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Vergessene Kommunisten: Die Weddinger Opposition

Die linke Opposition der KPD in der Weimarer Republik (1924-1933)

4. Vergessene Kommunisten: Die Weddinger Opposition

Neben dem Leninbund existierte eine zweite einflussreiche linkskommunistische Fraktion: die bisher wenig erforschte Weddinger Opposition um Hans We b e r, Wilhelm Kötter, Max Riese und Arthur Vogt. Die Gruppe hatte sich 1924 während

312 Robert J. Alexander: International Trotskyism 1929-1985. A Documented Analysis of the Movement, Dur-ham/London 1991, S. 408.

313 Alles: Trotzkisten, S. 23.

314 Ebenda, S. 26.

315 Zimmermann: Leninbund, S. 230.

316 Unterscheiden ließen sich die beiden Organisationen an den Zeitungen, die sie herausbrachten. Die „off i -zielle“ Trotzki-Fraktion produzierte die „Permanente Revolution“, während sich das Organ der Gruppe um Kurt Landau „Der Kommunist“ nannte. Zu den beiden Gruppen siehe: Bois: Linke Opposition, S. 85-111.

317 Walter Riest: Die Splittergruppen der KPD, in: Neue Blätter für den Sozialismus 3, 1932, S. 209.

des V. Weltkongress der Komintern als Teil der „ultralinken“ Opposition zur da-maligen KPD-Führung um Ruth Fischer gegründet.318Seit 1926 agierte sie eigen-ständig. Ihre Hochburgen befanden sich in Berlin, der Pfalz und Westsachsen.

Genau wie die anderen linken Oppositionsgruppen kritisierten die We d d i n g e r den Entdemokratisierungsprozess innerhalb der KPD. So forderten sie die „Her-stellung der vollen Parteidemokratie durch die Wahrung der Diskussionsfreiheit in Wort und Schrift sowie die Wiederaufnahme aller ausgeschlossenen Genos-sen.“319Zudem solidarisierten sie sich mit der Vereinigten Opposition der KPdSU, warnten vor dem Aufstieg des Stalinismus in der Sowjetunion und kritisieren die These vom „Sozialismus in einem Land“.320

Im Ve rgleich zu den anderen linken Gruppen konnten die Weddinger sich je-doch wesentlich länger in der Partei halten. Wurden 1926 nacheinander Karl Korschs „Entschiedene Linke“, die „Ultralinken“ um Iwan Katz, Fischer/Maslow und schließlich die Urbahns-Gruppe aus der KPD ausgeschlossen, blieben die Weddinger zumindest bis 1928 halbwegs unbehelligt. Noch 1927 wählte der Es-sener Parteitag mit Adolf Betz und Max Gerbig sogar zwei ihrer Vertreter ins Zen-tralkomitee. Ein Grund hierfür war, dass die Weddinger über einen nicht unbedeu-tenden Rückhalt an der Parteibasis verfügten. 1926 hatten sie in ihren drei H o c h b u rgen – den Bezirken Pfalz und Westsachsen, sowie dem Berliner Ve r w a l-tungsbezirk Wedding – die Mehrheit der Parteimitgliedschaft hinter sich.321In der Pfalz und in Westsachsen stellten sie die Bezirksleitung. Dieser Rückhalt resul-tierte aus ihrer Standhaftigkeit in den innerparteilichen A u s e i n a n d e r s e t z u n g e n , wie Schafranek meint:

Die ungemein zähe und verbissene Verteidigung ihrer pfälzischen Hochburg gegen die wiederholten Versuche des stalinistischen Parteiapparats, eine mit überwältigender Mehrheit gewählte Bezirksleitung durch kommissarische Ein-g r i ffe und andere Formen bürokratischer Repression in die Knie zu zwinEin-gen, mobilisierte ein erhebliches Widerstandspotential und dürfte auch nicht ohne Eindruck auf etliche ‘unentschiedene’ Parteimitglieder geblieben sein.322 Tatsächlich startete die Parteiführung immer wieder Versuche, die Weddinger Op-position zu schwächen. Im Frühjahr 1926 beispielsweise beabsichtigte sie, den Einfluss ihrer innerparteilichen Gegner durch einen taktischen Schachzug zu dezi-mieren: Sie löste den Bezirk Pfalz auf und überführte diesen in den Bezirk Baden.

Unter dem Druck der Weddinger und beeinflusst durch die Tatsache, dass auch in Baden zunehmend eine starke Opposition auftrat, machten sie den

Zusammen-318 Stobnicer: Mouvement, S. 56.

319 Diskussionsartikel der Weddinger Opposition, in: Der Pionier. Mitteilungsblatt, hrsg. v. der Bezirksleitung der KPD Bezirk Pfalz, November 1927, S. 5.

320 Stobnicer: Mouvement, S. 58 f.

321 Becker: KPD, S. 38; Bericht des Reichskommissars für die Überwachung der öffentlichen Ordnung über die Opposition in der KPD, 30.07.1926, StA Bremen, 4,65-265, Bl. 14-16. Auf dem Bezirksparteitag für Ge-samt-Berlin stellten sie etwa 10 Prozent der Delegierten.

322 Schafranek: Leben, S. 193.

schluss jedoch bald wieder rückgängig.3 2 3Selbst als im Januar 1928 der Opposi-tionelle Fritz Baumgärtner als Politischer Leiter des Bezirks abgesetzt worden war, stand noch die Mehrheit der Mitgliedschaft des Bezirkes hinter den Weddin-gern. Dies wird nicht nur daran deutlich, dass sich das ZK zwei Wochen nach Baumgärtners Absetzung genötigt sah, in einem Rundschreiben allen Zellen- und Ortsgruppenleitungen gegenüber „nochmals darauf hinzuweisen, dass die Be-schlüsse des ZK, die der gesamten Mitgliedschaft der Pfalz bekannt sind und wo-nach der Genosse Baumgärtner seiner Funktion als politischer Sekretär enthoben ist, durchgeführt werden müssen.“3 2 4Sondern auch die Tatsache, dass sich meh-rere Unterbezirkskonferenzen, Ortsgruppen, die A r b e i t e r- Turnerinnen der Pfalz und auch die Betriebszellenversammlungen von BASF und Sulzer mehrheitlich – teilweise sogar einstimmig – mit der abgesetzten Bezirksleitung solidarisierten, zeigt den Rückhalt, den die Weddinger in der Pfalz genossen.325

1926 sah es zunächst so aus, als ob auch die Weddinger Teil des Projektes einer vereinigten linken Opposition in der KPD sein würden. Noch vor Ve r ö ff e n t l i c h u n g des „Briefes der 700“ kam es im Juli 1926 zu einem Tr e ffen von Vertretern der verschiedenen innerparteilichen linken Gruppen.3 2 6Zudem gaben die Urbahns-Gruppe und die Weddinger Opposition gemeinsam eine Broschüre zur Situation in Russland heraus.3 2 7Auch den „Brief der 700“ unterzeichnete die Mehrheit der We d d i n g e r.3 2 8Im Folgejahr setzten sich die guten Beziehungen zu den anderen Linken fort.3 2 9Als diese jedoch 1928 den Leninbund gründeten, blieben die We d-dinger der neuen Organisation fern. Ähnlich wie Fischer, Maslow und Tr o t z k i fürchteten sie, dass die Gründung den Versuch darstellte, eine zweite kommunisti-sche Partei aufzubauen. Mit dem Wahlbeteiligungsbeschluss fühlten sie sich in ih-rer Einschätzung bestätigt. Sie hingegen ließen „ihr Gesicht […] voll und ganz der Partei zugewendet, in der sie aller Degeneration zum Trotz nach wie vor die

‘revolutionären proletarischen Kerntruppen’ vereinigt sah[en].“330

Diese Orientierung verhinderte jedoch nicht, dass auch sie – nachdem ihre H o c h b u rgen von der Parteiführung „zurückerobert“ worden waren – an Einfluss verloren. Die Jahre 1928/29 waren von einem Rückgang ihrer politischen A k t i-vitäten gekennzeichnet. Führende Genossen wie Hans Weber zogen sich

resi-323 Weber: Wandlung, S. 165.

324 Brief des ZK an alle Zellen- und Ortsgruppenleitungen des Bezirk Pfalz, 25. 01. 1928, SAPMO-BArch, RY 1, I 3/25/9, Bl. 186-88, hier Bl. 186.

325 Vgl. SAPMO-BArch, RY 1, I 3/25/10, Bl. 3-5, 7, 8, 39, 54, 79, 92-94, 105, 106.

326 Lediglich die ultralinke Korsch-Schwarz-Gruppe nahm nicht teil. Vgl. Weber: Wandlung, S. 158.

327 Einiges Material zur russischen Frage. Memorandum der Weddinger Opposition und der „Urbahns-Gruppe“, o. O., o. J. [1926], BArch Berlin, R 1507/1063g, Bl. 242. Vgl. auch den kurzen Überblick über die Entwicklung der Opposition in: Bericht über die zweite Parteiarbeiterversammlung im Wedding vom 10. 10. 1927, SAPMO-BArch RY 1, I 3/1-2/32, Bl. 278-80, hier Bl. 278.

328 Die Auswertung der Quellen lässt sogar den Schluss zu, dass sie die Initiatoren des Dokuments waren.

Siehe: Die Weddinger Opposition zur Erklärung Kötters, BArch Berlin, R 1507/1063f, Bl. 278.

329 Bericht über die zweite Parteiarbeiterversammlung in Wedding vom 10.10.1927, SAPMO-BArch RY 1 , I 3/1-2/32, Bl. 278-80, hier Bl. 278.

330 Schafranek: Leben, S. 194.

gniert ins Privatleben zurück. Zugleich gab die durch die Repressionen und A u s-schlüsse enorm geschwächte Weddinger Opposition mit dem Linksschwenk der KPD mehr und mehr ihre ursprünglichen ultralinken Ansichten auf und näherte sich stattdessen den Positionen Leo Trotzkis an. Schließlich gingen – wie oben er-wähnt – die Reste der Gruppe 1930 in der trotzkistischen VLO auf.