie, 322-325; Katz: The Rule of Halakhah, 174.

118 Katz, The Rule of Halakhah, 183.

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der Cherem mit den Interessen der christlichen Rechtsstadt oder des Stadtherrn kolli-dierte. Damit entfallen all jene Arten des Banns, die eine Ächtung innerhalb der jüdi-schen Gesellschaft bewirkten, doch ohne Auswirkung auf die breitere Stadtgemein-schaft blieben. In den Blickpunkt rückt insbesondere der große Bann, das heißt, die Exkommunikation im religiösen, geographischen und wirtschaftlichen Sinne. Die Institutionen der christlichen Rechtsstadt enthielten sich – soweit die Rats- und Schöf-fenbücher Auskunft geben – vom 16. bis ins 18. Jahrhundert jeglicher Stellungnahme in der Bannfrage. Dies erscheint einleuchtend, da sich die christliche und die jüdische Gemeinde als getrennte Wirtschafts- und Steuereinheiten begriffen. Für die Stadther-ren hingegen war der Bann in den größeStadther-ren Zusammenhang der Siedlungspolitik von existentiellem Interesse.

Im Jahr 1706 befasste sich eine Schlosskommission, die Fragen der städtischen Ordnung galt, unter anderem mit dem Cherem. Sie bemängelte, dass das traditionelle jüdische Sanktionsmittel ohne Rücksicht auf die öffentlichen Interessen eingesetzt werde und dies „für die Katholiken ebenso wie für die Juden großen Schaden und Streit mit sich bringe“.119 Sie spielte auf den Umstand an, dass die Ausweisung eines missliebigen Gemeindemitglieds unter Umständen mit dem Verlust von Steuerzahlun-gen einherging, den die jüdische und die katholische Stadtgemeinde nach dem Prinzip der Kollektivhaftung ausgleichen mussten. Konstancja von Alten-Bokum, die Witwe Hieronim Augustyn Lubomirskis, verfügte deshalb, den jüdischen Bann künftig nur noch mit Zustimmung des Stadtherrn zu verhängen. Offenbar sorgte diese Interventi-on, die nicht zwischen Bannsprüchen von jüdischer und von allgemeiner Relevanz unterschied, für Verwirrung in der jüdischen Gemeinde und änderte an der Bannpra-xis wenig. Vor diesem Hintergrund widmete sich Jerzy Ignacy Lubomirski 1728 in einem Zirkular ausschließlich dem Bann. Zunächst konstatierte er, dass sich Bann-sprüche innerhalb der jüdischen Gemeinde Rzeszóws häuften und zudem auf Perso-nen ausdehnten, die Rechtsimmunität genießen.120

119 „`skąd tak dla Katolików jako y Żydow wielki zawód, i różne zachodzą'“. Auf diese Wei-se referierte rückblickend ein Zirkular Jerzy Ignacy Lubomirskis vom 28. Februar 1728 die Bewertung des Banns durch die Kommission. APRz, 519: AL, sygn. 113, 15v-16v.

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