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Getrennt marschieren…

Im Dokument Rosa-Luxemburg-Stiftung Manuskripte 69 (Seite 106-110)

Die linke Opposition der KPD in der Weimarer Republik (1924-1933)

7. Getrennt marschieren…

Die linksoppositionellen Kommunisten waren angetreten, die Entwicklung der KPD von einer demokratischen Partei zu einem bürokratischen Instrument der Stalinschen Außenpolitik zu verhindern bzw. rückgängig zu machen. Letzten En-des sind sie gescheitert. Ihre Erfolglosigkeit lässt sich jedoch kaum monokausal erklären, vielmehr war es ein Bündel objektiver und subjektiver Faktoren, die letztendlich in die Niederlage führten.

Als Mitte der 1920er Jahre noch die Chance auf eine Umkehr des verheerenden KPD-Kurses bestand, konnte die Opposition zwar aufgrund ihrer Kritik an der Ent-demokratisierung der Partei und den Vo rgängen in der Sowjetunion die Sympathien vieler Parteimitglieder gewinnen. Gleichzeitig vertrat sie jedoch in anderen wichti-gen Frawichti-gen ultralinke und teilweise realitätsferne Positionen, die viele Parteigänger abschreckten. So lehnte sie – entgegen ihren späteren Ansichten – eine Zusammen-arbeit mit der SPD kategorisch ab. Im Bezug auf eine der wenigen wirklichen Ein-heitsfrontaktionen der Weimarer Zeit, der Fürstenenteignungs-kampagne, warf sie dem ZK beispielsweise vor, „reformistische Politik“ zu betreiben.3 7 4Letztendlich di-stanzierte sich die Opposition mit dieser Einschätzung von den Parteimitgliedern, die zwar ebenfalls die innerparteiliche Entwicklung kritisierten, aber den politi-schen Kurs der Parteiführung unterstützten. Hätten sich die Linkskommunisten in diesem Punkt durchgesetzt, dann wäre die KPD vermutlich schon wesentlich früher in der gesellschaftlichen Isolation gelandet, in die sie sich nach 1929 kapitulierte.

Während sich die linke Opposition aber später von ihren ultralinken Ansichten verabschiedete und in den letzten Jahren der Weimarer Republik sogar „rechts“

von der Parteiführung stand, blieb sie einer anderen Tradition treu: dem politi-schen Sektierertum. Immer wieder kam es zu Konflikten zwipoliti-schen den verschie-denen Oppositionellen, in verschie-denen die einzelnen Akteure das Trennende vor das Verbindende stellten. So weigerte sich beispielsweise die sogenannte Kötter-Gruppe der Weddinger Opposition, den „Brief der 700“ zu unterschreiben, ob-wohl Kötter ihn mitformuliert hatte. Die Begründung lautete: „Wir haben uns an der Herausgabe der […] ‘Erklärung zur russischen Frage’ nicht beteiligt, weil wir jede Gemeinschaft mit jenen schwankenden Führern, wie Ruth Fischer, Maslow, Scholem usw. ablehnen.“3 7 5Auf der anderen Seite erregte 1927 die „Ve r h ä t s c h e-lung“ der Weddinger durch das ZK das Misstrauen der bereits ausgeschlossenen Urbahns-Leute.376Und 1930 erging sich die VLO schon kurz nach ihrer Gründung

374 Erklärung der Opposition. Eine Entgegnung auf die Polemik des ZK, [Oktober 1926], BArch Berlin, R 1507/1063g, Bl. 71-74, hier Bl. 73

375 Erklärung der Weddinger Opposition, 17.09.1926, BArch Berlin, R 1507/1063f, Bl. 284. Vgl. auch Sächsi-sche Arbeiterzeitung, 21. 09. 1926. Letztendlich führte diese Haltung Kötters zur Spaltung der We d d i n g e r Opposition. LaPorte: Stalinization, S. 564 sieht die Nichtunterzeichnung der Erklärung durch die Westsach-sen, die in der Folgezeit als „Vogt-Gruppe“ firmierten, als „a tactic to maintain the unity of the Vogt Group as a faction withinthe KPD.“

376 Schafranek: Leben, S. 193.

in internen Rangeleien. Kurt Landau beklagte sich damals über die Stimmung in der Berliner Gruppe: „Die Sitzungen arteten derart aus, dass sich kein Gasthaus fand, das uns ein zweites Mal ein Lokal für eine Sitzung geben wollte.“3 7 7S e l b s t im Abwehrkampf gegen die Nationalsozialisten finden sich Beispiele dafür, dass es nicht gelang, Einigkeit unter verschiedenen oppositionellen Gruppen herzustel-len – obwohl alle das Ziel einer Einheitsfront zwischen SPD und KPD verfolgten.

So konstatiert John Eric Marot: „We must conclude that agreement on theburning political issue facing German workers’ movement – establishing a united front be-fore the Nazi menace – was not enough to push the Trotskyists to co-operate fruit-fully with KPO, the Leninbund, or the SAP.“378

Völlig zu Recht faßt Kessler zusammen: „Die Uneinigkeit sogar innerhalb der antistalinistischen kommunistischen Opposition könnte Thema einer eigenständi-gen Abhandlung sein.“3 7 9Diese Tatsache erscheint umso absurder, wenn man be-denkt, dass ein Teil der Oppositionellen tunlichst darauf bedacht war, nicht die

„Einheit der Partei“ zu gefährden.

Nichts desto trotz soll nicht darüber hinweggesehen werden, dass innerhalb der linken Opposition politische Differenzen existiert haben, die nicht durch eine in-haltslose „Einheit“ hätten überwunden werden können. So war etwa die Frage, ob man innerhalb der KPD für deren Reform kämpft oder ob man eine neue kommu-nistische Partei gründet, von maßgeblicher strategischer Bedeutung. Dennoch war bei den Linkskommunisten deutlich die Tendenz zu beobachten, inhaltliche Un-terschiede vor Gemeinsamkeiten zu stellen. Dieses politische Sektierertum trug dazu bei, dass sie den Kampf um die KPD verloren.380

Jedoch dürfen neben diesen subjektiven Gründen die objektiven nicht verg e s-sen werden. Hier sind zwei hervorzuheben. Zum einen lagen die Ausgangspunkte der Stalinisierung der KPD mit dem Niedergang der Revolution in Russland, der Niederlage der Vereinigten Opposition und dem Aufstieg der Parteibürokratie zur neuen Herrschaftsschicht in der Sowjetunion außerhalb der Einflusssphäre der Linkskommunisten. Vermittelt durch die Komintern „säuberte“ die Stalin-Clique im Verlauf der späten 1920er Jahre alle wichtigen kommunistischen Parteien im Ausland und wandelte sie in bloße Befehlsempfänger um. Dieser Prozess war in Deutschland 1928 so weit vorangetrieben, dass es ab diesen Zeitpunkt eine Illu-sion war, zu glauben – wie es die Trotzkisten taten –, man könne die KPD noch reformieren.

377 Zit. nach ebenda, S. 206.

378 John Eric Marot: Trotsky, the Left Opposition and the Rise of Stalinism. Theory and Practice, in: Historical Materialism, 14. Jg., 2006, Heft 3, S. 200. Zur nahezu identischen Faschismusanalyse von KPO (August Thalheimer) und Linker Opposition (Leo Trotzki) siehe: Sarah Kröger: Die Faschismustheorien von Leo Trotzki und August Thalheimer. Eine vergleichende Analyse, Examensarbeit, Hamburg 2005.

379 Mario Keßler: Einheit des Kommunismus?, in: Jens Mecklenburg & Wolfgang Wippermann (Hrsg.): „Roter Holocaust“? Kritik des Schwarzbuch des Kommunismus, Hamburg 1998, S. 94.

380 Zu dieser Einschätzung kommt auch Weber: Wandlung, S. 158: „Die Schwäche dieser Opposition bestand in der Spaltung zwischen linker (Urbahns) und ultralinker (Weber) Gruppierung.“

Auf der anderen Seite erlebte die Weimarer Republik in ihren letzten Jahren eine derartige politische Polarisierung, dass es nahezu unmöglich war, eine dritte linke Massenpartei neben SPD und KPD aufzubauen, wie es der Leninbund ver-suchte. Die Gefahr des aufsteigenden Faschismus orientierte die Mehrheit der deutschen Arbeiterklasse auf eine der beiden Parteien – trotz aller Fehler, die sie womöglich machten. In dieser Situation eine unbedeutende linke Kleinpartei zu wählen oder sich ihr gar anzuschließen, erschien den wenigsten als gangbarer Weg.

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