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Die Einbindung in den Weltmarkt

Im Dokument Rosa-Luxemburg-Stiftung Manuskripte 69 (Seite 111-115)

Zu den Protest- und Organisationsformen der argentinischen Arbeitslosenbewegung

1. Die Einbindung in den Weltmarkt

Die Reichweite der Kapitalakkumulation ist global, doch der Weltmarkt existiert nicht außerhalb der nationalstaatlichen Regulationsräume. Denn „so deterritoriali-siert und anational“ das Kapital auch erscheinen mag, „so kann es sich doch nur durch Tr a n snationalisierung reproduzieren, weil es sich auf der Raummatrix der Arbeitsprozesse und der Ausbeutung bewegt, die selber i n t e rnational ist.“3 8 4U m in der grenzüberschreitenden Bewegung des Kapitals unterschiedliche Bedingun-gen für kapitalistische Akkumulation weltweit nutzen zu können, müssen grund-legende Funktionsbedingungen des Wirtschaftens in den einzelnen Ländern er-füllt sein. Dazu bedarf es des Staates als einer außerökonomischen Gewalt, die Besitzverhältnisse garantiert, die Nutzbarkeit einer für die Inwertsetzung des Ter-ritoriums notwendigen räumlichen Infrastruktur gewährleistet und die Gesell-schaft mit den der Produktionsweise entsprechenden sozialen Formen durchdringt.

„Während die raison d’etreder Ökonomie Akkumulation und daher quantitative Ausdehnung, Überwindung von Grenzen ist, ist diejenige der Politik die Staats-raison, also der Balancierung von inneren und äußeren Kräften in einer auch terri-torial durch das Staatsgebiet begrenzten Gesellschaft.“385Die Integration

national-383 Colectivo Situaciones: ¡Que se vayan todos! Krise und Widerstand in Argentinien, Berlin/Hamburg/Göttin-gen 2003, S. 188.

384 Nicos Poulantzas: Staatstheorie. Politischer Überbau, Ideologie, Sozialistische Demokratie, Hamburg 1978, S. 99, Hervorhebung im Original.

385 Elmar Altvater: Sachzwang Weltmarkt, Hamburg 1987, S. 76, Hervorhebung im Original.

staatlich verfasster Gesellschaften in den Weltmarkt ist asymmetrisch, und die Be-ziehung zwischen Ländern des Zentrums und peripheren Staaten stellt sich als ökonomisches Ausbeutungs- und politisches Herrschaftsverhältnis dar.

Die ungleiche räumliche Entwicklung ist auch für die Bearbeitung der im Kapi-talismus periodisch auftretenden Krisen von Bedeutung. Die zeitweilige Lösung von den der Produktionsweise inhärenten Widersprüchen generiert nach David Har-vey beständig geographische Restrukturierungen: Tritt in einer Region ein Mangel an produktiven Investitionsmöglichkeiten auf, lässt sich überschüssiges Kapital mit-tels neuer raum-zeitlicher Fixierungen in anderen Weltregionen absorbieren. Indem neue Räume in Wert gesetzt werden und andere (bspw. durch Deindustrialisierung) aus dem Verwertungsprozess herausfallen, bleibt das kapitalistische System insge-samt relativ stabil, selbst wenn seine Teile periodisch in Schwierigkeiten geraten.3 8 6 Auch die Herausbildung der lateinamerikanischen Schuldenökonomien ab Mitte der 1970er Jahre lässt sich als Kehrseite einer Überakkumulation in den kapitalisti-schen Zentren begreifen. Kapital, das sich dort nicht mehr produktiv verwerten ließ, wurde mittels Kreditvergabe in Schwellenländer umgelenkt. Indem nun ein Teil der Kapitaleinkommen in den Metropolen aus den sich verschuldenden Ländern kom-men musste, wurde der Schuldendienst der Dritten Welt „zu einem notwendigen Faktor der Reproduktion des ‚fordistischen’ Kapitalismus in den Industrielän-d e r n .“3 8 7Für die langfristige Erfüllung der Verpflichtungen, die aus den in den 1970er Jahren noch zu niedrigen Zinsen aufgenommenen Mitteln erwuchsen, hätten die Kreditbeträge im Rahmen eines auf externer Verschuldung basierenden Indu-strialisierungsprojekts zur Finanzierung von produktiven Investitionen verwendet werden müssen. Doch mit der unter der argentinischen Militärdiktatur (1976-1983) eingeleiteten Öffnung der Geld- und Kapitalmärkte gewannen spekulative A k t i v i t ä-ten, die sich auf die Nutzung von Preis- und Zinsdifferenzen und der Bewegungen von Aktien- und Wechselkursen bezogen, gegenüber Investitionen in produktive Anlagen an Bedeutung. In einem wirtschaftlich und politisch instabilen sowie chro-nisch inflationsgefährdeten Land wurden Gewinne in großem Stil in Hartwährungs-länder transferiert. So dienten „in A rgentinien […] die hereingeholten Dollarmilliar-den zum allergrößten Teil der durch das neoliberale Wirtschaftsmodell stimulierten K a p i t a l f l u c h t .“3 8 8Unter den Militärs war die Gesamtverschuldung des Landes (öf-fentlich und privat) von knapp 8 Milliarden Dollar auf ca. 45 Milliarden Dollar an-gestiegen. Während der private Sektor seine Schulden nicht zuletzt aufgrund der Si-cherheiten, die der Staat für zahlreiche von privaten Unternehmen bei ausländischen Banken aufgenommene Kredite geboten hatte, schnell substanziell reduzieren konnte, wuchsen die öffentlichen Schulden stark an.3 8 9Auch A rgentinien geriet in

386 Vgl. David Harvey: Der neue Imperialismus, Hamburg 2005, S. 121.

387 Altvater: Sachzwang Weltmarkt, S. 41.

388 Elmar Altvater: Die Schulden der Dritten Welt sind nicht bezahlbar, in: PROKLA, SWP, Sozialismus, Me-morandum, IMSF (Hrsg.): Kontroversen zur Krisentheorie, Hamburg 1986, S. 59.

389 Vgl. Jorge Todesca: El mito del país rico, Buenos Aires 2006, S. 206. Der Anteil der öffentlichen Schulden

die Schuldenkrise lateinamerikanischer Länder, als sich die außenwirtschaftlichen Bedingungen verschlechterten und zu Beginn der 1980er Jahre in den USA die Ent-wertung des Dollar mit extremen Zinssteigerungen abgewehrt wurde. Durch den Anstieg der internationalen Zinssätze und die Abwertung der eigenen W ä h r u n g überstiegen nun die Verpflichtungen, die aus der in ausländischer Währung festge-schriebenen Außenschuld erwuchsen, die realwirtschaftliche Leistungsfähigkeit des Landes. Gleichzeitig versiegten die Kredite von internationalen Banken. Um den Schuldendienst leisten zu können, wurden die an neoliberale Strukturanpassungs-maßnahmen gebundenen Kredite von Weltbank und IWF genutzt. Die auf externe Verschuldung setzende Entwicklungsstrategie lateinamerikanischer Länder mün-dete somit in das von der Schuldenkrise ausgelöste „verlorene Jahrzehnt“ der 1980er Jahre. Der Kapitalexport aus den Zentren mittels Kreditvergabe an die Schwellenländer hatte allerdings dem in den Industrieländern überschüssigen Kapi-tal neue Verwertungsmöglichkeiten geboten. Nun war es „das Empfängerland, das jegliche Kapitalabwertung ausgleichen muss, und das Gläubigerland, das vor Ent-wertungen geschützt ist. Die Ressourcen der Empfängerländer können dann leicht unter den drakonischen Regeln der Schuldenrückzahlung geplündert werden.“3 9 0

Insbesondere vor dem Hintergrund der Hyperinflation, die Ende der 1980er Jahre in A rgentinien jährliche Inflationsraten im vierstelligen Bereich hervorg e b r a c h t hatte, wurde unter der Regierung Menem 1991 ein c u rrency boardeingeführt, das im Kern aus der 1:1-Parität von Peso und Dollar bestand und mit einer orthodox neoliberalen Politik verknüpft war. Verarmung und Prekarisierung waren in der Funktionsweise des Währungsregimes selbst schon angelegt: Bei festem We c h s e l-kurs und liberalisiertem Kapitalverkehr ist eine autonome Geldpolitik unmöglich.

Treten externe Schocks auf, wie bspw. die Aufwertung des Dollars oder die A b w e r-tung von lateinamerikanischen und asiatischen Währungen nach den Finanzkrisen der 1990er Jahre, kann der Verlust an Wettbewerbsfähigkeit nur durch eine Senkung des inländischen Preisniveaus ausgeglichen werden. Nachdem man die Ve r f ü g u n g über geldpolitische Instrumente ans Ankerwährungsland abgegeben hatte, wurde das Lohnniveau zur entscheidenden Va r i able, die sich vom argentinischen Regie-rungspalast aus noch beeinflussen ließ. Die Flexibilisierung des A r b e i t s m a r k t e s wurde zum zentralen politischen Ansatz. Den Verlust an We t t b e w e r b s f ä h i g k e i t versuchte man mit längeren Arbeitszeiten, sinkenden Löhnen und durch die Inten-sivierung der Arbeit auszugleichen. Investitionen in neue und effizientere Technik spielten also eine weit geringere Rolle als die Steigerung der Ausbeutung und da-mit die Steigerung des absoluten Mehrwerts. Nach Harvey ist es aber nicht nur die Abschöpfung des Mehrwerts aus dem laufenden Produktionsprozess, mit dem die Renditeansprüche der Akteure auf den globalen Finanzmärkten erfüllt werden. Da

an der gesamten Außenverschuldung stieg von 1980 bis 1989 von 60,7% auf 96,6%, so Elmar Altvater &

B i rgit Mahnkopf: Grenzen der Globalisierung. Ökonomie, Ökologie und Politik in der We l t g e s e l l s c h a f t , Münster 1997, S. 173.

390 Harvey: Der neue Imperialismus, S. 119.

die Ansprüche die Leistungsfähigkeit der Ökonomien übersteigen, gewinnt die

„Akkumulation durch Enteignung“ an Bedeutung. Dabei werden in Staats- und Kollektiveigentum befindliche Vermögenswerte privatisiert. Der rasche Ve r k a u f sämtlicher für die Verwertungsinteressen des Kapitals interessanten Staatsunter-nehmen stand in Argentinien zu Beginn der 1990er Jahre auch im Zusammenhang mit der Restrukturierung der Auslandsschulden. Die orthodox neoliberale Wi r t-schaftspolitik der peronistischen Regierung unter Carlos Menem „brachte A rg e n-tinien eine außerordentliche Welle der Privatisierung (der Wa s s e r- und Energ i e-v e r s o rgung, der Telekommunikations- und Transportdienste) ein, die einen enormen Zustrom überakkumulierten Kapitals und eine solide Hochkonjunktur der Vermögenswerte bewirkte, gefolgt von einem Rückfall in gewaltige Ve r a r-mung […], als das Kapital abzog und woanders hinwanderte.“391

Der Akkumulationsprozess setzt voraus, dass ein Teil des Gesamtkapitals in physisch-materieller Form, also als Infrastruktur und gebaute Umgebung, am Ort gebunden ist. Die räumliche Fixierung steht dabei im Widerspruch zur notwendi-gen Mobilität des Kapitals: „The fixed spatial structures required to overcome space themselves become the spatial barriers to be overcome.“3 9 2Denn ein Te i l des Kapitals muss in Form von Infrastruktur am Ort verankert werden, um den

„spatial fix“, also die zeitweilige Lösung von Krisen durch geographische Ve r l a-gerungen im globalen Maßstab, erst zu ermöglichen. Die Funktionsweise der Weltfinanzmärkte ist dabei jedoch tendenziell entterritorialisiert. Dieser Teil der Ökonomie verlagert sich in den „Cyberspace“, in dem sich Raumdistanzen auf immer kürzere Zeiträume reduzieren lassen: „Kapital lässt sich in diesem entterri-torialisierten und daher virtuellen, aber doch sehr realen Raum per Knopfdruck innerhalb von wenigen Sekunden, in ‚Echtzeit’ nahezu simultan auf die andere Seite der Welt transferieren. Der Zielpunkt des unendlich geringen Zeitraums bei unendlich großer Raumausdehnung scheint erreicht.“3 9 3Für die Akteure auf glo-balen Finanzmärkten löst sich die Bindung an nationalstaatliche Territorien, an die mit ihnen verknüpften repräsentativ-demokratischen Strukturen und die kom-plexen sozialen Beziehungsgefüge in Gesellschaften tendenziell auf. Das globale Raum-Zeit-Regime richtet sich weder nach der zyklischen Reproduktion von Na-tur und Körper noch wird es von den Umschlagzeiten des produktiven Kapitals bestimmt, so Altvater und Mahnkopf: Die Verpflichtungen aus Geldbeziehungen im globalen Finanzsystem, die „Fristen und festgelegten Orte, an denen sie zu er-füllen sind, bestimmen die Raum-Zeit-Matrix der We l t g e s e l l s c h a f t .“3 9 4Die struk-turelle Gewalt, die sich aus der Funktionsweise der globalen Finanzmärkte ergibt, wirkt auf die räumlich gebundenen Gesellschaften zurück, denn sie erfordert die S c h a ffung eines an die Bedingungen des globalen Raums angepassten Standorts,

391 Ebenda, S. 158.

392 David Harvey: The Limits to Capital, Oxford 1982, S. 430.

393 Mario Candeias: Neoliberalismus, Hochtechnologie, Hegemonie, Hamburg 2004, S. 133.

394 Altvater & Mahnkopf: Grenzen der Globalisierung, S. 132.

also die Bereitstellung optimaler Verwertungsbedingungen. Die Artikulation zwi-schen globalen und lokalen Prozessen äußert sich „als zusammenhängende hierar-chische Konfiguration gesellschaftlicher Funktionsräume, die ein widersprüchli-ches Spannungsgeld bildet zwischen dem globalen Raum des Weltsystems und den konkreten Orten sozialer Lebenszusammenhänge.“3 9 5Dies zeigt sich am Bei-spiel A rgentinien deutlich: Nach der Abwertung asiatischer Währungen und des brasilianischen Real geriet die argentinische Ökonomie Ende der 1990er Jahre in eine tiefe ökonomische Krise, die 2001 zum größten Zahlungsausfall in der Ge-schichte der Emerging Markets führte. In der Folge stieg die Arbeitslosigkeit auf über 20 Prozent an, knapp noch einmal so viele galten als unterbeschäftigt, deut-lich über die Hälfte der Bevölkerung lebte unterhalb der Armutsgrenze.

Im Dokument Rosa-Luxemburg-Stiftung Manuskripte 69 (Seite 111-115)