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Gegenüberstellung von Barbaras und Reginas Versionen

Im Dokument Unter den Händen der Barbaren (Seite 191-0)

8. Regina Leininger, die Indian Queen der pennsylvanisch-deutschen

8.3.2 Gegenüberstellung von Barbaras und Reginas Versionen

Bemerkenswert ist, dass in der Veröffentlichung Barbara Leiningers der Zeitpunkt, an dem die Schwestern von den Indianern getrennt werden, nicht genannt ist. Regina wird lediglich im Zusammenhang mit dem Überfall und der Gefangennahme er-wähnt und später anscheinend einfach vergessen.671 Reginas Name taucht nicht ein-mal auf der Liste der Gefangenen auf, wo immerhin Mariane Villars erwähnt ist, das Mädchen, das bei den le Roys zum Zeitpunkt des Überfalls zu Gast war.672 Mög-licherweise hat Regina die ganzen neun Jahre in einer Siedlung verbracht, die von der europäischen Zivilisation noch weiter entfernt war als Kuskusky oder Mus-kingum. Leider enthält Mühlenbergs Text bis auf die erst in der zweiten Ma-nuskriptfassung hinzugefügte und möglicherweise nicht authentische Entfernungs-angabe von fünfhundert gereisten Meilen keinerlei Informationen über Reginas Auf-enthaltsort.

Während die beiden Erzählungen bezüglich des Überfalls faktisch über-einstimmen, zeigen sich für die unmittelbar darauffolgenden Ereignisse Abwei-chungen in der von Mühlenberg aufgezeichneten Geschichte. Barbara und Marie zu-folge werden die Gefangenen am dritten Tag nach dem Überfall, wenige Meilen von ihrem Heim entfernt, unter den Indianern aufgeteilt. Ihr Herr lässt sie den weiteren Weg auf dem Pferderücken zurücklegen. In Mühlenbergs Fassung müssen die Kin-der den ganzen Weg durch die Wildnis zu Fuß zurücklegen, wobei die älteren die jüngeren tragen müssen. Sie laufen barfuß und büßen nach und nach ihre Kleidung ein. Nach vierhundert Meilen wurde Barbara einer Familie überlassen, Regina muss-te weimuss-tere hundert Meilen zurücklegen. Welche der beiden Versionen der Wahrheit näher ist, kann nicht mehr geklärt werden. Es ist jedoch bereits erkennbar, dass Müh-lenberg das Leiden der Gefangenen hervorgehoben und geradezu zu einem Leidens-weg gemacht hat, der mit der Passion Christi konnotiert ist:

Nun ging die beschwerliche Reise barfuß über Stöcke, Steine, Dornen und Hecken, durch Sümpfe und Moräste. Die Kinder gingen zum Theil ihre Füße durch, bis auf die Flechsen und Knochen, daß sie meineten, sie müßten für Pein und Schmerzen sterben, mußten aber doch fort ohne Barmhertzigkeit.

Im Gehen durch die Büsche und Hecken wurden ihre Kleider zerrissen und zerlumpt, und fielen endlich völlig von den Leibern ab.673

671 Obwohl die le Roy/Leininger-Erzählung ausdrücklich erwähnt, dass es sich bei Regina um Barba-ras Schwester handelt, hält ein Forscher die beiden für ein und dieselbe Person. Er führt zunächst die Geschichte von Reginas Familienzusammenführung an, die er Klees’ bestenfalls populärwissen-schaftlich zu nennendem Buch The Pennsylvania Dutch entnommen hat. (Siehe Klees, Dutch 159-61.) Danach findet er in Axtells Kapitel über weiße Indianer aus dessen Buch The European and the Indian den Hinweis auf die le Roy/Leininger-Geschichte und argumentiert dann offensichtlich in völ-liger Unkenntnis der Fakten: „Nach anderer Darstellung wurde Regina Leininger zwar ebenfalls 1755 zusammen mit einer Marie Le Roy sowie zwei Erwachsenen und sechs weiteren Kindern gefangen, doch seien die beiden Mädchen nach drei Jahren entkommen. Das dürfte eher der Wirklichkeit näher kommen, da sie 1759 bereits ein Buch über ihre Erlebnisse bei den Indianern in deutscher Sprache herausgaben.“ Schöppl von Sonnwalden, Adoption 64-65. Axtell, European 174.

672 le Roy/Leininger, Erzehlungen 13.

673 Mühlenberg, „Exempel“ 480.

8.3.3 Literarische Muster und historische Realität

Mühlenbergs Bemühungen, Reginas Geschichte seinen Absichten entsprechend zu gestalten, sollen nachfolgend näher untersucht werden. Die Betonung der negativen Aspekte der Gefangenschaft und des seelischen und körperlichen Leidens setzt sich im Text weiter fort: Regina dient einer unfreundlichen, gewalttätigen Herrin, be-kommt keine neuen Kleider, muss hart arbeiten und hungern. Den seelischen Zu-stand des noch immer schwer traumatisierten Mädchens hat Mühlenberg bemer-kenswert gut wiedergegeben:

Durch die ersten schrecklichen Unfälle, da sie ihren Vater, Mutter, Brüder und Schwester verloren, war sie freilich erstarret; bei der mit Grausamkeit begleiteten Reise, Beraubung aller Nothdurft und Trostes, unter den Händen der Barbaren, und unter steten Schreckbildern und Schatten des Todes, konnte sie wohl wenig oder nichts denken, und nicht mehr als ein sinnlich Gefühl behalten.674

Regina kann sich erst mit dem Abklingen ihres Zustandes wieder Gott zuwenden:

Mit Gebeten und Liedern, die sie als Kind gelernt hat, gelingt ihr die Rettung ihrer christlichen Seele. In Anlehnung an Bibelstellen im Neuen Testament vergleicht Mühlenberg das Wort Gottes mit einem Samen, der sich „nach und nach in Geist und Leben verwandelt“.675 Dieser Punkt bildet das zentrale Anliegen, das Mühlenberg mit dieser Geschichte vermitteln wollte. In diesem Zusammenhang findet sich auch der einzige Hinweis auf eine Aussage von Regina selbst:

Sie sagte, sie hätte in der Zeit ihrer Gefangenschaft ihre Gebeter unzählige mal unter den Bäumen auf ihren Knien gebetet, und das Kind neben sich gehabt, welches mit gebetet, und in den letztern Jahren fast allemal eine kleine Versicherung und schimmernde Hoffnung empfunden, daß sie wieder zu Christen-Leuten kommen, und aus der Gefangenschaft erlöset werden sollte. Unter andern wären ihr folgende zwei Lieder zum beständigen Trost gewesen, und wären es auch noch, nämlich: 1) Jesum lieb ich ewiglich etc. und 2) Allein und doch nicht ganz allein bin ich in meiner Einsamkeit etc.676

Mühlenbergs Hinweis in einer Fußnote, dass die beiden Lieder im Hallischen Stadt-Gesangbuch unter den Nummern 660 und 554 zu finden sind, ist sicherlich Bestand-teil der Propaganda, mit der Spender motiviert werden sollten.677 Die Tatsache, dass Regina nur ihrer Familie zurückgegeben werden konnte, weil sie bereits als Kind – insbesondere durch väterliche Bemühungen, wie Mühlenberg hervorhebt – eine christliche Erziehung erhalten hat, soll den Lesern die Dringlichkeit und Bedeutung fehlender Pastoren, Schulen und Lehrmittel bewusst machen. Die stärkere Hervor-hebung des kleinen Mädchens in der zur Veröffentlichung vorgesehenen Version ist ein Kunstgriff Mühlenbergs: So wie Regina im einsamen Hinterland der christliche Glaube nahegebracht worden ist, so erhält das Mädchen durch Reginas Unterricht und Vorbild die Möglichkeit, in der Wildnis und unter „Wilden“ aus ihrem Glauben

674 Mühlenberg, „Exempel“ 480.

675 Hauptsächlich sei auf Lukas 11 verwiesen: „[D]er Same ist das Wort Gottes.“ Mühlenberg, „Ex-empel“ 480.

676 Mühlenberg, „Exempel“ 481. Unverständlich ist, warum Strong in ihrer Studie schreibt, es handele sich dabei um Wiegenlieder. Strong, Selves 191.

677 Mühlenberg fügt der zur Veröffentlichung bestimmten Version das Detail hinzu, dass er Reginas Wunsch nach einer Bibel und einem Gesangbuch nur nachkommen konnte, weil die neuen, gerade aus Deutschland eingetroffenen Pastoren eine Kiste voller Bibeln mitgebracht hatten. Solche Gaben wurden erst durch die spendenfinazierte Unterstützung der lutherischen Gemeinden möglich.

Kraft zum Überleben zu schöpfen. Dabei darf nicht übersehen werden, dass die reli-giösen Handlungen wie gemeinsames Beten und Liedersingen für die beiden Mäd-chen Ausdruck ihrer gemeinsamen europäisMäd-chen Identität sind. Als das jüngere Kind sieht, wie Regina durch die Rezitation religiöser Texte ihre Familie wiederfindet, tut es genau das, was es schon bei den Indianern getan hat: Es imitiert Regina und wird, da sonst niemand Anspruch erhebt, von Reginas Familie aufgenommen.

Obwohl die Kirchen in größeren Ansiedlungen Schulen unterhielten, in de-nen zusätzlich die Möglichkeit bestand, Englisch zu lerde-nen, erhielten die Kinder, die auf den isoliert im Grenzgebiet liegenden Farmen aufwuchsen, nur eine vergleichs-weise dürftige Bildung.678 Mühlenberg befürchtete sogar, dass die ungenügende Bil-dung die Kinder gänzlich der zivilisierten Welt entfremde: „[D]as hiesige Clima und die Waldungen bringen an unserer gesamten Jugend eine halb oder meist wilde und Indianische Art mit sich [...].“679 Folglich lag die Verantwortung, den Kindern Lesen und Schreiben beizubringen, ganz bei den Eltern.680 Die Vermittlung dieser Kultur-techniken war auf das Engste mit der Religion verbunden: Lesen wurde vor dem Schreiben anhand der Bibel gelernt, da das Bibelstudium ein wesentlicher Bestand-teil der protestantischen Religionsausübung war. Neben Bibelpassagen wurden auch Gebete und religiöse Lieder auswendig gelernt.681 Wurden die deutschen Siedler auch wegen der geringen Anzahl von Büchern, Zeitungen und Zeitschriften von Zeitge-nossen gehänselt, so besaßen sie doch stets zumindest einen „Calender, Gesangbuch, Paradiesgärtlein, Habermann und [...] Bibel”.682 Für die Ausbildung der Kinder auf den Farmen blieb lediglich am Abend Zeit: „[C]hildren gathered around the table in the evening, and were assisted by adults in learning their lessons, and were taught passages of Scripture and hymns [...].”683 Die Anglisierung der Deutschen in Penn-sylvania wurde, wie bereits erwähnt, durch Schulen, in denen Englisch unterrichtet wurde, oder in denen englische und deutsche Kinder gemeinsam unterrichtet wur-den, vorangebracht.684Lediglich bei Bewohnern der Grenzgebiete und bei Konfessio-nen, die sich bewusst von der Außenwelt abschotteten, wurde dieser Prozess verzö-gert oder aufgehalten.685 Und so kann man das Schicksal Regina Leiningers durchaus als exemplarisch ansehen: Es zeigt die starke Präsenz der Religion im Alltag einer Siedlerfamilie, die Anstrengungen, die die Eltern unternehmen, um die Kinder im

678 Dies wird immer wieder aus Lebensläufen, die in Büchern zur Lokalgeschichte festgehalten wur-den, deutlich. Beispielsweise erfährt der Leser über Adam Weise, geboren am 23. Dezember 1751 in New Goshenhoppen: „He received the limited education of frontier times, and learned the trade of a blacksmith.“ Egle, History 2.1:546. Selbst wenn es eine Schule in der Nähe gab, blieb sie die meiste Zeit des Jahres über geschlossen, weil die Kinder bei der Farmarbeit gebraucht wurden: „[Christian Zehrings] education was limited to the instruction obtained in the parochial schools, which, in those early times, were opened only during the winter months, and that mostly in German.“ Egle, History 2.2:300.

679 Brief Mühlenbergs an G.A. Francke vom 10. 11. 1763 in Aland, Korrespondenz 3:120.

680 Generell wurde erwartet, dass die religiöse und weltliche Erziehung nicht auf die Schule beschränkt blieb, sondern zu einem großen Teil von den Eltern geleistet wurde. Siehe Wolf, Village 193.

681 Siehe dazu auch Cavell, Education 32-45.

682 Schöpf, Reise 179.

683 Schantz, Domestic Life 55.

684 Die massive Einwanderung deutscher Siedler wurde in Pennsylvania als so bedrohlich empfunden, dass in den fünfziger Jahren des achtzehnten Jahrhunderts sogenannte Charity Schools propagiert wurden, um die Anglisierung der Deutschen voranzutreiben. Christoph Saur formulierte die Em-pörung vieler Deutscher, die durch eine solche „feindliche Übernahme“ nicht nur ihre Identität be-droht sahen, sondern auch den unausgesprochenen Vorwurf der Illoyalität erkannten. Die Charity Schools mussten wegen mangelnder finanzieller Unterstützung, unter anderem verursacht durch Saurs Warnungen, schon bald wieder schließen. Siehe Knauss, Conditions 75-76.

685 Siehe Wolf, Village 151.

Glauben zu unterweisen und die Früchte, mit denen diese Anstrengungen belohnt werden.

In der Art, wie Mühlenberg den Aspekt des Leidens, die Hinwendung zu Gottes Wort in der Hoffnung auf Erlösung und die wundersamen Ereignisse am Schluss betont, lässt sich durchaus eine Verwandtschaft von Reginas Geschichte mit den klassischen puritanischen captivity narratives erkennen. So wie Mary Row-landson die Bibel als Orakel benutzt, um ihre Erlebnisse in einen religiösen Rahmen einbinden zu können, so schlägt auch Regina auf Wunsch Mühlenbergs das Buch auf und liest einen Vers aus dem Buch Tobias vor, der in direktem Zusammenhang mit ihrem Erlebnis steht: „[d]erselbige ward mit gefangen zu den Zeiten Salmanasser, des Königes in Assyrien. Und wiewohl er also unter den Fremden gefangen war, ist er dennoch von Gottes Wort nicht abgefallen.“686 Unbestreitbar ist der Ausgang die-ses Orakels für Mühlenbergs Zwecke äußerst dienlich gewesen, denn er fügt in der zur Veröffentlichung bestimmten Version noch hinzu, wie merkwürdig – zweifellos gemeint im Sinne von wunderbar – ihm Reginas Lesefähigkeit nach neun Jahren oh-ne Buch erscheint. Auch ihre Herkunft aus Reutlingen interpretiert er theologisch:

Die Reichsstadt Reutlingen gehörte ab 1531 dem Schmalkaldischen Bund an, der die protestantische Sache gegen die drohende Exekution nach dem Augsburgischen Reichstagsabschied von 1530 verteidigte, und folgerichtig hat einem Kind dieser Stadt unter Wilden das Wort Gottes lutherischer Prägung zum Überleben gedient.

Die protestantische Prägung dieses Textes äußert sich auch in Mühlenbergs Bemer-kung, die „armselige Lebensart war ein gutes Hülfsmittel und Zügel, um das sündli-che Fleisch und dessen aufsteigende Begierden zu zähmen, und das in der zarten Ju-gend eingepflanzte Wort des Evangelii konnte dem inwendigen Menschen desto bes-ser zur Kraft gedeihen“.687 In dieser Leibfeindlichkeit und der Bedeutung, die dem geistigen Leben beigemessen wird, lassen sich auch Parallelen zu den Puritanern er-kennen.

Eine weitere Ähnlichkeit zu Rowlandson besteht in der Darstellung der Indi-aner. Etliche der Erweiterungen in der zur Veröffentlichung bestimmten Version be-ziehen sich auf die Indianer, und sind speziell für den europäisch deutschen Leser bestimmt. Beispielsweise erläutert Mühlenberg, dass Braddock die Schlacht nur ver-loren habe, „weil die Engländer nach der Europäischen Kriegskunst und die Indianer nach der Americanischen fochten“.688 Der zeitgenössische Leser hatte durchaus die

686 Mühlenberg, „Exempel“ 482.

687 Mühlenberg, „Exempel“ 481.

688 Mühlenberg, „Exempel“ 479. In einem Brief an den Forstherrn Ernst zu Einbeck vom 25. Oktober 1755 erläutert Mühlenberg ausführlich die Niederlage General Braddocks und die unterschiedlichen Kampfesweisen: „Es giebt hier in America eine wunderliche Art zu kriegen, welche niemand beßer verstehet, als die hier gebohrnen Wilden, oder so genanten Indianer, und ingebohrne Neu-Engel-länder. Die regulairen Truppen, welche von Alt-Engeland zu uns herein gesandt werden, sind wohl gut, Vestungen einzunehmen und zu vertheidigen, aber in den Wüsten und Wäldern können sie mit den Barbaren nicht aufkommen. [...] Ehe die Wilden den Angrif thun, machen sie ein grausames heu-lendes Feldgeschrey, welches genug war die Europaeer halb von Sinnen zu bringen. Darauf flogen die Kugeln hintern den Bäumen so häufig heraus wie ein Hagel Wetter auf die Avant-Garde, welche wie Schafe auf einem Haufen stunden, und nieder fielen wie die Fliegen. Unsere Leute sahen nichts als Bäume und diecke Gebüsche, schoßen zurück an die Bäume, kamen aber in Confusion und flohen zu den General-Corps. Die Barbaren folgten nach und fielen das General Corps auf gleiche weise an.

Zwey oder 3. Officirer welche in America gebohren und der Wilden Fecht-Art verstunden baten den Herrn General Braddock inständig, er möchte ihnen erlauben, daß sie mit etlichen Compagnien aus-fallen, und mit den Wilden nach ihrer Art fechten dürften. Er wolte es aber nicht erlauben sondern auf Europaeische Weise fechten, machte Batallion Quarré, feuerten mit Canonen und Musqueten, daß die Bäume zitterten, worüber die Feinde nicht erschracken, sondern in kurzer Zeit die meisten und besten

Möglichkeit, sich aus Zeitschriftenartikeln und Büchern, die anlässlich der franzö-sisch-indianischen Auseinandersetzung erschienen waren, über die indianische Kriegsführung zu informieren. An einer anderen Textstelle erläutert Mühlenberg die indianische Sitte, weiße Gefangene zu adoptieren und mit ihnen eigene Verluste zu ersetzen. Der ethnologisch interessierte Leser musste sich allerdings mit den beiden Informationen zufrieden geben, da dies Mühlenbergs Absichten nicht entsprach. Le-diglich in den eben genannten Erläuterungen werden die Indianer wertneutral darge-stellt. Gleich nach der Erwähnung von Braddocks Niederlage wird das negative In-dianerbild für die Erzählung etabliert:

Worauf sogleich die feindliche Barbaren in die Pensylvanische Grenzen einfielen, und die zerstreuet wohnende wehrlose, meistens arme teutsche Familien jämmerlich ermordeten, und ihre Kinder durch die grausamen Wüsten, bis zu ihren heidnischen Wohnungen oder Hütten und Höhlen in die Gefan-genschaft schleppten.689

Später nennt Mühlenberg die Indianer „Wilde“ oder „wilde Nationen“. Bezeichnend ist die Darstellung der Frau, der Regina zugeteilt wird: Zunächst ist sie eine „alte bö-se Indianerin“, später sogar die „alte Wölfin“. Den Vergleich mit diebö-sem Raubtier hat Mühlenberg bereits früher benutzt.690 Zu diesem Bild passt auch die Spezifizie-rung indianischer Behausungen als Höhlen. Bereits im alten Testament verkörperte dieses Tier eine Bedrohung; beispielweise heißt es im Buch Jeremia: „[D]er Wolf aus der Steppe wird sie verderben [...].“691 Die feste Verankerung biblischer Bilder im zeitgenössischen Sprachschatz zeigt auch die Meldung Christoph Saurs vom Februar 1756:

Officiers samt den grösten Theil der Mannschaft tödteten, dem General Braddock vier Pferde unter dem Leibe erlegten, ihn selbst tödlich verwundeten, bis die übrigen in der grösten Confusion flohen, und die schönen Canonen, Geld Cassa und die übrige Ammunition, theils den Feinden hinterließen und theils vollends auf der Flucht annihilirten.“ Aland, Korrespondenz 2:249-50.

689 Mühlenberg, „Exempel“ 479. Diese Textstelle hat große Ähnlichkeit mit einem Absatz aus dem bereits erwähnten Schreiben an Herrn Ernst zu Einbeck, die direkt an die Schilderung der Niederlage anschließt: „Nun streifen die Wilden von allerhand Nationen, auch etliche von denen, die sonst unsere Freunde gewesen sind, umher und begehen die grausamsten Mordthaten an unseren hier zerstreuet wohnenden Leuten auf den Grentzen von Pennsyvanien und Virginien. Die Barbaren sind hier in den Wüsten und Wäldern zu Hause, kennen alle Gruben, Hölen und Schlupfwinckel, können nach und nach, wenn es Gott zuließe, viel tausend Einwohner ermorden und ihre Wohnungen verbrennen, weil die Landleute zerstreuet wohnen, und nicht vermögend sind, ein ander in Noth beyzuspringen.“ A-land, Korrespondenz 2:250-51. Vermutlich hat Mühlenberg beim Verfassen des „Exempels“ seine Kopie dieses Schreibens konsultiert. Daran lässt sich nicht nur die Absicht Mühlenbergs ablesen, das

„Exempel“ bewusst für einen europäisch-deutschen Leser zu gestalten, sondern auch sein Bemühen, sich von der authentischen Stimmung im Herbst 1755 inspirieren zu lassen und nicht aus der Rück-schau zu urteilen.

690 Beispielsweise beklagt er in einem Schreiben an den Abt des Klosters Denkendorf im Herzogtum Württemberg vom 31. Januar 1756 unter anderem die Lage der Siedler im Grenzgebiet und die Untä-tigkeit der Regierung: „Unsere wilde Nationen sind von den Gallen wider uns aufgereitzet worden, und haben seit dem Monat October 1755. bis dato einen Strich Landes von Pensylvanien, hundert Englische Meilen in die Länge, verwüstet, den armen Einwohnern ihre Häuser, Scheuren und Stallun-gen verbrannt, und viele alte Leute, Kinder, schwangere Weiber, die nicht so leicht entfliehen konten, recht unmenschlich und unbeschreiblich gemartert, zum Theil lebendig geschunden, zermetzelt und so hingerichtet, daß es keine Feder beschreiben mag. Es ist wol ein und andere Gegenanstalt gemacht, aber ohne Success und Effect. Denn, nicht zu gedenken, daß ein uneinig Reich hinlängliche Gegen-wehr zu machen versäumet, so ist es fast unmöglich, ein so weitläuftig Land, das von allen Seiten of-fen stehet, und wo die Leute in den Wäldern zerstreuet wohnen, gegen die wilden Wölfe, die in den Hölen und Gebüschen ihre Heimat haben und auf den Raub lauren, genugsam zu beschützen, [...].“

Aland, Korrespondenz 2:282-83.

691 AT, Jeremia 5,6.

Baston den 26. Januari.

Wir haben Nachricht von Northamten daß etliche Spuhren von Indianer Fußtapffen an der westlichen Grentze sind gesehen worden, und also haben wir auch dergleichen Unheil zu gewarten von den Wölffen aus der Wildnis.692

Hier ist offenbar ein Stereotyp entstanden, dessen biblische Konnotation im Ver-gleich zu Entsprechungen wie „hell-hounds“ und „ravenous beasts“ in der Geschich-te Mary Rowlandsons deutlicher und stärker ist.693 Die Menge der ehemaligen Gefan-genen, die Bouquet übergeben werden, nennt Mühlenberg „Heerde der Erlöseten“

und impliziert damit das Bild von Schafen.694 Dieses Bild ist ebenfalls biblisch

und impliziert damit das Bild von Schafen.694 Dieses Bild ist ebenfalls biblisch

Im Dokument Unter den Händen der Barbaren (Seite 191-0)