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Vergleich der Manuskriptversionen mit dem gedruckten Text

Im Dokument Unter den Händen der Barbaren (Seite 188-191)

8. Regina Leininger, die Indian Queen der pennsylvanisch-deutschen

8.3.1 Vergleich der Manuskriptversionen mit dem gedruckten Text

Im Gegensatz zum Anfang der le Roy/Leininger-Erzählung, die sich auf biogra-phische Informationen beschränkt, erläutert Mühlenberg im „Exempel“ zusätzlich vor der Schilderung des Überfalls noch kurz das Kriegsgeschehen, beginnend mit

der Niederlage General Braddocks im Sommer 1755.663 Diese Einordnung in den his-torischen Zusammenhang findet sich bereits in seinem Tagebucheintrag vom 27.

Februar 1765 und ist ein deutliches Zeichen für Mühlenbergs Intention, die Ge-schichte erneut, und zwar in einem europäisch-deutschen Kontext, zu verwerten.

An dem bewussten Mittwoch schrieb Pastor Mühlenberg in sein Tagebuch, er habe sich wegen einer sich anbahnenden Erkältung nicht wohl gefühlt, sei aber am Vormittag durch den Besuch einer Witwe und ihrer Tochter aus Pastor Kurtz’ Ge-meinde und insbesondere ihrer Geschichte aufgemuntert worden.664 Hier deutet sich der erbauliche Charakter der Geschichte bereits an, den er in seiner Niederschrift im Hinblick auf die spätere Veröffentlichung noch verstärkt.

Mehrmals im Jahr sandte Mühlenberg Kopien in Reinschrift von seinen Ta-gebüchern, Briefen oder Berichten nach Halle, wo sie zum Teil in den Halleschen Nachrichten veröffentlicht wurden.665 Diese Publikation wurde jedem, der die Halle-schen Stiftungen bzw. die lutheriHalle-schen Gemeinden in Nordamerika durch Spenden unterstützte, kostenlos zugesandt und diente zum einen als Nachweis für die Ver-wendung der Gelder und zum anderen als Missionspropaganda, mit der zukünftige Spendengelder gesichert werden sollten.666 Das große Leserinteresse spiegelte sich in der Zahl der Veröffentlichungen: Zwischen 1744 und 1786 wurden siebzehn Ausga-ben veröffentlicht. Diese erschienen 1787 noch einmal als Gesamtausgabe in Euro-pa, herausgegeben von J.L. Schulze, und 1886 bis 1895 in den Vereinigten Staaten.667 Da man ihren Wert als erbauliche Literatur sehr schätzte, wurde den Insassen des Halleschen Waisenhauses während der Mahlzeiten daraus vorgelesen.668

Da Mühlenberg seine Tagebucheinträge während des Übertragens in Rein-schrift revidierte und auch von dem Material, das er nach Halle schickte, eigene Ko-pien anfertigte, existieren drei Fassungen der Geschichte von Regina Leininger. Ne-ben der Tagebuchversion ist eine erweiterte, zwischen 1760 und 1766 entstandene

663 Da die Darstellung des historischen Hintergrundes zum Zeitpunkt des Überfalls bis ins Frühjahr 1759 bereits in Kapitel 5 erarbeitet worden ist, kann an dieser Stelle darauf verzichtet werden.

664 Vgl. Tappert/Doberstein, Journals 2:202. Johann Nikolaus Kurtz (1720-1794) hatte in Halle stu-diert und war auf Wunsch Gotthilf August Franckes 1744 nach Pennsylvania gekommen. Im Dezem-ber 1746 nahm er die Arbeit in Tulpehocken, einer großen und verhältnismäßtig dicht besiedelten Gemeinde im Grenzgebiet auf und wurde im August 1748 als erster lutherischer Pastor seit des Be-stehens der lutherischen Gemeinden in Pennsylvania ordiniert. Siehe Glatfelter, Pastors 1:76-77.

Das Gefühl von Familienangehörigen, ehemalige Gefangene bedürften besonderer Unterweisung im Katechismus und seelsorgerischer Zuwendung schlägt sich in Mühlenbergs Aufzeichnungen nieder:

Als er am Sonntagabend, dem 21. März 1762 nach einer Taufe nachhause kommt, findet er einen Mann vor, der ihn bittet, seinen dreiundzwanzigjährigen Cousin aus Virginia, der drei Jahre bei den Indianern gefangen war und auch seinen Vater verloren hat, im Katechismus zu unterweisen. Siehe Tappert/Doberstein, Journals 2:496.

665 Beim Vergleich der Manuskripte mit dem veröffentlichten Material ist festgestellt worden, dass nur ein Zehntel der Manuskripte veröffentlicht worden ist. Davon stammt nichts aus der zweiten Hälfte seiner Amtszeit. Die Herausgeber in Halle verzichteten auf alles, was nicht der Erbauung diente, oder was religiöse Gefühle verletzte: beispielsweise interkonfessionelle Unstimmigkeiten. Zudem wurde alles gestrichen, was für das deutsche Publikum in Europa für nicht interessant erachtet wurde oder zu persönlich schien. Vgl. Tappert/Doberstein, Journals xvi.

666 Vgl. Tappert/Doberstein, Journals 1:xiv-xvi. Zu den erschwerten Zustellbedingungen insbesondere in Kriegszeiten, als viele Schiffe ihren Bestimmungsort nicht erreichten, siehe ebd., xv. Zu den Prob-lemen der transatlantischen Kommunikation zwischen Halle und Pennsylvania siehe Müller-Bahlke,

„Communication“. Zum transatlantischen Netzwerk der Hallenser Pietisten und den Angehörigen an-derer Glaubensrichtungen siehe Roeber, „Origin“ 244-57.

667 Vgl. Tappert/Doberstein, Journals 1:xvi.

668 Vgl. Tappert/Doberstein, Journals 1:xvi. Das Hallesche Waisenhaus war ein Komplex, der neben dem Waisenhaus eine Ausbildungsstätte, einen Verlag, einen Buchhandel und eine Apotheke umfass-te. Vgl. Cazden, History 5.

Manuskriptversion vorhanden, sowie die in den Halleschen Nachrichten gedruckte Fassung.669

Die zweite Fassung ist um etliche inhaltliche Details und erbauliche Passagen erweitert worden. Besonders bedeutend ist die Nennung des Familiennamens Leinin-ger, der die eindeutige Identifizierung ermöglicht. Wie bereits erwähnt, verzichtet die gedruckte Version der Erzählung auf die Namensnennung. Die Geschichte Regi-nas war längst in die pennsylvanisch-deutsche Folklore eingegangen, als zu Beginn des zwanzigsten Jahrhunderts eine lebhafte Forschungsdiskussion um Reginas Iden-tität stattfand.670 Weitere Details beinhalten unter anderem das Alter der beiden Lei-ningerschwestern und Entfernungsangaben. Das zweijährige Mädchen, dessen sich Regina annimmt, wird im Tagebuch nur am Rande erwähnt. Erst in der zweiten Fas-sung wird sie ein fester Bestandteil von Reginas Leben in Gefangenschaft und später als Familienmitglied. Neu eingefügt wurde in die zweite Fassung auch die wohltäti-ge Einkleidung der ehemaliwohltäti-gen Gefanwohltäti-genen durch die Soldaten, die Mühlenberg zu einer langen, erbaulichen Passage anregt. Darin wünscht er, dass christliche Tugen-den zum Wohle der christlichen Menschheit allseits praktiziert werTugen-den mögen. Die Familienzusammenführung von Mutter und Tochter wird in der zweiten Fassung wesentlich detaillierter erzählt, worin ebenfalls die gestalterische Absicht im Hin-blick auf die Veröffentlichung als „Merkwürdiges Exempel“ zu erkennen ist. Dafür spricht auch die hinzugefügte Passage, in der Mühlenberg seiner Verwunderung über Reginas Lesefähigkeit angesichts ihrer langen Zeit unter den Indianern ausdrückt.

Die gedruckte, dritte Version enthält bis auf einige Ausnahmen alle eben auf-geführten Hinzufügungen. Der Verzicht auf die vollständige Identifizierung der Pro-tagonistin hängt sicherlich mit dem Verwendungszweck der Geschichte zusammen:

Die Anonymität verleiht ihr den Charakter eines Gleichnisses und hebt sie auf eine allgemeingültige Bedeutungsebene. Ebenfalls fehlen in der gedruckten Version die oben erwähnte Textpassage zu christlichem Leben und zwei kurze Textstellen mit biblischen Anspielungen beziehungsweise persönlichen Stellungnahmen Mühlen-bergs, wodurch jedoch die Geschichte stringenter erzählt werden kann.

Auf welche Weise bzw. in welcher Sprache Mühlenberg Reginas Geschichte von ihr gehört hat, ist nicht eindeutig feststellbar, aber es ergeben sich folgende Möglichkeiten: Da Regina ihre Erlebnisse wegen ihrer mangelnden deutschen Sprachkenntnisse nicht selbst formuliert hat, könnte man annehmen, dass Mühlen-berg Reginas Geschichte aus dem Munde ihrer Mutter gehört hat, während die junge Frau daneben saß. Als zweite Möglichkeit käme in Betracht, dass die Unterhaltung auf englisch stattgefunden hat. Dies und Mühlenbergs eigene Gestaltung bei der

669 Tappert und Doberstein haben die Varianten in ihre Publikation The Journals of Henry Melchior Muhlenberg eingearbeitet und damit die Grundlage für den Vergleich geliefert. Zur Herkunft der zweiten Fassung siehe Tappert/Doberstein, Journals 2:202, n.1.

670 Im Jahr 1856 erschien in Baltimore der von Reuben Weiser verfasste Roman Regina, the German Captive. Er beruht auf den Erinnerungen der Großmutter des Autors, einer Schwiegertochter von Conrad Weiser, die mit Mutter und Tochter Leininger offenbar persönlich bekannt war. Der 1873 in Pennsylvania geborene Dichter John Birmelin verfasste unter anderem eine Ballade mit dem Titel

„Regina Hartmann“ in pennsylvanisch-deutschem Dialekt. Erst Heilmann konnte die langjährige Meinung, es handele sich bei Regina um die Tochter von Johann Hartmann, der sich mit seiner Fami-lie in der Nähe des heutigen Orwigsburg (Schuylkill County), östlich des Susquehanna niedergelassen hatte, schlüssig widerlegen. Siehe Heilmann, „A Final Word“, ebenso Richards, Pennsylvania-German 107-10. Wood zufolge war die Geschichte Reginas eine der beliebtesten Geschichten der Pennsylvania-Deutschen. Siehe Wood, „Lutheran“ 101. Eine Kurzversion der Familienzusammenfüh-rung findet sich auch in Parkmans 1851 erschienenem Buch The Conspiracy of Pontiac, allerdings ohne Hinweis auf die Identität der Protagonisten. Die Herausgeber nennen sie immer noch Regina Hartmann. Levernier/Cohen, „Parkman“ 145, 153.

Niederschrift sind bei der Untersuchung der Erzählung zu berücksichtigen. Während in der le Roy/Leininger-Erzählung oft die Stimmen der beiden Frauen durchschei-nen, insbesondere in den detaillierten Schilderungen, bleibt Regina stets nur der Ge-genstand der Erzählung.

Im Dokument Unter den Händen der Barbaren (Seite 188-191)