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Linke Opposition gegen den Faschismus

Im Dokument Rosa-Luxemburg-Stiftung Manuskripte 69 (Seite 101-106)

Die linke Opposition der KPD in der Weimarer Republik (1924-1933)

6. Linke Opposition gegen den Faschismus

Gerade angesichts des Versagens der Strategie der KPD ist die wesentlich diff e-renzierter ausfallende Faschismusanalyse der Linkskommunisten von – zumin-dest theoretischem – Interesse. Besonders hervorzuheben ist in diesem Kontext die VLO bzw. ab 1931 die beiden Gruppen „Linke Opposition der KPD“, welche sich maßgeblich auf die Einschätzungen Leo Trotzkis stützten.3 4 7Die Schriften des russischen Oppositionellen bewiesen einen bemerkenswerten Weitblick und eine erstaunliche Kenntnis der Situation in Deutschland – vor allem, wenn man bedenkt, dass er sich im türkischen Exil befand.348Kurt Tucholsky staunte damals:

342 Weber: Wandlung, S. 239.

343 Conan J. Fischer: Gab es am Ende der Weimarer Republik einen marxistischen Wählerblock? In: Ge-schichte und Gesellschaft, 21. Jg., 1995, S. 78.

344 Andreas Dorpalen: SPD und KPD in der Endphase der Weimarer Republik, in: Vierteljahrshefte für Zeitge-schichte, 31. Jg., 1983, S. 86.

345 Hermann Weber & Andreas Herbst: Deutsche Kommunisten. Biographisches Handbuch 1918 bis 1945, Berlin 2004, S. 15.

346 Weber: Wandlung, S. 239.

347 Siehe hierzu: Ernest Mandel: Trotzkis Faschismusanalyse, 2. Aufl., Frankfurt 1977.

348 Die wichtigsten Texte von Trotzki über den Aufstieg des Nationalsozialismus befinden sich in dem Sam-melband Leo Trotzki: Schriften über Deutschland, hrsg. von Helmut Dahmer, Frankfurt 1971 (im Folgen-den zit. als: SüD).

„Und Trotzki, der prachtvolle Sachen schreibt... Neulich ein ‘Porträt des National-sozialismus’, das ist wirklich eine Meisterleistung. Da stand alles, aber auch alles drin. Unbegreiflich, wie das einer schreiben kann, der nicht in Deutschland lebt.“3 4 9

Trotzki war im Gegensatz zur offiziellen Linie der Komintern nicht der A n-sicht, dass es sich bei Hitlers Nationalsozialisten um eine „Schöpfung“ des reak-tionären Finanzkapitals handele.3 5 0Vielmehr beschrieb er den Faschismus als Massenbewegung, die sich vor allem aus dem Kleinbürgertum – Trotzki verstand hierunter Selbständige, höhere Angestellte und Beamte –, aber auch aus „dem Lumpenproletariat und in gewissen Maße sogar aus den proletarischen Massen“

r e k r u t i e r e .3 5 1Die Krise habe das Kleinbürgertum besonders hart getroffen und zu dessen Desillusionierung geführt: „Die Pauperisierung der Mittelschichten – mit Mühe durch Halstuch und Strümpfe aus Kunstseide verhüllt – fraß allen off i z i e l-len Glauben und vor allem die Lehren vom demokratischen Parlamentarismus.“352 Für die kleinbürgerlichen Schichten sei der Nationalsozialismus so attraktiv, da er eine gegen das Großkapital gerichtete Demagogie mit großer Feindschaft gegen die organisierte Arbeiterbewegung verbinde.353

Auch wenn der Faschismus keine Erfindung des Kapitals sei, so Trotzki weiter, sei dieses bereit, in einer Situation enormer sozialer und politischer Polarisierung – wie sie in Deutschland herrsche – die Nationalsozialisten zu unterstützen. Zwar sei die bürgerliche Demokratie für das Kapital die günstigste Herrschaftsform, aber wenn die Gefahr einer proletarischen Revolution drohe, würde der Faschismus mit seinem Versprechen, die Arbeiterbewegung zu zerschlagen, zu einer denkbaren A l-ternative. Trotzki benutzte das Bild, dass die Bourgeoisie den Faschismus ebenso sehr liebe „wie ein Mensch mit kranken Kiefern das Zahnziehen.“3 5 4

Daher war er im Gegensatz zur KPD-Führung der Meinung, dass sehr wohl ein Unterschied zwischen bürgerlicher Demokratie und Faschismus bestünde. Zwar würde auch in bürgerlichen Demokratien die Herrschaft „gegen die Arbeiter mit Waffengewalt“ verteidigt.

[Aber] haben wir je die Demokratie für ein Regime des sozialen Friedens ge-halten? [...] Wenn all das Faschismus ist, dann ist die Geschichte der Klassen-gesellschaft die Geschichte des Faschismus, dann gibt es in der Welt ebenso viele Faschismen wie bürgerliche Parteien: Liberal-Faschisten, Radikal-Fa-schisten, National-Faschisten usw. Aber welchen Sinn haben dann diese Be-zeichnungen? Keinen. ‘Faschismus’ ist dann nur ein marktschreierisches Sy-nonym für Klassengewalt.355

349 Zit. nach Heinz Abosch: Trotzki-Chronik, München 1973, S. 5.

350 Vgl. Alex Callinicos: Plumbing the Depths: Marxism and the Holocaust, in: The Yale Journal of Criticism, Vol. 14, Nr. 2, Herbst 2001, S. 391 f.

351 Leo Trotzki: Was ist Faschismus? (Aus einem Brief an einen englischen Genossen), in: SüD, S. 141-142.

352 Leo Trotzki: Porträt des Nationalsozialismus, in: SüD, S. 572.

353 Vgl. hierzu: Mandel: Faschismustheorie, S. 24.

354 Leo Trotzki: Der einzige Weg, in: SüD, S. 359.

355 Leo Trotzki: Die österreichische Krise, die Sozialdemokratie und der Kommunismus, in: SüD, S. 62.

Die „Sozialfaschismusthese“ hielt Trotzki für falsch und gefährlich. Er unter-stützte zwar die These der Komintern, dass die Politik der Sozialdemokratie den Faschisten den Weg bereite. Dennoch erklärte er, gestützt auf die Erfahrungen des italienischen Faschismus: „Der Faschismus nährt sich von der Sozialdemokratie, aber er muss ihr den Schädel einschlagen, um an die Macht zu kommen.“356Daher drängte er darauf, dass SPD und KPD – trotz aller grundsätzlichen Differenzen – gemeinsam gegen die immer stärker werdenden Nationalsozialisten agieren soll-ten. Beide seien schließlich gleichermaßen durch den Faschismus bedroht: „Der Faschismus ist nicht einfach ein System von Repressionen, Gewalttaten, Polizei-terror. Der Faschismus ist ein besonderes Staatssystem, begründet auf der Ausrot-tung aller Elemente proletarischer Demokratie in der bürgerlichen Gesellschaft.“3 5 7

Notwendig sei die Taktik der „Einheitsfront“, wie sie von Parteien der Komin-tern bereits in der Ve rgangenheit angewendet worden war. Während jedoch bei-spielsweise die gemeinsame Kampagne von SPD und KPD zur Fürstenenteig-nung 1926 eine offensive Einheitsfront gewesen sei, agiere man nun aus der Defensive:

Die Kommunistische Partei muss zur Verteidigung jener materiellen und gei-stigen Positionen aufrufen, die das Proletariat in Deutschland bereits errungen hat. Es geht unmittelbar um das Schicksal seiner politischen Org a n i s a t i o n e n , seiner Gewerkschaften, seiner Zeitungen und Druckereien, seiner Heime, Bi-bliotheken usw. Der kommunistische Arbeiter muss zum sozialdemokratischen Arbeiter sagen: ‘Die Politik unserer Parteien ist unversöhnlich; aber wenn die Faschisten heute Nacht kommen, um die Räume Deiner Organisation zu zestören, so werde ich Dir mit der Wa ffe in der Hand zu Hilfe kommen. Ve r-sprichst Du, ebenfalls zu helfen, wenn die Gefahr meine Organisation be-droht?’ Das ist die Quintessenz der Politik der jetzigen Periode.358

Die von Trotzki vorgeschlagene Taktik traf durchaus die Stimmung an der Arbterbasis. So sind – entgegen der Weisungen der nationalen Parteiführungen – ei-nige lokale Einheitsfrontaktionen aus den frühen 1930er Jahren überliefert. In mehreren württembergischen Städten gab es beispielsweise gegenseitige Aktions-angebote und bei den Kommunalwahlen entstanden gemeinsame Listenverbin-dungen. Auch der badische SPD-Vorsitzende erklärte: „Alles Trennende zurück-stellen, ist eine Forderung, die dem Ernst der Stunde entspricht.“359

Trotzkis deutsche Anhänger bemühten sich ebenfalls, in den Städten, in denen sie aktiv waren, Einheitsfrontausschüsse und -komitees aufzubauen.3 6 0Dort, wo sie unabhängig vom stalinisierten Parteiapparat agieren konnten, geschah dies

356 Ebenda.

357 Leo Trotzki: Was nun? Schicksalsfragen des deutschen Proletariats, Berlin 1932, S. 5.

358 Leo Trotzki: Die Wendung der Komintern und die Lage in Deutschland, in: SüD, S.95 f.

359 Zit. nach Thomas Kurz: Feindliche Brüder im deutschen Südwesten. Sozialdemokraten und Kommunisten in Baden und Württemberg von 1928 bis 1933, Berlin 1996, S. 394.

360 Siehe hierzu: Schüle: Trotzkismus, S. 88-110.

durchaus mit Erfolg. So gelang es den Trotzkisten beispielsweise in Bruchsal, wo sie – sehr zum Ärger der badischen KPD-Funktionäre – die einzige kommunisti-sche Kraft stellten, einen antifaschistikommunisti-schen Aktionsausschuss unter Beteiligung der lokalen SPD und des Gewerkschaftskartells zu gründen.3 6 1Die Zeitung der Linksoppositionellen, die „Permanente Revolution“, berichtete im Dezember 1931:

Unlängst [...] fand die vom Aktionsausschuss einberufene Kundgebung gegen Abbau der Löhne und der Sozialfürsorge sowie gegen die unmittelbar dro-hende Gefahr eines faschistischen Regierungsterrors statt. Laut polizeilicher Schätzung waren etwa 1.500 Arbeiter u. Arbeiterinnen anwesend. Ein schla-gender Beweis für die Richtigkeit der Taktik der linken Opposition. Denn bis-her war es noch keiner Partei seit 1923 gelungen, eine derartige Masse in Be-wegung zu bringen.362

In Oranienburg konnte die Trotzki-Gruppe ebenfalls ein erfolgreiches antifaschi-stisches Komitee aufbauen – hier nicht nur unter Einbeziehung der SPD, sondern auch der lokalen KPD. Das Komitee arbeitete ebenso erfolgreich und vielseitig wie der Aktionsausschuss in Bruchsal. Es organisierte Kundgebungen gegen die Nationalsozialisten und bildete antifaschistische „Arbeiter- S c h u t z s t a ff e l n “ .3 6 3 Darüber hinaus gründete es Kommissionen für Erwerbslosen- und Betriebsarbeit und kandidierte bei den Elternbeiratswahlen.3 6 4Zudem inspirierte es Arbeiter in den benachbarten Ortschaften, die – teilweise mit aktiver Unterstützung durch die Oranienburger – ebenfalls Einheitsfrontkomitees gründeten.365

Bruchsal und Oranienburg blieben jedoch Einzelfälle. Die unnachgiebige Hal-tung der Parteiführungen von SPD und KPD gegenüber der jeweils anderen Partei ließ alle Hoffnungen auf ein reichsweites Bündnis zerplatzen. Vielmehr trugen beide dazu bei, die Spaltung innerhalb der Arbeiterbewegung zu vertiefen. Zu-gleich war die linke Opposition Anfang der 1930er Jahre zahlenmäßig viel zu schwach, um eine Kursänderung der KPD zu erreichen. Lediglich dort, wo die Opposition eine vergleichbare Größe und einen ähnlichen Einfluss wie die beiden großen Arbeiterparteien hatte, gelang es ihr, wirksame Einheitsfrontkomitees auf-zubauen. In einer Großstadt wie Berlin, wo sie selbst 50 Mitglieder hatte, die KPD aber 34.000, war dies undenkbar.366

Die gleiche Erfahrung musste auch der Leninbund machen, der im Kampf ge-gen den Faschismus ein ähnliches Konzept wie die Trotzkisten verfolgte. Die Or-ganisation ging ebenfalls davon aus, dass eine Einheitsfront der beiden großen

Ar-361 Permanente Revolution, 1. Jg., Nr. 4, Oktober-November 1931.

362 Permanente Revolution, 1. Jg., Nr. 5, Dezember 1931.

363 Permanente Revolution, 2. Jg., Nr. 13, Anfang Juli 1932.

364 Permanente Revolution, 2. Jg., Nr. 12, Mitte Juni 1932.

365 Es handelte sich um die Ortschaften Birkenwerder, Liebenwalde, Sachsenhausen, Schmachtenhausen und Zehlendorf. Vgl. Permanente Revolution, 2. Jg., Nr. 14, Mitte Juli 1932; Nr.16, 1. Augustwoche 1932;

Nr.18, 3. Augustwoche 1932; 3. Jg., Nr. 7, 3. Februarwoche 1933; Hippe: Erinnerungen, S. 127.

366 Tony Cliff: Trotsky, Bd. 4: 1927-1940. The darker the night the brighter the star, London u. a. 1993, S. 160.

beiterparteien unerlässlich sei, um den Faschismus zu verhindern.3 6 7G l e i c h z e i t i g versuchte sie aber, sich gemeinsam mit verschiedenen linken Kleingruppen zu ei-ner „antifaschistischen Wehrorganisation“ zusammenzuschließen. So gründete sie im März 1931 gemeinsam mit dem Bund revolutionärer Industrieverbände, der anarchosyndikalistischen FAUD, den unbedeutenden Resten der USPD, der rechtskommunistischen KPO, der Gemeinschaft proletarischer Freidenker, dem Proletarischen Gesundheitsdienst und dem Freien A r b e i t e r-Sängerbund in Berlin eine „Kampfgemeinschaft gegen Reaktion und Faschismus“.368Laut Zimmermann waren zwar die „programmatischen Vorstellungen der Kampfgemeinschaft […]

weniger eng und sektiererisch, als manchen Te i l n e h m e rgruppen entsprochen h ä t t e . “3 6 9Gleichzeitig fragt er aber auch – bezogen auf die Tatsache, dass die Kampfgemeinschaft eine eigene 1.-Mai-Demonstration in Berlin org a n i s i e r t e :

„Eigneten sich separate Mai-Demonstrationen dazu, für die Einheit der A r b e i t e r-klasse zu werben?“3 7 0Tatsächlich blieb die „Kampfgemeinschaft“ wirkungslos.

Und auch später – nun im Bündnis mit der KPO und der SAP, einer linken A b-spaltung der SPD – gelang es dem Leninbund nicht, reichsweit wirkungsvolle an-tifaschistische Bündnisse zu initiieren.371

Mit der Ablösung der Brüning-Regierung durch das „Kabinett der Barone“ un-ter Kanzler Franz von Papen im Juni 1932 änderte der Leninbund seine Strategie.

Die Linkskommunisten warnten: „Die Regierung von Papen bedeutet den vorläu-figen und aller Wahrscheinlichkeit nach endgültigen Sieg des bürgerlichen Flü-gels, der sich auf den Faschismus stützen will.“3 7 2Hatte die Organisation bislang ausschließlich auf außerparlamentarische Aktionsbündnisse gegen den A u f s t i e g der Nationalsozialisten gesetzt, so orientierte sie nun auch auf den Reichstag. Un-ter der Losung „Her mit dem antifaschistischen Parlament!“ forderte sie ein Zu-sammengehen aller antifaschistischen Fraktionen. Sie hoffte, für eine solche Idee auch Teile des nichtsozialistischen Kleinbürgertums und der christlichen Arbeiter-schaft zu gewinnen.373Letztendlich blieben aber auch diese Aufrufe von den Mas-sen und den Parteien ungehört. Es sollte noch bis Mitte der 1930er Jahre dauern, bis die Komintern mit der „Volksfront“-Politik eine ähnliche Position einnahm.

367 Zimmermann: Leninbund, S. 206.

368 Die Trotzkisten verzichteten hingegen auf die Mitarbeit an dem Bündnis, an dem sich, wie sie meinten, jede

„Splitterorganisation, möge sie selbst aus einem Mitglied bestehen“ beteilige. Sie sahen hierin keinen Ersatz für das Zusammengehen der A r b e i t e r- M a s s e n o rganisationen; vgl.: Der Kommunist. Organ der Linken Op-position der KPD (Bolschewiki-Leninisten), 2. Jg., Nr. 3, März 1931.

369 Zimmermann: Leninbund, S. 209 f.

370 Ebenda, S. 210.

371 Ebenda, S. 211-213.

372 Ebenda, S. 221.

373 Ebenda, S. 222.

Im Dokument Rosa-Luxemburg-Stiftung Manuskripte 69 (Seite 101-106)